Profil
Abmelden
Weblog abonnieren
cotopaxi

 
"Ich habe vier Sprachen gelernt, aber eigentlich kann ich nur eine", resümiert ein Jugendlicher zwischen Ende seiner Schulzeit und Anfang der Reifeprüfungen.
"Was meinst Du?", interessiert mich seine spontane Einsicht.
"Naja, Latein ist für die Katz', Englisch habe ich nicht ernst genug genommen, Französisch hab' ich nichts gelernt - bleibt nur Deutsch."
Ich lasse ihn genauer berichten.
"Sie kennen ja meine Französischlehrerin. Die ist so lieb, naiv, da habe ich die guten Noten geschenkt bekommen."
"Sie setzt bei euch auf Eigenverantwortung", höre ich mich in Verteidigungsposition, "schließlich seid ihr 17, 18 Jahre alt!"
"Hmmm", schnauft er, "das haben nur die Mädels genützt."

Das gibt mir zu denken. Überall suche ich Gründe, warum die Burschen in den Schulen in jeder Hinsicht schlechter abschneiden als die Mädchen. Spielt die moderne didaktische Freiheit, die wir den SchülerInnen zuspielen, eine wichtige Rolle dabei?

An meinem Gymnasium sind es ausschließlich Kolleginnen gewesen, die sich dem Offenen und Freien Lernen verschrieben haben. Nicht einen Mann sah ich, die nötigen Materialien herzustellen, zu sammeln oder auch nur einzusetzen. Viele Frauen schwärmen davon, obwohl die Euphorie heute abebbt. Denken Frauen, dass Kinder freiwillig arbeiten, weil sie selbst als Kinder freiwillig gearbeitet haben? Vielleicht sogar Freude am Lesen, Schreiben, Lernen hatten. Mädchen!
Frage ich Burschen, dann höre ich offen, dass nur "naive Träumer" solche Methoden einsetzen und dass sie selbst jede Gelegenheit nutzen, im Untergrund lustigere und interessantere Dinge tun zu können.
"Momentan ist Pokern angesagt!"
Auch wenn sie letztlich schlechtere Noten für weniger Können kassieren.
"Aber wir haben voll gechillt, ha!"
Auch noch stolz auf die Selbstbeschädigung. Burschen!
Männer wie ich erinnern sich an ihre eigene schulische Mitarbeit: "Nur das Minimum, bitte!" und münzen diese Erfahrungen in viel engere Lehrkonzepte um.

Noch einmal, ich formuliere hier eine These, die ich bei verschiedenen Gelegenheiten hinterfrage, und ich kenne keine wissenschaftlichen Belege dafür. Will frau diese Frage gar nicht stellen, um sich Enttäuschungen zu sparen? Und werden wir die Geschlechter später wieder getrennt unterrichten?
Nachtblau meinte am 23. Apr, 17:28:
Also die Theorie sagt, dass sämtliches schulisches Lernen Mädchen begünstigt, wegen Lernweise usw. Manche gehen sogar so weit und behaupten, die schönen bebilderten Fibeln haben nur Mädchenthemen (also Tiere, Familie, etc) und keine Jungsthemen (Autos, Technik, usw), und deswegen lesen Jungen von Anfang an nicht gerne. 
teacher antwortete am 24. Apr, 09:46:
Ich glaube, dass es Lern- und Lehrmethoden gibt, die den Burschen entgegen kämen, aber die Schule ist eine Frauenwelt.
Und auch die Buchwelt ist eine weibliche Domäne. Bücher für Männer verkaufen sich tierisch schlecht, daher werden kaum welche geschrieben. 
Stef (Gast) meinte am 23. Apr, 18:15:
Was ist Ursache ? Was ist Wirkung ?
Ich bemühe mich - auch als Mann - um offenen (offeneren) Unterricht und sehe es etwas anders:

Weil es meist Kolleginnen sind, die so unterrichten, sind es auch ihre Lernarrangements, ihre Themenschwerpunkt. Jungen lernen aber oft anders, bevorzugen andere Problemstellungen, Materialien, Medien etc. Des weiteren fehlen den Jungen oft männliche Lernvorbilder ... der 'echte' Mann unterricht allwissend und frontal --- 'Moderieren', Lernberatung' etc. wirkt anscheinend unmännlich. So sind deine Beobachtungen - gerade im Sekundarberiech - letztlich gelernte Rollenklischees.

Meine Schüler lernen von der ersten Stunde an, dass es solches und solches Lernen gibt. Eine Form geht oft fließend in die andere über. Die Lernbereitschaft ist bei allen da? Aber wie gelernt wird, das ist ganz individuell, durchaus auch vom Geschlecht beeinflusst. Für Jungen baue ich Formen des Wettbewerbs, technische Materialien, handwerkliche Lernbereiche, Computer ein ... und es klappt. Zwei meiner Erstklässler (Primarstufe) rechnen bereits aus eigenem Antrieb im Zahlbereich bis 1000, bauen elektrische Schaltungen und lesen Sachbücher über Flugzeuge des 2.Weltkrieg. Anders ist es bei den meisten Mädchen: hier wird gerne gemalt, geschrieben und kleine Erzählungen gelesen.

