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cotopaxi

 
"Ich mag den Jänner nicht."
"Warum?"
"Weil jetzt wieder der Kuhhandel beginnt."

In der Schule weiß jeder, worum es jetzt geht: Kurz vor dem Semesterzeugnis wird um die Noten gefeilscht. Meist werden letzte Chancen erkämpft, eine negative Beurteilung zu vermeiden. Gerne bin ich auf solche Deals eingegangen, schließlich wurden plötzlich Leistungen gebracht, die vorher nicht erzielbar waren. Falsch motiviert (Noten), aber immerhin.

In den letzten Jahren wurde ich immer skeptischer, jetzt bin ich ganz gegen diese Torschlussprüfungen. Nach österreichischem Schulunterrichtsgesetz steht jedem Schüler eine freiwillige Prüfung pro Semester zu - genützt wird sie fast ausschließlich, um in letzter Sekunde einen positiven Abschluss zu ergattern.

Das gehört abgeschafft, verboten.

Warum?

Weil es manche SchülerInnen systematisch dazu verleitet, über Monate untätig zu bleiben. Zuletzt reicht ohnehin eine kurze, wenn auch massive Anstrengung, um durchzukommen. Also lernen sie nur für die Prüfung, nicht für sich selbst oder für langfristige Ziele. Und dieses stressige Lernen findet in Gehirnteilen statt, die kreative Anwendung (spätere Transfers) von vornherein ausschließen. Darauf käme es aber an.

Kurz gesagt: Diese gesetzlich verankerten Wunschprüfungen wirken kontraproduktiv. Die Schüler bekommen zwar bessere Noten und das Gefühl, in wenigen Stunden die Leistungen eines halben Jahres erbringen zu können, aber in Wirklichkeit lernen sie nichts oder falsch.

Das Gesetz sorgt für bessere Noten, juhu, und bewirkt schlechtere Leistungen. Es gehört entsorgt. Es gehört ebenso gestrichen wie die Verpflichtung, alle schriftlichen und mündlichen Überprüfungen rechtzeitig anzukündigen. Deswegen wird das ganze Jahr lang nur mehr für Prüfungen (= Noten) gelernt, was regelmäßiges Mitarbeiten verhindert und ständigen Termindruck erzeugt. So generiertes Wissen hält nur kurzfristig und lässt sich kaum auf neue Aufgaben übertragen. Diese Gesetze sind wesentlich mitverantwortlich für schlechte Ergebnisse bei internationalen Testvergleichen und langfristigen Lerneffekten.

Wir lieben diese Gesetze. Sie sind gut gemeint, aber schlecht.

P.S.: Wir haben oft das Gefühl, dass Schulgesetze zum Schutz der SchülerInnen vor den bösen Lehrern gemacht wurden. Wie sinnvoll ist das heute noch?
flyhigher meinte am 18. Jan, 07:15:
Gleich vorweg: Ich bin durchaus deiner Meinung. Und jetzt kommt das große ABER. ABER ich habe einen pubertierenden Jugendlichen zu Hause, der alles auf die lange Bank schiebt. Eigentlich möchte er das nicht, eigentlich möchte er fleissig sein und damit gut in der Schule. Aber er schafft es nicht (aus vielerlei Gründen, die den Rahmen hier jetzt sprengen würden). Ich habe bei einem 16jährigen (der noch dazu nicht mein eigener Sohn ist) keine Chance, derartigen Druck aufzubauen, dass er mehr tut. Der Druck kommt dann über die Mahnungen, die ins Haus flattern, und den Zusammenschiss vom Chef (er ist jetzt in der Berufsschule). Dann auf einmal schafft er Dinge, die vorher unmöglich waren, schreibt einen Einser nach dem Anderen und ist glücklicher als je zuvor. Wir reden mit ihm, wir erklären ihm, wir versuchen, ihn auf Schiene zu bringen, bevor es schon fast zu spät ist. Das fruchtet aber alles nicht. Daher bin ich froh, dass es dieses Gesetz gibt, auch wenn ich es natürlich nicht gut heissen kann. 
teacher antwortete am 18. Jan, 08:08:
Ja. Wir lieben diese Gesetze, aber sie sind lernpsychologisch eine Katastrophe. 
Cornel Weisz (Gast) antwortete am 29. Jan, 21:35:
Antwort "16-jähriger Sohn"
Voraussetzungen ändern, zugegeben wenig, dafür aber nachhaltig lernen. So könnte auf manchen Gebieten ein Interesse geweckt werden und Ihr Sohn würde von selbst manche Dinge studieren. Das wäre dann aber kein Lernen mehr.
Ich bin selbst noch zu einer Zeit zur Schule gegangen, wo Prüfungen nicht unbedigt angekündigt wurden. War also den Launen meiner Lehrer mehr oder weniger ausgeliefert. Aber Stress hatte ich viel (um Größenordnungen) weniger als SchülerInnen heutzutage.

