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cotopaxi

 
"Tausend Mal gerührt, nie ist was passiert."

Ich habe tausend Schwächen der Schule angeprangert, seit Monaten suche ich die größte Untiefe des Systems.

Zwei Geographielehrer:
"In der Bibliothek stehen zwei neue Werke zur Stadtgeographie - hast Du sie schon gesehen."
"Ja, ich habe schon herumgeblättert ... aber was soll's."
"Ich will mich da auch nicht mehr durchquälen."

Zwei Spanischlehrer:
"Bist Du in der 7.Klasse mit den Pronomen schon fertig?"
"Ich hab das jetzt sieben Mal erklärt, jetzt müssten sie das doch kapieren!"
"Es ist eine Katastrophe. Ich glaube, sie würden's schon verstehen, aber sie üben's nicht. Hier haben wir keine Zeit mehr ... und zuhause, alleine wollen sie nicht."
"Sie sehen keinen Sinn darin. Für die Matura lernen? Wofür sonst?"

Zwei Unidozenten:
"Mit dem Bolognasystem wird alles verschult. Die Studierenden kommen bis zum Bachelor nicht mehr zum Schnaufen."
"... schon gar nicht mehr zum kritischen Reflektieren. Das ist kein akademisches Studium mehr."
"Und wir füllen jedes Semester zwanzig neue Formulare aus ... und das Mitspracherecht in den Gremium haben sie auch ausgehöhlt."

Was macht unser Bildungsystem so krank, dass sich die Betroffenen völlig davon abwenden? Richtig abgestoßen fühlen. Verzweifeln.

Das Hauptproblem: Motivation. Fehlende Motivation.

Mir ist eines klar geworden: Wenn wir SchülerInnen und LehrerInnen nicht motivieren können, dann geht die Bildung den Bach hinunter. Reformen hin oder her.

Nass sind wir schon.
Lisa Rosa (Gast) meinte am 24. Okt, 17:42:
den Bach runter
Hm. Solange wir versuchen, andere zu motivieren, geht es schon immer den Bach runter. Denn das geht ja nicht. Lernmotive werden von den Lernenden selbst gebildet. Wir Lehrer schaffen, wenn wir gut sind, genügend Anlässe und Raum dafür. Und da Movtive und Sinn viel miteinander zu tun haben, verweise ich hier auf das interessante Interview "Sinnbildung lernen" mit Prof. Georg Rückriem und Johannes Werner Erdmann (beide Berlin): http://static.twoday.net/LisaRosa/files/Sinnbildung-lernen.pdf 
teacher antwortete am 25. Okt, 12:24:
Ja, wir wissen das - aber die Eltern, die Gesellschaft und die Medien denken völlig anders: "Die Lehrer motivieren nicht."
Dabei sind sie selbst nicht motiviert. 
dete (Gast) antwortete am 25. Okt, 19:58:
Aha, ...
Solange wir versuchen, andere zu motivieren, geht es schon immer den Bach runter. Denn das geht ja nicht. Lernmotive werden von den Lernenden selbst gebildet.

Das ist ja mal eine schön-sinnfreie Formulierung (euphemistisch ausgedrückt). 
teacher antwortete am 26. Okt, 15:26:
An sich nicht. Der Punkt ist, dass nicht erwartet werden darf, dass die Lehrer die Kinder schon motivieren werden - das funktioniert nämlich nicht, weil es nicht funktionieren kann. 
dete (Gast) antwortete am 26. Okt, 16:48:
Das entzieht sich meinem Verständnis.
Natürlich ist es falsch, fehlende Lernmotivation eines Schülers ausschließlich dem Lehrer anzulasten.
Aber natürlich ist es möglich, dass ein Lehrer seine Schüler motivieren kann (ebenso wie er sie demotivieren kann). Und ich sehe da auch kein lisarothsches Den-Bach-Hinuntergehen, wenn Schüler durch ihre Lehrer motiviert werden. So kann beispielsweise genau der Lehrer das vom Lernenden just selbst gebildetet Lernmotiv sein. Oder?

