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cotopaxi

 
Letzten Sonntag habe ich Wichtiges dazugelernt: Ich liebe Grantiniertes, aber Fisch und Käse sollte ich nicht gemeinsam essen. Meine Tischgenossen berichten von medial inszenierten Eingebungen einer Superdiät, deren Namen ich sofort wieder vergessen habe, aber die „eh alle kennen“. Fleißiges Nicken in der Runde.

Blöderweise lese ich „Die Presse“ und am Wochenende die „FAZ“, weswegen ich nie am letzten Stand bin. (Und ich brauche keine Diät.)

Auch meine SchülerInnen halten mich für einen ungebildeten Eremiten, weil ich ihre Sternchen aus „Bravo“ nicht kenne, weil ich die letzte Folge von „Sex and the City“ versäumt habe und auch die Modelmaße von Heidis Superstars nicht wissen will. Banause.

Der ORF und ich haben also vergleichbare Probleme:
1. Geldsorgen mit Sparzwängen
2. Krisenstimmung mit Panikattacken
3. Einen Bildungsauftrag!

Wenn wir, der ORF und ich, Schulsendungen, Theateraufführungen oder Sprachkurse anbieten, zappen alle weg. Wenn ich plaudere wie Barbara Karlich, herumblödle wie Alfred Dorfer oder Liebesgeschichten vom Karibikstrand erzähle, dann bin ich der Star der Stunde.

P.S.: Ich möchte soooo gerne Paris Hilton einladen (zum Englisch lernen, oder Französisch).

Lehrer kassieren mehr als 180 Mio für Überstunden.

Wird wahrscheinlich stimmen. In meiner Schule gibt es praktisch keine LehrerInnen, die ohne Überstunden auskommen.

"Kann ich Überstunden ablehnen?"
Eine Frage, die Direktor und Administrator oft und oft mit einem klaren "Nein" beantworten mussten. "Könnt ihr nicht. Geht nicht!"

Ich alleine habe im vergangenen Schuljahr rund 15 Überstunden pro Monat gehalten. Bezahlt, aber unfreiwillig. Schon im Oktober bin ich mit meinem Anliegen in die Direktion gepilgert: "Könnt ihr bitte einen Ersatzlehrer auftreiben? Mir wird das zu viel."
"Wir werden es versuchen."

Sie haben keinen gefunden. Es gibt keine. PraktikantInnen und Studierende wurden angesprochen, ob sie Klassen übernehmen wollen, alle Reserven wurden mobil gemacht. Niemand.

Wir haben zu wenig Lehrer, weil in den letzen Jahren massiv davon abgeraten wurde, Lehramt zu studieren. Direkt (in Werbefoldern des Unterrichtsministeriums!) und indirekt (über gehässige Medienberichte).

Wir müssen diese Überstunden machen. Warum wirft man uns das Versagen der Behörden vor?

Es ist 14.15 Uhr, ich habe fünf Stunden in den Klassen verbracht, ich bin heiser, habe Hunger und ... bleibe trotzdem gerne in der Schule. Unser Sozialraum hat in den letzten Wochen erstaunliche Attraktivität entwickelt. Es gibt keine neuen Möbel, kein Gratis-Buffet und auch kein buntes Unterhaltungsprogramm - es gibt bloß Lehrer(innen), die sich rund um den Kaffeeautomaten zum Gespräch versammeln:

"Da ist wirklich nichts herausgekommen. Zumindest nichts Gutes", sind sich alle Anwesenden einig. Von Reform keine Spur, die Einsparungen belasten die Falschen, die Schulpolitik steckt mitten im medial verbreiteten Dreck. Ministerin und Gewerkschaft führten Krieg und hinterließen nichts als Verlierer.

"Warum kann man die Schulen nicht einfach arbeiten lassen? Das hat doch die letzten Jahrzehnte gut funktioniert."
"Genau. Wir stolpern von einer Reform zur anderen - und alles ist nur schlimmer geworden."

Ein Wunsch durchzieht den Raum: Lasst uns in Ruhe unseren Job machen. Wir haben Unterrichten gelernt und wir können das.

