Profil
Abmelden
Weblog abonnieren
cotopaxi

 
"Leider, Kathi, das geht sich für dieses Semester nicht aus. Die Prüfung ist eindeutig negativ, damit steht auch im Halbjahreszeugnis ein Nicht genügend."
"Wieso?"
"Schau' mal: Beide Schularbeiten negativ, Mitarbeit negativ ... und jetzt diese Prüfung!"
"Und meine Hausübungen?"
"Haben ja viele gefehlt."
"Hab' ich nachgebracht!"
"Stimmt, aber das ist ja keine Kunst. Da kann man bei anderen Schülern leicht abschreiben."
"Trotzdem! Ausserdem hab' ich schon vor Weihnachten eine Prüfung gemacht. Die war doch positiv."
"Ja. Aber die Summe der negativen Noten überwiegt. Im nächsten Semester musst du mehr mitarbeiten, du brauchst das Training, die permanente Rückmeldung."
"Ich lern' gar nix mehr! Nützt ja eh nix, wie man sieht."
"Bitte, schau auf die Tafel, da stehen noch deine Fehler. Da musst du doch sehen, dass du zu wenig getan hast."
"Ich hab' eh keine Chance."

Prüfungen sind so deprimierend. So wenig motivierend. Ich hasse sie.

"Frau Professor L., zum Telefon!"
"Bundesgymnasium XY, M.L, Grüß Gott."
nicht hörbar
"Ja, sie musste ihre Schultasche vor mir ausleeren, das war notwendig."
nicht hörbar
"Ob ich das darf? Ist das die richtige Frage? Ihre Tochter hat jemanden eine CD ...."
nicht hörbar
"Das kann doch kein Zufall sein, dass die CD ausgerechnet in der Schultasche ihrer Tochter gelandet ist. Da muss ich doch ..."
nicht hörbar
"Glauben Sie, ich bin bei der Polizei und brauche einen Durchsuchungsbefehl. Hier geht es um Erziehung, nicht um Privatsphäre oder Kriminalisierung."
nicht hörbar
"Ich verstehe schon, da sind private Dinge in einer Schultasche. Soll ich das nächstes Mal die Polizei holen? Eine Anzeige machen?"
nicht hörbar
"Also ich bin mir sicher, dass ich das darf. Ich muss das sogar machen, das ist meine pädagogische Aufgabe ... und ich muss die Schwächeren in der Klasse schützen!"
nicht hörbar
"Natürlich können Sie einen Anwalt einschalten. Aber wem tun Sie etwas Gutes? Wem nützt das?"
nicht hörbar
"Schön, dass Sie ihre Tochter auch in schwierigen Situationen unterstützen. Aber sie muss auch lernen, was ihr gehört und was nicht. Wie man mit dem Eigentum der anderen umgeht!"
nicht hörbar
"Ich glaube Ihnen schon, dass Sie das zu Hause auch besprechen, aber für die Schule bin ich halt verantwortlich!"
nicht hörbar
"Auch wenn Sie das anders sehen. Ich bleibe dabei. Auf Wiederhören."

"Moment mal, schau auf die Pinnwand. Was steht da?"
"Ja schon ..."
"Lies bitte vor, zur Erinnerung."
"Warum? ..."
"Da habt ihr alle unterschrieben, dass ihr euch nicht gegenseitig fertigmacht. Da schau: ... nicht hänseln, nicht beschimpfen ... Und was machst du?"
"Na ja ..."
"Nicole, erzähl', warum du weinst!"
"Er sagt dauernd .. sniff ... dass meine Haare orange sind ... sniff ..."
"Sind sie ja!"

Super Klassenvertrag!

"Falls die Frauen so dumm sind wie die Frauenzeitschriften, dann möchte ich von Gleichberechtigung nichts mehr wissen."
"Welche Frauenzeitungen meinen Sie da?"
"Seit ein paar Tagen liegt ein WOMAN bei uns herum."
"Da gibt es noch schlimmere!"
"Meinst Du 'Neue Post' und so?"
"Ja, und die modernen im superkleinen Format."
"Die mit den echten 22 cm?"
"Sie kennen sich ja aus! Haben Sie das WOMAN-Heft auch gelesen?"
"Was heißt gelesen? Da war nix zum Lesen! Das ist wie ein Bilderbuch für Maturantinnen. Schöne Hochglanzbilder von schönen Frauen in schönen Kleidern. Shoppen, Schminken, Kochen ... ein Witz, die Zeitung!"
"Soll sich ziemlich gut verkaufen ..."
"Umso schlimmer. Ein Haufen sinnloser Werbung und ein Haufen sinnloser Artikel. Information: Null."
"Warum? Neue Lippenstifte, die Schuhe aus Sex and the City, ein paar Rezepte aus Ibiza, das Horoskop, der Mondkalender ..."
"Und diese Frauen wollen Karriere an der Uni oder in der Wirtschaft machen? Wer soll die ernst nehmen?"
"Die Frauen! Aber glauben Sie wirklich, dass die Männerzeitschriften besser sind?"

