Sam kommt aus der ostafrikanischen Oberschicht und hat als Vater eine klare Meinung zur Erziehung: "The buttock is the correction point."
Er hat - wie alle Mitglieder seiner Großfamilie und seiner Nachbarschaft - die Pflicht, die Kinder zu korrigieren. Das bedeutet für ihn, dass auch die Lehrer die Pflicht (nicht bloß das Recht) haben, Kinder zu schlagen, wenn sie falsche Dinge tun. Es geht um die ganze Gesellschaft, jeder hat sich als Teil der Gemeinschaft an deren Regeln zu halten: "The buttock belongs to the government."
Meinen Einwänden, dass unsere Lehrer - ebenso wie die Eltern - keinesfalls das Recht haben, andere zu schlagen, schon gar nicht wehrlose Kinder, entgegnet er mit einem müden Lächeln: "Yes, I know - you make hooligans!" Er kennt die Geschichten von betrunkenen, stänkernden, randalierenden, prügelnden Jugendlichen aus den europäischen Medien.
Die Summe der Gewalt ist konstant. Wenn die Erwachsenen ihre Macht aus der Hand geben, dann übernehmen die Kinder sie. Das ist unverantwortlich, das führt zu Chaos und Gewalt, meint er.
Wie erkläre ich mir den Erfolg der "Mutter des Erfolgs"? Die Yale-Professorin Amy Chua hat ihre chinesischen Erziehungsvorstellungen in eine fremde, westliche Welt getragen und dort eine Welle des Schocks ausgelöst. Der hochgelobte Drill zum Gehorsam gehört in asiatischen Kulturen zum pädagogischen Alltag, im Westen kann man damit Erfolg, aber keine Anerkennung gewinnen.
Mein persönlicher Schluss aus Sam und Amys Erziehungscredo ist deprimierend: Gibt es keine pädagogischen Grundgesetze?
Offensichtlich nicht.
Pädagogik gleicht einem Religionsgebäude, das Tabus und Gebote erzeugt, aber unfähig ist, Handlungsregeln aufzustellen, die über alle Kulturen und Zeiten Gültigkeit besitzen.
Pädagogik ist Religion, keine Wissenschaft.
Wir tun, was wir glauben, nicht, was wir wissen. Und alle glauben zu wissen.
Aber nur wir haben Recht, schließlich sind wir die fortschrittlichen Europäer.
Er hat - wie alle Mitglieder seiner Großfamilie und seiner Nachbarschaft - die Pflicht, die Kinder zu korrigieren. Das bedeutet für ihn, dass auch die Lehrer die Pflicht (nicht bloß das Recht) haben, Kinder zu schlagen, wenn sie falsche Dinge tun. Es geht um die ganze Gesellschaft, jeder hat sich als Teil der Gemeinschaft an deren Regeln zu halten: "The buttock belongs to the government."
Meinen Einwänden, dass unsere Lehrer - ebenso wie die Eltern - keinesfalls das Recht haben, andere zu schlagen, schon gar nicht wehrlose Kinder, entgegnet er mit einem müden Lächeln: "Yes, I know - you make hooligans!" Er kennt die Geschichten von betrunkenen, stänkernden, randalierenden, prügelnden Jugendlichen aus den europäischen Medien.
Die Summe der Gewalt ist konstant. Wenn die Erwachsenen ihre Macht aus der Hand geben, dann übernehmen die Kinder sie. Das ist unverantwortlich, das führt zu Chaos und Gewalt, meint er.
Wie erkläre ich mir den Erfolg der "Mutter des Erfolgs"? Die Yale-Professorin Amy Chua hat ihre chinesischen Erziehungsvorstellungen in eine fremde, westliche Welt getragen und dort eine Welle des Schocks ausgelöst. Der hochgelobte Drill zum Gehorsam gehört in asiatischen Kulturen zum pädagogischen Alltag, im Westen kann man damit Erfolg, aber keine Anerkennung gewinnen.
Mein persönlicher Schluss aus Sam und Amys Erziehungscredo ist deprimierend: Gibt es keine pädagogischen Grundgesetze?
Offensichtlich nicht.
Pädagogik gleicht einem Religionsgebäude, das Tabus und Gebote erzeugt, aber unfähig ist, Handlungsregeln aufzustellen, die über alle Kulturen und Zeiten Gültigkeit besitzen.
Pädagogik ist Religion, keine Wissenschaft.
Wir tun, was wir glauben, nicht, was wir wissen. Und alle glauben zu wissen.