"Leute! Das geht nicht mehr. Die Welt hat sich total geändert - wir müssen uns anpassen", mische ich mich ein.
"Warum? Wir waren doch erfolgreich!"
"Die Gesellschaft hat sich um 180 Grad gedreht. Die Kinder haben sich verändert. Wir haben digital natives in den Klassen sitzen. Jahrelang haben wir Wissen gesammelt, aufbereitet, vermittelt. Das war unsere Stärke, das können wir gut. Wissen war Macht, der Schlüssel zu Erfolg und Karriere. Aber jetzt liegt Wissen auf der Straße, gratis im Internet. Wissen ist nichts mehr wert ..."
"Das stimmt doch nicht! Wir brauchen gut ausgebildete Fachkräfte, sonst können wir am Weltmarkt nicht mithalten."
"Ja, aber unsere Kinder ertrinken in Informationen. Fernsehen, Internet, Gratiszeitungen, Handys ... unser Lehrbuch-Wissen von vorgestern ist uninteressant geworden. Belanglos. Wir geben den Ertrinkenden Wasser!"

Da ist es ruhig geworden im Sozialraum. Draußen geht der Lärm weiter.

In der Nachbarschaft lebte ein stattlicher Mann mit einer unangenehmen Eigenschaft: Er pfiff beim Arbeiten.
Mein strenger Vater empfahl mir dabei diese Einstellung - auch unangenehme Tätigkeiten mit guter Laune zu verrichten. Ich hasste die Drecksarbeit im Garten umso mehr.

In der fünften Klasse gebe ich meinen SchülerInnen nach der einleitenden Erklärung ein paar individuelle Übungen zum Bearbeiten:
"Bitte schriftlich ins Heft, jeder für sich!"
Drill & practice.
Genauigkeit und Konzentration sind gefragt.

Dann höre ich ein lustiges Pfeifen. Akustisch ist es nicht zu lokalisieren, ich suche nach einem zugespitzten Mund. Ich hasse Pfeifen (wenn sie nicht rauchen :-), das habe ich schon erklärt.

Sollte ich es als Zeichen einer entspannten Arbeitsatmosphäre endlich akzeptieren lernen?

"Muss das sein?", gehe ich das musizierende Mädchen in der zweiten Reihe vorwurfsvoll an. Sie verstummt.

Mitteilung an meinen Vater: Pfeifen stört beim Arbeiten!

Sind gar die Chinesen schuld?

Wir sind es gewohnt, T-Shirts um 2,99 und Bohrmaschinen um 19,99 zu kaufen. Bauarbeiter aus der Ukraine und Putzfrauen aus Polen erledigen die Drecksarbeit, Inder machen die Buchhaltung, pakistanische Kinder nähen die Jeans. Heimische Banken haben auf Automaten umgestellt, wir bedienen uns an Tankstellen selbst und gekocht wird bei Unilever im Tiefkühlschrank.

Billig, billiger, am billigsten. Masse. Industrie. Anonymität.

Nur die Bildung wird nicht billiger, im Gegenteil: Keine Zulieferer aus Taiwan, keine Lehrer aus Cuba, kein Self Service im Klassenzimmer, keine Schwarzarbeiter aus Tschechien. Hier arbeiten nur akademisch gebildete, legale, sauteure, heimische Fachkräfte. Sie haben keine Bankkonten auf den Cayman-Inseln, sie zahlen Steuern in ihrem Heimatland. Wenn sie mit neuen Medien arbeiten und mit aktuellem Können aufwarten sollen, dann müssen sie noch geschult und vorbereitet werden. Teuer, teurer, am teuersten.

Können nicht ersetzt werden.
Können nicht automatisiert werden.
Können nur erpresst werden.

Deshalb müssen wir sparen. Damit wir weiter den Billigramsch aus Bangladesh importieren können, Autos aus Indien, Handys aus Shenzhen ...

Wollt ihr die Diskont-Schule?
Ja.

Ich kenne den Bundesschulsprecher nur aus den Medien. Er sagt der Frau Ministerin offen ins Gesicht, was Sache ist. Er organisiert einen kleinen Streik per SMS, er betont im Interview: "Vier gewinnt."

Eine Zeitung sucht die Fehler in diesem SMS und findet sechs in vierzehn Zeilen. Na und? Letztlich stehen 60.000 SchülerInnen auf der Straße und verlangen lautstark ihre Ferien zurück.

