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cotopaxi

 
Kollegin F. kommt mit einem Bücherstapel aus der Französischstunde: "Ich habe mich gerade die absurdesten Sätze meines Berufs sagen gehört."
"Du dich?"
"Ein paar Schüler haben mir Fragen zur Reifeprüfung gestellt. Also habe ich meine Strategie und meine Ansprüche geklärt."
"Ja?"
"Wer bei mir antreten will, der muss diese Wiederholungsgrammatik durchackern." Sie zeigt mir vier Bände.
"Das ist ganz ordentlich!"
"Ja. Aber wir haben in der zweiten Fremdsprache so wenig Zeit, dass sich kein ausreichendes Üben ausgeht!"
"Das kann ich mir gut vorstellen. Aber das ist doch nicht absurd?!"
"Nein, aber das: Meine Maturanten müssen ja ein Lesetagebuch führen. Da suchen sie Texte aus dem Internet, fassen sie zusammen, kommentieren sie ... und geben sie mir zur Korrektur."
"Ja. Find ich gut."
"Da schreiben sie Texte, die ich sonst im Unterricht nie trainiere. Aufsätze, zum Beispiel. Argumentative Texte, die sie auch nie wieder brauchen werden. Nur für die Reifeprüfung!"
"Naja."
"Lernen für eine einzige Prüfung! Das ist das Absurdeste, was ich in Klassen sagen muss!"
"Ach! Das ist normal. Schule ... Uni ..."

Ein guter Morgen beginnt mit einer Nullmeldung.

Wir stehen an der "schwarzen Tafel" des Lehrerzimmers, wo gefühlte einhunderttausend Formulare und Kopien hängen. Wir stehen dort, um mühselig herauszufinden, welche über Nacht neu dazugekommen sind und welche eventuell noch wichtig werden könnten. Sieben unter Druck, Siebdruck.

Daneben drängen sich die KollegInnen und blättern im "Supplierbuch", um zu erfahren, ob und wo sie heute für abwesende LehrerInnen einspringen ("supplieren") müssen. Wir hoffen alle zitternd bis fluchend, nicht vorzukommen (= Nullmeldung): Zusätzliche, unbedankte und unbezahlte Arbeit - wer meldet sich freiwillig?

Neu dazugekommen sind die Anmeldungen und Termine der Reifeprüfungen.
Eine Kollegin fragt herüber: "Hast Du heuer Matura?"
Zynische Antwort: "Nein, ich habe meine schon."
Eine zweite Kollegin sagt verschlafen: "Ich habe heuer wieder sechs."
(Homophone können schlampig ausgesprochen witzig sein)
Also muss ich lachen: "Was? Jedes Jahr?"
Sie: "Oh! Ich habe vergessen, wie ein Mann denkt."
So.
In Schweden wäre das Vergewaltigung, oder?

Wir lachen - wir mögen einander. Das ist wichtig in einer Schule.

Bewerber wurden gesucht für ...

... die administrative Koordination (z.B. die Erstellung und Wartung der Stundenpläne und der Klassenverwaltung)

... die Öffentlichkeitsarbeit (z.B. die Suche nach Sponsoren, Betreuung der Homepage, Kontakt mir lokalen Medien, Koordination des Jahresberichts)

... das Terminmanagement (für Schulveranstaltungen, Lehrausgänge, Exkursionen)

... die Bildungsstandards und Förderungsmaßnahmen (z.B. die Bestimmungen der neuen teilzentralen Reifeprüfung, spezielle Förderung bei Teilleistungsschwächen)

... die Schulentwicklung (z.B. Berufsorientierung, Schnittstellenthematik)

... das Projektmanagement (Schulveranstaltungen, Outdoorwochen, Sprachintensiv-
wochen etc.)

... die Projektbegleitung (z.B. Tag der Offenen Tür, Tag der Oberstufe)

Bisher waren viele für vieles zuständig - für manches niemand oder alle - Fehlplanungen und Überschneidungen an der Tagesordnung. Zukünftig sollen diese Aufgaben vom "Mittleren Management" erfüllt werden, d.h. Direktor und Lehrer werden entlastet. Eine gute Idee, wenn gute Leute mit gutem Willen hier anpacken.

