Immer, wenn ich mit Lehramts-Studierenden über deren pädagogische Ausbildung zu sprechen komme, erlebe ich die gleichen Reaktionen: "Diese Wissenschaftler reden an uns vorbei!"
"Wir wollen wissen, was wir tun können, wenn es zu laut wird in der Klasse oder wie wir Kinder zum Lernen motivieren können."
"Und die Antworten?", will ich wissen.
"Kriegen wir nicht. Da gäbe es keine generellen Lösungen, da müsse man individuell und situationsabhängig reagieren."
"Da muss ich als Praktiker zustimmen."
"Dann sollen sie uns in Klassen ausprobieren lassen und Rückmeldungen geben."
"Das machen wir ja", solidarisiere ich mich mit den kritisierten Lektoren und Dozenten, "Sie haben Unterrichtspraktika, Vorführstunden ..."
"Das brauchen wir viel früher, viel häufiger ... aber da wollen uns die Professoren gleich an die Pädagogischen Akademien abwimmeln, da sind sie sich zu gut, die Damen und Herren Wissenschafter."
"Um Karriere an der Uni zu machen, darf man sich nicht mit den banalen Grundfragen des Lehrens und Unterrichtens beschäftigen", setzt eine mitdiskutierende Kollegin nach.
Solche Vorwürfe sitzen. Und stimmen.
Dann höre ich eine Erklärung, die mir nicht aus dem Schädel gehen will: "Die Erziehungswissenschaften gehen von einem falschen Menschenbild aus. Kinder seien von Natur aus gut, arbeiten gerne und wollen immer alles wissen und dazulernen."
"Und wie sehen Sie das?", hake ich nach.
"Ich habe ein christliches Menschenbild. Dort gibt es die Idee der Erbschuld."
Die Studierenden hören gespannt zu.
"Kinder sind gewöhnliche Menschen mit Fehlern und Problemen. Sie haben einmal keine Lust, sie trotzen und können auch stören."
Stellen wir dieses Menschenbild in die Mitte der Pädagogik und Erziehung: "Kinder sind Menschen." Das wäre schon ein revolutionärer Ansatz für die universitäre Lehrerausbildung.
"Wir wollen wissen, was wir tun können, wenn es zu laut wird in der Klasse oder wie wir Kinder zum Lernen motivieren können."
"Und die Antworten?", will ich wissen.
"Kriegen wir nicht. Da gäbe es keine generellen Lösungen, da müsse man individuell und situationsabhängig reagieren."
"Da muss ich als Praktiker zustimmen."
"Dann sollen sie uns in Klassen ausprobieren lassen und Rückmeldungen geben."
"Das machen wir ja", solidarisiere ich mich mit den kritisierten Lektoren und Dozenten, "Sie haben Unterrichtspraktika, Vorführstunden ..."
"Das brauchen wir viel früher, viel häufiger ... aber da wollen uns die Professoren gleich an die Pädagogischen Akademien abwimmeln, da sind sie sich zu gut, die Damen und Herren Wissenschafter."
"Um Karriere an der Uni zu machen, darf man sich nicht mit den banalen Grundfragen des Lehrens und Unterrichtens beschäftigen", setzt eine mitdiskutierende Kollegin nach.
Solche Vorwürfe sitzen. Und stimmen.
Dann höre ich eine Erklärung, die mir nicht aus dem Schädel gehen will: "Die Erziehungswissenschaften gehen von einem falschen Menschenbild aus. Kinder seien von Natur aus gut, arbeiten gerne und wollen immer alles wissen und dazulernen."
"Und wie sehen Sie das?", hake ich nach.
"Ich habe ein christliches Menschenbild. Dort gibt es die Idee der Erbschuld."
Die Studierenden hören gespannt zu.
"Kinder sind gewöhnliche Menschen mit Fehlern und Problemen. Sie haben einmal keine Lust, sie trotzen und können auch stören."
