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cotopaxi

 
Letzte Stunde vor den Ferien. Eine Schülerin (12) hat eine DVD mit Zeichentrickfilmen mitgenommen: "Dürfen wir schauen?"
"Klar, ist ja Weihnachten."

Es stellt sich heraus, dass der O-Ton französisch ... und auf unserem DVD-Player nicht umzustellen ist. Der Medienprofi (ja, in jeder Klasse sitzen zwei Kinder, die für die Bedienung der technischer Ausstattung zuständig sind) dreht trotzdem den Ton nicht zurück. Super-Nana: Bunte Bilder, schrill gezeichnet (Manga-Stil) und schnell geschnitten, flimmern über den Schirm. Laute Töne, schwer verständliches Französisch: zack-bumm, yeaah-boing, trara mit 85 Dezibel.

Ich wundere mich: Die Kinder lachen an den richtigen Stellen. Nach dem ersten Clip lasse ich den Plot zusammenfassen: Sie haben alles Wichtige verstanden, alle Zusammenhänge erfasst.

Wenn mir jemand den Ton im Kino klaut, verliere ich den Faden. Wenn mich jemand beim Fernsehen stört, komme ich aus der Fassung. Nicht so meine Schüler: Film ohne Ton - kein Problem.

Drehen wir die Sache um, wird's schwierig. Nur zuhören - nix verstehen. Nur lesen - schwierig. Damit haben Erwachsene kaum Probleme, schließlich sind sie mit Kassettenrekorder und Buch aufgewachsen.

Nennen wir es beim Namen: pictorial turn. Die MTV-Generation versteht Bilder besser und schneller als wir.

Was tun wir daher in der Schule? Lesen und Reden.
Ich muss lachen, an der falschen Stelle.
timanfaya meinte am 19. Jan, 09:21:
das erinnert mich thematisch entfernt an das fassungslose gesicht meines bio lk lehrers, als er meinte mich in einer vertieften unterhaltung mit meinem nachbarn auf dem falschen fuß erwischen zu können, ich aber trotzdem den weiteren vorgang im - ich glaube das hieß zitronensäurezyklus - erläutern konnte. früher gab's da nur staunen [1986], irgendwann nannte man das multitasking. ich würde es als anfang vom ende der vollkonzentration bezeichnen.

okay. thema vefehlt ... 
teacher antwortete am 19. Jan, 14:46:
Thema vefehlt, ja, aber interessant. Ich glaube aber, dass es auf der Gehirnebene gar kein multitasking gibt - es funktioniert seriell. 
timanfaya antwortete am 19. Jan, 16:38:
ich nehme ein 'r' und will lösen ...