Für mich bleiben LRs Sätze nach wie vor schön-sinnfrei. 
steppenhund meinte am 26. Okt, 00:04:
Die Beispiele sind gut gewählt. Sie erklären mir aber auch etwas über mich selbst. Ich verdiene meine Brötchen in einem kleinen, aber feinen Unternehmen. Jedes Jahr verbringe ich 5 Urlaubstage damit, eine Blockvorlesung zu halten, die nächstes Jahr dem Master Studium zugerechnet wird. Geld bekomme ich dafür 18 Euro in der Stunde. Das deckt in etwas die Kosten des Lebens im Ausland.
Ich würde es vermutlich auch gratis machen. Eitelkeit und eine gewisse Steigerung des Ansehens in der professionellen Welt mögen mich vielleicht entschädigen. Das ich es aber nach den ersten fünf Jahren weiter mache, liegt an der Reaktion der Studenten, die sogar am Samstag von 9:00 bis 17:00 ausharren und sehr gutes feedback geben.
Heuer werde ich auch große Teile der Vorlesung überarbeiten müssen, was relativ viel Arbeit bedeutet. Aber es hält mich auf dem technischen Stand und irgendwie auch jung.
Der Hauptantrieb ist aber die technische Begeisterung und das Gefühl, den Studenten etwas zu vermitteln, was sie sonst nicht bekommen, den Zusammenhang zwischen Theorie und Realität.
Dass Begeisterung motivieren kann, brauche ich wohl nicht extra zu erwähnen.
Ich kann mir vorstellen, dass es auf jedem Gebiet, auch in der Mittelschule, Neues gibt, dass man in den konventionellen Unterricht einbauen kann. Es bedeutet Arbeit, doch letztlich profitiert der Lehrer als Mensch ja auch davon, wenn er lebendig bleibt.
Ich gebe zu, dass ich aufgrund der speziellen Situation kein Problem mit der Disziplin habe. Die Prüfungsaufgaben sind teilweise sehr leicht und gleichzeitig auch sehr schwer.
Die Arbeiten werden von den Assistenten ausgewertet, sodass ich für jede Frage auch die richtige Antwort bereitstellen muss. Und so gibt es auch ein spezielles Beispiel, bei dem die Antworten ja, nein und ich weiß nicht alle richtig sein können, vorausgesetzt, es wird die richtige Begründung beigesteuert.Vielleicht erhellt dies eine Vortragsmethode, die weniger auf die Sachverhalte, sondern mehr auf die darunter liegenden Strukturen Wert legt. 
teacher antwortete am 26. Okt, 15:33:
Gratuliere - das ist die Idealsituation: Ein motivierter Dozent trifft auf freiwillige Lernende. Ich kenne das auch, erlebe es nicht (mehr) in der Schule: Unser Image wird durchs Unterrichten ruiniert (mein Können wird überall mehr geschätzt als in der Klasse) und die Kinder wollen alles andere als mein Wissen und Können, selbst wenn es am neuesten Stand ist (und in Fachzeitschriften abgedruckt wird). 
BIA (Gast) antwortete am 26. Okt, 16:49:
Teacher, da siehst Du jetzt aber schon ziemlich schwarz oder Deutschland ist schon durch das tiefe Tal der Tränen durch.
Die lethargischen Abituriernten, abgelenkten Pubertierlinge, die verhaltensoriginellen Sprösslinge sind zumindest bei uns nur ein kleiner Teil der Schülerschaft. Der Rest will etwas lernen und schätzt auch gute - und beileibe nicht nur "spaßige" Lehrer.
Da gibt's auch viele leistungsbereite Schüler: ich habe gerade von 2 Klassen Portfolios in Korrektur; was die Schüler da zum Teil an Zusatzarbeit erbracht haben, ist einfach schön und stimmt mich wesentlich optimistischer.

