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cotopaxi

 
Hausaufgabe war, ein Kurzreferat zur Klassenlektüre vorzubereiten.

Schüler M. trägt gerne vor, seine Gruppe überlässt ihm freiwillig diese Rolle.

M. geht aufrecht zur Tafel, der Lärm der Klasse geht zurück und M. präsentiert selbstbewusst und stolz seine Interpretation, ganz ohne schriftliche Unterlagen. Sein Blick schweift professionell über die Köpfe, am Ende bedankt er sich für die Aufmerksamkeit und schenkt allen ein abschließendes Lächeln.

Ich bitte um konstruktive Kritik: " ... zuerst zum Auftritt, dann zum Inhalt."
Ein Mädchen aus der Klasse: "Der Vortrag war doch aufgesetzt. Das war auswendig gelernt."

Da wird M. wütend und laut: "Das stimmt überhaupt nicht. Ich hab's vor fünf Minuten zum ersten Mal gelesen."

Wie interpretiere ich diesen unbedeutenden Vorfall?

M. hat ein gutes Referat überzeugend gehalten. Er liebt den Vortrag, er war vorbereitet und er hat souverän gearbeitet. Genau das wird ihm zum Vorwurf gemacht, deshalb muss er sich sogar verteidigen. Lieber nimmt er vorm Lehrer den Vorwurf in Kauf, seine Hausarbeit nicht korrekt gemacht zu haben als bei den Schülern als "Streber" dazustehen.

Es ist verdammt hart, eine gute Leistung zu bringen.
Das macht das Gymnasium zum Fegefeuer für Begabte.
Bleibt die Frage, ob Gesamtschule Erlösung oder Hölle ist.
PeZwo meinte am 9. Apr, 10:19:
Diese Reaktion halte ich nicht für schulspezifisch, ich habe sie sinngemäß in meinem Job schon oft erlebt... manchmal am eigenen Leib, manchmal beobachtet. Hier ist die Schule nicht schlechter sondern leider nicht besser als die restliche Gesellschaft. 
teacher antwortete am 9. Apr, 10:37:
Ich weiß nur nicht, wie ich damit umgehen soll! 
PeZwo antwortete am 9. Apr, 11:13:
Ich sagte mal einem recht bekannten und befreundeten Musiker, der mit ähnlichen Reaktionen zu tun hatte, die Worte: "genieße den Neid deiner Berufskollegen, du hast über viele Jahre hinweg hart für ihn arbeiten müssen".

Ich denke, dass Schüler muss am Ende selbst mit solchen Reaktionen klar kommen. Das gehört zu den nicht niedergeschriebenen Zielen der schulischen Ausbildung. Der Lehrer kann da nicht viel machen... er kann höchstens durch sein Verhalten klar dokumentieren, dass er nicht hinter solchen Aussagen steht... und das hast du - so wie ich dich einschätze - sicher getan. 
teacher antwortete am 9. Apr, 11:38:
Ich sage dazu: "Das war professionell gemacht." Ich darf nicht zu sehr loben, sonst steigt der Neid und die Ablehnung. Aber die nächsten Kandidaten versuchen schon, schwächere Präsentationen zu liefern! 
burnheart (Gast) antwortete am 11. Apr, 11:43:
nachfragen?
ich würde auf alle Fälle mal bei den Kritikern weiter nachfragen:
(eventuell zuerst unabhängig vom konkreten Vortrag) inwieweit es als Zuhörer negativ empfunden wird, wenn ein Referat aufgesetzt bzw. auswendig gelernt wirkt? Was konkret ist daran negativ aus Sicht des Zuhörers? Die "Streber"-Interpretation muß nicht zwangsläufig richtig sein. Wenn es allerdings darauf hinausläuft, kann man fragen/erinnern, dass es sich um konstruktive Kritik handeln soll etc.
Den Vortragenden würde ich persönlich auch schon immer vorab(!) bitten, sich nicht zu rechtfertigen, sondern sich zuerst die Kritiken, welche ja nur subjektive Empfindungen sind, in Ruhe anzuhören. Am Ende aller Äußerungen, hat er nochmal Gelegenheit dazu, ob er mit den Kritiken was anfangen kann. Ich denke, wenn dies im Vorfeld so geregelt ist, sind auch die Kritiker mit unsachlichem Feedback zurückhaltender... 
teacher antwortete am 16. Apr, 11:42:
In der Theorie hört sich das gut an, aber Gruppen sind sehr emtionell - vieles geht über Beziehungen, nicht über Verstand. 
benq meinte am 9. Apr, 10:51:
Was würde Daniel Küblböck sagen...
kommen Sie doch nach vorne und machen Sie es erstmal besser! 
teacher antwortete am 9. Apr, 11:42:
Kommt noch. 
daisee gell meinte am 9. Apr, 13:40:
Dazu fällt mir ein interessantes Essay von einem begabten Menschen ein: Paul Graham: Why nerds are unpopular
Ich glaube nicht, dass Lehrer da groß etwas falsch machen können. Wichtig ist nicht, dass ein M. nicht als Streber da steht, sondern dass er seine Freude an der Bildung nicht verliert. Wie er mit dieser vor der Klasse umgeht, ist seine Sache. Offensichtlich ist M. einer der Schüler, die mit wenig Aufwand gute Leistung erbringen. Solche Schüler muss man fordern, sonst ruhen sie sich auf ihren Lorbeeren aus, langweilen sich und vernachlässigen irgendwann die Schule, um auf anderem Weg zu interessantem Stoff zu kommen. 
steppenhund antwortete am 9. Apr, 13:53:
Danke für den interessanten Link.
virtualmono antwortete am 9. Apr, 15:06:
Offensichtlich ist M. einer der Schüler, die mit wenig Aufwand gute Leistung erbringen. Solche Schüler muss man fordern, sonst ruhen sie sich auf ihren Lorbeeren aus, langweilen sich und vernachlässigen irgendwann die Schule, um auf anderem Weg zu interessantem Stoff zu kommen.

