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cotopaxi

 
Lieber Hr. Prof.!,

Schauen Sie auf meine postkarte, wie schön hier der Weizen wechst obwohl ich jetzt in Kanada bin. Wenn sie sich erinnern können, habe ich ihnen versprochen, das ich ihnen jedes Jahr erzähle wie es dem Getreide geht und es geht im gut!!
Ich habe ihnen doch erzählt, dass Getreide im Winter wechst.

M.A., 5 A aus Kanada
postkarte-monika


Liebe M.!
Danke für die Erinnerung, dass in Kanada der Weizen im Winter wächst. Der künstlerische Beweis ist gelungen. An der deutschen Sprache arbeiten wir noch, einverstanden?

Die halbe Klasse sitzt am Gang herum und bittet um Geduld, die andere Hälfte diskutiert aufgeregt an ihren Plätzen.
"Was ist los?"
Ich höre siebzehn Antworten, die alle nicht zum Kern des Problems vorstoßen.
Bald schreibe ich die Stunde endgültig ab. Sie könnte die wichtigste im ganzen Jahr gewesen sein.
"Wir lernen nichts, weil sie zu lieb ist."
Nichts ist so absurd, dass es die Realität überbieten könnte.

Großer Aufruhr, weil eine (zu) nette Kollegin in Tränen ausgebrochen ist: "Diese Schüler respektieren mich nicht."

Lang und breit schütten die betroffenen Schüler ihr Herz aus:

"Sie ist zu gutmütig, sie kann sich nicht durchsetzen, sie macht zu wenig Stoff, sie verlangt keine Hausübungen, wir machen keine Verbesserungen, in ihrer Stunde geht es drunter und drüber, sie kann mir nur leidtun, sie lässt alles durchgehen, sie nimmt die Regeln so ernst, wie eine Glucke, ..."

Gegenstimmen werden laut, Pläne werden gewälzt, ich bin zum Zuhören verdammt. Wenn die Emotionen hoch gehen, lasse ich das Unterrichten sein. Nach 45 Minuten frei organisierter Diskussion läutet es zur Pause, aber keiner verlässt den Saal. Hereinkommende hören ein "Tür zu!" und fallen in den lamentierenden Chor ein:
"Wir lernen nichts, weil sie zu gutmütig ist."
Meine Abschiedsworte: "Ihr wisst schon, was Masochismus ist?"
"Ja, wir brauchen den Druck, sonst tun wir gar nichts."
Sechzehn Jahre Lernerfahrung.

Ein Paar Schuhe steht alleine unter dem Tisch.
Ein Schüler kommt barfuß nach Hause.
Dazwischen finden ein paar aufreibende Auseinandersetzungen auf dem Tisch statt: Schach.

F. kennt seine Schwächen:
Er kommt gerne zu spät, wird aber lächelnd entschuldigt.
Er vergisst seine Sachen, sucht sie in den ungünstigsten Momenten.
Er verweigert die Mithilfe an Teamarbeiten:
"Ihr wisst, dass ich dafür ungeeignet bin." Wir akzeptieren.

"F.; nimmst Du das Klassenbuch mit hinauf?" frage ich den letzten, der den EDV-Saal verlässt.
"Wenn Sie wollen, dass es unterwegs verloren geht."

F. ist nett, freundlich, unmöglich.
Er schlägt gnadenlos meine Dame im elften Zug. Aber ich gehe mit warmen Füßen heim.

10/10 - das heißt Max und Eva haben fast das Unmögliche geschafft: Sie haben beim Vokabeltest alle 10 Phrasen fehlerlos übersetzt.

"Du hast eine liebe Klasse, obwohl ..."
"Obwohl ...???"
"Ich habe gestern mit ihnen Vokabel trainiert, einige hatten noch gar nicht angefangen zu lernen", hat mich eine supplierende Kollegin vorgewarnt.

Tatsächlich haben mehrere SchülerInnen die Hürde von 5/10 nicht überwunden.
"Streber!" schreien sie geifernd zu den Spitzenleuten mit 10/10.