Fazit: Nicht das 'offene Lernen' an sich ist jungenfeindlich, sondern meistens dessen schulische 'Umsetzung' bzw. deren schulische 'Umsetzer' (nämlich meistens Frauen in Frauenfächern). 
teacher antwortete am 24. Apr, 12:53:
Es geht mir auch um den Missbrauch der Freiheit. Es sind primär die Jungen, ich behaupte sogar die schwächeren Jungen, die die Offenheit der Lernsituation ausnützen. Natürlich sehe ich das bei (post)pubertären Kindern viel häufiger als bei "den Kleinen".
Bleibt die anklagende Frage: Bevorzugen offene Lernformen die guten Schülerinnen? (Das wäre dann schrecklich kontraproduktiv!) 
.peter meinte am 24. Apr, 00:51:
Unsere Schüler sehen ja beinahe nur noch Frauen. Es sind immer deutliche Unterschiede im Lernklima zu spüren, wenn ein Mann unterrichtet. Per Rollenklischee oder nicht, da schwimmt immer ein Tick mehr Strenge und Autorität mit ... ohne das ich das jetzt beweisen könnte.

Vielleicht sollte man die Geschlechtertrennung für manche Fächer wieder einführen. Bekanntermaßen sind es ja wiederum die Mädchen, die von den Jungs beispielsweise in Mathe und Physikunterrichten eingeschüchtert hinter den Jungen hinterherhinken, obwohl sie in einer gleichgeschlechtlichen Klasse weniger Probleme mit dem Stoff hätten. Dazu wiederum gibt es bereits Studien ... wäre also garnicht so abwegig, dass mal wieder auszuprobieren.

Angesichts des männlichen Rollenverhaltens meiner türkisch- und ähnlich-stämmigen Schüler würde ich das doch sehr begrüßen, im Interesse Aller beteiligten. 
teacher antwortete am 24. Apr, 12:59:
Ich erlebe meine Kolleginnen strenger und autoritärer als meine Kollegen. Viele unterrichtende Männer haben ohnehin eine ausgeprägt weibliche Kompenente (auch ich) und bringen den schwierigeren Kindern (meist Burschen) aus eigener Erfahrung (mit Streitereien, Raufereien, Aggressionen, Faulheiten ...) mehr Verständnis entgegen. Bleiben cooler, werden weniger emotionell, nehmen die Dinge lockerer.
Nur sehr grob zusammengefasst, es gibt genug Gegenbeispiele! 
Alex (Gast) meinte am 24. Apr, 09:21:
Wieder mal Finnland....
Die ersten 2-3 Seiten dieses Artikels sind was Schule und Unterricht betrifft sehr interessant.

http://www.zeit.de/2007/17/Finnland_neu?page=1

P.S.:
Wenn man Ihren Blog liest, kriegt man richtig Lust darauf Lehrer zu sein, oder eine gute Schule zu gründen... 
teacher antwortete am 24. Apr, 13:17:
Guter Artikel.
P.S.: Ich verspüre beide Lüste auch. :-) 
Nielsson antwortete am 26. Apr, 07:58:
Finde den Artikel auch gut, weil er zeigt, dass Finnland nicht nur Paradies ist. Die haben auch ihre Probleme, wenn auch weniger im Schulsystem.

Bei der Exzellenz in schulischen Dingen hatte ich beim Lesen des Artikels den Eindruck, als sei das die Leistung und Entscheidung einiger weniger. Und wenn die mal weg sind...
Aber vielleicht täuscht das auch. 
eremita (Gast) meinte am 24. Apr, 15:47:
These passt zu meiner Wer-wird-Lehrer-Theorie
Äußerst interessante These, hab ich bis jetzt noch nie dran gedacht, find ich aber höchst plausibel: auch bei mir sind die Mädchen wesentlich eifriger, selbständiger und "freiwilliger" als die Burschen! Und das passt zu meiner Meinung über die vielen Kommentatoren zum Thema Faulheit, die meinten, jeder, der den Beruf ergreifen wolle, wisse, was auf ihn zukomme. Ich bin nämlich überzeugt, dass das NICHT stimmt. Da der weitaus größere Teil derer, die auf Lehramt studieren, MÄDCHEN sind, und der weitaus größere Teil dieser Mädchen BRAVE Schülerinnen waren (freiwillig, selbstverantwortlich, ....), können die sich eben nicht vorstellen, was einem das Lehrerleben aller schwermachen kann - überhaupt außerhalb des Klassenzimmers ... 
teacher antwortete am 24. Apr, 16:10:
Das sehe ich auch so. 
gulogulo meinte am 24. Apr, 20:12:
die kunst besteht wohl darin, den schülern den stoff so zu vermitteln, daß sie nicht merken, daß sie etwas lernen. ;-) 
teacher antwortete am 24. Apr, 21:08:
Wie gesagt: Das wäre Kunst! 
american_liar (Gast) meinte am 28. Apr, 05:14:
wir haben unseren latein lehrer fast schon angefleht uns mehr unter druck zu setzten mit mehr tests und allem damit wir mehr lernen. und die die das gesagt haben waren nur maedchen, weil die gute noten haben wollten aber ohne druck haben wir von uns aus nichts gemacht. 
teacher antwortete am 28. Apr, 15:15:
Nennen wir es "Motivation". Es gibt kaum natürliche Gründe, Lateingrammatik (etc.) zu büffeln, darum müssen externe Faktoren Druck erzeugen (oder man lässt es ganz!).
Die allermeisten Schüler und Studenten (und auch viele Erwachsene) wissen das - aber die offizielle Didaktik und Pädagogik verweigert diese Einsicht. 
 

twoday.net AGB

xml version of this page

powered by Antville powered by Helma