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cotopaxi

 
"Kannst Du mich umarmen?", frage ich einen Kollegen, der noch frisch und munter wirkt.
"???"
"Ich brauche eine Abkühlung!"
"?????"
"Hier herinnen hat es mindestens 45 Grad. Selbst wenn du hohes Fieber hast, könntest Du mich abkühlen!"

Die Sonne brennt heiß auf das metallene Schuldach und wir brüten in elendslangen Klassenkonferenzen über den Noten unserer Schüler. Besondere Beachtung fordern die Betragensnoten.

"Ich beantrage ein Wenig zufriedenstellend für D.H.: Er ... ja, er furzt absichtlich ... also laut und ... ihr wisst schon, unangenehm."
"Deshalb hat ihm der I.L. auch mit der Faust ins Gesicht geschlagen."

"Hmmm," denken viele, "eine natürliche Abwehrreaktion. Recht geschieht ihm."
Sagt aber keiner, wir sind Pädagogen, gegen rohe Gewalt.
"Also gleicher Antrag auf Wenig zufriedenstellend für I.L."

Wir heben die Hände, keine Gegenstimmen, beide verdienen eine schlechte Betragensnote: 3.
War das früher eine Schande, irritiert das heute keine Sau ... In unseren Abschlusszeugnissen (4. und 8.Klasse) dürfen diese Bewertungen überhaupt nicht mehr aufscheinen, sie haben jeglichen Wert verloren.

"Was haben die in 4 Jahren Volksschule gelernt?", geht der Vorwurf direkt an die Grundschullehrer, die sich nicht wehren können.

Der Klassenvorstand ("Wie habe ich das verdient?") setzt sich zum Computer und tippt die Resultate in die Programmmaske. [Ich mag das Wort!]
"Furzen kann ich doch nicht eintragen, oder?"
"Produziert Winde ... nein ... flatuliert!", kommen Vorschläge aus dem Hintergrund.
"Aber das klingt zu harmlos!"

"Wie sollen wir solche Kinder bloß erziehen?" stößt ein Betroffener (er wirkt so) nach.
Großes Schweigen - wir wissen keine Antworten.
"Also, wenn das nicht in den ersten Lebensjahren passiert ..."
So, das hätten wir auch geklärt.
walküre meinte am 21. Jun, 09:11:
Die Grundschullehrer
tragen keine Schuld an den offensichtlichen Versäumnissen; Tatsache ist, dass soziales Verhalten in den ersten 6 Lebensjahren erlernt wird, d.h. wenn vom Elternhaus nichts in der Richtung vermittelt wird, kann bestenfalls noch der Kindergarten ausgleichend wirken, aber das wars dann auch schon. Kinder, die eine Kindergartengruppe besuchen, in der liebevolle, aber auch nachdrücklich auf sozial verträgliches Verhalten der Kinder hin orientierte Pädagogen am Werk sind, haben diesbezüglich in der Schule wesentlich weniger Anpassungsschwierigkeiten als solche, die entweder überhaupt nie einen Kindergarten besucht haben oder aber auch dort zu nachsichtig behandelt wurden. Damit wir einander richtig verstehen: Ich lehne brachiale Strafen grundsätzlich ab, weil sie ein Eingeständnis der erzieherischen Ohnmacht sind und außerdem mitunter Kindern auf eine sehr vertrackte Art (nämlich dem Umweg über das schlechte Gewissen der Eltern und Erzieher) Macht über Erwachsene verleihen können. Konsequenzen sind unabdingbar, aber beispielsweise ein Spiel- und Aufenthaltsverbot in der Ecke mit den Bauklötzen für einen bestimmten Zeitraum wirkt bei einem Kind, welches dort die "Bauwerke" anderer Kinder zerstört, wesentlich effektiver als alle anderen Reaktionen. So wichtig übrigens Psychologie auch ist: Nicht hinter jedem Fehlverhalten steckt ein psychisches Problem - verhältnismäßig oft geht es lediglich darum, Grenzen auszutesten (die - siehe oben - nicht selten zuhause nicht gesetzt werden). 
teacher antwortete am 21. Jun, 11:49:
Wir sind nicht alle der Meinung, die Grundschullehrer würden versagen. Ich zeige nur die Tendenz, den jeweils vorgelagerten Instanzen die Schuld zuzuweisen. Die Unis mokieren sich deswegen ständig über das Niveau der Abiturienten ("Schuld der Gymnasien"). Gleichzeitig unterstreiche ich die Ratlosigkeit, die uns immer häufiger umgibt, weil wir mit bisher unbekannten Phänomenen konfrontiert werden.
"What shall we do?" geben immer mehr Eltern und Lehrer zu. 
gulogulo meinte am 21. Jun, 12:26:
gabs die schlechte betragensnote, weil ein lehrer das ganze (zufälligerweise) gesehen hat?
ansonsten würd ich sagen, die kinder haben das unter sich ausgemacht und fertig. 
MissBlubb (Gast) antwortete am 21. Jun, 12:38:
Aber es ist trotzdem schlechtes Sozialverhalten und genau das wird doch bewertet, oder nicht?
Bei uns werden die Kopfnoten erst ab nächstem Schuljahr verteilt, bin schom gespannt, was das so wird ...
Naja, jetzt hab ich erstmal Ferien und ruh mich aus :) 
gulogulo antwortete am 21. Jun, 12:57:
sicher gehört sich weder das eine noch das andere.
aber bei den meisten "wächst sich dieses verhalten zum glück raus". 
teacher antwortete am 21. Jun, 14:23:
Ausserhalb der Schule wäre die Sache ausreichend geregelt gewesen.
Aber in der Klasse entsteht ein richtiger Aufstand. Die einen laufen zum Fenster und schreien "Bääh", die anderen zum Lehrer und schreien "Bitte!" Und die Gefahr auf eine kleine Keilerei will auch noch gebannt werden. 
theseus meinte am 21. Jun, 15:07:
o tempores - o mores!
Das sind ja Sitten! Bei uns im Griechischunterricht gab es schon für die Übersetzung der Zusammenfassung von "Iphigenie in Aulis" für den gut gemeinten Vorschlag "Artemis hielt die Winde zurück" und für das damit verbundene Gelächter eine Kollektivklassenbucheintragung. 
teacher antwortete am 21. Jun, 17:47:
Das würde das kollektive Gelächter zu einem Orkan anwachsen lassen - Klassenbucheintragungen sind so was von lächerlich und hinfällig geworden ... 
gulogulo meinte am 21. Jun, 17:23:
nur so als frage - das unten stehende könnte doch durchaus als appell an den "übeltäter" durchgehen, oder?