Stellen wir dieses Menschenbild in die Mitte der Pädagogik und Erziehung: "Kinder sind Menschen." Das wäre schon ein revolutionärer Ansatz für die universitäre Lehrerausbildung.
teacher - am Mittwoch, 5. Dezember 2007, 20:40
maschi meinte am 5. Dez, 20:57:
Wer glaubt
dass die beiden Sätze - "Kinder sind von Natur aus gut, arbeiten gerne und wollen immer alles wissen und dazulernen"
und
- "Kinder sind gewöhnliche Menschen mit Fehlern und Problemen. Sie haben einmal keine Lust, sie trotzen und können auch stören."
einander widersprechen, hat nach meinem Gefühl schon ein eher grundsätzliches Problem mit seinem Menschenbild und schrammt für mich bereits sehr hart an dem vorbei, was ich in My teachers and me." vor ein paar Tagen als "sozial auffälligen" Lehrertypus beschrieben habe. Wenn ich lese, dass "Kinder sind Menschen" ein revolutionärer Ansatz für die universitäre Lehrerausbildung wäre, dann drehts mir als Vater zweier Menschen ehrlich gsagt den Magen um... rein gar nichts hat sich offenbar geändert!
teacher antwortete am 5. Dez, 21:14:
Es macht schon einen Riesenunterschied, ob Schulkinder als Menschen mit allen pos. u. neg. Seiten betrachtet werden oder als ideale Kinder, die bei richtiger Behandlung nur Gutes tun können.Entsprechend würden unsere zukünftigen Lehrer auf die Schul-Realität vorbereitet werden, was momentan nicht der Fall ist. DAs wäre die Revolution!
maschi antwortete am 5. Dez, 22:36:
OK.
Ein Punkt ist vielleicht, dass Menschen - glücklicherweise - keine Automaten sind, die sich bei ordnungsgemässer, lehr- und lernbarer "Behandlung" gemäß Beipackzettel so verhalten, wie man es sich gemäss beschriebener Wirkung und Nebenwirkung erwarten würde. Ist diese Erkenntnis eine Revolution im Rahmen unserer Lehrerausbildung?
Menschen sind kreativ, assoziativ, unberechenbar, aggressiv, innovativ... das liesse sich weiter fortsetzen und ist im Übrigen auch nicht in "gute" und "schlechte" Eigenschaften trennbar, weil vieles davon wie zwei Seiten einer Medaille zusammengehört. Menschen sind weiters auch sowas wie die Summe ihrer Erfahrungen mit allen Menschen, mit denen sie jemals Kontakt hatten - und das sind wohl nicht nur ihre Lehrer...
Ist diese Erkenntnis eine Revolution im Rahmen unserer Lehrerausbildung?
Das alles ändert nun für mich aber nichts daran, dass Menschen "von Natur aus" das "Gute" (im Sinn von sozial für alle "Vorteilhafte") wollen, dazu gehört ua auch, dass sie per se gerne arbeiten und dazulernen wollen. Diese angeborenen Eigenschaften müssen allerdings durch sozialen Kontakt "reifen" und dieser Prozess kann durch intensiven Kontakt mit Menschen, denen die Reife hinsichtlich dieser positiven Eigenschaften selbst noch fehlt, massiv erschwert werden. Allerdings sind das natürlich nicht nur Lehrer, das sei betont, vielmehr sind gerade Lehrer, die selbst positiv reifen durften, natürlich mit Kindern/Menschen konfrontiert, denen es in dieser Hinsicht bereits sehr schwer gemacht wurde...
Und diese Erkenntnis: eine Revolution im Rahmen unserer Lehrerausbildung?
