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cotopaxi

 
Leontina berichtet stolz, was sie für ihre Schuljause ausgesucht hat.
"Einen Orangensaft, der hat viel Vitamin C, ein Vollkornbrot mit Frischkäse, einen Apfel und ... das ist ein Joghurt."
Die Ernährungsberaterin freut sich über so vernünftige Kinder, schaut aber genauer auf den Einkauf.
"Das Joghurt, ist das ein Dany+Sahne?"
"Ja", bestätigt Leontina, "das schmeckt ursuper."
Da trübt sich das freundliche Gesicht unserer Expertin merklich ein.
"Schade. Für Joghurt gibt es in unserem Spiel 4 Punkte. Aber dieser Pudding mit Schlag, der gehört zu den Süßigkeiten."
Ihr Finger rutscht auf der Ernährungspyramide ganz zur Spitze:
"Statt vier Punkten gibt es einen ... Minus!"

Es bleibt nicht bei dieser Enttäuschung. Das coole Mineralwasser mit dem Sauerstoff ist "gewöhnliches Wasser, nur teurer", die Kinderschokolade "süß und fett", da wäre "richtige Schokolade besser" und die fröhliche Kiwi-Limonade mit dem Vitaminzusatz stellt sich als "künstlich, gefärbt und mit viel Chemie" heraus.
Ihr häufigster Kommentar: "Das könnt ihr ruhig essen, wenn es euch schmeckt. Ein Mal pro Woche ... oder so."
Schluck.
Die beliebte Wurstsemmel, der Milka Tender, die Knabbernossi ...?
"Zwei Mal am Tag ist nicht so gut?"

Wir stellen fest:
Unsere Kinder haben keine Ahnung vom Essen. Sie vertrauen den Erwachsenen im Supermarkt, im Fast Food-Restaurant und in der heimischen Küche, dass ihnen "nur gute Sachen" gegeben werden.
"Das wird doch alles kontrolliert!"

Und wir missbrauchen dieses kindliche Vertrauen aufs Schändlichste. Bewerben Fett, Zucker und Mist mit lustigen Lügen und bunter Farbe.
Zum Kotzen, eure erwachsene Welt!
Und Geld sollte stinken. Bitte, mach das, lieber Gott, wenigstens zu Ostern.

Wenn die Marketingfantasie ihr Genie versprüht, dann riecht es komisch in der Schule. Billiges Deodorant übertüncht für einige Stunden den säuerlichen Garderobendampf, weil nette Werbedamen Probemuster vor dem Schulgebäude verteilen.

Eine junge Kollegin ärgert sich neben mir über diese olfaktorische Umweltverschmutzung:
"So ein grausliches Männer-Deo!"
Ich reagiere erstaunt:
"Warum MÄNNER-Deo?"
"Naja, das ist eindeutig ein Geruch für Männer!"
"Darauf wäre ich nicht gekommen, das ist einfach schlechtes, billiges Zeug. Mich wundert aber nicht, dass DU das gleich den Männer zuteilst."
Da habe ich wieder in ein feministisches Wespennest gestochen.
"So habe ich das nicht gemeint, wie du das jetzt interpretierst."

Ich erkläre ihr, dass ich nie im Leben (!) einen unangenehmen Industrieduft einem bestimmten Geschlecht zuordnen würde:
"Da stinkt es nach Frauen-Parfum!" Undenkbar.

Ihr Unterbewusstsein fühlt sich ertappt und will sich von seiner Schuld frei reden ... und redet und redet ... an mir vorbei.
Männer ...

In den letzten Stunden von Weihnachten, Ostern und sonstigen Ferien scheiden sich die Geister.
Entweder:
"Am besten du ziehst eine stinknormale Stunde durch."
Mit Stoff kann man jede Klasse erschlagen, jeden Aufstand verhindern. Keine weitere Debatte.
Oder:
"Wenn wir alle keine Lust zur Arbeit spüren, dann spielen wir eben." Auf geht's.

Gemeinerweise lasse ich zunächst das Lehrbuch auf Seite 95 aufschlagen, das riecht nach Stofflawine. Ergo greifen die Schüler mürrisch in ihre Rucksäcke und blättern zäh nach hinten.
"So, auf Seite 95 findet ihr einen Spielplan, auf Seite 96 die dazu gehörige Anleitung. Jeder sucht sich eine Spielfigur, einen Radiergummi, ein Kuscheltier oder sonst was."
Leicht entspannt kramen sie ein zweites Mal in ihren Taschen herum.
"Jetzt brauchen wir einen Würfel pro Gruppe!"
27 Gesichter schauen mich erwartungsvoll an: "Woher?"
Ich greife in die Jackentasche und schüttle pokermäßig meine rechte Hand. Ich liebe das Klacken der Würfel auf Holz, es erinnert mich an studentische Escalero-Nächte. Ein Mädchen klatscht in in ihre Hände:
"Heee, ein richtiger Zauberer." Naja.

