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cotopaxi

 
Wenn Lehrer in der Freizeit zusammenkommen, stellen sie sich automatisch in Dienst. Ständig reden sie von der Schule, selbst bei Bier und Brot. (Nichtlehrern geht das ziemlich auf den Nerv.)

"Können wir die nächste Schularbeit gemeinsam machen?"
"Wahrscheinlich nicht, ich habe das 4. Kapitel noch nicht beendet."

"Habt Ihr gehört, was die 3 B aufgeführt hat?"
"Nein, was?"
"Die haben sich geweigert, in einer Ersatzstunde die Mathematiksachen herauszugeben."
"Naja, die stecken mitten in der Pubertät."

Da schaltet sich die Französischassistentin ein.
"Pubertät, was ist das?"
"C'est la puberté ..."
"Ja, schon, aber was hat das zu tun mit die Arbeit in die Klasse?"

Daraus entwickelt sich ein interessantes Gespräch. Pubertät, das ist ein biologisches Phänomen: Hormone, Geschlechtsreifung, Fortpflanzungsfähigkeit. Die Französin denkt an körperliche Merkmale, die sich verändern.
Die österreichische Lehrerschaft hat ganz andere Assoziationen entwickelt: Pubertät als sozialpädagogisches Phänomen. Kinder, die nicht mehr zu bändigen sind.

"In Frankreich das habe ich nie gehört. Ihr entschuldigt schlechtes Benehmen schon ... wie sagt man 'en avance'?"
"Im Vorhinein."
"Warum das ist so bei eusch?"

Da müssen wir nachdenken. Das haben wir noch nie hinterfragt. Wir dachten wohl, das wäre weltweit verbreitet und akzeptiert, dass Kinder im schwierigen Alter von 12 - 14 Jahren rebellieren müssen. Und schlechtes Benehmen deswegen zu entschuldigen ist.

"Vielleicht kommt das von Freud? Bei uns kommt ja praktisch jeder als Psychologe zur Welt!"

Frage an die Leser: Habt Ihr vergleichbare Erfahrungen in anderen Ländern gemacht? Ist Pubertät eine hinreichende Entschuldigung für Fehlverhalten?
vivec (Gast) meinte am 29. Mai, 10:02:
Hmm, ich kenne da nur den uns zivilisatorisch ähnlichen Raum (Italien zb.), aber da scheint das überhaupt nicht akzeptiert zu sein. In England zB auch nicht.
Ganz zu schweigen von Japan. Bei der traditionellen japanischen Erziehung dürfen die sich bis ungefähr 6 Jahre aufführen wie sie wollen, und danach schlägt dann die Erziehung voll zu.

