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cotopaxi

 
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"Können Kühe schwimmen?"
"Hmmm ..."
"Und was essen die Menschen dort?"
"Also, schauen wir mal ..."
"Haben Sie ein Bild mit?"
"Das könnt ihr leicht googlen!"

So schaut die allererste Unterrichtsstunde aus. Digital natives wollen Lehrer werden. Sie haben gelernt (irgendwo gehört), dass man heutzutage eigentlich nichts wissen muss. Weil man alles im Internet findet.

Jetzt stehen sie zum ersten Mal in der Klasse und reden über den tropischen Regenwald. Die Kinder sind interessiert und haben Fragen. Aber die Studierenden - ganz am Anfang ihrer Unterrichtskarriere - finden keine passenden Antworten. So kann man in einer einzigen Stunde den ganzen Vertrauensvorschuss und jegliche fachliche Autorität verlieren.

Lehren aus der ersten Unterrichtsstunde:

1. Lehrer sollten viel wissen. Wirklich.
Auch junge, moderne Lehrer mit Ipads in der Hand.

2. Zum Unterrichten muss man sehr gut vorbereitet sein: Zuerst die Inhalte beherrschen, dann die Methode planen, dann das Material herstellen.
Macht zehn Stunden Vorbereitung für eine Stunde Unterricht! Kein Scherz.

3. Unterrichtserfahrung kann man nicht im ersten Semester sammeln - das Maturawissen reicht fürs Lehramt nicht. Zuerst studieren - dann unterrichten.

4. Persönliche Autorität hängt am fachlichen Wissen, das wird die kommende digitale Lehrergeneration schmerzlich erfahren. Wahrscheinlich auch andere.

5. Fragen suchen Antworten, der Rest wird als Ausrede abgetan.

Ohne Wissen geht's nicht. Zurück an die Uni.

Ich gestehe, ich habe wissenschaftliche Arbeiten verfasst. Das wundert viele SchülerInnen, weil sie offensichtlich ständig in ihrer Meinung bestärkt werden, LehrerInnen wären intellektuelle Dünnbrettbohrer. Quasi-Deppen. Pädagogische Witzfiguren.

Dieses Image wäre dringendst aufzupolieren, sonst fehlt neben der Achtung auch die Akzeptanz. Kürzlich habe ich von meiner Diplomarbeit gesprochen und fortgeschrittene Schüler, die mehr darüber wissen wollten, aufgefordert, einfach meinen Namen zu googlen: "Ich bin gespannt, was ihr herausfindet."
Ein Schüler hat mein facebook-Konto entdeckt: "Sie hatten aber lange Haare!"
Das Thema war damit ausgereizt, die wissenschaftliche Neugier endete an der Schulschwelle, es wurden keine Nachfragen gestellt.

Sobald sie an die Universitäten wechseln, erinnern sie sich zurück und erzählen von ihren akademischen Qualen.

"Der jetzige Plagiats-Wahnsinn ist zum Prüllen. Ich zittere seit Wochen, ob meine Diplomarbeit angenommen wird. Meine Betreuerin hat mich mehrmals gewarnt, dass ich wirklich alles korrekt zitieren muss."

Ich blättere durch Bachelor-, Master- und Diplomarbeiten und denke wehmütig an meine Studienzeit zurück:
"Ich möchte heute nicht mehr studieren", rutscht es mir heraus.
Die jüngsten Arbeiten bestehen aus Ansammlungen von direkten und indirekten Zitaten. Dicht aneinandergereiht machen hunderte Verweise die Texte unleserlich, eigenständige Gedankengänge unmöglich, unerkennbar und unverfolgbar.
"Das war der Wunsch meiner Betreuerin", höre ich. "Ich soll nicht selbst denken, ich soll nur die Gedanken der anderen sammeln und zur gestellten Forschungsfrage korrekt widergeben."

Das ist Wissenschaft?

"Ich habe mir damals ein interessantes Thema ausgesucht, bin bibliographieren und lesen gegangen ... und habe meine Erkenntnisse zusammengefasst. Ab und zu ein wörtliches Zitat, das war's. Mein Professor wollte Eigenständigkeit forcieren, Datenanalyse und kritische Schlüsse erkennen ... das war Wissenschaftlichkeit."
"Heute geht es vor allem darum, dass die Plagiatssofware keine kopierten Stellen aufspürt. Vier Worte hintereinander - und du kannst dir ein neues Thema suchen", erklärt der Student.
"Ach geh'", erwidere ich, "da habe ich so seichte Dinge gelesen ... mit zahlreichen Fehlern, die Leute sind trotzdem Akademiker geworden!"
"Nicht auf meinem Institut! Und sicher nicht nach der Guttenberg-Affäre!"

