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cotopaxi

 
Sowas ist lustig.

Stellen Sie sich vor, sie waren dabei, hören aber eine ganz neue Geschichte. Solche Erfahrungen macht man manchmal mit der Zeitung. Sie haben den Vorfall gesehen, die Polizei gerufen, die Zeugenaussage abgeben ... und lesen dann in der Zeitung - was völlig anderes: Der Peugeot ist ein VW, die Lenkerin ein Lenker, der Verletzte unverletzt.

Sowas ist auch in der Wissenschaft gang und gäbe. Zumindest in der Pädagogik und Didaktik. Ich sitze im Hörsaal und ein begabter Didaktiker trägt sein Konzept vor. Er belegt seine Aussagen mit praktischen Erfahrungen, die MEINE Klasse geliefert hat:

"Wie selbständig die waren!"
(Das war intensiv vorbereitet)
"Wie engagiert sie waren!"
(Zumindest drei von zwanzig)
"Wie gut die mit der Technik umgehen können!"
(Ein Computerfreak war dabei)
"Der Projektbericht hat große Anerkennung gefunden!"
(Er wurde extern überarbeitet)
"So kann guter Unterricht funktionieren!"
(Wenn drei Forscher dem Lehrer in seiner besten Klasse helfen)

Ehrlich, das Projekt war gut. Wir hatten ein paar interessante Tage. Aber daraus wissenschaftlich eine Bestätigung für ein neues Unterrichtsszenario abzuleiten, das ist unseriös. Bloß wer möchte eingestehen, dass ein neuer Lernansatz unbrauchbar elitär ist? Wo liest man von innovativen Lehrmethoden, die schief gelaufen sind?

Nur Altes geht schief. Komisch. So als wäre es nie neu gewesen.
bia (Gast) meinte am 3. Apr, 16:03:
In der Praxis läuft es dann umgekehrt: was neu ist, wird von vornherein mit Misstrauen beäugt und hat sich viel, viel mehr zu bewähren als alles, was man eh schon immer so gemacht hat, wie man es halt macht. :-) 
teacher antwortete am 3. Apr, 16:08:
Ich glaube, dass beides die gleichen Ursachen hat: Wir nehmen viel Neues nicht ernst, weil es nicht seriös evaluiert wurde, sondern akademisch hochgelobt. 
BIA (Gast) antwortete am 4. Apr, 21:29:
Egal, wie seriös irgendwas evaluiert wurde - wenn es neu ist, besteht viel mehr "Bringschuld", um einen positiven Effekt nachzuweisen, wogegen alles, was Routine ist, bei weitem nicht so genau hinterfragt wird. Es gibt irgendwo eine Sammlung wunderbarer Zitate zu pädagogischen Neuerungen, die seinerzeit furchtbar verteufelt wurden, so wie ...Kreide und Tafel. (Ich finde das leider jetzt nicht.) Im Endeffekt hatten Kreide & Tafel durchaus Erfolg. 
teacher antwortete am 5. Apr, 08:35:
Damit wir uns richtig verstehen: Ich bin sehr für päd.-didakt. Erneuerungen. Ich versuche nur zu verstehen, warum sie so wenig angenommen werden. 
xconroy (Gast) meinte am 3. Apr, 19:01:
"Wo liest man von innovativen Lehrmethoden, die schief gelaufen sind? "