Ich beobachte in meinem Umfeld in Deutschland (auch an mir selbst) allerdings immer die Tendenz, verständnisvoller zu sein, als es eigentlich gut für einen ist. Mein kleiner Bruder ist gerade in der Pubertät (16 oder so?), und der tut wirklich nur, was er muss... 
teacher antwortete am 2. Jun, 18:45:
Erfahrungsgemäß sind ältere Brüder eigenartig streng mit den Kleinen! 
hajo (Gast) meinte am 29. Mai, 10:12:
der feine Unterschied
.. liegt wohl darin:
Man kann wohl verstehen, warum die lieben (gar nicht mehr so) Kleinen sich so verhalten (dabei hilft oftmals auch der Rückblich in eigene Flegeljahre),
aber
Verständnis dafür muss man noch lange nicht haben.
Und als Entschuldigung kann die Pubertät genau so wenig herhalten wie das oftmals (in ähnlicher Form) geäusserte Argument, warum jemand gestohlen oder gar Schlimmeres getan hat: "er musste schliesslich als Kind oft Spinat essen" ;-) 
teacher antwortete am 2. Jun, 18:46:
Psychoanalyse statt Erziehung spart viel an Kraft. 
Bratwurst meinte am 29. Mai, 10:15:
(aus Deutschland, kein Lehrer)
Nein, es is keine hinreichende Entschuldigung. Es kann eine Erklärung sein, kann aber nicht als Freibrief für Fehlverhalten dienen. Unsere Lehrer (Gymnasium 1980er) hätten übrigens straff den Stoff durchgezogen und in der nächsten Stunde eine Ex geschrieben; da proben Schüler nur ein einziges Mal den Aufstand, weil sie sofort die Folgen zu spüren bekommen... Ob das gut ist, ist eine andere Frage; allerdings kann es auch nicht gut sein, wenn Schüler merken, dass sie mit Verweigerung durchkommen, oder? 
Bulgariana (Gast) antwortete am 29. Mai, 11:12:
Aus Bulgarien (keine Lehrerin, aber Mutter)
In Bulgarien ist dieses "schwierige Alter", wie die Bulgaren zu sagen pflegen, ein Grund für die Lehrer noch strenger zu sein und ja nichts durchgehen zu lassen.
Hier in Österreich hat meine bald 11-jährige Tochter, schon ein bisschen Narrenfreiheit. Kürzlich hielt sie mir zu Hause ihr Alter unter die Nase, quasi als Entschuldigung für ihr Benehmen.
Das Ganze wird m.E. etwas überzelebriert. 
teacher antwortete am 2. Jun, 18:49:
@Bulgariana: Interessant!
@Bratwurst: In Österreich sind spontane Test nicht erlaubt und Test als "Strafmaßnahmen" schon gar nicht. Trotzdem dürften sie immer wieder zum Einsatz kommen. 
sowai (Gast) meinte am 29. Mai, 11:21:
Pubertät als Entschuldigung für Fehlverhalten ist genau so valide wie Wechseljahre oder midlife crisis das wären. Soweit zur objektiven Sicht.
In Deutschland und Österreich hat es sich aber leider irgendwann etabliert. Ob im Rahmen antiautoritärer Erziehungsströme oder außerhalb derer, kann ich nicht sagen. Jedenfalls bekommen die Kids diese Entschuldigung in den meisten Fällen schon mal als Blankoscheck vom Elternhaus mitgeliefert. Ich denke, die Lehrer und Schulen haben das irgendwann in ihr Konzept mit aufgenommen, weil die meisten inzwischen auch schon mit diesem Blankoscheck durch ihre Jugendzeit gekommen sind und es eben gewirkt hat. Kids und Teens neigen dazu, die auferlegten Grenzen zu testen und oft auch einer Zerreißprobe zu unterziehen. Werden diese Grenzen nun mit dem Argument "Pubertät" entschärft und aufgeweicht, ändert sich logischerweise auch das Verhalten. So werden dann eben diese neuen, aufgeweichten Grenzen ausgetestet und wenn sie zu weich sind, eben schnell auch mal durchbrochen.
Ja, ich denke Pubertät als Entschuldigung ist typisch für den germanischen Kulturkreis aber es ist auch ein Phänomen unseres heutigen Zeitgeistes. Zu meiner Schulzeit (vor 25 Jahren) hörte man zwar auch immer wieder das Argument "er ist in der Pubertät", aber damit wurde nicht mein Fehlverhalten entschuldigt, sondern die Notwendigkeit schärferer Maßnahmen gegen dieses.
So wie früher hier, so wird das in anderen Ländern immer noch gehandhabt. Während hier in Zeiten von Toleranz, Toleranz und noch mehr Toleranz Verhaltensregenln und Grenzen immer mehr
aufgeweicht werden. Nicht nur gegenüber Jugendlichen und Pubertät sondern generell. 