So definiere ich "Effizienz": Geringer Aufwand - viel Erfolg.
Er nennt es "Vier gewinnt": Er pfeift auf gute Noten, er vergeudet seine Zeit nicht mit überflüssiger Arbeit, er will bloß durchkommen. Eine Einstellung, die ich gut verstehen aber nicht goutieren kann. Wir reden doch immer von SchülerInnen, die aus eigenem Interesse motiviert mitarbeiten und nicht auf die Noten schielen ...

In der Abschlussklasse erwähne ich in diesem Zusammenhang das Pareto-Prinzip: "Es besagt, dass sich viele Aufgaben mit einem Mitteleinsatz von ca. 20 % so erledigen lassen, dass 80 % aller Probleme gelöst werden."

Pareto-Prinzip? Den Schülern gestatten wir es augenzwinkernd, den Lehrern werfen wir es giftig vor. Aber auch Lehrer waren einmal Schüler, lernen von den Schülern, fordern Effizienz - kennen das Motto: "Pareto gewinnt."

P.S.: Der Berater heute im Möbelhaus, Pareto. Der Installateur beim Kostenvoranschlag, Pareto. Der Taxler gestern bei der Heimfahrt, Pareto. Die Kellnerin im Stammcafé, detto.

Diesen Titel konnte ich mir nicht entgehen lassen, das werden Sie verstehen.

Am letzter Tag der Abschlussklasse heizen unsere SchülerInnen auf dem Schulhof die Griller an. (Laienhaft, mit Papier und Holz, mit Föhn und Chemie. Aber ich will nicht den Oberlehrer raushängen lassen.)

In der Klasse warten die SchülerInnen ein letztes Mal auf meinen Auftritt - alleine lassen wir auch die 18-jährigen (Großjährigen!) nicht ans Feuer, die Aufsichtspflicht endet erst mit 1.Mai. Ich schaue in den Raum und erschrecke: Ein schwarzer Hund wieselt aufgeregt durch die Reihen. Ich mag Hunde, aber nicht im Klassenzimmer, wo sie vom Lärm und der fremden Umgebung unberechenbar nervös werden.
"Wer ist denn das?"
"Berlioz."
(OK, Berlioz darf bleiben, ich will nicht den Oberlehrer raushängen lassen.)

Ich drehe mich um und erschrecke ein zweites Mal: Ein weiterer Hund, ein Kalb von einem Golden Retriever, schaut unter der zweiten Bank hervor.
"Das glaub ich jetzt nicht!"
"Das Lustige kommt erst. Wissen Sie, wie sie heißt? ... Mozart!"
"Dann sind wir wohl ein Musikgymnasium."

Wir gehen die Stufen zum Hof hinunter und Mozart giert nach Streicheleinheiten. Die fröhliche Besitzerin kommentiert das so:
"Mozart ist eine richtige Schlampe ... sie bleibt bei jedem, der sie lieb anlächelt."
(Ein unglaublich poetischer Titel, finde ich, wenn man nicht den Oberlehrer raushängen lässt.)

"Ordination Dr. Mayer, Grüß Gott."
"Bundesgymnasium Freistadt, Mag. Huber, kann ich mit dem Herrn Doktor persönlich sprechen?"
"Worum geht es?"
"Um seinen Sohn, ich rufe aus der Schule an. Es ist wichtig."

Die Vorzimmerdame stellt durch.

"Mayer, Grüß Gott."
"Huber, Guten Tag. Ich rufe wegen Ihrem Sohn an."
"Ja. Wo liegt das Problem?"
"Sie wissen ja, ich bin seit 3 Jahren sein Geschichtelehrer ..."
"Ja, ich weiß Bescheid."
"... und stellen Sie sich vor: Matthias kennt Vercingetorix nicht!"

Herr Doktor ist leicht verwundert und stark erleichtert. DESWEGEN hat ihn der Geschichtelehrer in der Ordination angerufen. Es hätte schlimmer kommen können.

Frau Gruber bekommt eine Vorladung: "Bitte um Vorsprache beim Sprechtag."
Sprechtag, das heißt, Frau Gruber muss sich einen halben Tag frei nehmen. Sie pilgert in die Schule und stellt sich in eine lange Reihe von wartenden Müttern und ein, zwei Vätern.
Eine knappe Stunde später im Klassenzimmer:
"Guten Tag, Gruber mein Name. Ich bin die Mutter von Gerhard, 7 C."
"Ja. Wissen Sie, warum ich Sie vorgeladen habe?"
"Naja, Gerhard sagt, weil er einmal das Buch vergessen hat."
"Genau. So können wir nicht arbeiten!"
"Ahhh ... und DESWEGEN muss ich hier herkommen?"