Hm. Möglicherweise bei den Vertretern konkurrierender neuer Lehrmethoden? (aber dann müßte es einen "Markt" dafür geben. Ich stelle mir gerade vor, wie die innovativen Pädagogen mit ihren neuen Methoden zur Schulbehörde gehen und sie dort vorstellen, so wie App-Entwickler ihre Produkte bei Apple vorstellen... ob das wohl ginge, oder überhaupt gewollt würde?) 
teacher antwortete am 5. Apr, 08:36:
Gute Idee: Es braucht einen transparenten Markt - mit vielen Anbietern und Nachfragern. 
studi (Gast) meinte am 3. Apr, 21:20:
Jede Medaille hat zwei Seiten
Wenn schon die Wissenschaftlerinnen nicht seriös arbeiten, wie sollen es jemals unsere NachfolgerInnen lernen?
Pädagogen/LehrerInnen Ausbildnerinnen erzählen Studierenden was sie zu tun haben ohne jemals in der Schule gewesen zu sein.
Wie war das mit dem VW, vielleicht sollte man jene auch mal befragen... 
Stefan (Gast) antwortete am 3. Apr, 23:12:
Bezüglich der "fachfremden Pädagogen an der Uni" sollte man doch etwas differenzieren, mein persönlicher Eindruck ist folgender: Zumindest im Mittelbau der Fachdidaktik hat man meist mit Leuten zu tun, die im Schulbetrieb stehen. Jedoch haben oftmals die dazugehörigen Professoren den Kontakt zur Basis ein wenig verloren. In der Schulpädagogik habe ich allerding drastische Sachen erlebt, Beispiel: Seminar zu "Neue Lernformen & Öffnung des Unterrichts", bei denen von Overhead-Folien abgeschrieben werden musste und nur das Unterstrichene prüfungsrelevant war. Halleluja! 
teacher antwortete am 5. Apr, 08:37:
Schon witzig! 
o. klein (Gast) meinte am 4. Apr, 09:59:
ERfolg?
"Ehrlich, das Projekt war gut. Wir hatten ein paar interessante Tage. Aber daraus wissenschaftlich eine Bestätigung für ein neues Unterrichtsszenario abzuleiten, das ist unseriös. Bloß wer möchte eingestehen, dass ein neuer Lernansatz unbrauchbar elitär ist? Wo liest man von innovativen Lehrmethoden, die schief gelaufen sind?"

Vielen Dank für diese FEststellung. Ich glaube, der Artikel fasst ganz gut zusammen, woran "ganz tolle neue Lernmethoden" scheitern:

1) Sie werden mit wesentlich mehr Personalaufwand ausprobiert, als dann in der Praxis zur Verfügung steht.

2) Jede Lehrmethode kann gut sein, wenn der Erfinder selbst sie praktiziert. Das Problem bei "Didaktik" ist die Weitergabe: sobald die Sachen nicht mehr von Lehrer selbst kommen, sondern aus Schulbuch oder Lehrplan, besteht die Gefahr der "Verknöcherung". Wenn ein guter Lehrer z.B. seine erfolgreichsten Übungsbeispiele in einem Buch zusammenfasst und dann alle Lehrer danach unterrichten, muss das nicht unbedingt ein ERfog sein, denn die "Nachahmer" wissen nicht wirklich was sich der Erfinder dabei gedacht hat, ihnen liegen andere Beispiele vielleicht besser, und jedes Buch ist meist bei Herausgabe schon veraltet, und mit jedem Jahr wird es noch älter. Die Aufgabe, den Unterricht lebending zu halten bedeutet schlicht und einfach Arbeit für die Lehrer, das kann ihnen kein noch so geniales Buch abnehmen.

3) In jeder Klasse gibt es verschiedene Lerntypen und Begabungen, und eine Methode, die für die 20%, die heute nicht mitkommen viel, viel besser ist, kann für die 80%, die keine Probleme haben, verheerend sein. Letztlich kann man kein "Wundermethode" finden, die 100% der Schüler einer Klasse liegt. Mit "Verlusten" muss man immer rechnen, alles andere ist unrealistisch. 
o. klein (Gast) antwortete am 4. Apr, 10:03:
...und im Übrigen geht es im Lehrerberuf auch sehr viel um KÖNNEN, nicht nur um WISSEN.

Ich denke, dieser Aspekt wird in der Lehrerausbildung heute mehr berücksichtigt als früher, aber es gibt wahrscheinlich immer noch Aspekte des Klassen-Unterrichtens, auf die ein junger Lehrer in der Pädagogischen Hochschule überhaupt nicht vorbereitet wird.

Da sollte man noch mehr graben und praxis-relevante Übungen machen. (Mehr Übungen mit ganzen Klassen an der PH!!!!!) 
teacher antwortete am 5. Apr, 08:38:
Das stimmt oft: Schulversuche werden unter idealen Bedingungen durchgeführt und danach sträflich vernachlässigt - damit wieder Neues erfunden werden kann. Keine Linie! 
 

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