teacher antwortete am 2. Jun, 18:55:
Ist diese Toleranz nicht pädagogische Faulheit? 
ottivgrau meinte am 29. Mai, 12:02:
Finde ich eigentlich gut, dass man der schwierigen hormonellen Lage der Kinder Verständnis entgegenbringt: Das zeugt von Empathie, und das ist eine ganz grundlegende Voraussetzung für gelungene Pädagogik. Andererseits ist etwas, das verständlich ist, nicht gleich schon verzeihlich. Fehlverhalten muss Konsequenzen haben, Pubertät hin oder her. Kann mich noch gut erinnern, dass bei den strengeren Lehrern der Unterricht immer besser funktioniert hat - und die letztlich auch wesentlich mehr Respekt bekommen haben. Den Ansatz, in der Pubertät ganz besonders streng zu sein, finde ich unsinnig: Wers übertreibt macht sich doch genau so lächerlich, wie jemand, der alles über sich ergehen lässt. Wer nicht halbwegs ernst genommen wird, hat schon verloren. Also: Entschuldigung nein, aber verständnisvolle Grundhaltung unbedingt. 
Jogurtbecher (Gast) antwortete am 29. Mai, 13:28:
Ein bischen Nachsicht
Naja, als angehender Junglehrer und jemand sich noch an sein Pupertät erinnert muss ich die Jugend etwas in Schutz nehmen. Natürlich darf es keine Entschuldigung sein aber man sollte sich schon klar machen was die Pupertät wirklich für einen Menschen bedeutet.
Biologisch gesehen spielt der Hormonhaushalt total verrückt und man kann Jugendliche in der Zeit eigentlich mit Menschen vergleichen die unter Drogen/Psychpharmaka stehen. Da läuft dann halt alles nicht rund. :-) 
Herr Rau (Gast) antwortete am 29. Mai, 14:52:
Ich akzeptiere die Erklärung "Pubertät" notfalls als Erklärung, sicher nicht als Entschuldigung - eben weil ich mich noch an meine erinnere. Es waren schöne Jahre, in denen ich mit mir und der Welt im Reinen war. Jaja, ich weiß schon, Hormone, und Neuronen neuverdrahten und so weiter - dennoch gibt es Jugendliche, die mühelos durch die Pubertät kommen. Man sollte mal untersuchen, wie die das machen, und schauen, ob die Erkenntnisse auch den anderen helfen - statt mit den Schultern zu zucken und "abwarten" zu sagen. 
Vanexia (Gast) antwortete am 29. Mai, 19:44:
Als angehender Junglehrer wissen sie auch dass man "Pupertät" mit b schreibt? 
teacher antwortete am 2. Jun, 18:59:
Für mich war Pubertät eine interessante Zeit, weil es viel Neues zu entdecken gab. Umso mehr brauchte ich klare Grenzen und sichere Orientierungspunkte - mehr Toleranz hätte ich für mich nicht eingefordert und hätte ich auch nicht bekommen. Fand ich gut. 
walküre meinte am 29. Mai, 16:51:
Als Entschuldigung für schlechtes Benehmen sollte Pubertät nicht akzeptiert werden, und zwar generell nicht. Bei uns zu Hause haben wir (mein Mann und ich) immer nachdrücklich darauf aufmerksam gemacht, dass es nichts außer vielleicht einer schweren psychischen Erkrankung (aber in diese Ecke möchte sich ohnehin kein Teenager stellen!) gibt, was rüde Manieren und Umgangsformen rechtfertigt. Dass es in diesem Alter mitunter schwer ist, sich längere Zeit zu konzentrieren, dass man zeitweise schneller ermüdet, dass auch körperliches Unwohlsein vorkommt, steht fest und darf auch berücksichtigt werden; Unhöflichkeit und grobes Benehmen sind aber keine organischen Begleiterscheinungen, sondern einfach nicht notwendig. Einer meiner Standardsätze in üblen Phasen: "Niemand - ABSOLUT NIEMAND - hat das Recht, in diesem Ton mit mir zu sprechen !" Wer in einem solchen Moment drohender Eskalation als erwachsener Mensch den Kopf einzieht, hat schon verspielt; die rettende Insel heißt Selbstachtung. 
teacher antwortete am 2. Jun, 20:26:
Vielen Eltern wachsen in dieser Zeit ihre Kinder über den Kopf. Manche merken es und leiden, manche merken es erst zu spät, manche nie.
Es fehlen klare gesellschaftliche Ansprüche. 
ich (Gast) meinte am 29. Mai, 23:28:
"Wenn Lehrer in der Freizeit zusammenkommen, stellen sie sich automatisch in Dienst. Ständig reden sie von der Schule, selbst bei Bier und Brot. (Nichtlehrern geht das ziemlich auf den Nerv.)"