eine frage der definition. bei sich abwechselnden sekundenbruchteilen würde ich sagen - okay. komischerweise konnte ich das früher mal besser als heute. ich glaube aber, dass hat nix mit nachlassen der leistung zu tun, sondern mit reizüberflutung. ein telefonat führen, dass andere zeitglich deligieren, dem kollegen nebenher was aufschreiben und dabei die e-mails checken schlaucht irgendwann ein wenig. interesanterweise verändert es auch die gewohnheiten. ich finde einseitige tätigkeiten inzwischen total entspannend. 
Lector (Gast) antwortete am 19. Jan, 23:44:
Das Gehirn funktioniert seriell?
Da muss sich jemand mal dringend mit Neurowissenschaften beschäftigen. Neuronale Netze im Gehirn sind extrem stark parallelisiert.
Hatten Sie schon mal das Gefühl dass Ihnen plötzlich ein "Licht aufgeht"? Da hat offensichtlich das Gehirn an einem Problem gearbeitet ohne dass Sie sich dessen bewusst waren. 
teacher antwortete am 20. Jan, 18:24:
Die Aufnahme von Information funktioniert seriell. 
Lisa Rosa antwortete am 21. Jan, 15:48:
Genau am Thema!
nix Thema verfehlt! Genau die richtige Analogie gebildet. Denn sowohl die Fähigkeit, aus Bildern (bzw. wechselnden Darstellungsmedien) sinnvoll die story zu entnehmen, als auch das sog. Multitasking gehört - laut Prof. Jenkins (MIT) zu den New Media Literacies ... vgl. http://newmedialiteracies.org/blog/2008/11/10/NMLskills.pdf 
hebamme (Gast) meinte am 19. Jan, 11:03:
Schlau?
Tja, die Kinder erfassen generell schneller als Erwachsene, dennoch hast recht, das Medium Nr. 1 ist heute das bewegliche Bild. Wie sich das auswirken wird, nämlich auf die Kreativität, das wird spannend! 
teacher antwortete am 19. Jan, 15:04:
Sie erfassen nicht alles schneller. Beim Lesen und Zuhören (sprachgebundenen Informationen) haben sie große Nachteile. Um Fantasie und Kreativität mache ich mir noch keine Sorgen. 
PeZwo meinte am 19. Jan, 11:06:
Da stellt sich in der Tat die Frage: gehen die Unterrichtsmethoden "Lesen und Reden" an der Art der Informationsaufnahme der Kindern vorbei? Oder "retten" sie Fähigkeiten, die der Alltag nicht mehr trainiert? 
teacher antwortete am 19. Jan, 14:48:
Das ist die entscheidende Frage: Sollen wir MIT oder GEGEN diesen Trend arbeiten.
Meine Meinung: Wir müssen beide Kodierungen (Schrift, Bild) für den Lernprozess einsetzen. 
Simon Columbus (Gast) meinte am 19. Jan, 15:24:
nur zuhören find ich auch schwierig. ich fange dann immer an, noch eine zweite medienquelle gleichzeitig anzapfen zu wollen und am ende hab' ich von beidem nix mehr im kopf. (aber dafür gibt's ja all diese unnötigen tätigkeiten, die bewegung erfordern. ich höre podcasts immer beim einkaufen.).

es wäre schon interessant zu wissen, ob der medienwandel mehr visuell und weniger auditiv begabte menschen hervorbringt. deine beobachtung würde das ja unterstützen. 
teacher antwortete am 20. Jan, 18:26:
Ich glaube das schon, ich kenne aber keine Audiotypen, bin mir gar nicht so sicher, ob diese Typen in der Realität überhaupt zu unterscheiden sind. 
walküre meinte am 20. Jan, 18:43:
Hm. Ich für meinen Teil (Baujahr 1963) habe mich immer schon beim Zuhören allein extrem fadisiert; in der Schule wurde vorgetragen, man musste mitschreiben oder einen Text und Bilder in einem Buch verfolgen, das ging dann schon. Wenn ich in einem Vortrag sitze, muss ich für mich selber zumindest mitschreiben, sonst tauche ich aus Fadesse gedanklich ab. Zuhören ohne Nebenbeschäftigung geht nur in einem Konzertsaal, bei einem Vortrag einer starken, fesselnden Persönlichkeit oder auch bei einer Lesung eines intensiven Textes - wenn ich so auf die Schnelle überlege. Bücher sowie Bilder ohne Text verstehe ich problemlos mit schneller Auffassungsgabe, ein Hörbuch oder Hörspiel mag ich aber überhaupt nicht, dabei entstehen bei mir nur selten Bilder im Kopf. 
teacher antwortete am 21. Jan, 19:56:
Für Schule oder Studium sind das nicht die besten Voraussetzungen. 
walküre antwortete am 22. Jan, 10:29:
Ich hatte aber weder dort noch da Probleme, sondern war eine gute Schülerin - Zuhören alleine war ja weder in der Schule noch auf der Uni gefragt. 
DerBen (Gast) meinte am 21. Jan, 09:37:
Auch leicht OT:

Als ich noch zur Schule ging (vor ca.10 Jahren) hab ich nebenbei (= Während der Alleinunterhalter vorn wieder mal einen Monolog hielt...) gezeichnet. Warum? Nicht weil ich kein Lust gehabt hätte zuzuhören, sondern weil ich mich dabei wesentlich besser auf das Gesagte konzentrieren und mir dann meist auch mehr merken konnte. Wurde natürlich grundsätzlich als Unaufmerksamkeit gedeutet und gern auch vermerkt. Den Rest der Stunde hab ich dann meist vor Frust gar nicht mehr mitbekommen. Falls ich allerdings auch mal erst gefragt wurde, worum es geht, konnte ich immer antworten... weiterzeichnen durfte ich trotzdem nicht.