"Weißt Du eigentlich, dass unserer künftigen Schüler für die Matura VWAs schreiben müssen. Vorwissenschaftliche Arbeiten!"
"Alle? Mit Exposés, Hypothesen, Zitaten und so?"
"Ja, alle. Damit sie wissenschaftliches Arbeiten lernen."
"Auch die schwächsten, die kaum eine Zeitung verstehen und gerade so durchrutschen? Kein ordentliches Deutsch können? Wer wird ihnen das beibringen?"
"Wir Lehrer. Wir haben ja vor Jahren auch Diplomarbeiten geschrieben." (*zynisch*)
"Und ihr wisst, wie das heute geht?"
"Nein, ganz wenige." (*böse*)

Schenken Sie einem Kind eine Packung LEGO. Und warten Sie, wie es damit umgeht.

Möglichkeit 1:
Es packt die Steine aus und baut nach Anleitung die Figur.
Ein deutsches Kind.
Ordnung steckt in seinen kulturellen Genen. Die Eltern werden das technische Kunstwerk stolz ins Regal stellen und neues Lego kaufen. Lego hatte großen Erfolg in unserer Gegend.

Möglichkeit 2:
Es packt die Steine aus und baut irgendetwas.
Ein amerikanisches Kind.
Kreativität kennzeichnet die pubertäre Nation. Die Lego-Figur wird wieder zerlegt, um Neues zu bauen. Lego hatte wenig Verkaufserfolg in den USA.

(Vgl. C. Rapaille: Der Kultur-Code)

Wir haben eine LEGO-Gruppe in der Schule. Sie baut Figuren und programmiert sie. Dafür müssen die Kinder eine Menge lernen, genau arbeiten und die Anleitungen bis ins Detail befolgen. Auspacken und spielen geht - bei uns - nicht. Wir lieben Ordnung und Instruktion.

Wir können es so oder so angehen, ordentlich oder kreativ. Aber die Eltern erwarten beides: Die Kinder sollen kreativ perfekte Figuren bauen. Das geht nicht.

Was wollt ihr also?
Lego
Wie sollen unsere Schüler LEGO bauen?

kreativ - die Anleitung ist unwichtig, das Ding muss nicht funktionieren
ordentlich - nach Anleitung, das Ding soll funktionieren

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Nach einem Video-Impuls gehen zwei Fragen an die Klasse:

1. Wie demokratisch und marktwirtschaftlich ist China heute?
2. Wie gefährlich ist Chinas Wirtschaft für unsere Arbeitsplätze morgen?

Die SchülerInnen (13-14 Jahre) haben gesehen, dass in der VR China das Internet überwacht wird ("Internetpolizei"), sie wissen, dass sich Google aus dem Markt zurückgezogen hat und sie hinterfragen, warum bestimmte Seiten zentral blockiert werden.

Ein Bursche fragt dann locker: "Warum sind eigentlich Pornos illegal?"
Die Reaktionen der Mitschüler zeigen, dass Experten am Wort sind.

"Ahhh, meinst Du bei uns oder in China?"
"Bei uns?", fragt er verwundert weiter.
Bei uns scheinen sie ihm legal zu sein.
"Hast Du schon einmal versucht, in einen Sex-Shop zu gehen? Hast Du schon einmal im Internet die Zugangssperren gesehen? Eigentlich ist Pornographie unter 18 Jahren verboten."

Das ist für viele neu, sie können es gar nicht glauben.

"Und warum?"
Aus der Hüfte schieße ich keine tollen Antworten.
"Also ... was denkt ihr?"
Keine Antwort aus der Klasse, das Thema ist heikel - das Alter auch. Ich habe Zeit zum Überlegen gewonnen.
"Ich meine ... "

Österreichische LehrerInnen haben die lehrplanmäßige Verpflichtung, das Thema Sexualität in allen Fächern anzusprechen. Ein Unterrichtsprinzip. Ehrlich gesagt, wir überlassen es lieber den Biologen und Religionskollegen. Aber jetzt muss ich wohl aufs dünne Glatteis.