Aber nur wir haben Recht, schließlich sind wir die fortschrittlichen Europäer.
teacher - am Donnerstag, 17. Februar 2011, 08:06
derbaron meinte am 17. Feb, 11:29:
Naja, recht hat jeder aus seiner persönlichen Sicht, sonst käme er wohl in einen Konflikt mit sich selbst. Ich kann ja auch schwer eine Meinung vertreten ohne mich selbst im Recht zu fühlen, oder? Und das kann man natürlich auf seine Kultur, Abstammung, Nation, wasimmer ausdehnen.Ich glaube übrigens nicht, dass eine gewaltfreie Erziehung zu Gewalt bei den Jungen führt, sonst wären meine Freunde und ich allesamt Gewalttäter geworden. Und ich glaube auch nicht, dass Gewalt in der Erziehung friedvolle Menschen hervorbringt. Ich kann mir kaum vorstellen, dass es in Ostafrika unter Jugendlichen keine Gewalt gibt. Vielleicht wird sie durch Gewalt von oben mehr unterdrückt - aber wäre das besser?
Klar scheint mir, dass die Erziehung viel damit zu tun hat, ob Kinder zu Hooligans werden oder zu "wohlerzogenen" Menschen. Das Problem sehe ich bei uns aber nicht in der Gewaltfreiheit sondern in der Sorglosigkeit vieler Eltern, die sich einfach nicht um ihre Kinder kümmern. Btw: Ich kenne persönlich 2 Familien, in denen die Kinder geschlagen wurden und wo die Kinder selbst auch gewalttätig geworden sind.
konfusius (Gast) meinte am 17. Feb, 11:39:
Das ewige Rad
"Unsere Jugend ist heruntergekommen und zuchtlos. Die jungen Leute hören nicht mehr auf ihre Eltern. Das Ende der Welt ist nahe." (Keilschrifttext aus Ur, Chaldäa, um 2000 vor Christus)"...die Schüler achten Lehrer und Erzieher gering. Überhaupt, die Jüngeren stellen sich den Älteren gleich und treten gegen sie auf, in Wort und Tat." (aus "Der Staat", Platon, 427 - 347 v.Chr.)
"Ich habe überhaupt keine Hoffnung mehr in die Zukunft unseres Landes, wenn einmal unsere Jugend die Männer von morgen stellt. Unsere Jugend ist unerträglich, unverantwortlich und entsetzlich anzusehen." (Aristoteles, Philosoph, 384-322 v. Chr.)
"...daß man die Flammen der jugendlichen Leidenschaft nur mit Hilfe der klösterlichen Aufsicht und einer strengen Disziplin besiegen könne." (Gregor von Tours, 580)
"... wenn der Knabe ... ins Jünglingsalter tritt, so hat er auch dann, weil sich dieses Alter ebenso leicht dem Bösen zuneigt, den Zügel der Zucht nötig..." (Vincent von Beauvais, um 1250)
"Die Welt macht schlimme Zeiten durch. Die jungen Leute von heute denken an nichts anderes als an sich selbst. Sie haben keine Ehrfurcht vor ihren Eltern oder dem Alter. Sie sind ungeduldig und unbeherrscht. Sie reden so, als wüßten sie alles, und was wir für weise halten, empfinden sie als Torheit. Und was die Mädchen betrifft, sie sind unbescheiden und unweiblich in ihrer Ausdrucksweise, ihrem Benehmen und ihrer Kleidung." (Mönch Peter, 1274)
'... die immer lauter werdenden Klagen über die zunehmende Rohheit und Verwilderung unserer Jugend, besonders der erwachsenen Dorfjugend' (Allgemeine Schulzeitung, Darmstadt 1826, Abtlg. I, S. 201 - 107 [sic!] und S. 209 - 213)
"Es ist die Wahrnehmung gemacht worden, daß bei der Schuljugend die früher kundgegebene Anständigkeit und das sittliche Benehmen ... mehr und mehr verschwinde." (Regierungsbericht, 1852)
Die Klagen der Älteren über den Niedergang der Jugend sind so alt wie die Menschheit. Und jetzt rekapitulieren wir mal im Geiste die letzten 4000 Jahre der Menschheitsgeschichte: Ist die Welt untergegangen? Sind die gesellschaftlichen Strukturen der kompletten Anomie gewichen? Herrscht seit Jahrhunderten das Faustrecht?
Nur zwei Mal haben mehrere "moderne", "fortschrittliche" und "zivile" Gesellschaften im 20. Jahrhundert die Welt an den Rand eines wirklichen Abgrundes gebracht. Und deren [massen]psychologische Grundlagen basierten nicht auf der Abwesenheit von Disziplin, Zwang, Drill und körperlicher Gewalt gegen Kinder, oder?
Die (besonders ohne nachvollziehbare Begründung ausgeübte) Macht des Einen ist die Ohnmacht des Anderen. Aus Ohnmacht erwächst nichts Gutes. Niemals.