Da mische ich mich ein:
"Wer ist der größte Streber?"
"Da Max und die Eva", wissen sie mit Bestimmtheit und stellen die besten Mitschüler an den Pranger.
"Nein! Ich meine den größten Streber ... von ganz Österreich!"
???
"Der Maier!"
???
"Der Hermann Maier!"
"Na gut, beim Skifahren."
"Egal. Streber sind richtig gut ... und echt erfolgreich."

Warum wird Talent und Ehrgeiz nur im Sport anerkannt?
Ich mag Gehirnathleten! Und ich verteidige sie mit sportlichen Vergleichen.

Leider hält der Herminator heuer nicht, was ich versprochen habe.

Carina kommt wieder mit. Sie hat vor Jahren bei uns maturiert und lernt unser Handwerk, das Lehren. Ich kann nicht aufhören, sie darin zu bestärken, so viel Begabung bringt sie dafür mit. Sie gibt mit ihren 20 Jahren klare Anweisungen und meine Schüler zweifeln nicht eine Sekunde an ihrer warmen Autorität. Gleichzeitig nutzt sie ihren studentischen Jugendbonus, kugelt sich zu den Kleinen auf den Boden, um über einem überdimensionalen Stadtplan zu brüten. Ich beneide sie um ihre Traumstimme, die fürs Radio geboren wurde, und ich bewundere ihre Fähigkeit, überall sofort Kontakt aufbauen zu können.
Hübsch anzusehen ist sie auch.
Begeistert von ihrem Studium greift sie in kurzen Pausen zu kiloschweren Büchern und steckt zum Lesen an. Sie sprüht vor Energie und kann es kaum erwarten, richtig durchzustarten.

Jetzt steht Carina vor dem Lehrerzimmer und fragt nach mir. Die angesprochene Kollegin erkennt sie und fragt frisch von der Leber: "Du kannst Dich wohl gar nicht losreissen ... von ihm."
Carina, auf dem linken Fuß erwischt, stottert: "Ah, also, eigentlich, wollte ich in die 7 B ... zuhören."

Wie soll ich reagieren? Carina ist in festen Händen, ich kenne ihren Freund, und uns verbindet professionelle Sympathie.
Geht das zwischen Mann und Frau?
Wenn ich beginne, Carina oder mich zu verteidigen, dann sitze ich in der Falle, vor der ich mich retten will. Es gibt nichts zu verteidigen! Ich darf nicht einmal sagen: Sie ist gar nicht mein Typ.
Ich habe Carina auf das wachsende Gerücht nicht angesprochen und sie hat das Thema beiseite gewischt. Aber es steht zwischen uns und verkompliziert unsere Freundschaft.
Geht das zwischen ehemaliger Schülerin und ehemaligem Lehrer?

Übrigens, meine Frau befrage ich dazu nicht.

Früher war es schlimmer, da musste man das Abendprogramm gesehen haben. Als ORF 1 und ORF 2 praktisch die ganze Klasse im Allgeingang beglückte, hatten wir gemeinsamen Stoff zum Diskutieren. Fast alle konnten mitreden, wenn Franz Klammer gewann, saurer Regen fiel oder Palästina.
Alle hatten das gleiche gesehen, die gleichen Vorinformationen zum Verarbeiten. Jetzt müsste ich MTV, RTL 2 und Premiere gleichzeitig schauen, damit ich halbwegs mithalten könnte.

Trotzdem beherrschte heute ein ORF-Thema die dritte Stunde: Horrorszenen vom "globale dimming".
"Ist das wirklich so schlimm?"
"Vielleicht in 30 Jahren, wenn wir nichts dagegen tun."
"Millionen Klimaflüchtlinge, Hunger, Malaria ...?"

Ich will nicht Öl ins Feuer gießen, aber Entwarnung kann ich auch nicht geben.
"Ja! Was wir der Natur antun, das rächt sich. Die Industrie, die Autos, die Flugzeuge ... ständig blasen wir Tonnen an Giften in unsere Luft. Verrückt! Aber wir können heute noch anfangen, was dagegen zu tun."
"Was, konkret?"
"Wer von euch wird mit dem Auto in die Schule gebracht?"
Niemand will die Hand heben.
"OK, wenn alle mit dem Bus oder der Bahn fahren, dann seid ihr echte Vorbilder."
Wir reden von alternativen Energien, von Sparsamkeit, von ökologischem Denken. Ich versuche, das gestörte Gleichgewicht in der Atmosphäre verständlich darzustellen: global warming versus global dimming.