Genau so ging es mir dann irgendwann in der Schule... unterm Strich war das aber vielleicht gar nicht so verkehrt ;-) 
teacher antwortete am 10. Apr, 13:19:
Der verlinkte Text ist gut, aber zu lang - typisch für einen unbeliebten Nerd :-)

Ja, M. ist ein schlauer Kerl ("smart"), aber ein Einzelgänger. Er versucht sich beliebt zu machen, aber dafür ist er zu wenig durchschnittlich. Er langweilt sich, besonders mit minder begabten MitschülerInnen. Zusatzaufgaben sieht er als "Bestrafung" und würden ihn noch weiter isolieren. Er wird erst an der Uni brillieren, bis dahin bleibt er im Fegefeuer. 
o. klein (Gast) meinte am 9. Apr, 23:41:
Na vielleicht liegt der Fehler daran, dass man die Mitschüler kritisieren lässt...??? 
teacher antwortete am 10. Apr, 13:20:
Wir sagen "feedback" dazu und wollen es wertfrei halten - aber das gelingt halt oft nicht. 
tina (Gast) antwortete am 10. Apr, 17:27:
Hmm, es wäre eine gute Gelegenheit gewesen zu diskutieren daß Auswendiglernen für viele Menschen eine gute Hilfe sein kann und deswegen kein "Schummeln" ist. Und zb. in allen Rhetorikkursen "offiziell" als eine Möglichkeit für "lampenfiebrige" Menschen empfohlen wird. Und man hätte auch besprechen können, daß das dann oft gewisse Nachteile gegenüber einem echten freien Vortrag wie dem des Schülers hat und wie man diese Nachteile zu vermeiden versuchen kann (Stichwort: auswendiggelernte Vorträge wirken oft emotionslos "runtergeleiert").

Für den Schüler selbst - schwierig. Am besten wäre bei so jemandem ein Wechsel in eine Begabtenschule, aber sowas gibt's ja bei uns irgendwie nicht wirklich und mit der ganzen politischen Korrektheit wird sich's in näherer Zeit wohl auch nicht dort hinbewegen, da verschwenden und frustrieren wir lieber die Talentierten. Am ehesten hilft es vllt. noch ihn mit anderen Begabten in Kontakt zu bringen - vllt. mal Mensa anregen oder so? Dann hätte er wenigstens nicht 100% seiner Zeit das Gefühl, daß der Rest der Welt nur aus lernunwilligen Idioten besteht und er völlig allein ist. 
o. klein (Gast) antwortete am 10. Apr, 17:30:
Na ja, das ist so ähnlich wie das Mannschaften Bilden im Sport: in den 70er Jahren war es das Maximum der Emanzipation der Schüler, dass sie selbst ihre Manns haften aussuchen durften. Mit dem Resultat, dass immer dieselben als letze gewählt wurden, und für die war es weniger lustig.

Ich hoffe, dass man mittlerweile von dieser Art der "Demokratie" wieder abgekommen ist...

Dieses "Feedback" ist ähnlich. Theoretisch als Übung in "Demokratie" und "Verantwortung" gedacht, dient sie in Wirklichkeit eben auch dazu, den begabten eines reinzubraten... 
Mandros (Gast) meinte am 10. Apr, 11:28:
was man machen kann...
Moin Moin aus dem hohen Norden.

Im Endeffekt ist die Reaktion der Schülerin ja nichts anderes ein Versuch die eigene Stellung im soziale Gefüge der Klasse zu stärken bzw. die Stellung des Schülers zu verschlechtern.

Einfach mal den Spiess umdrehen wäre hier ein Mittel denke ich.

Z.b. : Fragen ob die Schülerin neidisch ist, oder ihr sagen solle sie es doch besser machen, oder aber vllt. darauf hinweisen das man sowas natürlich auswendig lernen muss. Ich weis schockierend (also für die Schülerin) ;).