"So bitte, alle, die bei mir maturieren wollen, tragen sich jetzt mit ihrem Thema in das Übersichtsheft ein. Und unterschreiben! Muss so sein."
"Wie soll ich mein Thema jetzt nennen?"
"Das ist DEIN Thema, da solltest DU am ehesten den richtigen Titel finden!"
"Die Rolle der Frau in Frankreich, geht das?"
"Aha."
"Nicht?"
"Ich habe mir deine Unterlagen über Weihnachten angesehen. Da hast du von einigen feministischen Seiten aus dem Internet schöne Sprüche zusammenkopiert."
"Was meinen Sie jetzt?"
"Ein Spezialgebiet zum Thema "Frau in Frankreich" stelle ich mir anders vor."
"Wie?"
"Da gibt es ja auch Meinungen, die den feministischen Aussagen eher widersprechen. Hast Du schon von der katholischen Kirche gehört? Oder von der Front National?"
"Schon, aber ..."
"Die haben einen gewichtiges Wort mitzureden, auch unter Sarkozy ... und Carla Bruni."
"Also mit Politik möchte ich nicht ... muss ich das?"
"Was ich sagen will, ist, dass du sehr einseitige Quellen benutzt, dass du dich ausgewogener informieren sollst. Musst!"
"Das war alles, was ich im Internet gefunden habe."
"Glaubst Du z.B. dass es keine Abtreibungsdebatte mehr gibt? Dass alle froh sind, endlich Frauen in Spitzenjobs zu bekommen. Gibt es da keine Gegner?"
"Das wollte ich aber nicht ..."
"Und vergiss nicht ... in der Prüfungskommission sitzen neben mir ein Direktor, ein Klassenvorstand und ein Landesschulinspektor, macht vier Männer."
"Aha."

"Ihr habt jetzt ... sagen wir ... 5 Minuten, um den Text durchzulesen. Dann bleiben cirka weitere 5 Minuten, um die Fragen dazu zu bearbeiten. Alles klar?"
"OK."
"Vorsicht, jede Gruppe hat andere Fragen. Also schreibt euch die Antworten so auf, dass ihr sie vor der Klasse präsentieren könnt."
"Ich hab' noch eine Frage."
"Ja?"
"Was heißt Kolliiier?"
"Kolliiiier??? Kommt das im Text vor? Zeig' her ...... Ah, Collier, das spricht man französisch aus. .... Also bitte, jetzt nach Weihnachten, das ist doch ein Wort, dass man mit 16, 17 Jahren schon kennen sollte."
"????"
"Niemand? Bijou, Bijouterie sagt euch auch nichts?"
"Neee!"
"Also das ist ein feiner Ausdruck für ein Halsband, ein teures!"
"Nie gehört."
"Sonst noch Fragen?"
"Was meinen die mit 'Collier versilbern'? Aus Gold Silber machen? Ist das sinnvoll?"
"Na,na, na - das muss man im übertragenen Sinn verstehen. Wenn ich meine Uhr versilbern will, was heißt das?"
"????"
"Leute! Das ist unsere Muttersprache, das ist Volksschulwissen."
(Diesen untergriffigen Vorwurf wuerde ich gerne zuruecknehmen, ist aber draussen.)
"Na und? Kennen sie den Unterschied zwischen USB und Firewire?"
"USB1 oder 2?"
(Die sollten doch meine Technikliebe kennen!)

In der Reihe vor mir hat sich eine junge Familie breit gemacht. Links der Vater, er hoert Ipod, rechts die sehr junge Mutter, sie beschaeftigt sich mit sich und ihrem Aussehen. Ihre aufgespritzten Lippen sind ein bisserl uebertrieben ausgefallen, wie vieles hier um mich herum. Dazwischen ein blondes Maedchen, das ich auf vier Jahre schaetze.

Die Flugbegleiterinnen von Aeroflot strahlen weiter den Charme des Ostblocks aus, zwanzig Jahre Marktwirtschaft sind wie im Flug vergangen, es gibt kein Laecheln, nur Dienstleistung. Eine davon besteht darin, die jungen Gaeste mit einem kleinen Willkommensgeschenk zu versorgen - jede ordentliche Fluglinie stellt den Kindern seine Spielchen zur Verfuegung. Die Stewardess greift gelangweilt in ihre Schachtel und angelt eine bunte Tasche heraus, reicht sie dem neugierigen Kind. Das Maedchen greift zu ... aber - ich staune nicht schlecht - macht das Saeckchen gar nicht auf. Ich koennte ihr verrraten, was sich hinter dem farbigen Stoff versteckt: Buntstifte, Malvorlagen, Kinderspielzeug.
Interessiert sie nicht.
Mama hat schon in ihre Gucci-Tasche gelangt und ein Stueck silberne Technik herausgefischt. ARCHOS - eine Multimediaplayer der letzten Generation, ich erblasse vor Neid. Das Kind greift in die Tasten, ein Video startet, die Malstifte verschwinden unter dem Sitz des Flugzeugs.

Solche Kinder werde ich demnaechst in der Klasse motivieren, zu lesen, zu schreiben, zu rechnen, zu zeichnen, zu basteln ...
Ich liebe die Technik.