Und das Gesetz gehört abgeschafft. Neuformuliert. Nachhaltigkeitskompatibel und Stressminimierend solte es sein. 
Cornel Weisz (Gast) antwortete am 29. Jan, 21:48:
Antwort "16-jähriger Sohn"
Leider ist mein Text nicht richtig gespeichert worden:
Ihr Sohn macht in seiner Situation genau das richtige. Er lernt einmal nichts. Es könnte ja auch ohne Lernen gehen. Kommen dann Frühwarnungen strebert er kurz rein, bekommt positive Noten und die Nachhaltigkeit bleibt auf der Strecke. Auch bleibt so das Interesse an den Gegenständen begrenzt. Lernen wird nur noch als lästige Pflicht empfunden.

Würden sich die gesetzlichen Rahmenbedingungen ändern, würde Ihr Sohn zugegeben wenig, dafür aber nachhaltig lernen. So könnte auf manchen Gebieten ein Interesse geweckt werden und Ihr Sohn würde von selbst manche Dinge studieren. Das wäre dann aber kein Lernen mehr.

Ich bin selbst noch zu einer Zeit zur Schule gegangen, wo Prüfungen nicht unbedigt angekündigt wurden. War also den Launen meiner Lehrer mehr oder weniger ausgeliefert. Aber Stress hatte ich viel (um Größenordnungen) weniger als SchülerInnen heutzutage.

Und das Gesetz gehört abgeschafft. Neuformuliert. Nachhaltigkeitskompatibel und Stressminimierend solte es sein. 
teacher antwortete am 30. Jan, 10:33:
Das ist ganz mein Ding: Wir sollten auf nachhaltiges Lernen der wichtigen Grundlagen setzen, das ständig wiederholen und (extern) überprüfen.