@steppenhund: Bitte vergleichen Sie nicht die Situation eines Lehrenden, der EINMAL im Jahr EINE Veranstaltung hält und die dann für's nächste Jahr optimieren kann mit der Situation eines Lehrers, der diesen Luxus schlicht nicht hat! Das sind doch zwei paar Schuhe! 
steppenhund antwortete am 27. Okt, 10:42:
@teacher
Mein Naturgeschichte-Professor vor 40 Jahren hat schon genau das Gleiche bemängelt. Er hielt Vorträge in der Urania und hatte wirklich einen guten Vortragsstil. Trotzdem passten wir nicht auf. 
steppenhund antwortete am 27. Okt, 10:50:
@BIA
Das ist mir schon klar, dass es zwei Paar Schuhe sind. Ich wollte auch nicht mit dem Finger zeigen, sondern wie teacher richtig bemerkt hat, eine Idealsituation darstellen.
Doch meine Schwägerin, die nächstes Jahr in Pension geht und an einer nicht geraden leichten Hauptschule in Hamburg/Willhelmsburg unterrichtet, habe ich auch immer so erlebt, dass sie sich mit Rekapitulation und Optimierung beschäftigt hat, wenn ich einmal in Hamburg zu Besuch war.
Natürlich kann man auch Studenten auf der Uni nicht mit Pflichtschülern vergleichen. Genauso wenig lässt sich eine Waldorfpädagogik flächendeckend umsetzen, weil dazu auch bestimmte Bereitschaften gehören.
Von meinen KollegInnen, die Kinder im Vorschulalter und Volksschulalter, sowie Mittelschulalter haben, erfahre ich aber etwas anderes. In den Volksschulen wird aber heute schon recht häufig Montessori-ähnlich vorgegangen und die betroffenen Eltern haben sich sehr positiv geäußert. Was ein Problem zu sein scheint, ist dann der Übergang in die Haupt- bzw. Mittelschule.
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Da glaube ich, dass es zu meiner Zeit einen großen Unterschied gab. Wenn man in der Mittelschule oder Realschule, weniger in der Hauptschule, war, hatte man a) einen Heidenrespekt vor den Lehrern und war b) sehr stolz, dass man jetzt in einer "richtigen" Schule ist.
Lustigerweise habe ich aber von der Volksschule doch einiges behalten. Das ist mir gestern wieder aufgefallen, als im Radio von Hymnen, speziell von der österreichischen Nationalhymne, gesprochen wurde. Ich habe Frau Columbo immer einen Satz vorher gesagt, was jetzt vermutlich als nächstes kommen wird.
Und das waren die Inhalte, die in der Volksschule beigebracht wurden:) 
rebhuhn (Gast) meinte am 26. Okt, 16:01:
OT: gibt es irgendeine möglichkeit, kontakt per mail aufzunehmen? :) 
teacher antwortete am 28. Okt, 20:02:
Ich habe leider auch auf reblogg keine Mailadresse zum Kontaktieren gefunden :-( 
amadea (Gast) meinte am 27. Okt, 23:27:
Mein Sohn - nun endlich fertig mit Studium - traf unlängst die Professorin, die er in Rechnungswesen hatte. Rechnungswesen war für ihn eine Tortur - mit Hilfe der Lehrerin (eine ganz liebe) schaffte er die Matura doch. Ihr Kommentar: Na siehst, auch ohne Rechnungswesen kann man Doktor werden.
So seh ich das mit den Pronomen.
Auch ich habe Mathe nie kapiert und Physik auch nicht und schon gar nicht Chemie.
Ich seh das alles nicht so tragisch. Bin ich naiv?
Sooo schlecht ist unser Schulsystem nicht. Ich kann halt nur von den Schulen sprechen, die ich kenn. Ich vergleich das mit der Schule in England, in der ich war. DA war ich verzweifelt. Und alle anderen auch.
Nach wie vor unterrichte ich gerne. Vielleicht ist's doch hier bei uns am Land anders. 
teacher antwortete am 28. Okt, 20:12:
Ich sehe viele demotivierte Lehrer, noch mehr völlig unmotivierte Schüler - und das sehe ich erst in den letzten Jahren so massiv.

Wenige Lehrer arbeiten motiviert weiter - sie stöhnen aber wegen der Überlastung oder sind naive Workaholics. 
Coaching Köln (Gast) meinte am 28. Okt, 12:19:
Motivation ist alles
Meiner Meinung nach ist die Einführung des Bachelorstudiengangs einer der größten Fehler in der Bildungsgeschichte. In manchen Studiengängen wird im Bachelor nur ein kleiner Teil weniger abverlangt als im Diplomstudiengang, und das, obwohl man nur 6 Semester Regelstudienzeit hat und am Ende weniger Geld bekommt.
Kritisches und freies Denken der Studenten wird durch den Bachelorstudiengang fast komplett vernichtet. Nicht, dass die Studenten dazu nicht in der Lage wären, aber Sie bekommen einfach keine Zeit mehr dafür. Es ist eine Jagd nach Credit Points geworden, und nicht mehr eine umfassende Asubildung.
Das darunter auch die Motivation der Studenten leidet, ist doch vollkommen logisch. 
teacher antwortete am 28. Okt, 20:14:
Das höre ich an der Uni auch, aber es funktioniert: Bilden wir die Jungen schnell zum Arbeiten aus. Nicht zum Denken, zum Leben, zum Kritisieren. 
Grashek meinte am 28. Okt, 19:13:
wie stehen Sie persönlich zu den Studentenprotesten? Und könnten Sie mir Ihren Eindruck gegenüber dem Bolognasystem näher bringen, hab da in letzter Zeit viel zwieträchtiges gelesen... 
teacher antwortete am 28. Okt, 20:05:
Ich habe schon im Audimax einen Besuch abgestattet.
Das wichtigste Ziel ist klar: Bildung muss uns viiiiiieeeeel mehr wert sein. Mehr als jede Bank, oder?
Andere Ziele sind mir suspekt: Uni wirklich für alle? Und für alle gratis? Ohne Einstiegsprüfungen etc.? 
1000Sunny (Gast) antwortete am 30. Okt, 22:26:
Mehr Geld = Mehr Bildung
Ist mittlerweile empirisch widerlegt. Uni für alle ist aber sehr sinnvoll. Muss man aber nicht verstehen, warum. Das wird sowieso irgendwann kommen. 
teacher antwortete am 2. Nov, 15:05:
Mehr Studierende = mehr Lehrende = mehr Räume etc. = mehr Geld. Da gibt es keine Diskussion. 
1000Sunny (Gast) antwortete am 2. Nov, 17:22:
Andersrum
Mehr Studierende= weniger Lehrende, weniger Räume, weniger Geld
Mehr Hörer= mehr Lehrende = mehr Räume etc

Studieren kann man selbst. Bücherliste, Methoden usw.