Uhu (Gast) antwortete am 6. Dez, 22:24:
Ich stimme mit maschi überein. Hier werden Äpfel mit Birnen verglichen. Ich für meinen Teil habe kein Problem damit, Kinder als "von Natur aus Gut" zu begreifen und dennoch zu akzeptieren, dass meine Schülerschaft kein Blumenkranz bindender Nonnenzirkel ist. Natürlich kann man über die Begrifflichkeit des "Guten" an sich streiten, aber darum scheint es mir hier weniger zu gehen.Vielmehr ahne ich schon wieder eine Schimpfe auf alternative Unterrichtsformen, subtile Ängste und "backtotheroots"-Bekundigungen. Der Irrsinn beginnt da, wo Lehrer, Studenten, BILD-Leser glauben, man könne in eine weiterführende Klasse gehen und den Schülern nach 6 Jahren Frontalunterricht das "freie Lernen" von heute auf morgen aufbinden ... und wenn es dann nicht gleich nach einer Woche klappt, ist natürlich das ganze Menschenbild jeder Reformpädagogik schuld!
Interessant nur, dass die hier in Deutschland gewählten Gewinner des Deutschen Schulpreises allesamt ein sehr positives Menschenbild ausstrahlen und eben gerade dadurch ihre (mitunter sehr schwierigen) Schüler wieder zurück ins Lernboot holen können. Unterrichten ist "Schwerstarbeit" ... und gerade deshalb brauchen Lehrer ein Ideal, um das tagtäglich durchzustehen (die anderen haben irgendwann ihren Burnout).
Für interessierte am Deutschen Schulpreis empfehle ich folgende Infoseite mit Vorstellungen und Interviews:
http://www.zdf.de/ZDFmediathek/content/216504?inPopup=true
teacher antwortete am 7. Dez, 15:19:
Das positive Menschenbild reicht nicht aus, um in den Klassen zu bestehen und die jungen Lehrer bekommen in ihrer ausbildung keine Tools zur Verfügung gestellt, um mit den schwierigen Situationen der Schule umzugehen. (Sie verlangen verzweifelt danach!) Sie sehen dann Raufereien, hören Schimpfereien, erleben Mobbing ... und schreiten nicht ein, weil sie nicht wissen, wie sie vorgehen sollen. Wir überlassen die SchülerInnen ihrem Schicksal. Das kann z.T. unerträglich werden.
maschi antwortete am 7. Dez, 15:27:
Sicherlich, teacher.
Ein negatives Menschenbild wäre aber schon gar keine Grundlage, in den Klassen zu bestehen - es sollte vielmehr ein Kündigungsgrund sein.
alexius antwortete am 10. Dez, 09:59:
Ich verstehe es einfach nicht
Sie schreiben: "... und schreiten nicht ein, weil sie nicht wissen, wie sie vorgehen sollen. "Genau hier ist das Problem. Mag sein, dass auch die Gesetze eine Rolle spielen. Aber wenn man nicht weiß, wie man bei einer Rauferei zwischen Jugednlichen sinnvoll einschreitet, was hat man dann überhaupt in einem Erziehungsberuf verloren?
Ich sags gleich dazu: Bitte die Härte der Formulierung zu entschuldigen. Ich bewundere Lehrer die Ihre Sache gut machen. (Je mehr ich selbst mit Kindern zju tun habe, umso mehr), aber ich habe leider nicht so viel Zeit zum politisch korrekten Formulieren.
teacher antwortete am 10. Dez, 11:44:
Einfach geantwortet: Wir werden als Lehrer ausgebildet (also zum Lehren) nicht als Erzieher. Das gilt vor allem für die Lehrer der Sekundarstufe 2 und aller Professoren, die sich primär als Fachexperten und Didaktiker verstehen, bestenfalls sekundär als Pädagogen. Ausserdem hat sich das Sozialverhalten (nicht nur der Kinder) massiv verändert - die Pädagogik viel weniger.
alexius antwortete am 10. Dez, 12:57:
versteh' ich, aber erschreckt mich...
...Ihre Antwort. Dann wird aber wohl kein Weg daran vorbeiführen, einen Lehrer-Eignungstest zu machen, in dem vor allem pädagogisches Verständnis (nicht Wissen, denn das soll ja noch gelernt werden) abgecheckt wird.