Den großen Rest können wir in der Schule nur anbieten für SchülerInnen, die Interesse haben, erzwingen können wir nichts Langfristiges. 
Cornel Weisz (Gast) antwortete am 30. Jan, 11:28:
Externe Überprüfung
Die exterene Überprüfung wäre sehr wichtig. Dann würden die LehrerInnen aus ihrer Doppelrolle unterrichten - prüfen rauskommen und lönnten den SchülerInnen helfen externe Prüfungen zu bestehen. Die Vorbereitung auf externe Prüfungen dürfen nur ein Teil des Unterrichts sein. Der größte Teil des Unterrichts müsste sehr frei gestaltbar sein, wo es nur darum geht Fähigkeiten zu entwickeln wie z.B. Argumentieren, präsentieren, zusammenfassen, inhaltliches lesen u.s.w. Habe ich mich verständlich ausgedrückt? 
Stefan (Gast) meinte am 18. Jan, 08:04:
In meiner Schulzeit wurde auch die Anzahl der Schularbeiten pro Schuljahr von 6 zunächst auf 5, später gar auf 4 gesenkt. In der Oberstufe war das dann noch extremer, bis wir auf 2 Schularbeiten in der 8. gekommen sind. Das fand ich viel zu wenig. Da liegt ja an einer Schularbeit viel zu viel Gewicht. Gut, es ermöglichte Glückstreffer wie den Latein-Einser in der Achten, der noch heute auf der Rückseite meines Maturazeugnisses steht, aber zu welchem Preis? Statt den wöchentlichen Stoffwiederholungen gab es auf einmal in den Nebenfächern Tests, für die man sich zu Hause vorbereiten musste. Anstatt die selben Fragen zu beantworten, die in den Wochen zuvor schon 5 MitschülerInnen beantwortet haben, wird man plötzlich Dinge gefragt, die man schon lange vergessen hat, weil sie ja nie wiederholt wurden. Zudem brauchte man zum Vorbereiten auf die Tests ja eine brauchbare Mitschrift, und nachdem ich zu den Leuten gehöre, die lieber mitdenken als mitschreiben, bedeutete das immer einen Zusatzaufwand (Kopieren). 
teacher antwortete am 19. Jan, 10:03:
Letztlich ist es besser, ständige Mitarbeit einzufordern, mit regelmäßigen Überprüfungen (wie an der Uni: prüfungsimmante LV). 
steppenhund meinte am 18. Jan, 08:26:
Gut aber falsch:)
Eigentlich ist nur der Zeitplan falsch.
Die "Rettungsprüfungen" sollten Ende September stattfinden. Danach kann man sich verhaute Prüfungen noch durch Mitarbeit verbessern - oder eben nicht.
Vorteile:
1.) Wenn der Lehrer vorträgt, kennen die Schüler bereits den Stoff und können besser mitarbeiten.
2.) Der Lehrer muss nicht mehr so viel selbst vortragen, sondern kann Teilaufgaben an die Schüler delegieren.
3.) Die Schüler sind gezwungen, sich den Stoff autodidaktisch anzulesen und verbessern durch diese Übung ihr Abschneiden in "sinnerfassendem Lesen".
4.) Die Schüler können Fragen über die Themen stellen, die sie nicht verstanden haben. (Eigentlich sind die Lehrbücher ja ausreichend gut, dass man den Stoff daraus lernen kann.)
5.) Die Neugierde der Schüler wird geweckt.
6.) Die Vorbereitung für eine allfällige, spätere Hochschule ist weitaus effizienter.
7.) Last not least bleiben die Weihnachtsferien unbelastet. De facto kann man sich schon zu Weihnachten ungefähr die Note ausrechnen. 
teacher antwortete am 18. Jan, 08:30:
Aber was prüfe ich am Anfang des Semesters? 
steppenhund antwortete am 18. Jan, 09:54:
Den Stoff. Deswegen ist die Prüfung ja erst Ende September. Die Schüler haben genauso wie im Jänner einen Monat Zeit, sich die Inhalte zu erarbeiten.
Wenn sie während der normalen Schulzeit jetzt im Normalfall nicht aufpassen, können sie genauso gut gleich vom Buch lernen. 
Alica (Gast) meinte am 18. Jan, 13:16:
In Österreich müssen alle Arbeiten angekündigt werden? Krass. Bei uns (Abi 09) kam es ziemlich oft vor, dass der Lehrer rein kam und sagte: Bücher weg, Zettel raus. In Russisch, bei einigen Lehrer auch in Bio und Physik, stand immer zu Stundenbeginn eine mündliche Leistungskontrolle. Wenn sich niemand freiwillig meldete, gings nach Zufallsprinzip. Mal die Quersumme des Datums, mal sollte jemand ne Zahl nennen und der Lehrer fing irgendwo im Notenbuch an mit Zählen etc. 
steppenhund antwortete am 18. Jan, 14:06:
So halte ich es auch für richtig. War bei uns vor 50 Jahren auch so. 
teacher antwortete am 19. Jan, 10:05:
Wiederholungen dürfen unangekündigt stattfinden - aber nicht beurteilt (mit Noten). Jede Prüfung, jeder schriftliche Test muss mit Termin und genauen Stoffangaben angekündigt werden. 
Marco Schuster (Gast) meinte am 18. Jan, 15:27:
Das grundsätzliche System ist falsch
Schon die Struktur ist das Problem: Wissen wird reingepreßt, von dem klar ist dass das nach Abarbeitung im Lehrplan NIE wieder gebraucht wird. Das verringert sowohl die Motivation der Lehrer, es gescheit beizubringen als auch die der Schüler, das Zeug zu lernen. Wir brauchen endlich eine praxisbezogene (!) Ausbildung. Berufsschulen sind aber nur ein kleiner Teil davon. 
stichi antwortete am 18. Jan, 15:46:
Ich finde diese Idee, dass man nur lernen soll, was praktisch verwertbar ist ganz furchtbar! Wissen kann man gar nicht zu viel!! 
BIA (Gast) antwortete am 18. Jan, 20:46:
Okay, ich hab NICHTS aus CHemie JE wieder gebraucht. Dafür so ziemlich alles aus Geschichte.
Bei jemandem anderen ist es genau umgekehrt.
Wer legt jetzt fest, was "wichtig" ist und weiter unterrichtet werden darf? 
steppenhund antwortete am 18. Jan, 21:07:
@BIA
Wäre es nicht interessant zu wissen, wie das jetzt mit den DIoxinen wirklich ist? Wie weit Gefahr besteht? Wie man die Grenzwerte interpretieren sollte?
Also ich kann mich erinnern, dass ich anläßlich Tschernobyl die Physikbücher durchgegangen bin, um die verschiedenen Angaben im Radio zu vergleichen, die in der Früh, zu Mittag und am Abend in unterschiedlichen Einheiten angegeben wurden, um die Bevölkerung im Ungewissen zu halten.
Aber ich stimme der Grundaussage vollkommen zu. Man weiß nicht, was man einmal brauchen wird. 
BIA (Gast) antwortete am 18. Jan, 21:31:
@Steppenhund
Wir haben in Chemie geschätzte 100 Jahre lang Schwefel- und Eisenzeuchs gemischt und dann in unterschiedlichen Varianten abgefackelt. Nee, der Lehrer hat, und wir haben zugesehen. Ich kann mich nicht erinnern, dass wir je über Chancen, Gefahren, Anwendungen der chemie im "Normalen Leben" was gelernt hätten, aber das mag daran gelegen sein, dass ich "Das Foucaultsche Pendel" unter der Bank gelesen habe, was mich eine Zeit lang intensiv in Anspruch genommen hat. :-)
Sollte ich jetzt anfangen, mich für die Chemie der Dioxine zu interessieren, müsste ich bei Null anfangen und mir alles selber beibringen, aber ich hätte die Motivation und würde es sicher schaffen...ich weiß nicht, ob einen die Schule auf alle Eventualitäten des Lebens wissenstechnisch so vorbereiten kann, dass man sagen kann "Jepp, weiß ich. Chemie 10."
Ich glaube, man lernt nur bei Interesse (intrinsischer Motivation) und möglicherweise bei Terror (extrinsische Motivation -> Latein) richtig gut. Ich weiß, das klingt schrecklich, aber Latein kann ich immer noch ganz gut, und das war ein reiner Fall von Terrorlernen. Ich selbst möchte aber in meinem Beruf nicht durch Terror wirken. Weiß nicht, ob ich damit meinen Schülern schade oder nütze. 
steppenhund antwortete am 19. Jan, 07:40:
Terror halte ich für kontraindiziert, scheint aber manchmal notwendig zu sein.
Interesse anfacheln ist für mich die einzige wirksame Methode. Den Leuten durch Beispiele aus dem Leben vermitteln, wozu ein bestimmter Lehrstoff gut ist.
Ich unterrichte zwar auf der Uni, aber auch dort fragen die Leute, warum sie irgendeinen theoretischen Kram lernen sollen. Mein Hauptanliegen ist, dass, was sie woanders theoretisch lernen mussten, für sie selbst attraktiv zu gestalten.
Ich glaube, das könnte in jedem Fach funktionieren.
Unser Lateinunterricht war insofern anders, als unser Klassenvorstand, der auch Englisch unterrichtete, Latein als lebendige Sprache unterrichtete. Wir mussten auch reden, nicht nur übersetzen.
Mit meinem Freund, der so wie ich heuer seinen 60. Geburtstag feiert, schrieben wir in anderen Stunden Zettel auf Latein, was besonders die Geografielehrerin erboste, wenn sie einen abfing:) 
teacher antwortete am 19. Jan, 10:08:
Ich mag kein "Terrorist" sein, aber ohne Druck funktioniert vieles nicht, besonders wenn das Interesse fehlt.
Wir müssen einfach klare Vorstellungen entwickeln, was jedes Kind können soll und was jeder bei der Reifepürung können soll. Das ist ja wichtig für die Fähigkeit zu studieren, im gesellschaftlichen Leben zu rüssieren, arbeits- und ausbildungsfähig zu bleiben. 
BIA (Gast) antwortete am 19. Jan, 12:39:
@steppenhund
Ich halte es für verwegen, zu glaube, dass alle immer für alles zu interessieren sind, falls es der Lehrer nur richtig anstellt. Oder dass es mgölich ist, sie SO zu interessieren, dass sie dann nicht nur an der Oberfläche bleiben, sondern tatsächlich eigene geistige Anstrengung da hineinstecken wollen. Das kann doch jeder Erwachsene sagen: es gibt Themen, die einen interessieren, aber nicht so, dass man da mehr Zeit investieren möchte. Und Themen, die einem einer unbedingt näherbringen möchte, die einem aber trotzdem egal sind.

