Ratzeputz (Gast) meinte am 17. Feb, 19:20:
Amy Chua und ihr vermeintlicher Erfolg
Wir wollen doch mal festhalten, dass Frau Chua in ihrem Buch letztlich nur eines dokumentiert hat: Ihr Versagen als Mutter. Eine ihrer zwei Töchter hat ihr vor aller Leute Augen für die jahrelange Erziehungsfolter gehörig den Arsch versohlt (verbal), was das Ergebnis eines westlichen Kulturumfeldes und vor allem das genaue Gegenteil asiatischer Familienideologie sein dürfte.
Unter diesem Gesichtspunkt möchte ich anzweifeln, dass ihr asiatischer Drill irgendeinen nennenswerten Nutzen über dem, was ein bürgerliches, bildungsnahes Umfeld bringt, gehabt haben soll (von den Genen einer zweifelsohne intelligenten Familie ganz zu schweigen).
teacher antwortete am 17. Feb, 19:28:
Mein Thema ist ein anderes: Gibt es keine wissenschaftlich begründbaren Erziehunngsregeln obwohl es Erziehungswissenschaften gibt?
ST (Gast) antwortete am 17. Feb, 20:28:
Die Pädagogik als wissenschaftliche Disziplin gibt es in Deutschland erst seit den 1960ern (lt. wikipedia).Anscheinend war dei "Erziehung" der Kinder vorher immer nebenher passiert, wahrscheinlich oft begleitet von Sachzwängen wie Hunger, räumliche Enge, frühe Arbeit im Haushalt oder für Geld. Ich gewinne beim Überfliegen der Artikel in wikipedia den Eindruck, dass man sich Pädagogik leisten können muss - bei Wegfall von Sachzwängen bleibt die große Frage: Was fange ich mit dem Kind an?
Ist es so?
Wissenschaftliche haltbare Erziehungsmethoden. Wissenschaft lebt von Empirie. Empirie ist aber nicht möglich, wenn die "Objekte" (Kinder) immer wieder anders sind. Ganz zu schweigen von den "Forschern" (Eltern).
Vielleicht ist Pädagogik mehr eine Art statistische Wissenschaft? Wenn Handlung A ausgeführt wird, hat das wahrscheinliche diese oder jene Auswirkung.
Disclaimer: Ich bin Experte. Schließlich wurde ich erzogen. ;) Darüber hinaus habe ich von Pädagogik keine Ahnung. Was sagen die Studierten?
nehalennia (Gast) antwortete am 18. Feb, 00:44:
bin keine Studierte
... für mich geht die Erziehungswissenschaft Hand in Hand mit der Psychologie. Hier weiß man (zig Studien, wissenschaftliche Arbeiten), dass in den ersten 7 Jahren die Persönlichkeit und die späteren unbewußten Verhaltensweisen eines Kindes durch ihre Umwelt maßgeblich geprägt werden.Kinder lernen in diesem Alter durch Erfahrung (nicht kognitiv) - á la ich muß mich anpassen/unsichtbar machen, wenn ich nicht geschlagen werden möchte. Aber auch: wer schlägt, hat die Macht.
Dann kann man fast schon zwei und zwei zusammen zählen.
Das Gegenteil von Gewalt in der Erziehung ist Laissez-faire. Pest oder Cholera? Kinder wie auch Erwachsene brauchen Regeln im Umgang miteinander und entsprechende Konsequenz.
Aber das sind nur meine 2cents...
Budenzauberin antwortete am 18. Feb, 12:46:
Zitat Teacher:"Gibt es keine wissenschaftlich begründbaren Erziehunngsregeln obwohl es Erziehungswissenschaften gibt? "Doch, gibt es: Liebe, Geduld und Konsequenz (mit den ausnahmeüblichen Regeln und so.).
Und ja, es ist so einfach.
blogistin (Gast) antwortete am 18. Feb, 14:32:
"Gibt es keine wissenschaftlich begründbaren Erziehungsregeln obwohl es Erziehungswissenschaften gibt? " und "Gibt es keine pädagogischen Grundgesetzte?"Ja und nein.
