Beim Lesen des Schülerin-Lehrer-Blogs sind mir wieder Schuppen von den Augen gefallen: Ich bin ein pädagogischer Durchlauferhitzer.
Ständig rinnen zig SchülerInnen durch meine Hände, ich erwärme sie für ein paar Momente und schon laufen sie - wieder abgekühlt - aus dem Haus.
Noch mehr mag ich den Vergleich zwischen Lehrer und Arzt. Ich habe ständig 150 "Patienten", jedes Jahr kommen 30 neue dazu, 30 alte gehen ab. Der Horror dabei - ich kenne keinen wirklich. Ich sehe sie zwei oder drei Stunden pro Woche, d.h. ich habe rund fünf Minuten pro Kind. Ich merke mir gerade ihre Namen, schaue mir irgendein Detail in ihrem Kopf an, versuche das zu trainieren und überlasse den Rest 15 anderen KollegInnen, die die "Patienten" auch nicht wirklich kennen. So doktern wir herum. Nebeneinander und hintereinander. Manchmal sogar gegeneinander.
15 Medikamente in ein Gehirn. Unkoordiniert. 5 Minuten pro Woche. Elternersatz?
Wir kennen die Schüler höchst oberflächlich, sollen aber auf alle individuell eingehen, sollen sie erziehen, begleiten und bilden. Sollen sie fachlich und menschlich beurteilen und selektieren sie sogar. Ohne ausreichende Begründungen und ohne brauchbare Mittel.
Wir können die Eltern nicht ersetzen. Nur die Eltern können und müssen sich Zeit für ihre Kinder nehmen. Nur die Eltern kennen die Besonderheiten ihrer Sprößlinge, begleiten sie von 0 - 20, 7/24. Nur die Eltern können sie lieben. Nur zu engen Bezugspersonen kann man großes Vertrauen aufbauen, nur sie können langfristig Wärme und Sicherheit geben. Ich bin nur ein pädagogischer Durchlauferhitzer.
Wir entwickeln auch nur langsam und partiell Vertrauen zueinander. Wir haben und bilden ständig Vorurteile, weil echtes Verstehen nicht möglich ist. 5 Minuten. 150 Schüler. Wir taktieren und spielen einander aus. Gemeinsam, von- und miteinander lernen, das ist ein höchst seltenes Gut, meistens geht es ums "ökonomische Prinzip": Wie können wir mit minimalem Aufwand ausreichende Ergebnisse erzielen. Wenig Zeit, wenig Mittel, wenig Arbeit - trotzdem einen netten Abschluss und ein brauchbares Leben.
Schule als Durchlauferhitzer. Nicht Erzieher, kein Elternersatz.
Ständig rinnen zig SchülerInnen durch meine Hände, ich erwärme sie für ein paar Momente und schon laufen sie - wieder abgekühlt - aus dem Haus.
Noch mehr mag ich den Vergleich zwischen Lehrer und Arzt. Ich habe ständig 150 "Patienten", jedes Jahr kommen 30 neue dazu, 30 alte gehen ab. Der Horror dabei - ich kenne keinen wirklich. Ich sehe sie zwei oder drei Stunden pro Woche, d.h. ich habe rund fünf Minuten pro Kind. Ich merke mir gerade ihre Namen, schaue mir irgendein Detail in ihrem Kopf an, versuche das zu trainieren und überlasse den Rest 15 anderen KollegInnen, die die "Patienten" auch nicht wirklich kennen. So doktern wir herum. Nebeneinander und hintereinander. Manchmal sogar gegeneinander.
15 Medikamente in ein Gehirn. Unkoordiniert. 5 Minuten pro Woche. Elternersatz?
Wir kennen die Schüler höchst oberflächlich, sollen aber auf alle individuell eingehen, sollen sie erziehen, begleiten und bilden. Sollen sie fachlich und menschlich beurteilen und selektieren sie sogar. Ohne ausreichende Begründungen und ohne brauchbare Mittel.