Ein schwieriges Thema... 
steppenhund antwortete am 19. Jan, 13:17:
Nur wer Unmögliches anstrebt, wird Mögliches erreichen, kann ich darauf nur sagen. Es wird nicht möglich sein, aus 30 Schülern 30 Polyhistoren zu machen. Aber ist es nicht schon ein Erfolg, wenn sie einsehen, dass ein Fach interessant sein "kann" und nicht einfach drauf los schimpfen. 
BIA (Gast) antwortete am 19. Jan, 17:29:
Ja, darauf können wir uns einigen. :-) 
Alica (Gast) antwortete am 20. Jan, 00:51:
Zum Thema:"Wichtig" und unwichtig: Ich habe in der 10.Chemie abgewählt aufgrund eben jener Millionen Abfackeleien. Heute studiere ich Chemie im Hauptfach. Mimus vitae. ;-) 
stichi antwortete am 20. Jan, 09:16:
Meine Rede: Unverhofft kommt oft!!
Aber ganz im Ernst, wenn die Leute besser Bescheid wüssten, gerade im naturwissenschaftlichen Bereich, dann könnte die Nahrungsmittelindustrie vielleicht ihren Müll nicht so leicht an den Mann bringen und vielleicht wäre es auch nicht möglich, dass Politiker unter der Regie der Lobbyisten es schaffen, die Glühbirnen abzuschaffen, aber Azofarbstoffe in "Lebensmitteln", die hauptsächlich für Kinder produziert werden, weiter zuzulassen. 
 

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