"... viele von euch werden ja schon einmal herumgesurft sein, oder?"
Einige wenige outen sich durch zustimmendes Lachen. Pokerface bei den anderen.
"Daher wisst ihr ja, wie so Pornos aufgebaut sind. Das hat mit der natürlichen Sexualität der Menschen nichts zu tun. Da geht es ja um Ausbeutung von Frauen, sehr oft um Gewalt, um Missbrauch. Pornos sind reine Lügen, wenn ihr wollt."
"Und warum dürfen das Erwachsene sehen? Aber wir nicht?"
"Gute Frage ... Erwachsene haben ja meist schon Bekanntschaft mit richtiger Sexualität gemacht, mit Liebe und so weiter. Wenn aber Kinder mit 12 Jahren diese Filme sehen, dann bekommen sie völlig falsche Vorstellungen davon ... und das prägt ihr Gehirn, ihren Charakter. Das kann die Entwicklung stören."

Ich muss höllisch aufpassen. Ich weiß, dass die meisten der Zuhörer diese Bilder konsumieren - ohne wirklich gestört zu sein. Oder? Was weiß ich eigentlich über die Wirkung von Pornographie auf Kinder? Was wissen wir wirklich? Was kann ich, was muss ich den Minderjährigen zumuten? Wie formuliere ich es? Spontan?!

Keiner spricht. Sie hören mir verdammt gut zu. Ich spüre, dass noch niemand mit ihnen darüber gesprochen hat. Und dass ihnen das Thema unter den Nägeln brennt.

"Ich habe gestern auf RTL gesehen, dass so Perverse auch Kinder anmachen", setzt ein anderer Junge fort.
"Hast Du dir auch den Fachbegriff gemerkt?"
"Nein."
"Meinst Du grooming?"
"Was ist das?"
Ich beginne meine medienpädagogischen Bildungserfahrungen auszubreiten - Thema Cyber-grooming - und hänge eine klare Warnung an: Keine privaten Kontaktdaten auf facebook und Co.! Vorsicht! Passt auf euch auf!

Ich überlege wieder: Nützt der gehobene Zeigefinger ... oder nicht?

Die Stunde war eigentlich dem (chinesischen) Kommunismus gewidmet gewesen. Mit so viel Aufmerksamkeit hatte ich nicht gerechnet.

Neugierige und gewagte Nachfrage des ersten Burschen: "Was ist eigentlich, wenn ein Kind Kinderpornos schaut?"

Erwachsene reagieren schockiert auf diese Vorstellung, Jugendliche entspannt. Ich bin erwachsen.

"Hmm", erklärt mir ein Student später, "irgendwie logisch. Die Kinder interessieren sich natürlich für andere Kinder, die sind neugierig. Ausserdem sind die Jugendgesetze de facto aufgehoben, nicht nur im Internet. Du kannst alles haben, Alkohol, Rauchen, Pornos ... sie können weggehen, wann und wo sie wollen. Alles."

Interessant dazu: DAS

Hausaufgabe war, ein Kurzreferat zur Klassenlektüre vorzubereiten.

Schüler M. trägt gerne vor, seine Gruppe überlässt ihm freiwillig diese Rolle.

M. geht aufrecht zur Tafel, der Lärm der Klasse geht zurück und M. präsentiert selbstbewusst und stolz seine Interpretation, ganz ohne schriftliche Unterlagen. Sein Blick schweift professionell über die Köpfe, am Ende bedankt er sich für die Aufmerksamkeit und schenkt allen ein abschließendes Lächeln.

Ich bitte um konstruktive Kritik: " ... zuerst zum Auftritt, dann zum Inhalt."
Ein Mädchen aus der Klasse: "Der Vortrag war doch aufgesetzt. Das war auswendig gelernt."

Da wird M. wütend und laut: "Das stimmt überhaupt nicht. Ich hab's vor fünf Minuten zum ersten Mal gelesen."

Wie interpretiere ich diesen unbedeutenden Vorfall?

M. hat ein gutes Referat überzeugend gehalten. Er liebt den Vortrag, er war vorbereitet und er hat souverän gearbeitet. Genau das wird ihm zum Vorwurf gemacht, deshalb muss er sich sogar verteidigen. Lieber nimmt er vorm Lehrer den Vorwurf in Kauf, seine Hausarbeit nicht korrekt gemacht zu haben als bei den Schülern als "Streber" dazustehen.

Es ist verdammt hart, eine gute Leistung zu bringen.
Das macht das Gymnasium zum Fegefeuer für Begabte.
Bleibt die Frage, ob Gesamtschule Erlösung oder Hölle ist.

