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cotopaxi

 
"Versuch's mit paradoxer Intervention."
"Geh! Das funktioniert in der Einzeltherapie, aber nicht mit ganzen Klassen."

Kollegin Z. ist am Ende ihrer Motivationskraft, sie prallt in ihrer Klasse an eine stumme Wand und schildert im Besprechungszimmer den Frust, an dem sie leidet. Ein erfahrener Kollege schlägt ihr vor, wie sie damit umgehen könnte - "paradoxe Intervention" - aber meine Interpretation fällt anders aus:

"Schau, die Z. will sich ihren Frust abreden. Dein männlicher Reflex, gleich Lösungen vorzuschlagen, muss ins Leere gehen."
"Wenn Du das sagst!"
"Ja. Aber mich würde dein Vorschlag interessieren."
"Du musst paradox reagieren, um Bewusstsein zu schaffen. Also wenn die Klasse kollektiv die Mitarbeit verweigert, dann musst du dieses Verhalten spiegeln. Du gehst in die Klasse ... aber verweigerst selbst die Arbeit. Probier's einmal."

Der Pausengong unterbricht unsere Besprechung, wir müssen an die Arbeit. Aber mein Gehirn strickt an dem Vorschlag weiter, bis ich den Kollegen in der nächsten Pause erwischen kann.

"Paradoxe Intervention? Das ist eine überhebliche, nutzlose Übung", werfe ich ihm provokant ins Gesicht.
"Gar nicht. Die Kinder werden erkennen, was wir hier an der Schule gemeinsam tun sollen."
"Du gehst davon aus, dass wir Lehrer Recht haben, dass wir in der Schule Sinn schaffen. Aber mir kommt es vor wie in den 68ern. Da haben auch die Alten geglaubt, die richtige Einstellung verteidigen zu müssen - und die Jungen haben rebelliert. Zu Recht rebelliert."

"Lieber teacher. Dann geht es hier um deine eigene Motivation, nicht um die Motivation der Schüler."
"Genau so ist. Wenn ich hier entscheiden könnte, was und wie zu unterrichten ist, dann würde ich völlig anders agieren."
"Tu's doch!"
"Geht nicht. Und die meisten Kollegen sind noch lange nicht so weit. Sie tun einfach, was sie immer getan haben, was sie glauben, tun zu müssen, was in den Büchern und Gesetzen steht."

Wer ist hier der Überhebliche?
charlotte sometimes (Gast) meinte am 15. Dez, 20:33:
paradoxe intervention wird auf jeden fall funktionieren.
denn: gerade im kollektiv verhält die klasse sich so um den lehrer oder die lehrerin zu irritieren. lässt die lehrehrin in diesem fall das ganze zu, wird es nur noch schlimmer. man muss die schlüler mit ihren eigenen waffen schlagen, denn damit rechnen pubertäre hirne nicht. spreche aus eigener erfahrung. 
Avogadro (Gast) antwortete am 16. Dez, 13:16:
...denn damit rechnen pubertäre Hirne nicht.
Und Sie wollen aus eigener Erfahrung sprechen? Lassen Sie sich's von einem gesagt sein, der am Ende der Pubertät steht: Paradoxe Intervention ist das Beste, was Sie einer solchen Klasse antun können. Bei uns haben das alle Lehrer mal versucht. Der Effekt: Aus dem "Fangenspielen" wird ein "Armdrücken" - raten Sie mal, wer das länger aushält. Und noch dazu weiß die Klasse haarscharf, dass ein Lehrer, der zu solchen Mitteln greift, am Rande der Verzweiflung steht. Das Hohngelächter ist bis zur Kanzlei zu hören, wenn die "beleidigte Leberwurscht" (=Lehrer) den Versuch abbricht.

Wenn "teacher" darauf kommt, dass sich die Kollegin nur ausweinen will, ohne tatsächliche Ratschläge anzunehmen, dann kommt er auch darauf, dass eine solche Klasse nur darauf pocht, mehr Macht zu besitzen, als ihr zugetraut wird (ob das jetzt richtig oder falsch ist). 
charlotte sometimes (Gast) antwortete am 16. Dez, 14:13:
Ja das tue ich, und im gegensatz zu ihnen bin ich mit der pubertät durch. 
teacher antwortete am 17. Dez, 20:09:
Ich glaube nicht, dass ein langfristiges Umdenken damit ausgelöst werden kann - es ist einfach zu lustig/schön, mit dem Lehrer gemeinsam nichts zu tun. 
Avogadro (Gast) antwortete am 19. Dez, 18:30:
...Gegensatz zu Ihnen bin ich mit der Pubertät durch
... solche Sätze haben wir im Deutschunterricht als "Killerphrasen" kennen gelernt.