Ja: Wissenschaftlich begründbares gibt es, und zwar von Remo H. Largo, der die bedeutendste Langzeitstudie über kindliche Entwicklung im deutschsprachigen Raum durchführte. Sein Buch Babyjahre ist meiner Ansicht nach Pflichtlektüre für jedes Paar mit Kinderwunsch sein. Denn alles beginnt sehr sehr früh (nämlich im Mutterleib).
Nein: Largo schreibt über die Entwicklung aus biologischer Sicht und damit die Vielfalt kindlichen Verhaltens. Wer das begriffen hat, der versteht, dass es keine ideale Entwicklung gibt und keine starre Erziehungsprinzipien.
Das eigene Kind so sehen wie es ist, das ist die hohe Kunst des Elternseins.
BIA (Gast) antwortete am 19. Feb, 13:13:
@Budenzauberin
Das ist NUR dann einfach, solange man aus heiterer Distanz auf die wunderbare Welt der Kindererziehung blickt. Mittendrin ist es mitunter verdammt schwer, Liebe, Geduld und Konsequenz aufzubringen - für alle "Miterzieher", aber besonders für die Eltern.
stichi antwortete am 19. Feb, 16:06:
Das ist ein wahres Wort!!
teacher antwortete am 19. Feb, 19:08:
Ich vermisse konkrete Regeln, die über Zeit, Raum und Kultur erhaben sind. Z.B.: Soll ich ein schlagendes Kind strafen? Wie soll ich es strafen?
blogistin (Gast) antwortete am 19. Feb, 22:16:
@ teacher: Wenn Sie solche Regeln vermissen, dann definieren Sie sie für sich und Ihr Umfeld. Denn niemand kennt das besser als Sie selbst.Über Zeit, Raum und Kultur erhabenes aufstellen zu wollen, käme dem Wunsch nach der Weltformel gleich.
Und wenn Sie die Frage: "Soll ich ein schlagendes Kind strafen? Wie soll ich es strafen?" wirklich ernst meinen, dann empfehle ich Ihnen Jesper Juul, einen guten Einblick in seine Literatur gibt dieser Artikel.
teacher antwortete am 21. Feb, 10:29:
Jull gefällt mir, aber er hilft mir nicht. Er sagt, dass es keine allgemein gültigen Regel in der Erziehung gibt. Aber was sollen dann die Junglehrer an der Uni lernen? Woran sollen sie sich orientieren.Juul geht nocht weiter: 50%-Regel!
Was mir gar nicht gefällt: Er hält Kinder für kleine Erwachsene, die selbst entscheiden können. Das sind sie nicht, sie können viele Dinge nicht einschätzen und einordnen - sie brauchen Anleitung. Das sehen auch unserer Gesetze so vor (z.B. Strafunmündigkeit).
Natürlich definiere ich meine Regeln in den Klassen. Aber wir sind 100 Lehrer und jeder hat andere Vorstellungen - wir ziehen nicht an einem Strang. Und schon gar nicht am gleichen Ende wie die ebenfalls höchst unterschiedlichen Eltern. Wir ziehen bloß hin und her - wir erziehen nicht.
xconroy antwortete am 21. Feb, 18:07:
@ "woran sollnse sich orientieren":Pädagogik ist immer kulturabhängig, darum kann es keine in jedem Fall gültige Regelsammlung geben. Da hat der Juul recht, und wenn man sich dann beschwert, daß das nicht hilft, ist das in etwa so sinnvoll, wie sich über die doofe Schwerkraft zu beschweren.
Will man Junglehrern/-erziehern Orientierung oder wenigstens Anhaltspunkte liefern, muß man ihnen ausgewählte Perspektiven vorsetzen. Das werden idR die eigenen sein und/oder diejenigen, die in der vorherrschenden Kultur gerade angesagt sind. Wenn man den Eindruck hat, daß die vorherrschende Kultur reichlich pluralistisch ist, dann bleibt dem Lehrer-Lehrer gar nichts anderes übrig, als a) die eigenen Ansichten rüberzubringen, b) auch die Alternativen aufzuzeigen und c) eigene Meinungsbildung zu ermöglichen. Also das Gleiche, was er auch bei Schülern tun sollte, die keine Lehrerazubis sind.