Wir können die Eltern nicht ersetzen. Nur die Eltern können und müssen sich Zeit für ihre Kinder nehmen. Nur die Eltern kennen die Besonderheiten ihrer Sprößlinge, begleiten sie von 0 - 20, 7/24. Nur die Eltern können sie lieben. Nur zu engen Bezugspersonen kann man großes Vertrauen aufbauen, nur sie können langfristig Wärme und Sicherheit geben. Ich bin nur ein pädagogischer Durchlauferhitzer.
Wir entwickeln auch nur langsam und partiell Vertrauen zueinander. Wir haben und bilden ständig Vorurteile, weil echtes Verstehen nicht möglich ist. 5 Minuten. 150 Schüler. Wir taktieren und spielen einander aus. Gemeinsam, von- und miteinander lernen, das ist ein höchst seltenes Gut, meistens geht es ums "ökonomische Prinzip": Wie können wir mit minimalem Aufwand ausreichende Ergebnisse erzielen. Wenig Zeit, wenig Mittel, wenig Arbeit - trotzdem einen netten Abschluss und ein brauchbares Leben.
Schule als Durchlauferhitzer. Nicht Erzieher, kein Elternersatz.
teacher - am Freitag, 14. Januar 2011, 21:12
BIA (Gast) meinte am 14. Jan, 22:43:
Im Prinzip ist es ja nicht so schwer: - Klassenteams, die die Klassen über mehrere Jahre hinweg betreuen
- eine Klassleiterstunde (wir haben sie heuer erstmals in der 8. Jgst., ist absolut Gold wert!!!)
- Zeit für das gegenseitige Kennenlernen und Zeit, um Dinge zu tun, die verbinden
teacher antwortete am 15. Jan, 11:46:
Wir hatten "Soziales Lernen" in manchen Klassen mit Zeit zum Kennenlernen und sozialen Projekten. Da hat es besser (aber auch nicht gut) funktioniert. Wurde weggespart.
protokollführer (Gast) meinte am 15. Jan, 10:02:
Genau so sieht es aus, es hat alles auch etwas von Massenhaltung, etwas sehr Fließbandmäßiges, Maschinelles.Ich bin bei meiner Rechnung nur auf 3 Minuten gekommen pro Schüler pro Woche gekommen: http://stundenprotokoll.blogspot.com/2011/01/schule-2011-in-zahlen-ein-ausblick.html
teacher antwortete am 15. Jan, 11:47:
Massenhaltung, ja. Mit den ensprechenden Stresserscheinungen.Wir sollen mit 3 od. 5 Minuten pro Woche "erziehen"!?
Der Ex-Volksschullehrer (Gast) meinte am 15. Jan, 11:38:
Das war genau einer der Gründe, warum ich mich vor 2 Jahren entschieden habe, diesen Job nicht länger zu machen und dieses System weiter zu stützen.Und daweil hatte ich als VS-Lehrer wesentlich mehr Zeit mit meinen Kids zu reden und sie kennenzulernen, als in meine Kollegen in den weiterführenden Schulen.
Nachdem ich viele zusätzliche Sportqualifikationen habe, war ich aber immer schon auf vielen Skikursen/Sommersportwochen mit den AHS der Umgebung mit. Dort hat mich diese "Unkenntnis" der Schüler als Menschen immer schockiert. Jetzt weiß ich: In 5 Minuten geht eben nicht mehr.
Das Problem, das ich dabei aber immer gesehen habe, war, dass dann schnell generalisiert und pauschaliert wird. Man kennt ein Detail des Schülers und schließt daraus auf seine gesamte Personlichkeit/sein Leben. Nachdem das System der 5 Minuten nicht veränderbar ist, sollten man sich als Lehrer eventuell die Reflexionsfrage stellen ob ein Schüler eben "ein schlechter Mensch" ist, nur weil ihn z.B.: das Fach nicht interessiert (und ACHTUNG; ich meine damit immer die verschule Form des Faches)..