Es ist sowieso eine aberwitzige Vorstellung, dass in einer "Wissensgesellschaft" und einer "Bildungsrepublik" die Studenten nicht selber lesen können, sondern immer noch auf "Vorlesungen" angewiesen sind. 
teacher antwortete am 3. Nov, 11:36:
Vorlesungen haben dann Sinn, wenn Wissen, das (noch) nicht veröffentlicht ist, gebracht wird - oder so, dass es besser verständlich wird als in Textform.

Die wichtigsten und personalintensivsten Uni-Veranstaltungen sind aber Seminare, Übungen etc.

Sollen z.B. Lehrer mit Büchern lernen zu unterrichten (= kommunizieren)? Oder besser mit SchülerInnen und KollegInnen? 
1000Sunny (Gast) antwortete am 3. Nov, 13:02:
Es geht nicht darum...
dass alle auf einmal auf eine neue Weise lernen.
Es geht darum allen freizustellen auf neue Weisen lernen zu dürfen - und dann immer mehr neue Wege zu finden, wie Leute sich außerhalb der personalintensiven Veranstaltungen finden können.
Ich denke besonders für die Orchideenfächer und die Geisteswissenschaften könnte eine neue dezentrale Infrastruktur (in der man auch kommunizieren lernt, nur halt anders) eine Renaissance bedeuten und vielleicht sogar deren einzige Rettung sein. Lehrpläne und Unis verMINTzen ja immer mehr.

Aber wir müssen das ja nicht alles in einer Fußnote klären ;)

(Gilt auch für die Lehrpläne - und auf politischer Ebene kann man sich einbringen, wenn man es für sinnvoll hält und an Gesetzen mitwirken) 
1000Sunny (Gast) meinte am 30. Okt, 22:25:
Motivation fehlt?
Ich glaube es gibt einen Grund, warum keine Motivation da ist. Warum sollten sich denn die Lehrer das neueste Werk anschauen, wenn sie im Unterricht doch wieder denselben Quatsch durchnehmen müssen.
Ich glaube es ist Zeit den Lehrplan abzuschaffen - zumindest optional machen.
Jetzt schreit unsere obrigkeitshörige Seite auf: "Aber was sollen wir denn lehren, wenn uns keiner sagt, was wir lehren sollen?" - Ja was nur. Ich denke von den allermeisten Lehrern würden wir eine große Überraschung erleben. 
teacher antwortete am 2. Nov, 15:07:
Ich würde es lieben, völlig lehrplanfrei zu arbeiten, die Grenzen meiner Fächer zu vergessen ... und ich glaube, die Resultate wären besser als jetzt.
Aber generell für alle Schulen und aller Lehrer wäre das eine besondere Form von Anarchie. 
1000Sunny (Gast) antwortete am 2. Nov, 17:24:
Vergessen Sie "alle"
Heute argumentieren alle immer mit dem Argument "wenn das alle täten". Es genügt, wenn sie es selber lieben und bessere Ergebnisse bringen. Der nächste wird das auch tun.
Und für alle anderen (die es sich nicht zutrauen) kann man den Lehrplan dennoch weiterentwickeln. Aber halt optional. Das steigert die Motivation und die Ergebnisse und dort müssen wir hin. 
1000Sunny (Gast) antwortete am 2. Nov, 17:25:
Anarchie ungleich Chaos
(das nur anbei. Noam Chomsky z.B. war ein Anarchist. Die APPD sind Chaoten) 
teacher antwortete am 3. Nov, 11:39:
Lehrpläne sind gesetzlich vorgeschrieben, da dürfen wir uns so wenig darüber hinwegsetzen wie über Steuer- oder Verkehrsrecht.
Auch wenns cool wäre ...

Ja, es wäre kein Chaos, ohne Lehrpläne zu unterrichten, aber ungelenkte und ungesteuerte Beliebigkeit. 
Grashek meinte am 17. Nov, 21:46:
Motivationsschub
Hah! Unsere Lehrerin hat es mit einer lächerlichen Idee geschafft sämtliche Schüler meine Klasse zu motivieren, nun doch endlich was für den Maturaball in 4 (!!!) Tagen zu tun... Freibier für alle die sich scheeren... Mit Erfolg, so motiviert sah ich sie sonst noch nie... 
 

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