Das ist nicht "in den Dienst stellen". Das ist normal. Mit Freunden, die denselben Beruf haben -- und erst recht mit Kollegen -- wird /natürlich/ auch in der Freizeit über den Job geredet. Aber hallo: DAS IST KEINE ARBEITSZEIT. Auch wenn Lehrer damit auf 60-Stunden-Wochen kommen. Und /das/ ist das, was Nichtlehrern auf den Keks geht. Nicht, dass man sich über den Job austauscht.

Schönen Abend noch! 
me (Gast) antwortete am 2. Jun, 07:07:
Arbeitszeit - ja oder nein?
Das sehe ich differenzierter. Psychohygiene, Frustgespräche etc. gibt es überall. Man ärgert sich über KollegInnen, ChefIn (Schule wie Büro), tauscht sich darüber aus, baut Frust ab. Das ist ok. Das ist keine Arbeitszeit.

Dann aber (und das kenne ich aus eigener Erfahrung) gibt es Gespräche über SchülerInnen, über Projektarbeiten, über Klassenergebnisse, die für die weitere Vorgehensweise notwendig sind. Das ist Arbeitszeit. Und viele LehrerInnen sehen die Arbeitszeit nicht nach dem Unterricht beendet. Und beklagen sich nicht. Meistens. Außer man haut auf sie hin.

Oder wann haben Sie das letzte Mal einen Kollegen privat am Samstagvormittag angerufen und besprochen, wie der Auftrag der Firma XY geangelt werden kann? 
BIA (Gast) antwortete am 2. Jun, 18:04:
@ich
Hat Teacher irgendwo geschrieben "...beginnen Lehrer sofort, Stunden mitzuschreiben..."? I think not. 
teacher antwortete am 2. Jun, 20:35:
Kreative Firmen wie Google Inc. motivieren ihre Mitarbeiter zu solchen Treffen und schaffen entsprechende Kommunikationsmöglichkeiten. Dort ist es bezahlte Arbeitszeit. 
BIA (Gast) antwortete am 7. Jun, 18:21:
@teacher
Wir machen "kollegiale Beratung" mit einem Sozialpädagogen. Das ist echt super - aber völlig freiwillig, resultiert in fehlender Vorbereitungszeit, und dementsprechend trifft sich ein kleines Häuflein Unentwegter, das aber dafür wirklich profitiert. Der Rest trifft sich nicht und kommt nicht in den Genuß von Kollegenfeedback und Rat & Hilfe.
Kommunikatiuonsmöglichkeiten schaffen...definitiv "not evil" von Google, egal, was man sonst von ihnen halten mag. 
teacher antwortete am 8. Jun, 08:37:
Würde sich dort ein Mann (!) wohl fühlen?
ICH gebe zu, dass ich mich für solche Progrramme zu stark fühle: "Brauch ich nicht, wau wau ..." 
anonym (Gast) meinte am 30. Mai, 03:00:
Interessant ist, dass es offenbar Kulturen geben soll, in denen die Pubertät, so wie wir sie kennen gar nicht auftritt. Entscheidend, so habe ich mal gelesen, sei, dass das Umfeld mit dem Pubertierenden klar kommuniziere. Da gebe es Stämme in Afrika, bei denen die Kinder so ungefähr um die Pubertät herum mittels Ritualen in die Erwachsenenwelt aufgenommen werden. Von da an haben sie zwar die gleichen Rechte wie die anderen Erwachsenen, aber auch die genau gleichen Pflichten zu tragen. Leider kann ich nicht auf diesen Text verweisen. Aber irgendwie habe ich dem Text nicht so recht getraut, weiss ich doch, dass es sich - wie oben schon gesagt wurde - um ein biologisches Phänomen handelt. Mag sein, dass sich die Auswirkungen der Pubertät mit solchen Ritualen lindern lassen, aber ich kann mir kaum vorstellen, dass diese sich so gänzlich beseitigen liessen. 
Der (ehemals) VS Lehrer (Gast) meinte am 30. Mai, 10:21:
Vollmond, Pubertät, und andere Ausreden
Wenn ich etwas in meiner Schule und bei meinen (in meinem Fall zu 100%) Lehrerinnekollgen beobachtet habe, dann, dass man nie verlegen wird um die passenden Ausreden zu suchen.