Wie viel Arbeit fällt in einem Betrieb mit rund 1000 SchülerInnen und 120 Bediensteten in diesen Bereichen an? Wir werden sehen.

Immerhin, wir bekommen dafür 17 zusätzliche Werteinheiten (macht rund 34 Wochenstunden) vom Ministerium bezahlt.

Damit ich wieder einmal positive Nachricht verbreiten darf.

"Mein Papa hat mich gewarnt: An der Uni kommst Du kaum mit dem Mitschreiben mit!"
"Und?"
"Blödsinn. Da schreibt gar niemand mit."
"Warum?"
"Die Studenten haben alle ihre Unterlagen, Folienausdrucke oder Skripten. Die unterstreichen bestenfalls."
"Das gibt es halt nicht überall."
"Aber wir Schüler waren die einzigen, die mitgeschrieben haben."

Wir haben unsere Schüler wieder an die Uni geschickt. Was soll ich studieren? Was spielt sich auf den Fachhochschulen ab? Welche Voraussetzungen muss ich erfüllen? Sie erkunden das Angebot des tertiären Bildungswesens und präsentieren ihre Erfahrungen.

"Ich war im Hörssal 2 im AKH. Aber der war überhaupt nicht überfüllt. Im Gegenteil, da sind nur ein paar Leute herumgesessen ... und die haben mit ihrem Laptop gespielt."
"Was wurde gelesen?"
"Sowas mit Impfungen. Immuntherapie - das war wirklich interessant."
"Wer hat das gemacht?"
"Warten Sie ... ein Prof. Kollaritsch."
"Da habt ihr ja gleich einen Star getroffen!"
"Der war urnett. Der hat sich gefreut, dass jemand nachfragt."

"Bei uns war es auch so. Wir waren auf der Astronomie. Und auf der Sternwarte. Da sind zwei Uralte gesessen [wahrscheinlich sogar über 40!] ... und wir zwei haben uns dazugesetzt. Der Prof hat sich auch gefreut ... und uns gleich alles erklärt."

"Wir waren auf der Pharmazie. Da haben wir gar keine Plätze bekommen, wir sind fast zwei Stunden im Hörsaal gestanden. Und kapiert habe ich gar nichts! Aber echt nicht."

"In Psychologie sind die Studenten urcool. Die haben uns gleich ausgefragt, was wir da für ein Projekt machen. Viele sind irgendwann hereingeschneit, zu spät gekommen, andere wieder früher gegangen."
"Und wie haben die Dozenten reagiert?"
"Gar nicht. Die zeigen ihre Powerpoints. Denen ist das voll egal."

"Das Schlimmste an der Politikwissenschaft ist das Gebäude. Aufs Klo darfst du gar nicht gehen, grauslich, die Wände sind angeschmiert ... und die Blumen werden als Aschenbecher verwendet. Was sind das für Leute?"

"Wir haben uns die jüngste Lektorin auf dem Juridicum angese...äh...hört. Die ist erst 23 Jahre!" :-)
"Und? Ist sie hübsch?"
"Wir haben uns nur auf die Inhalte konzentriert!" :-))
"Und? Wie groß waren die Inhalte?" :-)))

Der Grundtenor: Studieren ist cool. Kein Mitschreiben, freie Zeiteinteilung, kein Leistungsdruck, keine Disziplinierung.

"Uns haben sie wieder rausgeschmissen."
"Warum?"
"Da war eine Prüfung."
"Was hast Du dann gemacht?"
"Ich habe den Lehrer gefragt, wo ich hingehen könnte. Ich wollte unbedingt eine Vorlesung erleben."
"Und?"
"Er hat gemeint, dass ihm sowas noch nie passiert ist."

"Ich mag den Jänner nicht."
"Warum?"
"Weil jetzt wieder der Kuhhandel beginnt."