"Herr Professor, Sie sollten in die Politik gehen", schlägt am Ende der Stunde ein Mädchen vor.
"Nein, nein. Ständig herumstreiten, das mag ich nicht."
"Wir würden Sie wählen", stimmen andere schmeichelnd ein.
"Ihr seid ja gar nicht wahlberechtigt", lenke ich ab.
"Gut, dann gründen wir eine neue Partei!"

Diese Kinder haben Angst vor einer ungesunden Zukunft und verlangen mutige Maßnahmen von unseren Mächtigen. Sie zeigen Bereitschaft, auf Wohlstand und Konsum zu verzichten, weil sie langfristiger denken als unsere Demokratie und Marktwirtschaft.

Kinder an die Macht!

Gangaufsicht in einem belebten Viertel.

Eine hermetisch abgeklebte Papierkugel rollt mir in großer Geschwindigkeit entgegen.
"Ich sehe keinen Ball!" kommentiere ich ironisch das Spiel.
Die Kugel zu meinen Füßen, große Fragezeichen in den jugendlichen Gesichtern.
Ich kläre auf:
"Wenn ich hier einen Ball sähe, dann müsste ich ihn kassieren."
Der Konjunktiv überfordet.
"Ballspiele sind auf dem Gang verboten! Zu gefährlich."
Das sitzt. Botschaft angekommen, einer der Jungen packt die Wuchtel und weg sind sie.

Nach dreißig Sekunden komme ich routinemäßig zurück und eine leere Colaflasche rutscht durch den Ausgang der Klasse.

"Das ist kein Ball", paraphrasiere ich meine vorherige Warnung.
"Oja!", widerspricht einer, der wenig zum Mitdenken neigt.
"Ist das Ding rund?"
"Na."
"Ist es aus Leder?"
"Na."
"Daher ist das kein Ball! Und eignet sich nicht zum Spielen!"
"Oja!"
"Weg damit!"
Klare Aufforderungen braucht das Land!

Leute, ich bin teuer: 30 Euro die Stunde, vor Steuern.
(Einen Installateur oder Homöopathen bekommen Sie dafür nicht, aber für einen Lehrer sind 30 Flocken pures Gold!)

Gleich vorweg, ich bin jeden Cent wert, alle meine Privatschüler haben den Aufstieg geschafft. Alle! Das hat sich herumgesprochen und ich bin immer teurer geworden. Letztens stand sogar eine Mutter in der Haustür:
"Schaffen Sie auch das Unmögliche?"
"Geben Sie uns ein wenig Zeit!"

Ich kenne alle Tricks, wie man Tests besteht, ohne die Spur einer Ahnung, völlig ohne Durchblick. Ich spüre im Urin, wie die Aufgabe ausschauen wird und ich sammle sämtlichen Unterlagen in meiner Bibliothek. Ich bereite euch auf jede Prüfung so vor, dass negative Noten denkunmöglich werden. Ihr werdet schon antworten wollen, bevor die Fragen ausgesprochen sind. Ihr werdet vor Selbstvertrauen strotzen und keine Gnade mit hinterlistigen Prüfern haben.
Ja, ich drehe den Spieß für euch um. Ihr testet den Prüfer, ob er wirklich über den Dingen steht. Nicht sichtbar, nicht spürbar - so viel psychologisches Gespür muss sein - aber ihr manipuliert das Examen so, dass euch die guten Noten förmlich zufliegen.

Als Schulpädagoge strebe ich strategisch einem großen Ziel entgegen: Lernen fürs Leben! Als Nachhilfepartner kenne ich nur eine taktische Herausforderung: Die Note herumreißen!