Eigentlich alles Binsenweisheiten.
Das "Kind", das die Pädagogik zu erziehen versucht, ist immer nur eine Konstruktion, und zwar eine zeitgeistabhängige. Insofern finde ich es sehr, sehr gut, daß Juul *gerade* die potenzielle Selbständigkeit junger Menschen betont. Natürlich brauchen Kinder - genau wie Erwachsene! - Anleitung, um die Bereiche beherrschen zu können, die sie noch_nicht_kennen.
Das ist aber etwas ganz anderes als die Annahme, daß Kinder diese Bereiche per se nicht beherrschen könnten - lediglich das vorherrschende Konstrukt "Kind" kann dies nicht. Man würde staunen, was Kinder alles auf die Reihe bringen, wenn es nötig ist. Dafür muß man nicht mal ein Extembeispiel wie die Situation in dem Film "I Am Sam" ranziehen, aber als Hint sollte das genügen (sollte man meinen... die Reaktionen darauf sind dann nämlich immer "aber dem armen Kind hat man die Kindheit gestohlen bla blubb", wobei "Kindheit" hier synonym mit "verordneter Unfähigkeit" und irgendwie auch "Unschuld" ist - das Kind bewegt sich außerhalb des vom Konstrukt vorgegebenen Rahmens, demnach außerhalb von "Kindheit" und wiederum demnach außerhalb eines an sich und per se - in unserer Kultur - als Wert anerkannten Dingsbumses).
Mich wundert aber gerade die Stoßrichtung deiner Frage. Die zielt nämlich irgendwie ins Nix. Gehts um die Lehrerausbildung? Oder um deine eigene persönliche Herangehensweise? Oder um die Frage nach der Möglichkeit einer "absoluten" kulturunabhängigen Erziehung? (darauf wäre die Antwort "nada", s.o.). Oder darum, im Rahmen einer Institution die Leute dazu zu bringen, sich halbwegs konsistent zueinander zu verhalten? Das alles sind -imho- sehr unterschiedliche Fragestellungen und können entsprechend unterschiedlich beantwortet werden.
(kurze persönliche Vorstellung hinterher: ja, das ist mein erster Post hier. Ja, ich lese schon länger mit. Ja, ich bin vom Fach, wenn auch aus der Freizeitarbeit und nicht aus der Schule).
teacher antwortete am 21. Feb, 19:02:
Dass du vom Fach bist, das merke ich. Und ja, da geht es um viele verschiedene Fragen, die alle auf eine hinauslaufen: Gibt es in unserer pluralistischen Postmoderne allgemein akzeptierte Erziehungsregeln? Die Antwort "Nein" ist erlaubt, aber furchtbar enttäuschend, weil sich die Frage stellt, WIE die Lehrer etwas richtig machen sollen, wenn es kein "richtig" mehr gibt. Früher haben wir Erziehung primär den Eltern überlassen, da waren individuelle Maßnahmen gut möglich, aber heute sind wir ratlos. Und wenn wir Rat suchen, dann bekommen wir tausend unterschiedliche Meinungen. HILFE!!!
xconroy antwortete am 21. Feb, 20:07:
hm... es gibt ja nicht nur die Wahl zwischen "der einen" ultimativen Methode auf der einen und völlig gleichem Relativismus auf der anderen Seite. Da wir uns innerhalb des Rahmens unserer Kultur bewegen, können sich vermutlich 80% der Pädagogen auf etwa 80% eines gegebenen "Pools" von Erziehungsmethoden/-mitteln/-ansätzen einigen (frei nach der 80/20-Regel... warum sollte die nicht auch hier funzen).Vermutlich ist das sogar so - die meisten Kollegen sind sich in den meisten Dingen einig (daß Kinder nicht geschlagen gehören werden wahrscheinlich und hoffentlich alle so sehen, zum Beispiel). Aber über die Dinge, über die eh Einigkeit herrscht, diskutiert man halt nicht so viel - umso mehr dafür über die (relativ gesehen wenigen) Punkte, wo Differenzen herrschen (oder auch nur Mißverständnisse).