Wenn jemand nur Fachwissen vermitteln will, und dabei nur auf freiwillig Lernende bereits der Pubertät entwachsene Menschen treffen will, muss auf der Universität unterrichten. In einer Mittelschule hat der nichts verloren, abgesehen davon dass es sowieso traurig ist, dass man Pädagogik die nichts mit Wissensaufnahme zu tun hat, erwachsenen Menschen erst beibringen muss. Sowas sollte man im Gefühl haben, (sag' ich jetzt mal als Aussenstehender einfach so dahin)
Ein anderer Ansatz wäre eben die Eltern in die Pflicht zu nehmen, und zwar in der Form, dass extrem auffällige/störende Kinder einfach ohne viel Federlesens der Schule verwiesen werden können.
maschi antwortete am 10. Dez, 13:13:
@alexius
Die Fähigkeit, mit einer Bande Teenagern klug umzugehen kann man glaube ich nur bedingt lernen. Dh. genauer formuliert: man kann auf diesem Gebiet sicher eine Menge lernen, aber wenn die menschlichen Grundvoraussetzungen nicht passen, dann ist Hopfen und Malz verloren - und das in die pädogogische "Ausbildung" investierte Geld natürlich ebenso.Einmalige Eignungstests oder ähnliches reichen aber nicht, sondern im Endeffekt müssen auch die "Kunden" in Person von Schülern und Eltern mehr Einfluss darauf gewinnen, bei wem sie "kaufen" wollen. Die meiner Ansicht daher wichtigste Forderung: Extrem auffällige/störende Lehrer einfach ohne viel Federlesens der Schule verweisen zu können. Es gibt wahrlich genügend andere Jobs für Menschen, die sich mit ihrem Sozialverhalten schwertun.
Das wäre eine echte Revolution.
Vom Schulverweis für schulpflichtige Kinder halte ich demgegenüber gar nichts - wohin denn dann mit ihnen?
alexius antwortete am 10. Dez, 14:01:
Ja, aber... :-)
"Die Fähigkeit, mit einer Bande Teenagern klug umzugehen kann man glaube ich nur bedingt lernen. "Wahrscheinlich, und deswegen würde ich es gut finden, wenn auch Quereinsteiger in den Lehrberuf zugelassen würden. Keine Frage, das Prozedere und die zu absolvierende Ausbildung für diese Kandidaten muss man im Detail durchdenken, aber ein 35/40 jähriger wird wohl schon soviel Erfahrung im Umgang mit Jugendlichen gesammelt haben, dass er beurteilen kann, ob er das sinnvoll "d'raufhat" oder nicht.
Wie soll das ein selbst-noch-jugendlicher Lehrer-Azubi wissen? Da ist dann halt Zufall ob sich herausstellt, dass er das kann oder auch nicht.
Die Kausalität nach der "humorigen" Forderung auffällige Lehrer von der SChule verweisen zu können ;-), und der freien Wahl der Kunden springt mir jetzt nicht unbedingt ins Auge. Was könnte das bedeuten? Mehr private Schulen? Freie Fahrt für freie Schüler? (wenn in der Umgebung keine akzeptablen Schulen vorhanden sind?) oder wie könnte man Ihre Forderung in der Praxis umsetzen?
Ihr Einwand bezüglich schulpflichtiger Kinder wiegt schwer, und wäre sicher in vielen Fällen nicht "Mittel der Wahl", aber die Eltern wären dann gezwungen, auch von Gesetzes wegen eben, sich mit Ihren Kindern intensiver auseinanderzusetzen.
teacher antwortete am 10. Dez, 14:03:
@alexius:1. Sollte es valide Eignungstests für zukünftige Pädagogen geben, bin ich sofort dafür. Aber wie erkenne ich einen Menschen, der ein guter Lehrer werden könnte, wenn ich nicht einmal weiß, wie ein guter Lehrer ausschaut (darüber herrscht keine Einigung!): Fragt einmal in einer Klasse, welcher ihrer Lehrer gut ist/war - da gehen die Meinungen sofort auseinander. Gut, die wirklich Schlechten findet man bald.