In der Schule weiß jeder, worum es jetzt geht: Kurz vor dem Semesterzeugnis wird um die Noten gefeilscht. Meist werden letzte Chancen erkämpft, eine negative Beurteilung zu vermeiden. Gerne bin ich auf solche Deals eingegangen, schließlich wurden plötzlich Leistungen gebracht, die vorher nicht erzielbar waren. Falsch motiviert (Noten), aber immerhin.

In den letzten Jahren wurde ich immer skeptischer, jetzt bin ich ganz gegen diese Torschlussprüfungen. Nach österreichischem Schulunterrichtsgesetz steht jedem Schüler eine freiwillige Prüfung pro Semester zu - genützt wird sie fast ausschließlich, um in letzter Sekunde einen positiven Abschluss zu ergattern.

Das gehört abgeschafft, verboten.

Warum?

Weil es manche SchülerInnen systematisch dazu verleitet, über Monate untätig zu bleiben. Zuletzt reicht ohnehin eine kurze, wenn auch massive Anstrengung, um durchzukommen. Also lernen sie nur für die Prüfung, nicht für sich selbst oder für langfristige Ziele. Und dieses stressige Lernen findet in Gehirnteilen statt, die kreative Anwendung (spätere Transfers) von vornherein ausschließen. Darauf käme es aber an.

Kurz gesagt: Diese gesetzlich verankerten Wunschprüfungen wirken kontraproduktiv. Die Schüler bekommen zwar bessere Noten und das Gefühl, in wenigen Stunden die Leistungen eines halben Jahres erbringen zu können, aber in Wirklichkeit lernen sie nichts oder falsch.

Das Gesetz sorgt für bessere Noten, juhu, und bewirkt schlechtere Leistungen. Es gehört entsorgt. Es gehört ebenso gestrichen wie die Verpflichtung, alle schriftlichen und mündlichen Überprüfungen rechtzeitig anzukündigen. Deswegen wird das ganze Jahr lang nur mehr für Prüfungen (= Noten) gelernt, was regelmäßiges Mitarbeiten verhindert und ständigen Termindruck erzeugt. So generiertes Wissen hält nur kurzfristig und lässt sich kaum auf neue Aufgaben übertragen. Diese Gesetze sind wesentlich mitverantwortlich für schlechte Ergebnisse bei internationalen Testvergleichen und langfristigen Lerneffekten.

Wir lieben diese Gesetze. Sie sind gut gemeint, aber schlecht.

P.S.: Wir haben oft das Gefühl, dass Schulgesetze zum Schutz der SchülerInnen vor den bösen Lehrern gemacht wurden. Wie sinnvoll ist das heute noch?

Beim Lesen des Schülerin-Lehrer-Blogs sind mir wieder Schuppen von den Augen gefallen: Ich bin ein pädagogischer Durchlauferhitzer.

Ständig rinnen zig SchülerInnen durch meine Hände, ich erwärme sie für ein paar Momente und schon laufen sie - wieder abgekühlt - aus dem Haus.

Noch mehr mag ich den Vergleich zwischen Lehrer und Arzt. Ich habe ständig 150 "Patienten", jedes Jahr kommen 30 neue dazu, 30 alte gehen ab. Der Horror dabei - ich kenne keinen wirklich. Ich sehe sie zwei oder drei Stunden pro Woche, d.h. ich habe rund fünf Minuten pro Kind. Ich merke mir gerade ihre Namen, schaue mir irgendein Detail in ihrem Kopf an, versuche das zu trainieren und überlasse den Rest 15 anderen KollegInnen, die die "Patienten" auch nicht wirklich kennen. So doktern wir herum. Nebeneinander und hintereinander. Manchmal sogar gegeneinander.

15 Medikamente in ein Gehirn. Unkoordiniert. 5 Minuten pro Woche. Elternersatz?

Wir kennen die Schüler höchst oberflächlich, sollen aber auf alle individuell eingehen, sollen sie erziehen, begleiten und bilden. Sollen sie fachlich und menschlich beurteilen und selektieren sie sogar. Ohne ausreichende Begründungen und ohne brauchbare Mittel.