... Du bist doch jetzt alt genug, um dich anders aufzuführen, als du es tust. Du solltest dich endlich bessern und mit ganzer Seele deinen Sinn auf einen guten Lebenswandel richten. Denn bis jetzt hast du dich benommen wie ein kleines Kind. Du hast Verstand genug, um einzusehen, was gut und was schlecht ist [...] Ich höre, daß du dich nicht so beträgst, wie ich es möchte, und bin sehr bekümmert darüber ... 
teacher antwortete am 21. Jun, 17:54:
Bravo, 1.Preis: "Gutmensch des Tages"! 
gulogulo antwortete am 21. Jun, 18:51:
ich mein nur, weil dieser text aus dem brief eines florentiner kaufmannes an seinen sohn stammt. und zwar vom 27.2.1452.
some things never change. ;-) 
teacher antwortete am 22. Jun, 08:16:
Weiß die Geschichtschreibung, ob der nette Spruch gewirkt hat? 
gulogulo antwortete am 22. Jun, 08:30:
soweit ich gelesen habe, zeigte sich der sohn einsichtig. 
teacher antwortete am 22. Jun, 08:40:
Meine Söhne würden mich fragen, was ich getrunken haben! 
Simon Columbus (Gast) meinte am 21. Jun, 19:20:
I.L. hätte eine Auszeichnung verdient - für soziales Engagement.

Und die Erziehungs-Frage wird es wohl immer geben. Und keiner wird sich freiwillig melden, wenn er die Verantwortung übernehmen soll. Also des beste Thema für Streit(gespräche). 
teacher antwortete am 22. Jun, 21:31:
Das zeigt das Komische an der Schule - als Schonraum für alle, besonders für Asoziale. In anderen Umgebungen wäre dem I.L. mutig auf die Schultern geklopft worden. In anderen Umgebungen finden solche Tabuverletzungen nicht bzw. nicht ungestraft statt. 
Störgröße meinte am 21. Jun, 19:51:
der eigene is immer ok 
teacher antwortete am 22. Jun, 21:26:
Aber leise im stillen Kämmerlein, bitte. 
Lila Elefant meinte am 26. Jun, 12:00:
ich finde das absurd! 
teacher antwortete am 26. Jun, 12:12:
Was genau? 
 

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