Alles was uns Menschen auf dieser Erde bleibt, ist der Rest unser Lebenszeit. Und diese Zeit sollten wir nicht mit ungenügender Lebensqualität verschwenden. Jeder Erziehende und jeder Pädagoge hat die Aufgabe, dies für seine Schützlinge (ja, das kommt von Schutz und ist auch genau so gemeint) und für sich selbst zu meistern. Das Erdulden von Apologeten der Züchtigung und des Drills mit ihrer brachialen Brechstangenlogik gehört definitiv nicht dazu. Es wird möglicherweise interessant, wenn sich diejenigen, die Sam und Amy Chua erdulden mussten, irgendwann als Erwachsene selbst dazu äußern.
Falls jemand jetzt denkt "Ach so, wieder so ein Spät-68'er Laissez-faire-Elternteil" - weit gefehlt. In meinem Umfeld gelte ich als streng - dabei bin ich meist nur konsequent. Ich verachte die Methoden von Sam und Amy Chua trotzdem zutiefst und kann über ihre Begründungen nur lachen. Ich werde meine Kinder nicht drillen und nicht schlagen. Denn dann hätte ich als Mensch versagt.
"Achte die Jugend, du weißt nicht, wie sie sich entwickeln wird." (Konfuzius 551 - 479 v. Chr., latinisierter Name für Kongfuzi, K'ung-fu-tzu, "Meister Kong", eigentlich Kong Qiu, K'ung Ch'iu, chinesischer Philosoph)
[Alle Zitate aus: http://www.little-idiot.de/teambuilding/JugendvonHeute.pdf]
Mao-B (Gast) antwortete am 17. Feb, 13:35:
Genau!
Achte die Jugend. Sie wird dir einmal den Arsch abwischen...
timanfaya antwortete am 17. Feb, 16:08:
ich unterstütze den antrag. ich würde von meinem umfeld wohl auch eher als hardliner eingestuft. das liegt aber an meinem beruf, ich kann mir kein zaudern erlauben. und mit meiner privaten einstellung hat das nun mal garnix zu tun.was die chuas da veranstalten habe ich selber schon - in völlig abgeschwächter, westlich verweichlichter form - oft genug bei mitmenschen beobachten dürfen. daraus werden persönlichkeiten, die ihr selbstbild allein über leistung und anerkennung aufbauen. wenn so jemand krank wird, gefeuert wird oder schlichtweg die karriere nicht so zündet wie gedacht, ist das abo beim psycho onkel 'ne gemachte sache. solche menschen sind nie wirklich mit sich im reinen. die japanische gesellschaft war in den 80ern übrigens in ihren grundzügen so aufgebaut und wurde uns gerne mal als das erstrebenswerte wirtschaftliche non plus ultra verkauft, untergang des abendlandes inklusive. was da inzwischen ökonomisch draus geworden ist?! wie sich die jugend von damals entwickelt hat und zu welchen gesellschaftlichen schwierigkeiten das führte?! die geschichte hat immer recht ...
fedor (Gast) antwortete am 18. Feb, 08:30:
Wurden diese statements nicht zu einer Zeit geschrieben,in der die Hochblüte der Kultur bereits der Dekadenz zu weichen begann?Wie bei uns!
derbaron antwortete am 18. Feb, 10:29:
Fedor: Das ist eine Urban Lagend. In Wahrheit gehen Hochblüte und Dekadenz (was immer Sie darunter verstehen) immer Hand in Hand und treten zugleich auf. Ob die "Jugend schlecht" ist oder nicht, hat damit sehr wenig zu tunMit derart simplifizierten "Zusammenhängen" kann man am Stammtisch reüssieren, in einer Sachdiskussion sollten wir uns solche Platitüden aber eher sparen, denke ich.
BIA (Gast) antwortete am 18. Feb, 12:35:
Ich glaube, auch ein Bürger aus dem Goldenen Zeitalter Athens - für uns Nachgeborene deren HOchblüte - hätte auf die Frage, ob er seine Kultur für Hochblüte oder dekadent hält, geantwortet: "Naja, die Akropolis ist ja ganz toll...aber der Dreck auf den Straßen! Und die Olivenölpreise haben auch schon wieder angezogen!"Zu beurteilen, was dekadent oder "Hochblüte" ist, halte ich für sehr gewagt und sehr im Stil des moralisierenden "Ich-weiß-alles-und-kann-alles-besser-"-Historikers des 19. Jh.
fedor (Gast) antwortete am 18. Feb, 13:04:
Wenn Sie meinen,daß das ein Gerede am Stammtisch wäre,muß ich das zwar hinnehmen,stimme aber nicht bei.Gerade am Stammtisch herrscht doch die Meinung:eh alles super,wir haben genug zum Fressen und Saufen(entschuldige die Wortwahl) und im Übrigen ist eh alles halb so schlimm.Auch wenn ich das Buch SEICHTGEBIETE aus gewissen Gründen ablehne,es sind manche unangenehme Wahrheiten drinnen.