Wir können die Eltern nicht ersetzen. Nur die Eltern können und müssen sich Zeit für ihre Kinder nehmen. Nur die Eltern kennen die Besonderheiten ihrer Sprößlinge, begleiten sie von 0 - 20, 7/24. Nur die Eltern können sie lieben. Nur zu engen Bezugspersonen kann man großes Vertrauen aufbauen, nur sie können langfristig Wärme und Sicherheit geben. Ich bin nur ein pädagogischer Durchlauferhitzer.

Wir entwickeln auch nur langsam und partiell Vertrauen zueinander. Wir haben und bilden ständig Vorurteile, weil echtes Verstehen nicht möglich ist. 5 Minuten. 150 Schüler. Wir taktieren und spielen einander aus. Gemeinsam, von- und miteinander lernen, das ist ein höchst seltenes Gut, meistens geht es ums "ökonomische Prinzip": Wie können wir mit minimalem Aufwand ausreichende Ergebnisse erzielen. Wenig Zeit, wenig Mittel, wenig Arbeit - trotzdem einen netten Abschluss und ein brauchbares Leben.

Schule als Durchlauferhitzer. Nicht Erzieher, kein Elternersatz.

"Herr Professor, kennen Sie Soo?"
"Soo?"
"Ja, den Film!"
"Ahhhh ... Saw 1, 2, 3"
"Nein! Saw 7! Mögen Sie die?"
"Naaaa, ehrlich, diese Blutorgien, das brauch' ich nicht."
"Wollen Sie's nicht sehen, ich hab's mit!"
"Was? Wo? Auf deinem Handy?"
"Nicht Handy! Auf dem Iphone."

Ich werde nicht überredet, ich werde gezwungen. Das Handy - nein, das gepriesene Apple-Wunderding - wird auf eine Schulbank gelegt und schon stehe ich mitten in einer begeisterten Testosteron-Gemeinschaft.

Ich sehe ein altes US-Auto, das in einer Fabrikshalle hängt.
Schneller Schnitt, wilde Musik.
"Der Fahrer ist an den Sitz geklebt!", erklärt mir mein Nachbar.
"Der will die anderen retten ... aber alles umsonst", fügt jemand wissend hinzu.
Unter dem alten Cabriolet liegt eine hilflose Person gefesselt, davor steht eine weitere - an die Wand gekettet. Der Fahrer zerrt mit ganzer Kraft zum Steuer, seine Haut reisst vom Rücken ab, er versucht das drohende Blutbad zu verhindern, rohes Fleisch, Blut und Schmerz dominieren das Bild.

"Gleich kommt's!"
Sie kennen das Video auswendig.

Sieben männliche Vierzehnjährige warten mit mir auf das tragische Ende. Der Wagen fällt auf den Boden, die durchdrehenden Räder zermalmen das darunter liegende Opfer, der Wagen stürmt ungesteuert nach vor und erdrückt mit rauer Gewalt die dritte Geisel.

"Jaaahhhh!", triumphieren die Burschen wie nach einem verwandelten Elfmeter.

"Warum mögt ihr solche Videos?", frage ich die begeisterten Zuseher um mich.

"Echt geil!"

Mir graust. Ende der Pause.

(OT: Es gibt einen Schülerinnen-Lehrerblog, den ich gerne zum Mitreden weiterempfehlen will: http://xchange.twoday.net/stories/subjektive-wirklichkeit/)

"Herr Professor, die Bella hat heute Geburtstag!"
Viel Klassen erinnern mich an jede Gelegenheit zum Feiern.

Also gehe ich zu Bella und wünsche ihr: "Alles Gute zum Geburtstag."
Bella wird 15. Kein Kind mehr, Frau auch noch nicht. Ein Teen eben.
Bei solchen Anlässen liegen manchmal kleine Geschenke von den MitschülerInnen auf den Tischen, Süßigkeiten, Poster oder schulischer Krimskrams. Bella hat sich in die Klasse wenig integriert, sie ist ein Jahr älter und fühlt sich zu erwachsen für die kindlich-süß schnatternden Mädchen ihrer Umgebung.