http://de.wikipedia.org/wiki/Argument#Scheinargumente 
May.be meinte am 15. Dez, 21:06:
Ja, beim ersten Mal klappt es bestimmt immer. Problem ist nur, ob die Schüler dann auf Dauer aufmerksam im Unterricht sind oder sich dann denken "Geil, dem interessiert es ja eh nicht.".

Man muss sich da schon mehr Gedanken drum machen, wie genau man das anstellt, damit die richtige Message bei denen ankommt.

So seh ich das. 
teacher antwortete am 17. Dez, 20:11:
Exakt. Ein kurzes Nachdenken kann man verursachen, aber eine langfristige Verhaltensänderung, die man sucht, wird man nicht auslösen. Glaube ich. 
testsiegerin meinte am 15. Dez, 21:36:
Ich wende die paradoxe Intervention ja gerne und hin und wieder auch beruflich an.
wichtig dabei ist, das ziel zunächst umzukehren. und dann zu überlegen, wie man dieses neue ziel erreichen kann.

z.b.: eine klientin ruft mich ständig an. ich hab alles versucht, vereinbarungen getroffen, plakate gezeichnet, mich verleugnen lassen, genervt reagieren, gelassen reagieren etc. hat alles nix genutzt, oder nur kurzfristig.

also hab ich das ziel umgekehrt: anstatt "rufen sie mich nicht so oft an" hab ich für mich formuliert: "rufen sie mich noch öfter an".
dann hab ich sie gleich in der früh angerufen und gesagt: sie können mich schon erreichen, ich warte auf ihren anruf. und zu mittag: sie wissen ja, der anrufbeantworter schaltet sich gleich ein, aber zehn minuten lang können sie mich noch erreichen.
am anfang hat sie exzessiv angerufen und es genossen. ich bin konsequent bei meiner strategie geblieben und hatte großen spaß daran, sie zu erinnern, dass sie mich anruft. nach fünf tagen war SIE genervt und hat gesagt: ich brauch ja gar nix von ihnen, warum soll ich eigentlich ständig anrufen?

das schöne an paradoxen interventionen: wenn sie nicht funktionieren, waren sie zumindest lustvoll. und im schlimmsten fall funktionieren sie halt nicht. haben andere strategien ja vorher meistens auch nicht. 
Christoph (Gast) antwortete am 16. Dez, 00:44:
Wow
Interessante Taktik :) 
teacher antwortete am 17. Dez, 20:14:
Im Einzelfall mag das wirken, im Schulbereich zweifle ich, weil die Verhaltensänderung bei SchülerInnen Unlustgefühle auslöst (sprich: Arbeit macht). 
Matthias (Gast) meinte am 16. Dez, 08:42:
Was die 68er angerichtet haben, sehen wir ja. Da pauschal von Recht zu reden, ist überheblich. 
fedor (Gast) antwortete am 16. Dez, 10:13:
Stimme vollkommen zu.An den Problemen,die die überheblichen 68er verbockt haben,kiefeln wir heute noch.Wer 15 Jahre so einen Typ als Direktor hatte,weiß-was ich meine. 
Student (Gast) antwortete am 16. Dez, 20:09:
Ich hatte ein, zwei alte "68er" als Lehrer und sie gehören zu den gebildetsten Menschen, die ich kenne. Sie haben sich schließlich auch weiterentwickelt. Die wenigstens halten an alle Vorstellungen ihrer Studentenzeit fest.

Zum eigentlichen Thema: Ist mir zum Glück nur sehr selten untergekommen, dass eine Klasse sich total verweigert. Bei richtig guten Lehrern UND einer richtig guten Klasse tritt diese Situation aber gar nicht erst ein. Ich würde die Lösung da gar nicht in den pädagogischen Maßnahmen des Lehrers sondern in der Klasse selbst suchen. Möglicherweise die Klasse ganz auflösen und die Schüler auf die anderen Klassen verteilen? Hört sich immer hart an, vor allem für die Schüler, aber das hätte meine eigene Klasse im Gymnasium gut gebrauchen können. In der Oberstufe, als alle Kurse durchgemixt wurden, wurde es erheblich besser!! (Und das lag bestimmt nicht daran, dass wir auf einmal alle erwachsener wurden.) 
teacher antwortete am 17. Dez, 20:17:
Ich bin ja ein 68er-Kritiker. Aber die vielen positiven Errungenschaften aus dieser Zeit (Freiheiten!) möchte ich nicht missen.