2. Pädagogik kann und muss man lernen. Wer glaubt, z.B. ein gute Mutter (die ja schon viel Erfahrung mit ihren Kindern gemacht hat), könne auch eine Klasse gut führen, der unterschätzt gruppendynamische Prozesse und Besonderheiten des Unterrichtens. Vor allem müssen wir immer häufiger unerzogene Kinder "gegenerziehen" (altes Verhalten aus dem Elternhaus oder den peer groups abschwächen, neues aufbauen - oft gegen Intentionen der unwilligen Eltern und gegen den Zeitgeist der Massenmedien).
Eigentlich ein unmöglicher Sisyphusjob!
@maschi:
Ich würde auch gerne unmögliche Lehrer abservieren (in irgendwelche Büros). Kinder von Schulen zu verweisen, das ist praktisch unmöglich (selbst wenn sie ihrern Mitschülern gefährlich werden!), auch nicht sinnvoll: Wohin? Aber was tun mit den Verwahrlosten? Fragt einmal bei Sozialarbeitern, welche Kaliber da heranwachsen!
alexius antwortete am 10. Dez, 15:25:
Zu Ihrem Punkt 2
Darum fordere ich, was ich schon in der Schule als "Problemschüler" gefordert habe.Ein strenges Auswahlverfahren für Lehrer, valide Eignungstests wird man ja hoffentlich erarbeiten können, halbjährliche "psychologische" Überprüfung der Lehrer, und dafür mehr Gehalt, hohe gesellschaftliche Anerkennung, und mehr Möglichkeiten zum Durchgreifen, also mehr Kompetenzen im pädagogisch-erzieherischem Bereich.
Die Situation, die Sie in Punkt 2 dargestellt haben, ist ja völlig untragbar, für beide Seiten, und muss raschest geändert werden.
Nachtblau meinte am 5. Dez, 21:12:
Und wann sieht man mal den Menschen im Lehrer? Geht es nach den Oberen, wären Roboter die besseren Lehrer
teacher antwortete am 5. Dez, 21:19:
Danke für die Bemerkung. Das wäre die zweite Revolution!
chatter antwortete am 7. Dez, 12:43:
es kann nicht immer alles nach strich und faden laufen
teacher antwortete am 7. Dez, 15:25:
Ich sehe das als Teil des informellen Lernens - die Kinder lernen dann mit den Schwächen anderer (auch v. Lehrern) umzugehen. So wichtig!
Simon Columbus (Gast) meinte am 5. Dez, 22:09:
Woher kommen mir diese Beschwerden nur so bekannt vor? ... achso, ich kenne ja auch einen Lehramtsstudenten...Gerade die erst spät einsetzende praktische Erfahrung ist sicher ein Problem. Warum werden eigentlich so viele soziale Berufe - als Berufe, in denen ganz besonders der Umgang mit Menschen gefragt ist - so häufig aus Büchern gelehrt?
Die Waldorfschulen sind - zumindest theoretisch - bereits bei der Erkenntnis der Fehlerhaftigkeit der Kinder angekommen. Nicht nur das Motto "jeder wird da aufgenommen, wo er steht", sondern auch der Leitspruch des Aktionsjahres 2007 verdeutlicht das: "Im Mittelpunkt der Mensch"
Vielleicht ist das ein Grund, warum Waldorflehrer nicht wie andere frühzeitig und häufig krank in Rente gehen, sondern häufig an ihrem Pult kleben. Denn die Waldorfausbildung vermittelt meinem Eindruck nach weit mehr Halt in der Lehre als die konventionelle.
Doch zurück: Die Erbschuld gibt es. Dazu muss man kein Christ sein (sollte man auch nicht, von diesem Verderbnis kann man die Kinder bewahren) - sie ist dann eben aus den "Veranlagungen" und der "(V)Erziehung" entsprungen.
Jochen (Gast) antwortete am 6. Dez, 11:05:
Nix Erbschuld
> Doch zurück: Die Erbschuld gibt es. Quatsch, du GLAUBST vielleicht dran - das ist ein kleiner Unterschied.