Wir lesen gemeinsam die Spielanleitung, ich wiederhole in eigenen Worten das umständlich Formulierte, dann helfe ich bei der Gruppenbildung:
"Mindestens drei, höchstens fünf pro Gruppe." Das zwingt zwei isolierte Burschen zu einem Mädchentisch, Katastrophe, aber es geht sich anders nicht aus.

Diejenigen, die alles kapiert haben, greifen zu Stift, Papier und Wörterbuch. Viele andere beginnen sofort mit dem Würfeln und ziehen ihre Figuren über das Brett. Eine mutige Gruppe gesteht offen: "Wir haben die Regeln nicht verstanden."
Ich bleibe hart: "Dann lest euch die Seite 96 noch einmal durch, schließlich ist das Spiel, das ganze Buch für eure Alterstufe gemacht worden ... und ich habe alles schon erklärt." Bequemer wäre es freilich, wenn ich jeden höchstpersönlich bei der Hand bis ins Ziel weisen würde.
Dann ziehe ich mich zur Beobachtung zurück: Mein Lieblingsspiel.

Echte Freude kommt nirgends auf (höchstens gespielte :-). Ein richtiges Spiel sollte zumindest blinken und tuten, es fehlt der Joystick und der Bildschirm!
Zwei von sieben Gruppen spielen nach allen Regeln der Kunst, könnten sogar "was lernen" beim Spielen. Drei Gruppen verwenden das didaktisch durchstrukturierte Spielbrett wie "Mensch-ärgere-dich nicht": Was zählt, ist der schnelle Einlauf im Ziel! Zwei Gruppen geben vor zu spielen, wenn ich durch die Reihen gehe, aber unterhalten sich besser hinter meinem Rücken.

Ein pädagogisches Spiel ist kein Spiel, im Gegenteil, das spüren die Kinder sofort. Die Lernabsicht vermiest den Spaß und macht aus dem Spiel Ernst (!) Damit ruiniert man den spielerischen Charakter, ohne aber Lernerfolg zu erzielen. Exitus ludus.

Immerhin: Das Brettspiel schlägt die letzten Stunden tot. Exitus finalis.
"Schöne Ferien!"

Das ist keine Frage, keine Vermutung, sondern eine trockene Feststellung: Lehrer werden faul, bequem, nachlässig. Darauf können Sie/sie sich verlassen.

Die allermeisten beginnen mit Enthusiasmus und stürzen sich frisch und lustig in die Klassenarbeit. Das passiert so stürmisch wie unsicher, recht ahnungslos, weder inhaltlich noch pädagogisch ordentlich auf ihren Job vorbereitet. So geraten die ersten Unterrichtsjahre zum stressigen Dauerlauf.

Sobald sie alle gängigen Schulbücher in der Praxis durchgearbeitet haben - das kann schon 10 Jahre beanspruchen - fühlen sie sich sicher genug, ohne stundenlange Vorbereitung vor die Tafel zu treten. Sie beginnen zum ersten Mal durchzuatmen und ihre eigene Lage zu reflektieren.

Ich höre mich um, ohne direkt zu fragen: "Warum bist Du so faul geworden?"

Die Antworten:

1. "Ich habe meine Leistung dem Gehalt angepasst."
(Der Vergleich mit dem Lohnzettel von Studienkollegen sitzt!)

2. "Meine Frau hat nicht studiert und verdient besser als ich. Mein Bäcker auch, der Nachbar sowieso ..."
(Jeder kennt Leute, die mit weniger Arbeit mehr verdienen.)

3. "Wenn ich doppelt so viel arbeite, können dann meine Schüler doppelt so viel?"
(Problem der Produktivität: Zusätzlicher Aufwand rechnet sich nicht ausreichend.)

4. "Was haben die Lehrer davon, wenn sie mehr arbeiten?"
(Keine Karrierechancen im Lehrberuf, keine Belohnungen.)