timanfaya meinte am 17. Feb, 15:44:
als vater eines 16 monate alten sohnes setze ich mich gerade sehr mit diesen themen auseinander. um nicht einen roman zu schreiben versuche ich es mal in schlagwortartigen stichpunkten. 1) unsere jugend ist zu nichts mehr nutze. falsch. und ich kann's auch wirklich nicht mehr hören. in meinem bekanntenkreis der zu 50% noch aus alten schulfreunden besteht reden wir unter der hand immer über die älteren kinder (max. 18 jahre alt). unter der hand, weil es uns allen fast peinlich ist, wie lieb und sozial angepaßt die alle sind. schlimm. wir hingegen haben während der abizeit in richtung drogen, alkohol, sex und leistungsverweigerung echte exzesse gefeiert. wie das mit "unseren" kindern passieren konnte ist uns ein rätsel, wir haben unsere eltern damals definitiv in den wahnsinn getrieben.
2) das hooligans argument ist so ziemlich das beschissenste, was ich je zu dem thema gehört habe. ich erkenne durch beobachtung an einem jungen kind sofort, wie es erzogen wird. kinder machen nun mal alles nach. ein kumpel von unserem kleinen belehrt ihn immer mit erhobenen zeigefinger. der grund: der bekommt zu hause immer ziemlich viel mecker, und das nach meiner sicht auch zu harsch. mit dem schlagen verhält es sich ähnlich. und ich befürchte, von 100 sexualstraftätern haben im schnitt etwa 99% keine gewaltfreie jugend erlebt.
3) wo die gemüter hochkochen, steht selten ein festmahl an. ich würde sagen: das gesamtthema ist inzwischen medial angebrannt. ich bin sowohl anhänger einem teil der meinungen von michael winterhoff (der als medialer hardliner diesen ami drill seargent übrigens zutiefst ablehnt) als auch vom gesamtansatz von jesper juul. auf dem bildschirm paßt das nie zusammen, aber wenn man das mal im kopf verbindet funktioniert das. kinder brauchen regeln, aber keine prügel und keinen drill. unser sohn hört für sein alter erstaunlich gut und ist mit einem äußerst erstaunlich positiven selbstbewußtsein ausgestattet (was schon mal dazu führt, dass er seine eltern schlichtweg "vergißt"). das liegt nach meiner festen überzeugung allein daran, weil er uns als beziehungspartner achtet und nicht als machtausübenden vorturner, dem man irgendwann paroli bieten muss (macht erzeugt ohnmacht). jesper juul spricht in diesem zusammenhang vom kooperativen kind. ich kann seine these aus der eigenen erfahrung bestätigen. früher dachte ich immer, solche kinder wären glücksfälle, also mehr oder weniger dem zufall überlassen. wie blöd man doch manchmal sein kann, wenn die eigene erfahrung fehlt. beide autoren analysieren überwiegend "nur" die fehler und sind daher keine ratgeber (kochbuch: kind). ich empfehle die rezensionen zu den büchern, ersteres ist rein wissenschaftlich zugebenermaßen streitbar, aber ich lese das buch nun mal nicht als wissenschaftler ...
4) zur person: wenn ich eine bekannte figur nennen müßte der ich ähnlich bin so würde ich sagen "mr. spock". meine einstellung hat also nix mit jute, müsli und gutmenschentum zu tun. trotzdem darf unser kind durch gewachsene überzeugung - also ungeplant - nach wie vor in unserem bett schlafen. allein mit der aussage kann man heute schon die massen in zwei lager bewegen. dabei ist es für mich das einfachste von der welt: wo haben kleine kinder wohl im mittelalter geschlafen, damit sie im winter ohne zentralheizung nicht erfrieren?
ich habe fertig. doch 'n roman ...
deprifrei-leben meinte am 17. Feb, 17:34:
Ich will nicht wissen wieviele Kinder mehr durch solche Erziehungsmethoden wie Amy Chua psychische Wracks werden und sich irgendwann umbringen, wenn sie die Erwartungen nicht erfüllen. Gerade auch unter Japanern ist die Selbstmordrate die höchste der Welt. Wie auch in China gibt es den Drill nach Erfolg, den die chinesischstämmige Chua predigt. Wenn man "Selbstmordrate China" bei Google eingibt, dann kann man auch entsprechende Artikel über die hohe Selbstmordrate in dieser ach so harmonischen Gesellschaft lesen. Die breit grinsenden Asiaten sind bereit ihre Kinder für den Erfolg zu opfern. Sicher werden ein paar von diesem Drill profitieren, aber viele auch nicht.
Ich bin für eine gesunde Mitte in der Erziehung. Nicht zu nachlässig, aber auch nicht zu streng.