BIA (Gast) meinte am 6. Dez, 07:40:
Jawohl!
So ist es - diesen wohltuenden Realismus vermisse ich besonders dann, wenn mir jemand vollmundig zu erklären versucht, dass Kinder grundsätzlich und immer für alles zu motivieren seien, wenn es denn nur spannend genug präsentiert würde.Erwachsenen gesteht man Vorlieben und Interessen zu; und Kinder müssten alles wollen sollen?
Montessori-Kolleginnen bestätigen mir, dass sich manche Kinder in manchen Phasen völlig ausklinken und kaum mehr etwas aus dem Riesenangebot von Freiarbeitsmaterialien auswählen - und der beste Beweis dafür, dass ohne Druck auf die Schüler für sie einfach nicht alle Themen gleich erstrebenswert sind.
teacher antwortete am 7. Dez, 15:23:
Ich erlebe das ja auch in den Erwachsenen-Fortbildungen. Da gehen die Leute weg, weil sie nicht mehr wollen, und gehen ins nächste Kaffehaus. Sie machen Übungen nicht, sie lernen erst wenige Stunden vor den Tests etc. Kinder sind auch nicht besser, besonders wenn es um harte Arbeit geht (und Lernen ist kein reines Spiel!)
isabel. meinte am 6. Dez, 10:40:
revolutionär?!
Hm... ich studiere Erziehungswissenschaft auf Magister... in Kassel (sozusagen eine Lehramts-Uni; KEINE Elite-Uni, auch wenn Göttingen gleich um die Ecke liegt und wir die Bibs dort mitbenutzen dürfen)... und unsere Profs und Dozenten sind anscheinend von der revolutionären Sorte. Denn ich habe eigentlich in allen Seminaren und Vorlesungen ständig gesagt bekommen, dass Schüler Kinder, ergo Menschen sind. Eine Prof. weigert sich "SchülerInnen" zu sagen, sie spricht immer von "Kindern". Eine andere arbeitet zu und spricht von "Kindern in schwierigen Situationen" anstatt von "schwierigen Kindern". Ich gebe zu, dass sind meist die Angestellten für den Lehrstuhl Grundschulpädagogik. Vermutlich weil die sich eher mit Kindheitstheorien beschäftigen als die Sek-Lehrstühle.
Und noch kurz eine Assoziation, die mir beim Thema "Erbschuld" kam: August Hermann Francke und der Pietismus. Sollte in jedem Pädagogischen Wörterbuch zu finden sein.
Nachtblau antwortete am 6. Dez, 12:54:
Das ist alles Wortklauberei, und nur weil es für Fachfremde besser klingt, weiß man als Mitwisser trotzdem, dass die Person grad von einem unerzogenen Kind spricht.
.peter antwortete am 6. Dez, 15:46:
Franke ... "Schläge aus Liebe" ... hm ja, der hatte da interessante Ideen ;)
.peter meinte am 6. Dez, 15:45:
Aber hallo, der Vorwurf stimmt wohl. Nicht das man vorher vom Gegenteil ausgegangen wäre, das nicht, aber die Kinder als gleichberechtigte Partner in der Bildung zu akzeptieren, dahin ist es noch ein langer Weg.Gutes Beispiel ist da die zumindest bei uns langsam (wieder)aufkeimende Debatte über die Schule als Lebens- und Erfahrungsraum. Für den Rest: Im wesentlichen geht es um die Erkenntnis, dass unsere Kinder den größten Anteil ihres jungen Lebens, vom Schlafen abgesehen, in der Schule verbringen, man relativ dazu aber die Schule als Raum der Erziehung sträflich missachtet, ja sogar bewußt nicht benutzt und von sich schiebt.
