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cotopaxi

 
Was haben sich die Kinder gefürchtet! Vor dem Ernst des Lebens, der so gerne mit dem Schulbeginn verknüpft wird. Angst hatten sie vor Prüfungen, vor Lehrern, vor Versagen. Vor strengen Eltern, vor Strafen, vor schlechten Noten. Begründete Angst.

Schulangst.

Heute sehe ich so viele LehrerInnen zittern wie SchülerInnen. Wenn ein unfähiger Pädagoge eine negative Note gegeben hat - vor den Ferien - dann hat er alles riskiert: Schüler, die sich vor und hinter seinem Rücken "echauffieren", Eltern, die alle Hebel und Beziehungen in Gang setzen, Vorgesetzte, die Berichte und Begründungen einfordern und Rechtsanwälte, die Verfahrensmängel im pädagogischen Prozess wittern.

Jetzt - nach den Ferien - rollt die ganze Lawine wieder hoch.

Prüfungsangst. Auf beiden Seiten.
"Hoffentlich hat er was gelernt!"
"Hoffentlich ist er gut aufgelegt!"

Ich kenne Kollegen, die halbe Tage aufwenden, um passende Wiederholungsprüfungen zusammenstellen. Für Schüler, die keine einzige Minute dafür gelernt haben. Oder in letzter Sekunde nicht antreten.

Jetzt betreten sie das Feld, der Tormann, der Schütze.

Ich bin schlauer geworden, ich habe heuer - zum ersten Mal in meiner Karriere - alle Wiederholungsprüfungen vermeiden können. Vermieden.
Alle meine Schüler hatten Ferien, die ganzen Ferien ... und ich hatte auch Ferien, die ganzen Ferien. Ich bin ein Guter!

Trotzdem fühle ich Nervosität aufsteigen. Ich bekomme eine neue Klasse. Werden wir zusammenpassen? Werden wir miteinander auskommen? Welche Kinder werden mit welchen Problemen kommen, welche Probleme machen, welche ...

Ich bin der Tormann, dreißig werden auf mich schießen.
Aus kurzer Distanz, stundenlang. 30:1
Treffen sie, tuts weh.
Treffen sie nicht, holen sie Verstärkung, dann schießen sechzig oder neunzig.
Wenn ich alle Bälle halte, hab ich meinen Job erledigt. Geht einer rein, bin ich ein Loser. Jeder Tormann kennt dieses Gefühl: Nicht die 100 gehaltenen, der einzig vergurkte Ball prägt das Spiel.

Vielleicht hätte ich weniger Fußball schauen sollen, in diesen EM-Ferien. Ich könnte sicher besser schlafen.
stichi meinte am 21. Aug, 21:26:
Ich zittere nicht, ich fürchte mich nicht, ich bin völlig gelassen......................, denn ich habe mich beurlauben lassen!!! Nach 33 Dienstjahren habe ich das Handtuch geschmissen. Es war mir einfach zu frustrierend aus oben genannten Gründen.
Zum Abschluss habe auch ich noch ein bisschen die Gute gegeben, aber es war mir ÜBERHAUPT NICHT wohl dabei. Ich finde, ich habe den guten, intelligenten, arbeitswilligen Schülern Unrecht getan und das nagt an mir. Aber wie gesagt, es kann mir vorerst egal sein!
Komisch, irgendwie fehlt mir was!? 
teacher antwortete am 22. Aug, 09:43:
Diese Lösung ist 1. zu radikal und 2. nicht für alle Lehrpersonen anwendbar.
Und dann würde mir was fe len ... 
walküre meinte am 22. Aug, 18:36:
Also
ich sitz jetzt in der Fankurve und feuere den teacher an ... 
teacher antwortete am 22. Aug, 20:22:
Maaah, liab. :-)) 
Lisa Rosa meinte am 26. Aug, 11:55:
auf beiden Seiten
Finde ich gut, daß die Angst von beiden Seiten zu Wort kommt. Ein bißchen Spannung und Aufregung sollte ja schon sein - aber Angst? Ich kenne sie auch und habe lange Jahre immer wieder am letzten Tag der Sommerferien geträumt, ich säße mit runtergelassenen Hosen auf dem Lehrerklo und plötzlich sind die Wände verschwunden und alle kommen gucken und zeigen mit dem Finger ... oder ich stehe barfuß im Nachthemd vor einer Klasse und weiß überhaupt nicht, was ich tun soll ... Versagensangst.
Den Schülern sagt man bei Prüfungsangst, sie sollen sich ihren Lehrer/Prüfer in Unterhosen vorstellen. Aber wie soll man sich als angsthabender Lehrer hilfsweise analog die Schüler vorstellen???
Ich habe mal probeweise meinen (schon lange bekannten) Schülern am ersten Schultag meinen Traum erzählt. Sie waren schwer beeindruckt. Daß Lehrer vor ihnen bzw. vor der Arbeit Angst haben, darauf wären sie nicht gekommen. Sie haben mich nicht gebasht dafür, ich denke, sie haben positiv auf das Vertrauen reagiert. 
teacher antwortete am 26. Aug, 19:25:
Ich bin auch froh, dass Lisa Rosa diese Ängste frei eingesteht - ich würde das zumindest im Lehrerkollegium nicht so offen aussprechen - ein Mann hat immer noch ein "richtiger Kerl" zu sein. 
eowynn (Gast) meinte am 28. Aug, 06:52:
Die ersten Wochen...
... beginnen bei mir als Soz.päd. immer schon früher, sonst reichen die Urlaubstage nicht für den Jahreskreis *gggg*