Keine Hausübung?
"Is mir wurscht. Du lernst weniger."

Rauchen vor der Schule?
"Is mir wurscht. Nicht meine Lunge!"

Lärm in der Klasse?
"Is mir wurscht. Ich habe mein Abitur schon."

Die Wurschtigkeit in der Schule steigert sich spürbar. Ich suche zwei Dinge:

1. Die Gründe
2. Ein schönes Wort dafür

Kollegin F. wird mit etlichen Schulproblemen nicht mehr fertig und sucht auf Anraten der Direktion externe Hilfe, sie landet in der psychologischen Beratung.
"Bitte sag es nicht weiter," bettelt sie, "wie stehe ich sonst da."
"Ehrlich", sage ich," es wäre besser, die Probleme zuzugeben und nicht zu verstecken."
Ich respektiere ihren Wunsch (hier nicht) und frage neugierig nach, wie sie Fortschritte macht.
"Das oberste Gebot momentan ist zu lernen, wo meine eigenen, meine eigentlichen, Probleme liegen. Ich muss mich immer fragen: Ist das mein Problem oder ist das nicht mein Problem."

Bumm, da bin ich am Anfang der Story:
Keine Hausübung, Rauchen, Lärm - nicht mein Problem.
Burnout, Depression, Überforderung lösen wir durch Wurschtigkeit?!

Ich sehe bei vielen KollegInnen, wie sie aufgeben: "Mir Wurscht". Hausübung, Rauchen, Lärm. Sie haben es probiert, sie sind gescheitert. Immer wieder. Irgendwann ist Schluss.

Erfolglosigkeit endet in Wurschtigkeit. Wurschtigkeit in Erfolglosigkeit.

"Mir Wurscht", höre ich nicht nur bei meinen KollegInnen und bei meinen SchülerInnen, es ist zur gängigen Fluchtreaktion bei kollektiver (postmoderner?) Rat- und Hilflosigkeit geworden.

Da leert jemand seinen Automüll auf die Straße. "Mir Wurscht"
Da schmieren Kinder die Wände an. "Mir Wurscht"
Da schmeißen Jugendliche Parkbänke um. "Mir Wurscht"

Ha, endlich habe ich eine schönes Wort für Wurschtigkeit gefunden: Toleranz.
Kennt Ihr ein besseres?

Sowas ist lustig.

Stellen Sie sich vor, sie waren dabei, hören aber eine ganz neue Geschichte. Solche Erfahrungen macht man manchmal mit der Zeitung. Sie haben den Vorfall gesehen, die Polizei gerufen, die Zeugenaussage abgeben ... und lesen dann in der Zeitung - was völlig anderes: Der Peugeot ist ein VW, die Lenkerin ein Lenker, der Verletzte unverletzt.

Sowas ist auch in der Wissenschaft gang und gäbe. Zumindest in der Pädagogik und Didaktik. Ich sitze im Hörsaal und ein begabter Didaktiker trägt sein Konzept vor. Er belegt seine Aussagen mit praktischen Erfahrungen, die MEINE Klasse geliefert hat:

"Wie selbständig die waren!"
(Das war intensiv vorbereitet)
"Wie engagiert sie waren!"
(Zumindest drei von zwanzig)
"Wie gut die mit der Technik umgehen können!"
(Ein Computerfreak war dabei)
"Der Projektbericht hat große Anerkennung gefunden!"
(Er wurde extern überarbeitet)
"So kann guter Unterricht funktionieren!"
(Wenn drei Forscher dem Lehrer in seiner besten Klasse helfen)

Ehrlich, das Projekt war gut. Wir hatten ein paar interessante Tage. Aber daraus wissenschaftlich eine Bestätigung für ein neues Unterrichtsszenario abzuleiten, das ist unseriös. Bloß wer möchte eingestehen, dass ein neuer Lernansatz unbrauchbar elitär ist? Wo liest man von innovativen Lehrmethoden, die schief gelaufen sind?

Nur Altes geht schief. Komisch. So als wäre es nie neu gewesen.

Vielleicht bin ich übersensibel, aber wenn mich jemand fragt: "Warum bloggst Du anonym?", dann höre ich gleich den Vorwurf mitschwingen, zu feig zu sein, für meine forschen Worte mit meinem Namen gerade zu stehen.

Nein. So feig bin ich nicht.

Beim letzten Interview für eine "Presse"-Reportage über bloggende Lehrer habe ich versucht, diesen leisen Vorwurf zu entkräften: Es geht mir primär um den Schutz meiner Umgebung. Ich habe nicht das Recht, meine SchülerInnen und meine KollegInnen an die Öffentlichkeit zu zerren.