Warum das etwas damit zutun, was teacher hier pointiert anspricht: Es geht den Lehramtsstudierenden in ihrer Suche nach praktischerer Ausbildung, wie in einer Zukunftswerkstatt hier in Kassel mal feststellten, um eine versteckte Forderung nach gleichwertig menschlich-sozialer wie fachlicher Ausbildung.
Der einzige Weg, über den derzeit soziale Kenntnisse und Erfahrungen vermittelt werden, sind aber nur die Praktika und die "Schlüsselkompetenzen" im Rahmen der Modularisierung der LEhramtsstudiengänge. Sprich: 2-3 % der für den Abschluss erforderlichen Credits müssen aus Schlüsselkompetenzen kommen. Das endet dann in 10h-Block-Workshops ala "Persönliche Weiterentwicklung 100 & 101", was natürlich nicht annähernd so adequat wäre wie beispielsweise ein FSJ, Zivildienst im Altenheim, Trainer-sein bei einem Sportverein, Fachschaftsarbeit usw. usf.
Kurzum: Da fehlen einige Komponenten, und die Studis erkennen das zum Glück auch.
Toxin (Gast) meinte am 6. Dez, 17:58:
Nuuun ja...
Nun ja... ich muss ja aber mal ganz kurz dazwischen werfen, dass zum sogenannten christlichen Menschenbild und deren Idee der Erbschuld ein bisschen mehr gehört. Beispielsweise die Erbschuld der Frauen: 'Dank' dem Märchen von Eva und dem ihr verschuldeten Rauswurf aus dem Paradies sind quasi alle Frauen von Geburt an Sünder und haben gefälligst ihre 'Schuld' auch zu büßen (zumal Frauen auch noch leicht vom Teufel verführt werden können, wie man(n) an Eva ja leicht 'nachweisen' kann)... und was kommt dabei heraus ? Eine wunderbar logische, einfache und leicht nachzuvollziehende Begründung für die jahrtausendelange Diskriminierung und Verachtung der Frauen in christlichen 'sozialisierten' Ländern, die immer noch nicht vorbei ist, obwohl wir doch angeblich lange in der Zivilisation angekommen sind. Nun ja... in meinen Augen ist die Idee der Erbschuld an sich (wie auch immer geartet) einfach nur daneben und entbehrt zudem jeden gesunden Menschenverstand. Was kann jemand für die Taten der vorangegangenen Generationen ? Warum sollte jemand für etwas büßen, dass er nicht getan hat ? Das kann ich beim besten Willen nicht nachvollziehen. Nun ja...
Davon mal ganz abgesehen verstehe ich außerdem nicht, was die christlichen Version der Erbschuld mit unruhigen Kindern zu tun haben soll. Ich würde sagen, dass hat viel eher mit der menschlichen Natur an sich zu tun... inwiefern hat da irgendjemand Schuld ? Und an was denn bitte ? Unruhige Kinder sind schließlich kein von Gott geschicktes Unheil oder Ausgeburten des Teufels... Oo Nuuun jaa...
Gruß, Tox
gulogulo meinte am 6. Dez, 22:47:
man könnte doch die beiden ansichten zusammenführen in dem satz "kinder sind erbgut".und wenn es dem heutigen pädagogen zu laut wird, stellt er einfach die lärmampel auf rot und alle probleme sind beseitigt.
teacher antwortete am 7. Dez, 09:22:
Diese Ampel zeigt automatisch rot, wenn der Lärmsensor es auslöst.Die Probleme aber bleiben ...
steppenhund meinte am 8. Dez, 13:13:
Wie sollen Kinder als Menschen gesehen werden können, wenn uns das nicht einmal mit Erwachsenen gelingt?
Nachtblau antwortete am 8. Dez, 13:49:
Bei manchen Erwachsenen ist das auch sehr schwierig ;)
teacher antwortete am 9. Dez, 10:47:
Alle Kinder verdienen eine Chance. Erwachsene müssen sie erst verdienen.
RokkerMur meinte am 10. Dez, 08:16:
Kinder scheinen auch eine Bringschuld ;)) zu sein...