Aber die Träume gibts dann auch, noch extremer vor dem ersten "richtigen" Schultag - so war es bei mir aber schon als Schülerin: Die Aufregung, alle wieder zu sehen - neue Leute kennen zu lernen - wer hat sich wie verändert...
Heute kommt dann dazu, wen ich neu begleiten werde, wie die neuen Schülerinnen und Schüler sich entwickeln, wie die alten aus den Ferien zurück kommen.

Ein wenig Vorfreude vor einem jungfräulich unverbrauchten Schuljahr ist auch dabei - dann habe ich meist mehr gute Vorsätze als an Neujahr.

Und wie als Teenie kleide ich mich am ersten Tag immer besonders bewusst - manche Rituale bleiben einfach.

Ach ja, der Olli hat auch so manchen Ball ins Tor gelassen - das interessiert rückblickend dann doch eher niemanden. Er bleibt einfach der Super-Olli.

Schöne Saison wünsche ich... 
teacher antwortete am 28. Aug, 09:32:
Die guten Wünsche werden verdoppelt und gehen zur Hälfte wieder zurück :-) (Dann haben wir beide was davon)

Ich hätte gerne gewusst, ob ein gestandener Lehrer vor zwanzig Jahren auch schon solche Gefühle entwickelt hat - darüber gesprochen hätte er sicher nicht. Dann hängt sich die Frage an, ob wir sensibler geworden sind oder die Ängste stärker begründet. 
eowynn (Gast) antwortete am 28. Aug, 18:29:
Danke, danke.... ;o)

Manchmal denke ich, von beidem etwas.
Die Anforderungen sind größer geworden, die Aufgaben velfältiger, die Kinder einfach anders. Habe am Wochenende in meiner Abi-Zeitung geblättert und den Wunsch meines LK-Lehrers nach weniger Verwaltungsaufgaben mit ironischem Schmunzeln zur Kenntnis genommen. Mittlerweile wird alls erfasst und evaluiert, die Verwaltunsgaufgaben erhöhen sich drastisch.

Viele, denen es vor 20 Jahren schon so ging, werden den Mund gehalten haben - es ging da ja auch um den Ruf, etwas besonders in etablierter Stellung zu sein. Seit Begriffe wie Burn-out und Geschichten aus den richtig heftigen Schulen nachrichten-tauglich sind, melden sich auch immer mehr Pädagogen, denen es ähnlich geht. Man ist nicht mehr allein, weil irgendwer mal den ersten Schritt in die Öffentlichkeit gewagt hat... Gott sei Dank! 
teacher antwortete am 29. Aug, 20:11:
Ich les gerade, dass wir "Europameister" im Jugendalkoholkonsum sind (meine Schüler saufen durchschnittlich 1/4 Wein pro Tag!), dass bis zu einem Drittel der Schüler psychische Störungen haben, dass die Gewalt weiter zunimmt ... da darf man schon nervös werden vorm Schulbeginn. 
 

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