Das müsste man den Lehrern austreiben.... aber das ist wahrscheinlich noch schwieriger zu ändern als die 5 Minuten
teacher antwortete am 15. Jan, 11:49:
Ja, dieses Pauschalieren und Einsetzen von Vorurteilen beherrscht unsere Sicht auf die Schüler. 5 Minuten!Das macht uns alle unzufrieden.
micha (Gast) meinte am 15. Jan, 14:23:
So hab ich das noch nie gesehen. Mir ist es gerade sehr eisig den Rücken runtergelaufen. Und ich bin immer so angenervt von der Klassenlehrerin meiner Kleinen... ich muss da wohl so einiges überdenken.
Hey ... Du zerstörst mir gerade mein bequemes "Feindbild"...
LG micha
teacher antwortete am 16. Jan, 14:14:
Mensch, da freue ich mich aber. Vielleicht geht ihr einen Schritt aufeinander zu ...
micha (Gast) antwortete am 16. Jan, 14:55:
Lieber Teacher, das mit dem "aufeinander zugehen" wird nicht mehr passieren, wir stehen das Schuljahr noch bis zum Sommer durch. Mein Mann und ich haben aufgegeben. Ich werde weiter bei meiner Kleinen Mathe- und Deutschlehrerin spielen und dann kommt die weiterführende Schule. Hoffentlich wird es dann besser.
(Wir haben gute Freunde, die auch Lehrer/Pädagogen sind und alle schütteln nur den Kopf über die Grundschullehrerin.)
LG micha
bonanzaMARGOT meinte am 15. Jan, 17:44:
bei großen klassenstärken und häufigem lehrerwechsel ist es notgedrungen so, wie du es sagst - der lehrer als durchlauferhitzer kann kaum wirklich zu den seelen und gedanken der schüler und schülerinnen durchdringen.aber es gäbe möglichkeiten, um die situation zu verbessern, wenn die politik endlich der pädagogik entgegen käme und sie nicht ständig an ihre grenzen brächte.
teacher antwortete am 16. Jan, 14:15:
Oh ja. Jetzt, wo wieder alle über hundert Reformen sprechen, merke ich, dass die wesentlichen nicht zur Sprache kommen.
bonanzaMARGOT antwortete am 16. Jan, 14:21:
und warum? liegt es mal wieder am geld? oder gibt es in den kultusministerien zu viele inkompetente zementköppe?wer hat denn ein interesse an frustrierten lehrkräften, die ihre fähigkeiten gar nicht richtig anbringen können?
BIA (Gast) antwortete am 16. Jan, 17:05:
Daran hat niemand Interesse, aber die Ergebnisse bei Pisa in Deutschland lassen vermuten, dass es doch alles irgendwie gar nicht so schlecht geht. Und so lässt man's weiterlaufen, denn jedes bißchen Zeit für soziales Lernen etc. würde zusätzliche Stunden, sprich, Geld kosten.
bonanzaMARGOT antwortete am 16. Jan, 17:08:
niederschmetternd:
das ist wohl so: bevor die politik handelt, muss das kind erst richtig in den brunnen fallen.
teacher antwortete am 16. Jan, 17:12:
In Österreich heißt es immer: "Am Geld kann es nicht liegen. Die Ausgaben sind so furchtbar hoch und im OECD-Vergleich ganz oben."Aber die Hälft davon kommt nicht in den Klassen an.
Im Schnitt kommen 10 Schüler auf 1 Lehrer - und trotzdem habe ich fast immer 25-30 vor mir sitzen.
bonanzaMARGOT antwortete am 16. Jan, 17:22:
komisch. die rechnungen sind wohl getürkt.wo bleibt das geld denn? in den verwaltungen? in den wasserköpfen ...?
kein mensch blickt da noch wirklich durch.
fakt ist aber, dass an der basis stets zu überprüfen ist, ob eingeleitete maßnahmen/gelder auch wirklich griffen.
nicht nur der papst sondern auch die politik sollte wissenschaftliche erkenntnisse anerkennen - und daraus fortschrittliches handeln im sinne von menschlichkeit und aufgeklärtheit/freiheit/gleichberechtigung ableiten.
unter umständen will man mal wieder kein aufgeklärtes volk.