Ich habe nicht hinterfragt, warum die Klasse mauert (es ist keine von meinen Klassen), aber ich traue der paradoxen Intervention als Maßnahme nicht. 
tonja (Gast) meinte am 17. Dez, 00:35:
ui, erinnerungen
wir hatten einen frustrierten geographielehrer. wir waren fies. er war arm dran. dann sagte er "gut, nein, dann mach ich keinen unterricht mehr bei euch." und blieb eine stunde still sitzen und starrte vor sich hin.

ich weiß garnimmer, was wir in der stunde dann gemacht haben: ich glaube, uns nicht allzulaut unterhalten.

der punkt ist - das weiß ich noch sehr genau: es hat uns alle vollkommen aus der bahn geworfen.

und wir haben ihm eine menge respekt gezollt, denn wie ich letztens wieder so schön gelernt habe:

Das am Präsentieren Schwierigste ist das Schweigen.
Das Selbstbewusstsein, das du brauchst, um deine Persönlichkeit und deine Stärke ohne Worte und Gestik in einem Raum wirken zu lassen, muss groß genug sein.

Seine war es. Und eine Woche später gab es von unserer Seite eine Art Entschuldigung - der Unterricht ging weiter.

Auch wenn ich den Lehrer wirklich nie leiden konnte -
wenn ich heute daran denke, weiß ich, wie anders und komisch der Moment war. Der blieb und war für uns so irritierend, dass die Situation wirklich umgekehrt wurde.

so, ich muss sozialer konstruktionismus lernen gehn.. n8 teach 
teacher antwortete am 17. Dez, 20:20:
Das hätte ich für unmöglich gehalten. Ich denke, dass meine Klassen einfach Party machen würden - stundelang. Und mich einladen würden ...
Ich denke, dass meine SuS einfach so entspannt sind, dass sie durch eine ungewöhnliche Maßnahme nicht zu irritieren sind. "Cool, können wir das öfters machen?" Grins. 
testsiegerin antwortete am 18. Dez, 13:34:
@ teacher
sie unterschätzen die schüler und schülerinnen, glaub ich.

ich versteh ihren misstrauen gegenüber dieser form der intervention nicht. es ist eine von vielen, sie ist kein wundermittel, sondern einfach eine strategie, die gerade in ziemlich verfahreren situationen oft wirksam ist. mehr vom gleichen funktioniert meistens nicht, warum also nicht einmal etwas völlig neues probieren?

ich glaube aufs wort, was tonja erzählt. die schülerInnen reagieren auf solche interventionen irritiert. und das ist ein erster schritt zu einer änderung. ein innehalten und aufmerksam werden.

vielleicht machen die schülerInnen tatsächlich einmal party. aber nicht ständig. die meisten von denen wären schnell gelangweilt, glaub ich. 
daisee gell meinte am 17. Dez, 20:45:
Vorerst: Ich lese Ihr Blog unheimlich gern, da mir das Thema Schule und Bildung seit langem am Herzen liegt.
jedoch
Halten Sie "gleich Lösungen vorschlagen" als prinzipiell "männlichen Reflex"?
Ja ich kenne auch genug SuderantInnen, die meine Ratschläge nicht hören wollen, sondern einfach nur ausjammern. Aber Rat oder progressiven Trost als "männlichen Reflex" zu bezeichnen finde ich etwas sexistisch. Aber gut, ich bin keine dieser Killerfeministinnen und das ist kein Vorwurf, sondern lediglich ein Hinweis. Gendern ist nur bereits offiziell gefordert und dazu gehört nicht nur das allseitsverhasste Binnen-I, nein es sind auch derlei Aussagen zu überdenken.