Ratzeputz (Gast) meinte am 17. Feb, 19:20:
Amy Chua und ihr vermeintlicher Erfolg
Wir wollen doch mal festhalten, dass Frau Chua in ihrem Buch letztlich nur eines dokumentiert hat: Ihr Versagen als Mutter. Eine ihrer zwei Töchter hat ihr vor aller Leute Augen für die jahrelange Erziehungsfolter gehörig den Arsch versohlt (verbal), was das Ergebnis eines westlichen Kulturumfeldes und vor allem das genaue Gegenteil asiatischer Familienideologie sein dürfte.
Unter diesem Gesichtspunkt möchte ich anzweifeln, dass ihr asiatischer Drill irgendeinen nennenswerten Nutzen über dem, was ein bürgerliches, bildungsnahes Umfeld bringt, gehabt haben soll (von den Genen einer zweifelsohne intelligenten Familie ganz zu schweigen).
teacher antwortete am 17. Feb, 19:28:
Mein Thema ist ein anderes: Gibt es keine wissenschaftlich begründbaren Erziehunngsregeln obwohl es Erziehungswissenschaften gibt?
ST (Gast) antwortete am 17. Feb, 20:28:
Die Pädagogik als wissenschaftliche Disziplin gibt es in Deutschland erst seit den 1960ern (lt. wikipedia).Anscheinend war dei "Erziehung" der Kinder vorher immer nebenher passiert, wahrscheinlich oft begleitet von Sachzwängen wie Hunger, räumliche Enge, frühe Arbeit im Haushalt oder für Geld. Ich gewinne beim Überfliegen der Artikel in wikipedia den Eindruck, dass man sich Pädagogik leisten können muss - bei Wegfall von Sachzwängen bleibt die große Frage: Was fange ich mit dem Kind an?
Ist es so?
Wissenschaftliche haltbare Erziehungsmethoden. Wissenschaft lebt von Empirie. Empirie ist aber nicht möglich, wenn die "Objekte" (Kinder) immer wieder anders sind. Ganz zu schweigen von den "Forschern" (Eltern).
Vielleicht ist Pädagogik mehr eine Art statistische Wissenschaft? Wenn Handlung A ausgeführt wird, hat das wahrscheinliche diese oder jene Auswirkung.
Disclaimer: Ich bin Experte. Schließlich wurde ich erzogen. ;) Darüber hinaus habe ich von Pädagogik keine Ahnung. Was sagen die Studierten?
nehalennia (Gast) antwortete am 18. Feb, 00:44:
bin keine Studierte
... für mich geht die Erziehungswissenschaft Hand in Hand mit der Psychologie. Hier weiß man (zig Studien, wissenschaftliche Arbeiten), dass in den ersten 7 Jahren die Persönlichkeit und die späteren unbewußten Verhaltensweisen eines Kindes durch ihre Umwelt maßgeblich geprägt werden.Kinder lernen in diesem Alter durch Erfahrung (nicht kognitiv) - á la ich muß mich anpassen/unsichtbar machen, wenn ich nicht geschlagen werden möchte. Aber auch: wer schlägt, hat die Macht.
Dann kann man fast schon zwei und zwei zusammen zählen.
Das Gegenteil von Gewalt in der Erziehung ist Laissez-faire. Pest oder Cholera? Kinder wie auch Erwachsene brauchen Regeln im Umgang miteinander und entsprechende Konsequenz.
Aber das sind nur meine 2cents...
Budenzauberin antwortete am 18. Feb, 12:46:
Zitat Teacher:"Gibt es keine wissenschaftlich begründbaren Erziehunngsregeln obwohl es Erziehungswissenschaften gibt? "Doch, gibt es: Liebe, Geduld und Konsequenz (mit den ausnahmeüblichen Regeln und so.).
Und ja, es ist so einfach.
blogistin (Gast) antwortete am 18. Feb, 14:32:
"Gibt es keine wissenschaftlich begründbaren Erziehungsregeln obwohl es Erziehungswissenschaften gibt? " und "Gibt es keine pädagogischen Grundgesetzte?"Ja und nein.
Ja: Wissenschaftlich begründbares gibt es, und zwar von Remo H. Largo, der die bedeutendste Langzeitstudie über kindliche Entwicklung im deutschsprachigen Raum durchführte. Sein Buch Babyjahre ist meiner Ansicht nach Pflichtlektüre für jedes Paar mit Kinderwunsch sein. Denn alles beginnt sehr sehr früh (nämlich im Mutterleib).
Nein: Largo schreibt über die Entwicklung aus biologischer Sicht und damit die Vielfalt kindlichen Verhaltens. Wer das begriffen hat, der versteht, dass es keine ideale Entwicklung gibt und keine starre Erziehungsprinzipien.