"Was hast Du zum Geburtstag bekommen?", frage ich neugierig.
Sie schaut kurz zu ihrer ebenbürtigen Nachbarin und nuschelt leise etwas Unverständliches vor sich hin.
"Wie bitte?"
Sie wiederholt sich im gleichen Tonfall, ich verstehe wieder nichts.
"Verzeihung ... ich verstehe dich nicht."
"Einen SCH .. A ... NG!"

Es ist peinlich, drei- oder viermal nachzufragen, ich gebe das mimisch zu bedenken. Körpersprache funktioniert.

"Der kennt das gar nicht!", sagt sie abfällig-stolz zu ihrer Nachbarin und greift in ihre rosa Jacke. Sie zieht einen silbrig glänzenden Schlagring heraus und steckt ihn über ihre rechte Hand.

Zunächst bleibe ich sprachlos. Ein Schlagring als Geburtstagsgeschenk für ein fünfzehnjähriges Mädchen? Wo bin ich?

Eine verbotene Waffe oder eine misslungene Überraschung?

"Ähh ... das ist gar keine gute Idee. Steck' das Ding weg ... und bringe es nie wieder in die Schule mit."

Sie hat meine sehr bestimmten Worte sofort verstanden. Es ist ruhig in der Klasse, ich gehe zu meiner Tasche und lege perplex meine Bücher auf den Tisch.

Arbeit macht glücklich.
Freunde machen glücklich.
Ehe macht glücklich. (Zumindest am Anfang)

Kinder --- machen --- unglücklich.

Da haben sogar die Glücksforscher gestaunt.
Ich auch.
Weil es überrascht und neu ist.

"Kinder machen nicht besonders glücklich, obwohl alle Leute das Gegenteil behaupten ... Kinder machen glücklich, wenn sie aus dem Haus sind", resümiert der Schweizer Wirtschaftsprofessor Bruno S. Frey auf 3sat. Er meint, dass Eltern einfach "Pech haben" können und Kinder bekommen, die schlecht in der Schule sind oder faul, Drogen nehmen oder kriminell werden.

"Nein", sage ich. "Pech" ist keine Begründung, wenn Kinder versagen abgleiten.
"Dieses Pech wird gemacht!", behaupte ich.

Klare Hinweise darauf, wie Kinder erzogen werden - und deren Eltern un/glücklich - liefert der Kinderpsychiater M. Winterhoff in seinen Schriften (hier: Hör- und Leseproben)

Schafft eine win-win-win-Situation! "Erzieht eure Kinder zu (liebenswerten) Persönlichkeiten statt zu (verhassten) Tyrannen." Das bedeutet von Anfang an: Grenzen setzen, Hierarchien akzeptieren, Führung übernehmen, Schutz bieten, Respekt schaffen. Und die Kinder werden in der Schule ebenso wie in der Gesellschaft glücklich werden, gemeinsam mit ihren Eltern.

Das Schulsystem zu reformieren oder das Unterrichtsfach "Glück" in der Schule einzuführen, greift viel zu spät und viel zu kurz. Und macht Eltern nicht reifer oder glücklicher, die Gesellschaft nicht kinderfreundlicher.

Die einzige Alternative: Macht keine Kinder. Und seid glücklich bis ans Ende.

Das Jahr 2011 soll uns in Österreich eine große Schulreform bringen - deswegen möchte ich hier mein schulisches Wunschmodell, das auch den Erkenntnissen der Neurowissenschaften angepasst ist, vorstellen:

1. Die Schulpflicht beginnt bereits mit fünf (statt sechs) Jahren, wird also in das letzte Pflicht-Kindergartenjahr vorgezogen und startet mit einer Art Vorschule für alle. Der besonders hohe Wert einer qualitativen Früherziehung wird heute allgemein anerkannt, daher sind hier viele externe Impulse auf höchstem Niveau (Fremdsprachen, Kultur, Computer ...) zu integrieren.