Lektor (Gast) meinte am 11. Dez, 16:19:
Falsche Annahmen
Es liegt wohl weniger am falschen Menschenbild. Es ist eher eine Frage der Motivation.
Der größte Fehler den ein Lehrer, Dozent, Professor oder überhaupt jemand der jemand anderem etwas beibringen will machen kann, ist die Annahme, dass der Zuhörende interessiert ist.
Natürlich findet der Lehrende es interessant, man quält sich doch nicht durch den ganzen Mist im Studium wenn man kein Interesse an seinem Fachgebiet hat (und wenn wird man unweigerlich ein lausiger Lehrer).
Man kann aber nicht annehmen dass jeder andere genauso fasziniert ist wie man selbst.
Ich finde bestimmte mathematische "Kunststücke" wunderschön und faszinierend, aber ich bin realistisch genug um zu sehen dass ein "normaler" Mensch einfach nicht interessiert ist, wenn ich es ihm nicht irgendwie schmackhaft machen kann.
Genau das gilt bei allen Fächern. Shakespear finden Sie wundervoll? Schön aber warum sollte es einen "normalen" Menschen interessieren?
Es kann ja Sein das SIE sich für Physik interessieren und was die Welt im innersten zusammenhält aber was geht MICH das an?
Lehrer müssen ihre Schüler verführen (ist mir egal ob der Begriff zweideutig ist, es ist der einzig passende und ich weigere mich einen anderen zu nehmen). Sie müssen sich anstrengen, nicht nur den Kindern etwas beizubringen, sondern sie auch davon zu überzeugen, dass es wichtig oder interessant oder einfach nur Spaß macht diese Dinge zu wissen.
teacher antwortete am 11. Dez, 17:13:
Wir sind ja von der Bedeutung unseres Wissen so überzeugt, dass wir gar nicht nach dem Interesse fragen. Wir postulieren die Notwendigkeit, d.h. die Kinder müssen etwas lernen, z.B. die lateinische Sprache (*würg*)."Verführen" kann ich ein Mal, aber nicht sieben Mal, das gleiche Vokabel zu wiederholen, damit es endlich sitzt. Da kann nur das Könnenwollen und Wissenwollen (intrinsisch) motivieren. Und, Verzeihung, außerdem muss einfach der (ökonomische) Druck so groß werden, dass Kinder lernen, weil sie etwas wissen müssen (für Berufe, fürs Studium etc.). Sonst würden sie natürlich lieber vor dem Fernseher herumlungern oder einfach "chillen". Ich auch, wenn ich nicht Kohle verdienen müsste.
student (Gast) meinte am 23. Dez, 17:14:
das erinnert mich
an eine Seminarstunde "Pädagogik für SchulfachXYZ", erste Lerneinheit fuer Lehramtler, Studenten sollten eine Unterrichtseinheit vorbereiten.Der Ansatz des Dozenten:
es gibt die guten Schüler (das sind die, die alles lernen, und vorallem keine unerwarteten Fragen stellen),
die dummen Schüler (da kannn man nichts machen, eigentlich wären die ja überflüssig aber man kann die ja nicht vor Tür setzen)
und die Angeber (das sind die, die schon Vorwissen mitbringen).
Die letzteren soll man links liegen lassen, damit sie gleich sehen, dass "vorlernen" (was aus Meinung des Pädagogen sowieso nur zum Angeben geschieht - und keinesfalls aus Interesse am Fach) ihnen nichts bringt.
Mir ist auf der Stelle wieder eingefallen, warum ich die Schule so sehr gehasst habe.
Schubladendenken wohin man sieht.
Aus einem Gespräch mit einer Referendarin: "Blöde Streber, nur weil die dummen Kinder unbedingt Französich lernen wollen, müssen wir einen Leistungskurs anbieten." weiter: sollen die doch in den Englisch-Leistungskurs gehen, es würde keinen Unterschied machen
Ich frage mich ernsthaft wie man seinen Beruf ("Berufung"?) schon während der Ausbildung so abwertend ausüben kann.