Das eigene Kind so sehen wie es ist, das ist die hohe Kunst des Elternseins.
BIA (Gast) antwortete am 19. Feb, 13:13:
@Budenzauberin
Das ist NUR dann einfach, solange man aus heiterer Distanz auf die wunderbare Welt der Kindererziehung blickt. Mittendrin ist es mitunter verdammt schwer, Liebe, Geduld und Konsequenz aufzubringen - für alle "Miterzieher", aber besonders für die Eltern.
stichi antwortete am 19. Feb, 16:06:
Das ist ein wahres Wort!!
teacher antwortete am 19. Feb, 19:08:
Ich vermisse konkrete Regeln, die über Zeit, Raum und Kultur erhaben sind. Z.B.: Soll ich ein schlagendes Kind strafen? Wie soll ich es strafen?
blogistin (Gast) antwortete am 19. Feb, 22:16:
@ teacher: Wenn Sie solche Regeln vermissen, dann definieren Sie sie für sich und Ihr Umfeld. Denn niemand kennt das besser als Sie selbst.Über Zeit, Raum und Kultur erhabenes aufstellen zu wollen, käme dem Wunsch nach der Weltformel gleich.
Und wenn Sie die Frage: "Soll ich ein schlagendes Kind strafen? Wie soll ich es strafen?" wirklich ernst meinen, dann empfehle ich Ihnen Jesper Juul, einen guten Einblick in seine Literatur gibt dieser Artikel.
teacher antwortete am 21. Feb, 10:29:
Jull gefällt mir, aber er hilft mir nicht. Er sagt, dass es keine allgemein gültigen Regel in der Erziehung gibt. Aber was sollen dann die Junglehrer an der Uni lernen? Woran sollen sie sich orientieren.Juul geht nocht weiter: 50%-Regel!
Was mir gar nicht gefällt: Er hält Kinder für kleine Erwachsene, die selbst entscheiden können. Das sind sie nicht, sie können viele Dinge nicht einschätzen und einordnen - sie brauchen Anleitung. Das sehen auch unserer Gesetze so vor (z.B. Strafunmündigkeit).
Natürlich definiere ich meine Regeln in den Klassen. Aber wir sind 100 Lehrer und jeder hat andere Vorstellungen - wir ziehen nicht an einem Strang. Und schon gar nicht am gleichen Ende wie die ebenfalls höchst unterschiedlichen Eltern. Wir ziehen bloß hin und her - wir erziehen nicht.
xconroy antwortete am 21. Feb, 18:07:
@ "woran sollnse sich orientieren":Pädagogik ist immer kulturabhängig, darum kann es keine in jedem Fall gültige Regelsammlung geben. Da hat der Juul recht, und wenn man sich dann beschwert, daß das nicht hilft, ist das in etwa so sinnvoll, wie sich über die doofe Schwerkraft zu beschweren.
Will man Junglehrern/-erziehern Orientierung oder wenigstens Anhaltspunkte liefern, muß man ihnen ausgewählte Perspektiven vorsetzen. Das werden idR die eigenen sein und/oder diejenigen, die in der vorherrschenden Kultur gerade angesagt sind. Wenn man den Eindruck hat, daß die vorherrschende Kultur reichlich pluralistisch ist, dann bleibt dem Lehrer-Lehrer gar nichts anderes übrig, als a) die eigenen Ansichten rüberzubringen, b) auch die Alternativen aufzuzeigen und c) eigene Meinungsbildung zu ermöglichen. Also das Gleiche, was er auch bei Schülern tun sollte, die keine Lehrerazubis sind.
Eigentlich alles Binsenweisheiten.
Das "Kind", das die Pädagogik zu erziehen versucht, ist immer nur eine Konstruktion, und zwar eine zeitgeistabhängige. Insofern finde ich es sehr, sehr gut, daß Juul *gerade* die potenzielle Selbständigkeit junger Menschen betont. Natürlich brauchen Kinder - genau wie Erwachsene! - Anleitung, um die Bereiche beherrschen zu können, die sie noch_nicht_kennen.
Das ist aber etwas ganz anderes als die Annahme, daß Kinder diese Bereiche per se nicht beherrschen könnten - lediglich das vorherrschende Konstrukt "Kind" kann dies nicht. Man würde staunen, was Kinder alles auf die Reihe bringen, wenn es nötig ist. Dafür muß man nicht mal ein Extembeispiel wie die Situation in dem Film "I Am Sam" ranziehen, aber als Hint sollte das genügen (sollte man meinen... die Reaktionen darauf sind dann nämlich immer "aber dem armen Kind hat man die Kindheit gestohlen bla blubb", wobei "Kindheit" hier synonym mit "verordneter Unfähigkeit" und irgendwie auch "Unschuld" ist - das Kind bewegt sich außerhalb des vom Konstrukt vorgegebenen Rahmens, demnach außerhalb von "Kindheit" und wiederum demnach außerhalb eines an sich und per se - in unserer Kultur - als Wert anerkannten Dingsbumses).