Ausserdem gibt es da diesen schönen Text von Bill Gates zu Bildung und Erfolg ---> soll sehr lehrreich sein "“Be nice to nerds. Chances are you'll end up working for one.” "

Link : http://bprateek.blogspot.com/2010/07/bill-gates-10-advices-to-young-people.html


LG 
teacher antwortete am 10. Apr, 13:22:
Guter Link: Bloß ist B.Gates als Nerd wenig glaubwürdig, meine SchülerInnen stehen mehr auf "bad boys"! 
o. klein (Gast) antwortete am 10. Apr, 19:29:
Glaube auch nicht, dass die nerds als Firmenchefs am meisten ERfolg haben.

Ich würde eher vermuten, dass Bullies oder Leute mit hohem EQ Chefs werden... 
Jochen (Gast) meinte am 10. Apr, 18:12:
Nix da Erlösung
> Bleibt die Frage, ob Gesamtschule Erlösung oder Hölle ist.

Die "Erlösung" ist sie sicher nicht. Die Unterschiede zwischen den Schülern sind noch größer als am Gymnasium, das Absinken des allgemeinen Niveaus (trotz aller indivduellen Förderei) unvermeidlich, der Druck auf die Guten bzw. Fleißigen eher noch größer. 
Budenzauberin antwortete am 11. Apr, 14:21:
Schon lange nicht mehr solch einen Schwachfug gelesen.
Bei sämtlichen Studien liegt das Leistungs- Niveau der Gesamtschüler teils zwischen Realschule und Gymnsasium, teils auf Realschul-Level. Und das trotz der Schüler, die dort auf Hauptschul-Niveau unterrichtet werden!

(Ausnahmen bestätigen die Regel: Gesamtschulen in sogenannten "sozialen Brennpunkten" weisen durchaus andere Zahlen auf. Aber das hat weniger mit der Schule als solche zu tun.) 
teacher antwortete am 11. Apr, 15:44:
In Österreich wird momentan viel Werbung(!) für die Gesamtschule gemacht (in Ländern mit Gesamtschule ist man inzwischen viel kritischer), das geschilderte Problem wird sie nicht lösen, fürchte ich. 
IO (Gast) meinte am 11. Apr, 14:53:
Jeder deiner Schüler hat bestimmt schon mal eine Castingshow gesehen. Laß doch immer zwei Schüler zu einem Thema gegeneinander antreten und laß deine Schüler bewerten. Oder vergib mal für die erbrachte Leistung bei einer Präsentation keine abstrakte Note, sondern prognostiziere mal das ungefähre spätere Einkommen. Dann sehen deine Schüler recht deutlich, wie sich Leistung lohnen kann.

Aber das sind freilich nur Schnellschüße, ohne deinen kompletten pädagogischen Ansatz zu kennen. 
blubberdibli (Gast) antwortete am 11. Apr, 15:05:
bliblablub
Vllt sollte man sowas weniger ernst nehmen. Gerade in Fächern wie Deutsch und Englisch vergeht kaum eine Woche ohne Referat und anstatt es beim hören zu belassen kommt dann natürlich das obligatorische Feedback.

Da man zum Inhalt eines 5 Minuten Referats kaum etwas sagen kann/muss denkt sich der genervte Schüler irgendwas aus meistens ohne Überhaupt nachzudenken und rattert einfach ein paar Stichworte runter wie z.B klingt auswendig gelernt, der Vortrag war nicht freigenug.

Ich würde in den Vorfall zumindest nicht mehr reininterpretieren als das Schüler von nonsens Referaten und Feedback runden genervt sind. 
teacher antwortete am 11. Apr, 15:46:
Gute Ideen!
Ich bin immer wieder überrascht von einigen Kommentaren, sie erweitern wirklich meine Perspektiven! 
Kakanier (Gast) meinte am 14. Apr, 00:12:
Erinnerungslücken
Für mich klingt das wie ein typischer Schülerkommentar, kaum der Erwähnung wert. Ich kann doch wirklich nicht der einzige sein, der sich noch daran erinnert, dass man in der Schule generell auf solche Aufforderungen hin immer zuerst die aus Erfahrung akzeptablen Platitüden abließ. 
teacher antwortete am 14. Apr, 11:00:
Es ist wirklich so, das man viele leere Formeln hört, die irgendwo aufgeschnappt wurden ... aber das ist nicht nur in der Schule so. 
El Loco meinte am 18. Apr, 11:22:
schlechter Diskussionsleiter
Hier hat meines Erachtens der Lehrer versagt. Denn die Schülerin hat eindeutig die Vorgabe: konstruktive Kritik zu üben, nicht erfüllt.
Da ist es die Pflicht des Lehrers, die Schülerin in ihre Schranken zu weisen und den Vortragenden in Schutz zu nehmen.
Und sei es mit der Gegenfrage: "wenn das auswendig gelernt war, wird er dann auf weitergehende Fragen zum Inhalt antworten können?" (Kann man nämlich nicht, wenn man nur auswendig gelernt hat.) Und die Schülerin hätte allein schon dumm dagestanden, weil sie nicht in der Lage gewesen wäre, Fragen zu stellen, sie hat nämlich nicht zugehört.

Die Reaktion von M. macht die Sache nur noch schlimmer. Wer so ein Gedächtnis hat, ist eh unbeliebt! 
 

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