2. Diese Grundschule dehnt sich auf ingesamt sieben Jahre Gesamtschule aus, umfasst daher neben der momentan vierjährigen Volksschule auch die integrierte Vorschule und zwei weitere Unterrichtsjahre, die bisher getrennt in Hauptschulen und AHS-Unterstufe abgehalten werden. Eine frühere Trennung kann heute weder aus sozialen noch aus pädagogischen oder gar ökonomischen Gründen aufrecht erhalten werden. In der Grundschule sollen primär die Grundtechniken (Lesen, Schreiben, Rechnen) gesichert werden, sonst kann völlig individuell auf die Interessen und Fähigkeiten der Kinder eingegangen werden, verpflichtende Standards oder genormte Zielvereinbarungen halte ich in diesem Alter für unangebracht.

3. Darauf folgt im Alter von 12-13 Jahren eine schulische Pubertätspause. Während in den ersten Lebensjahren das Gehirn auf Wachstum ausgelegt ist, in der möglichst viele neuronale Verbindungen geschaffen werden, muss in der Zeit der Pubertät dem Umbau des Gehirns und der damit verbundenen verringerten Lernlust und -fähigkeit Raum und Zeit gegeben werden.

Diese Phase kann sinnvoller außerhalb der Schule genutzt werden.

In dieser heiklen Entwicklungsperiode muss die gesamte Gesellschaft in die Bildung und Erziehung der Jugendlichen eingebunden werden. Das würde allen Seiten gut tun, die Gräben zwischen den Generationen abbauen und das Gegeneinander von Schule und Gesellschaft zu einem neuen Miteinander umpolen.

Alle möglichen Institutionen sollten praktische Module anbieten, die den Jugendlichen zur Verfügung gestellt werden - und unsere Kinder würden fruchtbare Wander- und Lehrjahre durchleben. Finanziert würden diese Kurse im gleichen Maße wie Schulen - Lehrer und Pädagogen hätten nur beratende, begleitende, bestenfalls organisierende Funktionen.

Einige Beispiele für mehrwöchige Wahl- und Pflichtmodule, deren Inhalte von Schulen nicht angeboten werden können und größte Bedeutsamkeit haben:

- Diverse Sportvereine bieten Kurse und Training an
- Module bei Freiwilligen: Rotes Kreuz, Samariter, Feuerwehr, NGOs, Politische Organisationen ...
- Zivil- und Umweltschutz: Zum Beispiel könnten die Kapazitäten des Bundesheeres neu genutzt werden
- Kunst und Kultur: Musikvereine, Theatergruppen, Museen, Kreatives
- Praktika in Unternehmen, z.B. bei Eltern, Verwandten, Nachbarn
- Alltagspraktika: Jedes Kind sollte lernen zu kochen, zu putzen, zu waschen, Kleinigkeiten im Haushalt reparieren, Fahrrad, Moped oder Autos instand halten etc.
- Medienproduktion: Schreiben, Filmen, Fotografieren, digitale Produktionen, Medienwerkstätten
- Soziale Praktika: Lernen, Arbeiten und Leben mit Senioren, Behinderten, Kranken
- Umweltpraktika: Leben auf dem Land, Arbeiten im Wald und in der Landwirtschaft, Umgang mit Tieren und Umweltschutz
- Auslandsaufenthalte, "Kindertausch"

4. Wer nach zwei bis drei Jahren "Pubertäts/Praktikumspause" eine gewisse Mindestzahl an Modulen absolviert und wieder Lust zum Lernen gewonnen hat, kann sich für weiterführende Schulen je nach Begabung und Interesse bewerben. Diese Sekundarstufe führt zur allgemeinen oder berufsbildenden Reifeprüfung und ist aufbauend in zwei zweijährige Stufen gegliedert: Mittlerer und Höherer Abschluss. Hier halte ich zentralisierte, standardisierte und objektivierte, anonyme externe Überprüfungen, die von allen weiterführenden Bildungsinstitutionen anerkannt werden, für sinnvoll und notwendig.

5. Tertiäre Bildung und Berufsausbildung an Akademien, Universitäten und Fachhochschulen.

 

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