Natürlich machen Pubertierende gerne was sie wollen und bilden diese Wand vor der Lehrerin. Vielleicht bilden die Lehrenden diese Wand auch selbst, wenn sie dieses System mitspielen.
Paradoxe Intervention ist auf jeden Fall ein guter Start den SchülerInnen zu signalisieren, dass man da nicht mitspielt. Ich kannte da einen Lehrer einer HTL dessen SchülerInnen nicht mit ihm reden wollten und er gezwungen war, Frontalunterricht zu halten. Da meinte er: "Okay, wenn Unterricht langweiliger ist als Pause, mach'ma Pause." Wurde verstanden.
Bei einem Kind, das mir wöchentlich zur Betreuung steht, gabs Anfangs immer dieses Kräftemessen: was kann und darf sie sich bei mir erlauben? Jetzt hab ich sie soweit, dass sie mich unterhält, statt umgekehrt. Paradoxe Intervention.
Junge Leute wollen Mitspracherecht. Vielleicht wollen sie später mal studieren. Da sagt ihnen auch niemand wie sie lernen sollen. Jeder langweilt sich im Frontalunterricht. Dass man die Schüler nicht zu Wort kommen lässt, bewirkt immer mehr, dass sie nichts mehr hinterfragen. Aber diese Geschichten kennen wir ja wohl schon.
Wie sieht denn "völlig anders agieren" aus, würde mich noch interessieren.

und: Geht nicht gibts nicht. Sie sind garantiert nicht der Überhebliche, sondern eher der, der sich einfach ausjammern will, wenn Sie tatsächlich mit "Geht nicht" argumentieren. 
Matthias (Gast) antwortete am 18. Dez, 13:20:
"Halten Sie "gleich Lösungen vorschlagen" als prinzipiell "männlichen Reflex"?"

Ja! Auch wenn es die Gender-Mainstreamer (die Germanisten mögen bei diesem Wortungetüm wegschauen) gerne anders hätten, so ist es. Wie oft ich schon Beziehungskrisen durchmachen musste, weil ich es mir erlaubt habe, Lösungsvorschläge zu unterbreiten, anstatt einfach nur zuzuhören und zu bemitleiden... 
daisee gell antwortete am 18. Dez, 14:01:
Sie sprechen aus Erfahrung. Ich auch. Ich spiele genauso ungern die Kummertante für Leute die ja nur jammern und Beileid wollen; ebensowenig will ich mich bei jemandem ausheulen, der mir nicht weiterhelfen kann. Wenn ich mich nur ausheulen will, kann ich das auch allein.

Auch wenn IRGENDWER das gerne hätte, so ist es.- Was für eine blöde Aussage. Würde man damit Zustimmung erreichen wollen und dass die Gender-Mainstreamer die Klappe halten, erreicht man damit nur, dass sich Frauen vielleicht immer mehr darauf rausreden, dass sie nunmal eine Frau sind und bitteschön keinen Rat sondern Mitleid wollen, oder umgekehrt, dass sie keinen Rat geben können sondern nur Mitleid ... BITTE WAS? Denken Sie mal darüber nach. 
teacher antwortete am 18. Dez, 17:12:
Ich glaube nicht, dass meine Aussage eines der Geschlechter herabgewürdigt hätte. Aber das ist nur ein Nebengleis, das ich hier nicht näher beleuchten will. 
errorking antwortete am 30. Dez, 21:56:
wer tips braucht um ein guter lehrer zu sein,
der soll sofort morgen aufhören. er schädigt nur die gesellschaft.ein autobuschauffeur, der nicht gut fahren kann, ist auch ungeeignet.

ich habe 10 jahre lang in japan unterrichtet....auch nicht leicht...vis a vis von mir kam oft ein and.professor immer geschlaucht aus der klasse ...ich lachte immer.
er hat gefragt: wie machen Sie das?
ich hab gesagt: die schüler geben mir energie, ihre saugen sie weg. wechseln Sie den beruf! 
BIA (Gast) antwortete am 31. Dez, 11:37:
@errorking
Lol.
Erfahrungsgemäß reden Menschen nie nimmer nicht mit ihren Kollegen und tauschen sich nie nimmer nicht über ihr Fachgebiet aus. Und schon gar nicht geben sie sich gegenseitig Tipps oder nehmen sie an.
Und wenn einer kommt und mal was wissen will, sagen wir's ihm garantiert nicht, weil wer's von alleine nicht kann, hat keine Hilfe zu erwarten, weil selbst schuld, kein Mitleid. Und da könnte ja jeder kommen.

Ehrlich. Sind nur Lehrer so blöde? Oder schießen sich auch Ärztinnen, Sekretäre und Konditoren ins Knie, indem sie gegenseitige Unterstützung für sittenwidrig erklären? 
 

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