Und zwar Ausreden dafür, Dinge einzufordern deren Nichteinhaltung auch Konsequenzen/Strafen nachvollziehen kann und MUSS.

Bei uns ist es halt dann der Vollmond, oder das schlechte Jing/Jang Verhältnis, das "komische" Wochenende oder das Scheidungspapawochenende und in der vierten Klasse (etwa so um die 10J) auch schon mal die Vor-Puberät.*g*

Dabei ist die Rechnung ganz einfach:
Das Sanktionieren eines Fehlverhaltens, inkl. Dokumentation, Kosequenzen und viell. Elternvorladung benötigt über einen langen Zeitraum ein hohes Maß an Energie und schlussendlich steht man noch als autoritärer A... da.

Das bewusste Ingnorieren eines Fehlverhaltens, eines Einzelen oder einer ganzen Gruppe, benötigt zwar kurz ein Maximalmaß an Energie (Achtung!Das ist der Zeitpunkt wo man dann als Lehrer gerne die Gesamtstrafen für alle ausspricht, die nie durchzusetzen sind und schlussendlich zum vollkommenen Gesichtsverlust führen) ist dann aber auch schon erledigt.

Was schmerzt und im Hirnstamm zurückbleibt ist das angeknackste Ego, das einem klar verdeutlicht, dass man nun gegen "ein Kind" verloren hat. Und um dieses Ego relativ schnell wieder aufzupeppen muss eine Ausrede her, die diese alles tollerierende Vorgehensweise erklärt: Eben der Mond, die Sterne, die Pubertät was auch immer.

Bei uns habe ich 60% "traumatisierte" Scheidungskinder, 50% Legastheniker, 35% ADHS Kinder, 70% Mondfühlige, 30% Vorpubertät, 30% noch im emotionalen Vorschulbereich die "sich noch finden" müssen => so gibt es jeden Tag eine Ausrede die ich ziehen kann, wenn es nicht läuft...

noch 25 Unterrichtstage, hat mir meine Kollegin gestern gesteckt. Für mich die allerletzten in diesem System.
Der Volksschullehrer
----
PS: Meistens läuft es genau aus einem Grund nicht - es läuft bei mir nicht - und daran ist in den seltensten Fällen der Mond und schon gar keine Pubertät schuld. 
teacher antwortete am 3. Jun, 19:59:
Sanktionen und Konsequenzen sind anstrengend - deswegen verzichten Eltern und Erzieher inkl. Lehrer gerne drauf und bezeichnen sich dabei gerne als tolerant, fortschrittlich und pädagogisch.

Witzig ist, wenn sie dann Ausreden für das schlechte Benehmen ihrer "Zöglinge" suchen statt diese zu erziehen. 
steppenhund meinte am 30. Mai, 11:40:
Nachdem ich gerade erst vor kurzem aus der Spätpubertät in die Alterssenilität gewechselt bin, glaube ich nicht, dass man Pubertät als Entschuldigung gelten lassen darf.
Dann könnte man ja sein Leben lang alles tun.
Sicher ist eine vermehrte Zuwendung oder eine angepasstere Zuwendung an pubertierende Kinder notwendig. Das hat aber nichts mit Verlust der Umgangsformen oder Rüpelhaftigkeit zu tun.
Wenn die Kinder vorher gut erzogen sind, bleiben sie das vermutlich auch in der Pubertät.
(P.S. in einer Woche feiere ich 40-jähriges Maturajubiläum:) 
teacher antwortete am 3. Jun, 20:01:
Ich bezeichne mich auch manchmal als Spätpubertierenden - bei Männern in der Midlife Crisis ist das manchmal nötig und zielführend. Eine Entschuldigung für irgendwelche Blödheiten. 
Polly Oliver (Gast) meinte am 30. Mai, 15:19:
Ist Alter überhaupt eine Entschuldigung?
Hmm, bei Ihrem Text stellt sich mir die Frage, ob Alter allgemein überhaupt eine Entschuldigung irgendein Verhalten ist.
Bei mir ist die Pubertät noch gar nicht lange her und ich weiß, dass ich da schwierig war. Allerdings auch nur bei meinen Eltern und das tut mir im Nachhinnein ein bisschen Leid, aber nur ein bisschen ;)
Aber ich kann mich nicht daran erinnern, dass meine Lehrer das als Entschuldigung für irgendwas genommen hätten.