Möglicherweise versteht ihr kein Wort von dem, was über eure Lippen gehen wird. Egal, wir lernen für die nächste Prüfung, für das nächste Zeugnis. Als Nachhilfelehrer zählt kein pädagogisches Ethos: Egal, was morgen ist, heute musst du es schaffen. Dieses Ziel lassen wir niemals aus den Augen, der Rest ist primär (sportliches Zitat!).

"30 Euro? Das ist viel Geld."
"Für 50 Minuten, wohl gemerkt!"
"Sind Sie das wert?"
"Ich gebe Ihnen eine Garantie: Sollte Ihr Sohn das Jahr nicht schaffen, bezahle ich die volle Summe zurück."
"Riskant!"
"Wenn wir es aber schaffen, verdoppeln Sie auf 60 Euro die Stunde. Einverstanden?"

Ein Vater, ein einziger, ist jemals auf diesen Deal eingestiegen. Er läutete am ersten Ferientag an der Tür, griff in die Hosentasche und hielt mir einen blanken Fünfhunderter hin.
"Behalten Sie den Rest!"

Was ist Nachhilfe wert?

Zwei Mal Schande vor acht.

Endlich schneit es draußen und alle drängen herein in die warme Stube. Alle?
Nein, ein kleines Dorf im Norden ... eine kleine Gruppe von widerspenstigen Frauen, ja, nur weibliche Krieger, lässt sich das Rauchen nicht nehmen. Mit einem Schirm bewaffnet schwimmen sie gegen den Strom und zwängen sich durch den Notausgang ins winterliche Freie. Dann stellen sie sich zusammen rund ums wärmende Feuer von Marlboro und Streichholzschachtel: paffen, paffen, paffen auf dem Gehsteig. Am Eck. Gleich beim großen Parkplatz.
Akademisch geprüfte, moderne Frauen geben sich öffentlich die Blöße. Vorbilderinnen im Namen von Freiheit, Gleichberechtigung und Nikotinsucht.

Ich betrachte das beschämt vom warmen Zimmer aus, wo sich der Computer langsam hochquält. Login, Passwort, lange Sekunden vor acht. Hinter mir blinkt ein Schirm: "Kein Signaleingang."
Ja, ich geniere mich gleich noch einmal. Wieder hat ein/e Kollege/in den Computer beim Monitor (!) ausgeschaltet. Den Unterschied kennen einige noch immer nicht, sie fragen verärgert, warum diese "blöde Kiste" schon wieder nicht funktioniert, und es hängt mir beim Hals heraus, erwidern zu müssen, dass Computer UNTEN EINZUSCHALTEN sind.

Wen wundert es, dass ein Macho die Augen verdreht und "Frauen!" keucht.

Schande, Schande. Und Schande.

"Ich höre damit auf!", winkt eine Kollegin ab.
Sie wird keine Nachhilfelehrer mehr empfehlen.
Sie hat sich in die Nesseln gesetzt, weil die vermittelte Nachhilfe nichts gefruchtet hat: Ein weiteres Nicht genügend in Mathe brachte das Fass zum Überlaufen.

Die Eltern sind enttäuscht, schließlich zahlen sie dem eingeschalteten Studenten 10 Euro die Stunde. Wenn sich der gefährdete Sohn trotzdem nicht verbessert, dann ist das hinausgeschmissenes Geld. Unterschwelliger Vorwurf an die Kollegin: "Welchen unfähigen Typen haben sie mir bloß zugeschanzt!"
Gleichzeitig kam ein Mail vom bemühten Mathe-Studenten: "Bitte schicken sie mir keine aussichtslosen Fälle mehr. Der kann kein gscheites Deutsch, der versteht nicht einmal die Angabe. Dann kommt er zwei Tage vor der Schularbeit und glaubt, ich kann alles retten."

Deswegen lehne ich es seit Jahren ab, irgend jemanden als Nachhilfe anzubieten. Obwohl Eltern händeringend darum bitten: "Sie kennen doch ältere Schüler, Studenten oder die Qualität der Institute. Sagen Sie mir jemanden."

Stimmt alles!

Aber nein, ich kann nicht. Tu ich nicht. Ich bleibe unabhängig.

 

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