5. "Ich muss noch 20 Jahre durchhalten. Das geht nur im Schongang!"
(Angst vor dem Alter und vor dem burnout)

6. "Die Leute reden sowieso schlecht von uns."
(Imageprobleme der Lehrer)

7. "Ich habe zuhause zwei Kinder und einen Haushalt zu versorgen, frage nicht."
(Hoher Frauenanteil und viele Nebenbeschäftigungen)

8. "Schau dir die Zustände hier an, alles frustrierend. Wer motiviert mich?"
(Spargesinnung im gesamten Berufsfeld)

10. "Wer mehr arbeitet, der hat bloß mehr Probleme. Wer nichts tut, kann auch nichts falsch machen."
(Beispiel Schulprojekte: Der Aufwand bringt Gegenwind statt Anerkennung.)

11. "Wer will denn, dass ich mehr arbeite? Die Schüler nicht. Die Eltern auch nicht, die Kollegen schon gar nicht ..."
(Anspruchslosigkeit, Abwehrmechanismen der Umgebung)

12. "Was heißt faul? Ich stehe hier stundenlang unter Strom. Keine Mittagspause, keine Zigarettenpause, keine Telefonorgien ... die richtig Faulen sitzen in den Büros herum."
(Der subjektive Vergleich macht sicher und das richtige Bewusstsein fehlt.)

13. "Mein Idealismus wurde nur ausgenützt."
(Erfolgreiche Arbeit zieht weitere Aufträge nach sich. Nur Faulheit und Unfähigkeit schützen vor Überlastung.)

14. "Fällt das jemanden auf?"
(Wenig Kontrolle oder Evaluierung)

15. "Ich schone meine Arbeitskraft, weil das sonst niemand macht."
(Gesunde Einstellung, Einzelkämpfertum)

Fortsetzung möglich.

Der Führerschein kommt teuer: Zwei Wochen Unterricht, ein paar Unterlagen, Fahrstunden, die Prüfungen. Macht 1500 Euro, im Schnitt. Rechnen Sie mal hoch, was jahrelanger Unterricht in Mathe, Englisch und Sport wert ist.

Deshalb meine Forderung: Jede Familie soll für ihre Kinder Gutscheine für Bildung (zumindest) bis zur Matura erhalten. Wer sie nicht einlösen will, der schmeißt halt die fiktiven Tausender weg. Das kostet mehr als Überwindung, auch für die sogenannten bildungsfernen Schichten. Das erzeugt Kostentransparenz, gut für Betriebe und Konsumenten.

Ich bin wieder einmal vom Thema abgekommen. Eigentlich geht es um Moritz, der gerade in sein Auto vor der Schule einsteigt.
"Jetzt bin ich endlich fertig, meinen Führerschein mein' ich."
"Du fährst doch schon seit einem Jahr."
"Schon, aber dann muss man noch Perfektionsfahrten und das Fahrsicherheitstraining absolvieren."
"Das hast Du jetzt alles erledigt?"
"Ja. In 5 Minuten! Macht 80 Euro."
"Was?"
"Der Fahrlehrer hat gefragt, ob ich schon viel gefahren bin, ob ich ein Auto hab' und so. Dann sind wir von der Fahrschule hierher gefahren, fünf Minuten. Dann hat er gesagt, das passt. 80 Euro!"

Ich rechne kurz: 960 Euro Stundenlohn!

Wer braucht Perfektionsstunden in Englisch, Französisch, Spanisch, Deutsch?
Auto fahren könnte ich auch.

Ich gehe in die 1.Klasse - "Guten Morgen, setzen bitte" - und lege meine Unterlagen auf den Tisch. Ich suche das Klassenbuch und lasse meine Augen durch den Raum schweifen: Absenzen?
Überraschung.
"Wer sind denn die?", wende ich mich an die Kleinen in den vorderen Reihen.
"Keine Ahnung. Die haben sich einfach hinten hingesetzt."

In der letzten Reihe sitzen drei ehemalige SchülerInnen und warten schelmisch auf meine Reaktion.
Gut, die kriegen mich nicht, ich spiele mit.

"Wir haben heute Experten eingeladen und wir schauen mal, was die können."
Überraschung in der letzten Reihe.
"Ihr stellt Ihnen Fragen aus unseren letzten Stunden."
"Haben wir wenigstens drei Joker?", wollen die verblüfften Gäste wissen.
"Klar! Telefon, Publikum, fifty-fifty - wie gehabt."
Die ersten Kinder zeigen schon auf.
"Sandra, die erste Frage, bitte."
"Was heißt eigentlich Eskimo?"
Nachdenkpause.
Auswegsuche.
"Ihr müsst uns schon vier Auswahlmöglichkeiten geben!"

Noch besser. Jetzt müssen sich die Kleinen blitzschnell drei falsche Antworten einfallen lassen und trotzdem die richtige wissen und nennen. Und genau aufpassen, was die Mitschüler gesagt haben. Ganz schön anspruchsvoll!