Oder anders gesagt: wenn man nach Ausnahmen und Widersprüchen sucht, wird man immer welche finden... und dabei läuft man Gefahr, zu übersehen, daß man sich im Großen und Ganzen und durchaus auf ganz konkrete Situationen bezogen (soll ich strafen oder nicht, und wenn ja wie?) *meistens* einig ist oder sich einigen kann.
Richtig blöd wird es erst, wenn die Beteiligten (aus Gründen sozialer Profilierung, wer weiß...) sich oder jedenfalls ihre berufliche Rolle vor allem durch die Inhalte definieren, die im Widerspruch zu denen der anderen Kollegen stehen. Ich hab selber erlebt, was da für ein Gezerre entstehen kann... und wie andere Kollegen oder auch die Kids dann die Leute gegeneinander ausspielen können. ("Pädagogik ist Krieg" würde Stromberg sagen^^).
Da hilft dann wahrscheinlich nur eine gute Supervision.
(und für die extrem pluralistische "Erziehungsratgeber"-Landschaft gilt ziemlich sicher das Gleiche wie für die Selbsprofilierer: man sucht sich eine Nische/ein Alleinstellungsmerkmal und hofft auf Gefolgschaft. Und weil das alle machen, entsteht ein einigermaßen überwältigendes Mosaik von teilweise nur verschieden benannten und gar nicht wirklich verschiedenen Versatzstücken, durch das kein Mensch mehr durchblickt, wenn er sich nicht abartig viel Zeit dafür nimmt. Gesundes Ignorieren wäre da mein Mittel der Wahl, vor allem wenn man selber auf Kenntnisse und Erfahrungswerte zurückgreifen kann, und daß du das kannst, das liest man ja regelmäßig :-)).
teacher antwortete am 22. Feb, 18:26:
Zuhause gibt es manchmal "Krieg", wenn sich die Eltern nicht einig sind, wie sie mit den Kindern umgehen sollen, z.B. beim Fernsehverbot, beim Ausgehen, beim Taschengeld. In der Schule sitzen 25-30 Kinder mit ca. 10 Lehrern zusammen und alle haben verschiedene Vorstellungen von guter Schule und richtiger Erziehung.Wie soll da ein ordentliches Ergebnis entstehen?
Tut es auch nicht.
Meine Behauptung: Solange wir uns nicht auf konkrete Grundregeln einigen (können), wird es immer Zoff zwischen Lehrern und Eltern geben.
Alle verlangen von Lehrern pädagogisches Wirken, aber keiner wagt zu sagen, wie es konkret aussehen soll. Was ist das für ein Chaos-Unternehmen?
xconroy antwortete am 22. Feb, 19:19:
Kann man sich denn auf den doch sicherlich stattfindenden Lehrerkonferenzen nicht darauf einigen, a) die hauptsächlichen strittigen Punkte herauszuarbeiten, b) für jeden dieser Punkte einen Kompromiß zu finden und c) diesen verpflichtend, dh schriftlich festzulegen? (jetzt nur auf eure konkrete Schule bezogen).Eigentlich müßte doch jeder unter dieser Situation leiden, alle Lehrer müßten also gleichermaßen darüber klagen, daß jeder andere Vorstellungen hat. Was würde also passieren, wenn in der nächsten Konferenz einer aufsteht und genau das (a, b, c) vorschlägt?
(mhm... nach meiner Erfahrung in etwa sowas: "ja, das ist im Ansatz eine gute Idee, wir sollten das auf jeden Fall weiterverfolgen, Diskussionsbedarf besteht da sicher, allerdings gibt es noch einige dringlichere Punkte, bla..." -.- aber vielleicht ist das bei euch ja anders/besser...)