Aber man kann das Ganze auch einfach mal ein paar Jahrzehnte später ansiedeln. Was mich ganz gerne mal aufregt, sind ältere Herrschaften, die meinen, nur weil sie ein halbes Jahrhundert mehr auf dem Buckel haben als ich, können sie sich alles erlauben. Gestern erst wieder passiert. Im Spuermarkt rammt mir ein Öhmchen ihren Gehwagen in die Hacken, anstatt mich einmal nett zu fragen, ob ich bitte zur Seite gehen könnte. Gut, ich bin jünger und fitter als diese Herrschaften, aber ich sehe es nicht ein, dass die sich deswegen ständig vordrängeln müssen. Wenn ich Zeit habe, ist ja nicht das Problem, vor allem wenn man einfach mal fragt, aber wenn ich zum Beispiel auch im Zeitdruck bin, dann kann ich bei sowas schonmal grätzig werden.
Ja, ich habe Respekt vor dem Alter, ich biete dann auch meinen Sitzplatz in der Bahn, zB. Nur das ist dann wieder etwas, damit erntet man eher blöde Blicke bis hin zu beleidigten Sprüchen, als einfach nur ein nettes Lächeln. Wolln sie nicht, gut, aber wenns dann darum geht, sich an einer Kasse hinten anzustellen und zu warten, da muss man dann nen Sonderbehandlung kriegen.

Aber genauso regen mich die Kiddies auf, die ein Schild um den Hals hängen haben: "Ich bin in der Pubertät und habe deswegen nen Freifahrtschein."
Ich war schließlich auch zu allen andern Menschen nett und freundich in dem Alter. Gut, ich bin auch Arztkind, da wird so etwas vielleicht noch mehr verlangt, als bei jemandem, dessen Vater nicht in der ganzen Stadt bekannt ist, aber trotzdem! 
steppenhund antwortete am 30. Mai, 15:24:
Vollkommen d'accord. 
ottivgrau antwortete am 1. Jun, 14:33:
Verzeihung, aber: nein! Einem 16-jährigen kann man nicht die selbe Verantwortlichkeit und Einsichtsfähigkeit wie einem 60-jährigen abverlangen. Da liegen einige Jahrzehnte an Lebenserfahrung und geistigem Reifungsprozess dazwischen, jedenfalls darf man davon ausgehen. Jugendliche befinden sich per definitionem in einem Entwicklungsstadium, in dem sie eben nicht wie Erwachsene zur Verantwortung gezogen werden können.

Natürlich darf das nicht heißen, dass uneingeschränkte Narrenfreiheit zu gewähren ist: Sie sollen ja was dazulernen, Verantwortungsbewusstsein entwickeln, und das geht nun mal ohne Feedback, dazu gehört auch klare Grenzziehung, nicht. Der Vorgang nennt sich Erziehung: An seinem Ende sollte ein Mensch stehen, der auch mit 70 noch einen halbwegs respektvollen Umgang mit seiner Umwelt pflegt.

Kinder und Jugendliche aber als eine Art zwergwüchsige Erwachsene zu betrachten, denen man im Anlassfall mit der selben, auch Erwachsenen gebührenden Konsequenz zu begegnen hat, ist ein fataler Trugschluss, der schon so manche Existenz ruiniert hat.