Vielleicht sollten wir Telefon, E-Mails oder sowas erfinden.

P.S.: Beide Kollegen führen tadellose Klassen, hoch organisiert, vorzügliche Leistungen, keine Beschwerden. Klassenvorstände, die bei den kleinsten Kleinigkeiten eingreifen, ersticken Probleme im Keim. Lächerlichkeit wirkt?

Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Ich bin beeindruckt.

Der Lehrerfreund hat über 70 Lehrerblogs zusammengestellt und die zehn besten herausgefiltert. Ein Mörderaufwand, den man anerkennen und wie eine Goldmine nutzen sollte. Also klicke ich mich von einem Blog zum anderen und sehe brillante Ergebnisse:

Wirklich nützliche Inhalte.
Wirklich schöne Layouts.
Wirklich gute Ideen.

Auch mein bescheidener Netzauftritt wurde nominiert. Sofort überkommt mich das Gefühl, in dieser digitalen Profi-Liga nicht mithalten zu können. Ich schreibe bloß meine Gedanken auf, ich blogge meinen Frust ab, ich lade zum Diskutieren ein.

Dieses/r Blog ist nicht mein Blog, es ist unserer. Es lebt von den Lesern und Schreibern, von den Menschen, die mitreden. Das ist Web 2.0, es verbindet über Grenzen und Zeiten hinweg, schafft neue Kommunikationsmöglichkeiten. Ich liebe dieses Fenster in die Öffentlichkeit und ich mag es, wenn jemand einsteigt. Ich möchte die Schule (und deren Krise) durchschaubar (und verständlich) machen und allen Interessierten eine faire Chance geben, mitzureden. Vielleicht ist dieser/s Blog hier keine Goldmine für schulische Entfaltung, aber ein offener Steinbruch an Gelegenheiten. Nutzen wir beides.

Zwei LehrerInnen kommen aus Marokko zurück. Zwei Wochen waren sie mit 25 SchülerInnen zwischen Marrakesch und Agadir unterwegs: Geographie, Biologie und Französisch in der Praxis. Sie haben Monate vorbereitet, eine Woche ihrer Ferien dafür geopfert und sogar den Flug selbst bezahlt.

"Schön blöd", hören sie von verschiedenen Seiten.
"Riskant. Wenn da was passiert!"
"14 Tage Verantwortung rund um die Uhr, das zehrt."

Letzte Woche fand die Präsentation des Exkursionsberichtes statt: Viel Applaus im Festsaal, die Jugendlichen (16-17 Jahre), präsentieren Fotos, Texte und Erinnerungen. Gute Stimmung, stolze Eltern, beeindruckte Gäste.

"Ich war erschreckt, was wir da korrigieren mussten", erzählt mir eine externe Mitarbeiterin, "die Schülerberichte waren kaum zu gebrauchen. So viele Rechtschreibfehler, unzusammenhängende Sätze, unscharfe Bilder..."

Die Realität vieler Projekte: Damit wir die Ergebnisse herzeigen können, ohne uns dafür zu genieren, schreiben wir den Großteil letztlich selbst. Schülerprojekte sind Lehrerprojekte mit Kindererschwernis. Das verschweigen alle Pädagogen rücksichtsvoll, beschämt und dezent. Auch verlogen.

Dabei kennt das jeder, der selbst mit Kindern bastelt, bäckt oder werkt. Die Ergebnisse werden so gut wie die Arbeit der Betreuer. Die Kinder freuen sich, werden gelobt und ernten die Lorbeeren. Die Lehrer tragen die Verantwortung, machen den Großteil der Arbeit und verschenken ihre Erfolge, sie müssen nur für Fehler und Kritik gerade stehen.

Das ist die Motivationstragik des Lehrberufes: Den Erfolg kassieren die Kinder, den Misserfolg die Betreuer. Den schönen Exkursionsbericht haben die SchülerInnen gemacht, die schlechten PISA-Ergebnisse verschulden die Lehrer. Könnte es nicht umgekehrt sein?

Burnout. Depression. Frust. Demotivation. Ein Erklärungsansatz und eine Falle, aus der wir herausmüssen.

 

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