"Antwort 1?"
"Rohfleischesser."
"Antwort 2?"
"Rentierhirten."
"Antwort 3?"
"Leute aus der Tundra."
"Antwort 4?"
"Eismenschen."

Spitze! Die Zehnjährigen machen sofort tolle Vorschläge, die Achtzehnjährigen im Fond der Klasse schwitzen.

"Können wir einen Joker einsetzen?"
"Natürlich! ..."

Die Kinder wollen nicht aufhören, unseren Besuch zu testen. Dieser müht sich redlich, sein Gesicht zu wahren. Eine halbe Stunde wiederholen wir so den Stoff der letzten Tage und von Müdigkeit keine Spur. Schwer wird es erst, als ich versuche, die Kinder auf ein neues Lerngebiet einzustimmen. Sie wollen lieber weiter prüfen!

Nach der Stunde begrüße ich herzlich die ausgepowerten Ex-Schüler, danke ihnen für ihre spontane Mitarbeit und lade sie zur nächsten Stunde ein:
"Eine achte Klasse, Maturavorbereitung, kommt ihr mit?"
"Nein Danke, wir wollen uns nicht ganz blamieren."

P.S.: Richtige Antwort: Rohfleischesser.
Wir hatten darüber einen beeindruckenden Videoausschnitt gesehen. Frisches Blut der geschlachteten Rentiere trinken und warme Leber dazu. Mahlzeit.

Andy schmiert mit einem roten Filzstift im Heft des Nachbarn.

Ich gehe zu ihm und frage: "Was machst Du da?"
Andy, den roten Schreiber in der Hand: "Nix!"
"Wie? Du schmierst nicht im Heft von John?"
"Nein."
John unterstützt seinen angeschlagenen Freund: "Nein, er hat nichts gemacht!"

Mir reicht es, ich drehe das Heft zu mir und zeige auf ein rot übermaltes Wort:
"Andy. Behauptest Du immer noch, dass du nichts gemacht hast?"
"Das war ja nur jetzt!"

???
Was ist das für eine Entschuldigung!
(Die muss ich mir merken: Völlig sinnlos - aber sie wirkt.)

"Und Du, John?"
"Ich hab' nichts gemacht!"
"Du hast doch erklärt, dass Andy nicht geschmiert hat. Er hat aber ..."
"Das habe ich nicht gesehen."
"Wenn Du nichts gesehen hast, kannst Du dann bezeugen, dass er nicht geschmiert hat ...?"

Das Verhör kostet Zeit und Kraft und bringt nichts - außer Abwehr.

Mein Job ist hier sinnlos. Die beiden mauern wie die Profis: Unschuldigen Blick, Opferhaltung und Steherqualitäten trainieren!
Dass einer das Heft des anderen verschmiert, das stört offensichtlich nur einen Lehrer.

Hier die gute Seite der Geschichte:
Andy und John haben später geschworen, dass das neue Video-Kabel ihnen gehört. Daraufhin habe ich es den nachfragenden Kindern der Nachbarklasse zurückgegeben - sie haben es sofort wiedererkannt (an den farbigen Kreidespuren). Mein Job ist doch nicht sinnlos.

Wenn die Trinkgeldmafia eine verräterische Handbewegung zeigen müsste, dann würde es laut krächzen, in den Mikros des "Was-bin-ich"-Studios.

Am Wochenende geht's ins Theater und die Vorstellung beginnt schon vorzeitig. Bei der Garderobe!
Dort hängt ein schön folierter Hinweis, dass 1 Euro 30 pro Kleidungsstück abzulegen ist. Mal zwei macht 2,60.
Ich lege einen blauen Fünfer hin. Raten Sie mal, was dann passiert.

Zwei Euro kommen zurück. Zusammen mit einem vorwurfsvollen Blick, der leicht zu interpretieren ist: "Sie haben vergessen Stimmt schon! zu sagen, der Herr!"

Stimmt schon, ich habe es nicht gesagt, ich habe auf ein freundliches Lächeln, auf ein nettes Wort oder eine menschliche Geste gewartet. Etwas, das ein Trinkgeld von 40 Cents begründen könnte.

Was kommt, ist das schlichte Gegenteil: Ein böser Blick und das Kratzen in der Kleingeldschatulle. Krächz, krächz, krächz. Wie ihre langen Fingernägel in der Messingschale lärmen, das erinnert mich an schräge Kreide an der Tafel. Widerlich.
Sie will und will das Kleingeld nicht finden und scharrt weiter im Metall. Ich stehe meinen ganzen Mann, ich warte auf das Retourgeld, die Leute hinter mir schauen gespannt zu. Theater eben. Entnervt gibt die Bekleidungs-Schwerarbeiterin nach und holt zwei Zwanzigcentstück aus der Kassa.