Übrigens wird man auch an einen 80-jährigen oft nicht die selben Maßstäbe anlegen können wie an einen jüngeren Artgenossen: Alter kann durchaus eine Entschuldigung sein, grundsätzlich. 
teacher antwortete am 3. Jun, 20:05:
Ist das nicht der heutige pädagogische mainstream germanischer Art? Jugendliche dürfen mehr, müssen weniger ... weil sie jung sind.
Früher war es umgekehrt. Anderswo ist es anders. 
Armin (Gast) meinte am 1. Jun, 09:43:
USA
Also ich kann leider nichts zu 12 jährigen sagen, aber ich war letztes Jahr in den USA für 6 Monate und war dort teilweise sehr überrascht wie verantwortungsbewusst und "erwachsen" große Teile der 15/16 jährigen waren. 
beatrice (Gast) antwortete am 1. Jun, 13:48:
wie man in den wald hineinruft ...
so kommt es eben zurück. nennt sich in der (pädagogischen) fachsprache auch pygmalion-effekt: selbsterfüllende prophezeiung.
meine mädels sind zwischen 14 und 20 jahren alt - und handeln (meist) unglaublich selbständig, lernen selbstverantwortlich und erstaunen mich mit ihren sensationellen projekten ... man muss sie nur lassenn & ins gelingen vertrauen. 
teacher antwortete am 3. Jun, 20:08:
Müsste man dann den Pubertierenden mehr (Selbstbeherrschung, Manieren etc.) zumuten? 
beatrice (Gast) antwortete am 5. Jun, 19:50:
genau
... und so behandeln, wie man auch behandelt werden will. die eigene vorbildwirkung nicht unterschätzen. bewährt hat sich auch mit den schülerInnen gemeinsam regeln inkl. konsequenzen aufzustellen.
und generell hilft mir im umgang mit dieser spannenden altersgruppe - viel heitere gelassenheit ;) 
El Loco meinte am 1. Jun, 13:45:
Och jooo...
Nein, in Frankreich stellt man keine Blankoschecks aus, schon gar nicht für schlechtes Benehmen - außer: "der kommt aus den Sozialwohnungen, wo nur Araber wohnen"...
In Frankreich haben Menschen zu funktionieren, und wenn sie nicht funktionieren, drohen Sanktionen.
Da arbeitet die Schule mit enormem psychischem Druck, der es unumgänglich macht, in den Schulen Psychologen zu beschäftigen, damit nicht reihenweise die Schüler von den Hofbäumen hängen... und die Resultate sind jämmerlich.

Andererseits hat der Franzose an sich für alles irgend eine Erklärung. Gerade dann, wenn er zu unwissend oder zu faul ist, die wahren Ursachen zu ergründen. Im angeführten Beispiel ist die Pubertät doch wahrscheinlich nur der Vorwand, um nicht die wahren Gründe erforschen zu müssen. Und DA ist der Franzose ganz groß.

Wahrscheinlich hat die Assistante aber auch bloß nicht so ganz verstanden, was wirklich gemeint ist, weil "la puberté" tatsächlich nur die biologischen Veränderungen beschreibt; die psychosozialen Vorgänge faßt man unter "adolescence" zusammen. Und weiß eigentlich auhc ganz genau, wie "les ados" so sind: aufmüpfig, unhöflich, rotzig, frech.

Honni soit qui mal y pense. 
teacher antwortete am 3. Jun, 20:44:
Ausgeprägte Frankophilie lese ich aus diesen Zeilen nicht heraus. :) 
la-mamma antwortete am 3. Jun, 20:58:
@el loco
auf die erklärung, dass der enorme psychische druck, schulpsychologen unumgänglich macht, muss man auch einmal kommen. den anreiz, leistungen zu erbringen, würde ich im französischen schulsystem allerdings höher bewerten als bei uns (und einen gewissen leistungsdruck halte ich für nicht gar so bös ...)
und wie belegst du, dass die resultate so "jämmerlich" sind? 
rrrosa meinte am 4. Jun, 12:27:
Mehr Leser
Lieber Teacher! Ein Kompliment an Ihre Einträge. Würde es Sie prinzipiell interessieren, die auch auf einer Nachrichtenseite anzubieten? Wenn ja, schreiben Sie mir: Rosa.Schmidt@diepresse.com 
teacher antwortete am 5. Jun, 10:40:
Ich bin am Überlegen ... 
kissa (Gast) meinte am 4. Jun, 22:41:
Schüllerrechte vs. Pflichten
Lieber Teacher,
hier ein anderer Aspekt aus Ungarn. Ich glaube, unsere Schulen sind generell strenger, als die in Österreich, mehr "preußischer". Aber die meisten Lehrer versuchen die pubertierenden mit Humor zu tolerieren. Auch wenn es mal schwierig sein kann, dass einer in der einen Minute noch Kleinkind ist, in der nächsten aber schon Erwachsener. Dass sie an einem Tag im siebten Himmel schweben, aber gleich am nächsten Weltschmerz haben. :)