protokollführer (Gast) antwortete am 16. Jan, 18:44:
PISA und Nivellierung
BIA: "aber die Ergebnisse bei Pisa in Deutschland lassen vermuten, dass es doch alles irgendwie gar nicht so schlecht geht".Hier ist ein sehr interessanter Artikel zum Hintergrund der "Verbesserung" der Lernleistungen im Zentralabitur als Folge der PISA-Studien aus der FAZ: http://www.bildung-wissen.eu/presse/faz-nivellierung.pdf
BIA (Gast) antwortete am 16. Jan, 20:25:
Ich kann die Q12-Abiture logischerweise nicht beurteilen, weil wir sie heuer zum ersten Mal schreiben. Dass sie einfacher sind als ein LK-Abitur im G9, davon bin ich überzeugt. Dass die 9.Klässler die besonders brilliant lösen können, davon bin ich nicht überzeugt. Ich sehe schon noch mal eine Steigerung im Können zwischen 9. un d12. Jgst.
Ketzerkatze (Gast) meinte am 15. Jan, 17:55:
Erkenntnis
Mir wird gerade sehr vieles aus meiner eigenen Schülerinnenzeit erklärlich ... *grusel*
o.klein (Gast) meinte am 15. Jan, 19:01:
zu vieleSchüler
Mir scheint genau das das grösste Problem im Lehrer-Beruf zu sein: dass man so viele Schüler hat, dass man keinen richtig kennen kann...
o. klein (Gast) antwortete am 15. Jan, 19:02:
Mir scheint, es liegt vor allem an der Struktur der Schulen...Sie sind einfach zu gross, bzw. sie sollten Unterteilungen machen, dass man nicht ständig andere Klassen kriegt...
BIA (Gast) antwortete am 15. Jan, 19:13:
Ja, damit steht und fällt ganz viel.
o.klein (Gast) antwortete am 16. Jan, 10:51:
PS: Wenn ich mir das Ganze von der Schüler-Perspektive anschaue, scheint es weniger ein Problem zu sein.Als Schüler ist es eigentlich ganz lustig, immer wieder verschiedene Lehrer zu haben.
Aber von der Lehrer-Perspektive finde ich es unmenschlich... Man braucht schon mal bis November, um sich überhaupt erst alle Namen zu merken. Es ist ein typisches Merkmal der Industrialisierung: man "optimiert" die Quantitäten, und gestaltet gerade dadurch die Arbeit unmenschlich, bzw. überfordert damit den Arbeitnehmer.
teacher antwortete am 16. Jan, 17:09:
Aber auch der einzelne Schüler (vor allem die Kleinen) haben keine fixen Bezugspunkte mehr. Sie sind nur "Wasser durch den Durchlauferhitzer". Meterware.
ms heaven (Gast) meinte am 16. Jan, 13:38:
Danke teacher, du sprichst mir aus der Seele. Ich habe auch solche Größenordnungen und sehe es ähnlich.Dennoch versuche ich mir auch innerhalb des Unterrichts mal die Zeit zu nehmen zum Lachen und Erzählen, ab und zu Spiele mit Teams, nach einer Klausur gibt es auch mal gemeinsames Frühstück im Klassenraum... Handhaben alle Kollegen auch so. Man muß sich diese Freiräume einfach abtrotzen. Teile auch mal meine Schokolade für alle auf :-)
Und bei der Besprechung der SoMi-Noten (sonstige Mitarbeit, gibt es hier in NRW) nehme ich mir auch Zeit für jeden Schüler einzeln im Gespräch und frage ihn auch selbst nach seinen Sichtiweisen. Da erfahre ich dann auch viel, wie's gerade zu Hause ist, was sie gerade im Leben wirklich interessiert.
Ich könnte gar nicht anders, als so, als Mensch zu handeln. Das ist für mich wahre Professionalität - statt nur Fassade zu zeigen.
teacher antwortete am 16. Jan, 14:13:
Ich glaube, das erhöht ungemein die Zufriedenheit.Aber bei PISA merkt man es halt nicht, :-)
Susi-q (Gast) antwortete am 16. Jan, 20:42:
Ich glaube, ich bin an der falschen Schule. Das klingt richtig himmlisch. Ach, deswegen auch ms heaven, oder? ;-)