Ich weißt nicht ob dieses das ein Phänomen der heutigen Generation ist... ich bin und war eigentlich immer jemand, der sehr viel liest und erst verhältnismäßig spät Computer und Fernseher kennengelernt habe, trotzdem kann ich mehr aufnehmen, wenn neben dem Gehörsinn noch ein zweiter angesprochen wird, auch wenn dies nicht unbedingt inhaltlich mit dem Gehörten übereinstimmen muss.
Also ähnlich wie bei Simon oder der walküre. 
timanfaya antwortete am 21. Jan, 11:41:
ich denke, sowas ist "normal". ich finde zuhören bzw. unterhalten und dabei gleichzeitig zu zeichnen auch als sehr anregend. das entspricht auch den täglich mindestens 1 millarde zetteln, die bei telfongesprächen vollgekritzelt werde. 
teacher antwortete am 21. Jan, 19:58:
Ich kritzel ja selber! Motorischer Typ. 
manon (Gast) meinte am 21. Jan, 21:50:
3 jährige verstehen auch fremdsprachige filme
Ich bin immer wieder fasziniert davon, was mein dreijähriges Aupairkind (isländisch) kann, wenn ich ihm Filme auf deutsch zeige. Kinderfilme, versteht sich. Danach stell ich ihm immer Fragen, er versteht alles, obwohl er absolut kein Wort deutsch spricht oder versteht.
Warum? Weil die Bilder eindeutig sind, weil er die Stimmungen aus den Stimmen heraushören kann. Emotionen und so. Dafür braucht man die Sprache nicht.

Oder ist das etwa was anderes?
Funktioniert übrigens auch bei der einjährigen, wenn ich plötzlich mit ihr nicht mehr isländisch, sondern irgendeine andere Sprache spreche, macht sie trotzdem was ich will. 
checkofred (Gast) antwortete am 23. Jan, 21:13:
was ich beobachte...
... ist folgendes:

Die FLÜCHTIGKEIT der Bilder behindert keineswegs das Lernen, es verändert die Lernprozesse.
Dies hat viel mit der Ranschburgschen Hemmung zu tun (ähnliche Reize bedeuten ähnliches Merken). Jeder Bildreiz ist gleichbedeutend. Eine besonders wichtige und zentrale Info ist daher genauso stimulierend wie belangloses Hosting-Blabla.
Schüler merken sich daher nicht mehr die wichtigen Details, sondern irgendwas. Die FLÜCHTIGKEIT führt somit zu einer BELANGLOSIGKEIT.

Die Fertigkeit der Selektion geht verloren, dafür wird die Fertigkeit der Rezeption verbessert. Dazu gehört auch die von dir beschriebene Sinnentnahme fremdsprachlicher Filme. 
teacher antwortete am 23. Jan, 21:54:
@manon: Ich denke, dass Kleinkinder die nonverbale Info (Körpersprache, Mimik, Stimme etc.), die ja bis zu 90% einer Mitteilung ausmacht, perfekt interpretieren.

@checkofred: Die Argumentationskette kann ich nicht ganz nachzuvollziehen, den Schlüssen aber zustimmen. 
manon (Gast) antwortete am 26. Jan, 17:47:
@teacher:
Warum können denn Kleinkinder nonverbale Info perfekt interpretieren und verlernen es dann, wenn sie in die Schule kommen? Ich könnte mir vorstellen, dass auch Schul"kinder" das noch können.
Vielleicht nicht so gut wie die Kleinen, aber doch schon gut genug! 
teacher antwortete am 26. Jan, 18:56:
Klar können das Schulkinder auch, aber wer auf die Worte hört, der hat einen Teil seiner Konzentration bereits wo anders. 
 

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