Hier gibt es "bessere" Schulen mit strengen Aufnahmeprüfungen und ohne Problemkinder. Da wollen die Schüler lernen, nach der Matura an einer guten Uni studieren. Da passen solche Allüren nicht ins Bild, statt dessen gibt es viele Möglichkeiten der Selbstentfaltung und Talentförderung (Kunst- und Sportvereine, Förderkurse in den verschiedensten Fächern usw.) Dann gibt es viele "normale" Schulen, wo man ab und zu mal Schwierigkeiten hat, die man entweder mit Strenge oder mit Humor löst, oder eben wachsen einem die Kinder über den Kopf, wie auch anderswo. Und es gibt die Schulen, wo der "Rest" untergebracht ist, die meisten Schüler sind Problemkinder von Problemfamilien, viele Roma. Die Klatschpresse liebt diese Schulen, wo gelegentlich Lehrer verprügelt werden, weil sie ungenügend gegeben oder gar die Eltern vorgeladen haben. Hier haben die Kinder eher nur Rechte und gar keine Pflichten. Mit der Strenge muss man sehr vorsichtig vorgehen, da wird einem gleich eine Stellungnahme von unserem allerliebsten Schülerrechtbeauftragten vor die Nase gehalten. Dass man z. B. die Sachen der Schüler nicht anfassen kann (auch nicht, wenn man ganz sicher weiß, dass einer was gestohlen hat). Man darf den Schüler nur BITTEN, seine Tasche gefälligst zu zeigen. Und die Romakinder haben eine noch bessere Ausrede - wenn ihnen mal etwas nicht passt, dann sagen sie, man habe sie wegen ihrer Abstammung beleidigt und rennen gleich zum Ombudsman der Minderheitsrechte (oder zur lokalen Vertretung der Minderheiten). Eine Gratwanderung Tag für Tag. Aber die meisten Lehrer kommen damit klar. Wir haben ein schönes Wort dafür: nicht Beruf, sondern Berufung :) Sonst würde man es nicht machen :) 
teacher antwortete am 5. Jun, 10:36:
Mit Humor kann man bei Jugendlichen wirklich viel bewirken, aber ich neige dann oft zu Zynismus und Sarkasmus.

Ich finde halt, die Gesellschaft sollte (öfter) hinter den Maßnahmen der Lehrer stehen als hinter den Ungezogenheiten der Kinder. Sonst hat die Erziehung keine Wirkung - wollen wir das?

Ja zur Berufung, aber ich muss mir damit mein Leben verdienen und will nicht meine geistige und psychische Gesundheit opfern. 
amadea (Gast) meinte am 5. Jun, 07:08:
Also in England auf keinen Fall. Und auch ich weigere mich, das als Entschuldigung zu akzeptieren.
Rebellieren ist ja okay. Aber nicht, wirklich deppert zu sein. 
teacher antwortete am 5. Jun, 10:38:
Rebellieren ist sogar notwendig (s. Konrad Lorenz), aber wogegen sollen sie denn rebellieren, wenn wir alles zulassen? Rebellen brauchen Strukturen zum Agieren. 
bnzbnz (Gast) meinte am 8. Jun, 12:19:
Bei uns in Deutschland ists auf jeden Fall so, durchaus auch über das 14. Lebensjahr hinaus.
Und laut englischer Freunde von mir siehts auch in GB nicht anders aus. 
 

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