Mich wundert aber gerade die Stoßrichtung deiner Frage. Die zielt nämlich irgendwie ins Nix. Gehts um die Lehrerausbildung? Oder um deine eigene persönliche Herangehensweise? Oder um die Frage nach der Möglichkeit einer "absoluten" kulturunabhängigen Erziehung? (darauf wäre die Antwort "nada", s.o.). Oder darum, im Rahmen einer Institution die Leute dazu zu bringen, sich halbwegs konsistent zueinander zu verhalten? Das alles sind -imho- sehr unterschiedliche Fragestellungen und können entsprechend unterschiedlich beantwortet werden.
(kurze persönliche Vorstellung hinterher: ja, das ist mein erster Post hier. Ja, ich lese schon länger mit. Ja, ich bin vom Fach, wenn auch aus der Freizeitarbeit und nicht aus der Schule).
teacher antwortete am 21. Feb, 19:02:
Dass du vom Fach bist, das merke ich. Und ja, da geht es um viele verschiedene Fragen, die alle auf eine hinauslaufen: Gibt es in unserer pluralistischen Postmoderne allgemein akzeptierte Erziehungsregeln? Die Antwort "Nein" ist erlaubt, aber furchtbar enttäuschend, weil sich die Frage stellt, WIE die Lehrer etwas richtig machen sollen, wenn es kein "richtig" mehr gibt. Früher haben wir Erziehung primär den Eltern überlassen, da waren individuelle Maßnahmen gut möglich, aber heute sind wir ratlos. Und wenn wir Rat suchen, dann bekommen wir tausend unterschiedliche Meinungen. HILFE!!!
xconroy antwortete am 21. Feb, 20:07:
hm... es gibt ja nicht nur die Wahl zwischen "der einen" ultimativen Methode auf der einen und völlig gleichem Relativismus auf der anderen Seite. Da wir uns innerhalb des Rahmens unserer Kultur bewegen, können sich vermutlich 80% der Pädagogen auf etwa 80% eines gegebenen "Pools" von Erziehungsmethoden/-mitteln/-ansätzen einigen (frei nach der 80/20-Regel... warum sollte die nicht auch hier funzen).Vermutlich ist das sogar so - die meisten Kollegen sind sich in den meisten Dingen einig (daß Kinder nicht geschlagen gehören werden wahrscheinlich und hoffentlich alle so sehen, zum Beispiel). Aber über die Dinge, über die eh Einigkeit herrscht, diskutiert man halt nicht so viel - umso mehr dafür über die (relativ gesehen wenigen) Punkte, wo Differenzen herrschen (oder auch nur Mißverständnisse).
Oder anders gesagt: wenn man nach Ausnahmen und Widersprüchen sucht, wird man immer welche finden... und dabei läuft man Gefahr, zu übersehen, daß man sich im Großen und Ganzen und durchaus auf ganz konkrete Situationen bezogen (soll ich strafen oder nicht, und wenn ja wie?) *meistens* einig ist oder sich einigen kann.
Richtig blöd wird es erst, wenn die Beteiligten (aus Gründen sozialer Profilierung, wer weiß...) sich oder jedenfalls ihre berufliche Rolle vor allem durch die Inhalte definieren, die im Widerspruch zu denen der anderen Kollegen stehen. Ich hab selber erlebt, was da für ein Gezerre entstehen kann... und wie andere Kollegen oder auch die Kids dann die Leute gegeneinander ausspielen können. ("Pädagogik ist Krieg" würde Stromberg sagen^^).
Da hilft dann wahrscheinlich nur eine gute Supervision.
(und für die extrem pluralistische "Erziehungsratgeber"-Landschaft gilt ziemlich sicher das Gleiche wie für die Selbsprofilierer: man sucht sich eine Nische/ein Alleinstellungsmerkmal und hofft auf Gefolgschaft. Und weil das alle machen, entsteht ein einigermaßen überwältigendes Mosaik von teilweise nur verschieden benannten und gar nicht wirklich verschiedenen Versatzstücken, durch das kein Mensch mehr durchblickt, wenn er sich nicht abartig viel Zeit dafür nimmt. Gesundes Ignorieren wäre da mein Mittel der Wahl, vor allem wenn man selber auf Kenntnisse und Erfahrungswerte zurückgreifen kann, und daß du das kannst, das liest man ja regelmäßig :-)).
teacher antwortete am 22. Feb, 18:26:
Zuhause gibt es manchmal "Krieg", wenn sich die Eltern nicht einig sind, wie sie mit den Kindern umgehen sollen, z.B. beim Fernsehverbot, beim Ausgehen, beim Taschengeld. In der Schule sitzen 25-30 Kinder mit ca. 10 Lehrern zusammen und alle haben verschiedene Vorstellungen von guter Schule und richtiger Erziehung.Wie soll da ein ordentliches Ergebnis entstehen?