"Was würden Sie tun, wenn Ihr Name bekannt wird?", setzt die Journalistin nach.
Ich zögere und erzähle, dass ich bereits hunderte Postings offline gestellt habe, als ich vermuten musste, dass mir Kollegen auf die Spur gekommen wären.
"Ich würde sofort aufhören!"
Ich könnte nicht mehr frei niederschreiben, was mich ärgert und was mich beschäftigt. Ich müsste ständig hunderte Interessen abwägen - was mich als Lehrer schon überfordert, will ich nicht als Blogger fortführen.

Das Gegenteil reizt mich: Ein frecher Lehrer, ohne Maulkorb.

Die umgekehrte Frage lautet: "Willst Du nicht stolz deine Werke herzeigen? Zum Lesen weitergeben? Deinen Erfolg auskosten."
"Gut", sage ich, "Eine Spur Eitelkeit kennt jeder, oder?" Und dann erzähle ich vom dahin schlummernden Projekt, die Highlights der letzten Jahre zu einem Buch zu verdichten.

Noch bin ich zu faul dazu. Frech, sicher nicht zu feig.
Ist es eitel, wenn man seine Meinung verbreiten und lesen will?

"Ich hab's ja leicht", lächelt eine Kollegin mitleidig, "Ich mach' einen Bogen um ihn. Aber die anderen müssen es stundenlang aushalten!"

Die anderen müssen neben ihm sitzen. Mit ihm zusammenarbeiten. Beim Sport Hilfestellung leisten. Dem Stinker.

"Ich hab's ja gut gemeint und habe ihn zur Schulärztin geschickt. Aber das ist nach hinten losgegangen."
"Warum?"
"Die hat ihn untersucht und festgestellt: Alles in Ordnung. Jetzt stehe ich blöd da."
"Wahrscheinlich hat er sich an dem Tag ordentlich gewaschen."
"Möglich. Jedenfalls habe ich die Eltern vorgeladen. Dann wusste ich Bescheid. Der Vater ... fettige Haare seit Wochen, die Mutter in munkelnden Fetzen ... und sie behaupten, dass sich ihr Sohn vorbildlich wäscht! Alles eben relativ ..."

"Und die Schulärztin hat ihnen recht gegeben. Du bist einfach zu penibel. Oder du bildest dir das ein!" *bösgrins*
"Und warum meiden ihn alle in der Klasse?"
"Mobbing."*weitergrins*
"Und die Lehrer kümmern sich nicht um ihn!"*allesgrinst*

Alles klar.

Und was die Ärztekammer meint.

In diesen Zeiten wird es schwer, ernst zu bleiben.

Kollegin V. hat sich gerade die DVD "Plastic Planet" beschafft und gibt sie interessierten Leuten weiter.
"Das hat mir gerade noch gefehlt!", resumiert einer der Besorgten.
"Warum geht's da?", mischt sich jemand ein.
"Wie Plastik unsere Umwelt und unsere Gesundheit zerstört. Je mehr Plastik im Körper, desto weniger Spermien, zum Beispiel. Oder Hodenkrebs bei Kindern."
"Ja, und die Frage, warum wir Wasser aus der PET-Flasche trinken, obwohl es gesünder aus der Leitung kommt."
"Geschäftemacherei!"

"Warum werden alte AKW weiterbetrieben?"
"Geld! Gier!"
"Was würdest Du machen, wenn Du einen alten Meiler zusperren musst, aber eine Genehmigung bekommst, weiterzumachen?"
"Naja ..."
"Was glaubst du, was man bei einem vollkommen abgeschriebenen Kraftwerk verdienen kann?"
"Keine Ahnung."
"Zwei Millionen Euro ... pro Tag!"

"Weißt du, dass wir nach dem Tschernobyl-Unfall weiter im Sand gespielt haben, ohne Warnung?", hakt ein Jüngling nach.
"Und die Mai-Aufmärsche wurden beinhart durchgezogen."
"Viele von denen sind heute tot ... und Videos davon sind einfach verschwunden."

"So, Leute, Schluss. Ich muss jetzt in die Klasse gehen. Übungen zum Präteritum - und ich muss die Kindern überzeugen: "Da geht es um eure Zukunft."

Wir brechen in Lachen aus. Weil es schwer fällt, diese dumme Welt ernst zu nehmen.

 

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