In diesem sensiblen Moment fällt es mir ein:
"Stimmt schon."
Ich drehe mich lächelnd um ... und die Komödie auf den Brettern, die die Welt bedeuten, kann beginnen ... äh weitergehen.

"Blöder Hund", höre ich in der Umgebung denken.

Liebe Garderobefräuleins: Ich möchte euch zu mehr Freundlichkeit erziehen, ich bin ein teacher! Rund-um-die-Uhr-Lehrer.

"In die Schule musst du sie eh nicht anziehen!"

Das Wochenende beginnt trüb, schwarze Wolken hängen bis zu den Baumwipfeln und ich suche nach billigem Lesestoff. Am Land hat diese Jagd einen Namen: LIBRO.
Mit einem Sack voller "Mängelexemplare" schlendere ich durch die Einkaufspassage und freue mich, der sinnlosen Wochenend-Hektik entkommen zu können:
Kaufen, kaufen, kaufen.
Doch am Sportgeschäft komme ich nicht vorbei, am Elektronikmarkt auch nicht, und siehe da, ein neuer Billigshop!

"Ein Paar Schuhe solltest Du dir leisten!" höre ich plötzlich meine Frau im Hinterkopf.
"Ich hab doch schon Schuhe", sagt mir mein männliches Stammhirn, betrete aber folgsam den DEICHMANN. Neben mir zieht eine resolute Mutter ihren halbwüchsigen Sohn ins gleiche Geschäft, zwei unscheinbare braune Pantoffel in der Hand:
"In die Schule musst Du sie eh nicht anziehen."

Mit diesem Satz beamt mich die unbarmherzige Frau schlagartig an meinen Arbeitsplatz. Ich sehe geknechtete Kinder mit warmen Filzpantoffeln, in Reih und Glied, schreiend und heulend um ihre 150-Euro-Nike-Statussymbole. Während ich von Flüchtlingen in Darfur erzähle.

Ich lebe in einer der dümmsten Welten wo gibt. Und es regnet dazu.
Ausweg: Flucht in LIBROs Literatur.

"Kriegen Schafe Schläge?" schreibe ich an die Tafel.
Schon zeigen die ersten Kinder auf.
"Ja, Stromschläge."
"Ja, beim Scheren."
"Die müssen ja zusammengetrieben werden."

Die ersten Kinder sind Burschen. Sie überlegen nicht lange, sie raten und schreien ungeniert falsche Antworten in die Klasse. Sie haben kein großes Mitgefühl für gequälte Tiere, eher Freude an Aggression und Gewalt.

Die Frage kommt nicht zufällig, die Schafe interessieren mich dabei wenig, die Reaktion der Geschlechter viel mehr.

Mädchen lernen anders. Wie in der einschlägigen Literatur beschrieben, zeigen sie mehr Scheu, ja Angst, sich vor ihren MitschülerInnen zu blamieren. Sie überlegen länger und zeigen höhere Empathie mit Mensch und Tier.

Nichts als Vorurteile? Anerzogenes Verhalten? Belanglose Geschlechtsunterschiede?
Egal, ich habe in koedukativen Klassen auf gegebene Realitäten Rücksicht zu nehmen.
Soll ich jetzt Mädchen aufrufen, obwohl ausschließlich Burschen aufzeigen? Letztere ignorieren und die Ruhigen animieren - damit alle frustriert werden? Ich lasse die individuellen Antworten notieren - der schriftliche Ausweg.

Dann gebe ich einen Hinweis: Buch S. 45 - 46.
Das interessiert die meisten Buben nicht mehr, das Lesen, der textzentrierte Unterricht spricht Mädchen viel stärker an. Dieser dominiert das schulische Lernen bei weitem. Lesen, schreiben, reden ... da spielen die Mädchen ihre Vorteile gekonnt aus. Für Burschen lockt der Computer oder der Experimentierkasten. Ich würde gerne alte Autos und Motorräder in den Physiksaal stellen. Statt Formeln gälte es Schraubenschlüssel zu beherrschen.

"Aaaah .. . so ist das gemeint."
Jetzt melden sich auch die Mädchen zu Wort. Sie haben schnell die richtige Textstelle in den Unterlagen gefunden und können mit hoher Sicherheit die korrekte Antwort geben.

"Der Farmer teilt die Weidefläche in mehrere Schläge auf, damit nicht manche Teile kahl gefressen werden."
"Sehr gut, Theresa."

 

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