Tut es auch nicht.
Meine Behauptung: Solange wir uns nicht auf konkrete Grundregeln einigen (können), wird es immer Zoff zwischen Lehrern und Eltern geben.
Alle verlangen von Lehrern pädagogisches Wirken, aber keiner wagt zu sagen, wie es konkret aussehen soll. Was ist das für ein Chaos-Unternehmen?
xconroy antwortete am 22. Feb, 19:19:
Kann man sich denn auf den doch sicherlich stattfindenden Lehrerkonferenzen nicht darauf einigen, a) die hauptsächlichen strittigen Punkte herauszuarbeiten, b) für jeden dieser Punkte einen Kompromiß zu finden und c) diesen verpflichtend, dh schriftlich festzulegen? (jetzt nur auf eure konkrete Schule bezogen).Eigentlich müßte doch jeder unter dieser Situation leiden, alle Lehrer müßten also gleichermaßen darüber klagen, daß jeder andere Vorstellungen hat. Was würde also passieren, wenn in der nächsten Konferenz einer aufsteht und genau das (a, b, c) vorschlägt?
(mhm... nach meiner Erfahrung in etwa sowas: "ja, das ist im Ansatz eine gute Idee, wir sollten das auf jeden Fall weiterverfolgen, Diskussionsbedarf besteht da sicher, allerdings gibt es noch einige dringlichere Punkte, bla..." -.- aber vielleicht ist das bei euch ja anders/besser...)
BIA (Gast) meinte am 18. Feb, 07:55:
Ich habe jährlich mit 150 Schülern näher zu tun. Davon ist nur ein minimaler (!) Prozentsatz "problematisch", ganz wenige aggressiv und gewaltbereit. Die Schüler, die in dieser Hinsicht auffallen, haben meist eine problematische Familiengeschichte, oft die Scheidung der Eltern oder so was. Oder Schüler, deren Eltern beruflich sehr eingespannt sind und kaum Zeit für ihre Kinder haben.Der Rest ist schwer in Ordnung und sicherlich nicht das Produkt von asiatischem Drill.
Der springende Punkt ist sicherlich nicht die "Summe der Gewalt" in der Beziehung zwischen Eltern und Kindern, sondern die liebevoll-fordernd-fördernde Zuwendung der Eltern. Hier liegt meine Schule in einem günstigen Gebiet - ein Vorort mit hohem Bildungsgrad und durch die Bank engagierten Eltern, deren Situation ihnen sowohl finanziell als auch von der Zeit her die Möglichkeit gibt, sich mit ihren Kindern auseinanderzusetzen und zu beschäftigen.
Ein anderer springender Punkt ist wohl der, ob Kinder den Eindruck haben, ihre Arbeit sei sinnvoll. Das wird bei schulischer Arbeit sicherlich nicht immer vermittelt.
dupelkiin (Gast) antwortete am 18. Feb, 12:15:
gewalt erzeugt gewalt
Bei den Völkermorden in Ostafrika.Bei hiesigen Türken die daheim mit dem Rohrstock geschlagen werden.
deprifrei-leben antwortete am 18. Feb, 20:19:
Viele türkische Jugendliche oder KInder werden von ihrem Vater verprügelt, was mehr Kinder- und Jugendgewalt zur Folge hat. Auch in Deutschland wurde früher viel mehr geprügelt.
teacher antwortete am 19. Feb, 19:13:
Beides klingt sehr logisch: Gewalt erzeugt Gewalt - Die Summe der Gewalt ist konstant und beides lässt sich irgendwie belegen. Es ist doch komisch, dass beide Einstellungen nebeneinander existieren können. Für mich der Beweis, dass wir nicht wissen, was richtig ist.
teacher antwortete am 22. Feb, 18:39:
@BIA: Das kann ich bestätigen. Bei uns ist die Zahl der "hooligans" auch sehr gering, vll. 1-3%. Sie erfahren aber keine klare Grenzziehung, sie erleben, dass Gewalt Spaß macht und zu ERfolg führt und machen weiter. Wenn wir sie zu pädagogischen Gesprächen einladen, kostet uns das viel Zeit und Arbeit, ihnen höchstens einen Lacher. Dabei terrorisieren sie ungestraft ihre Mitschüler und ihre Mitmenschen. Wir schauen hilflos zu. Traurig.
Ora Klein (Gast) meinte am 19. Feb, 19:09:
"Pädagogik ist Religion"Schöner Vergleich, gute Einsicht...