Ich sitze in einer Maschine von Moskau nach Hong Kong, wo ich die Ferien verbringen will. Der Zufall (und die spaete Buchung) setzt nicht meine Reisebegleitung neben mich, sondern zwei Russinnen im heiratsfaehigen Alter. Sie haben sich noch gar nicht niedergelassen, gehen schon die Plastikbecher herum. Meine zwei Nachbarinnen gehoeren zu einer Gruppe junger Russen, die in den warmen Osten fliegen und sich dafuer mit reichlich Alkohol eingedeckt haben.

"Where are you from?", will die rassige Schwarzhaarige neben mir wissen.
"I'm from Austria", koennte ich singen.
"What are you doing in Hong Kong?", setzt sie ihren Smalltalk fort.
"We are going to Taiwan."
"You are married?", greift eine andere Russin lachend ins Gespraech ein und setzt nach ein paar Sekunden locker fort: "Don't worry, we are joking."
Ich mach' mir keine Sorgen, so rasend attraktiv sind sie wieder auch nicht ... dass mein Gehirn aussetzen wuerde. Ich checke mal die Umgebung und stelle fest: Deren Ipods sind groesser als meiner, deren Polos sind teurer als meines (D&G!) und deren Durst auch. Groesser und teurer sind deren Cognacflaschen! Neiiiin, wir trinken keinen Wodka, schenken sie mir eine paar Schluck in ihre teure Welt.
"We always spend our holidays in Venezuela, but this year we have choosen the Philippines!"
"What will you do over there?"
"Surfing! Skite, you know?"
Ich hab schon davon gehoert, liebe Russen, aber in Moskau habe ich diesen Sport nicht vermutet.

Die Aeroflot serviert ihre Kalorien, Russen und Russinnen greifen halbherzig zu, sie ernaehren sich lieber von Cognac. Dann geht das Licht in der Kabine aus, die Rollos der Boeingluken werden geschlossen ... und bald legt meine Nachbarin mehr besoffen als ausgelassen ihren Kopf auf meinen Schoss. Aber ich mach mir keine Sorgen ...

Weihnachten hat was Gutes, abseits vom Stoffdruck (diese Wort ist noch hässlicher als der Tatsbestand!) kommt man ins Reden.

"Warum ich gerade in diese Schule gekommen bin, wollen Sie wissen? ... Das andere Gymnasium hat mich nicht aufgenommen."
"Warum? Du bist doch eine gute Schülerin, wohnst in der Nähe ..."
"Ich hatte einen Zweier in Deutsch!" (in der Grundschule, öst.: Volksschule)
"Na und? So schlecht kannst du nicht sein! Du spielst Theater, schreibst in der Schülerzeitung mit ..."
"Glück gehabt. Die andere Schule nimmt nur Kinder, die lauter Einser im Zeugnis haben."
"Komisch, das ist doch eine rote Schule!"
"Was meinen Sie damit?"
"Wisst ihr nicht, dass wir hier die schwarze Schule sind?"
"Wo ist da der Unterschied?"
"Also wir sind konservativer, strenger, disziplinierter. Unsere Lehrer wählen eher rechts, der Direktor hat - glaub' ich zumindest - ein ÖVP-Parteibuch."
"Und Sie?"
"Also ich hab' ein SPÖ-Parteibuch ... ein altes, ungültiges, am Flohmarkt gekauft. Sonst bin ich ein gefürchteter...
" ... Lehrer?"
"... ein gefürchteter Wechselwähler."
"Und rote Schulen unterrichten anders? Was hat Schule mit Parteien zu tun?"
"Gute Frage! Jedenfalls treten die Sozialdemokraten, die SPÖ, für die Gesamtschule ein. Setzen sich mehr für die Benachteiligten ein, sind fortschrittlicher, mehr Projekte und Tamtam ... sagt man."
"Warum nimmt dann die rote Schule nur die Besten?"
"Na, keiner schreit: Die Dummen zu mir!"
"Die Schwachen bleiben dann übrig?"
"Im wahrsten Sinne des Wortes. So funktioniert die freie Marktwirtschaft, auch die Schulautonomie - alle hofieren die Braven-Guten-Reichen-Schönen."

Frohe Weihnachten und ein schönes neues Jahr,
Ich ziehe mich ein bisschen zurück.

teacher

"Ich muss Ihnen wirklich gratulieren, zu dieser Kommunikationsklasse!" überfällt mich eine Mutter.
"Freut mich, die Kinder entwickeln sich wirklich super!"
"Wenn ich meiner Tochter beim Präsentieren zusehe, dann kann ich es gar nicht glauben, sie hat sich so verändert."
"Sie ist ein gutes Beispiel für die ganze Klasse. Ich erinnere mich an die ersten Stunden - sie wurde leicht rot, hat sich für jeden Satz geniert, hätte sich am liebsten in einem Eck verkrochen."
"Ja, sie ist richtig selbstbewusst geworden, unglaublich!"
"Sie haben sie ja auf der Bühne gesehen ... sie hat auch im Film mitgespielt ...", versuche ich, die Arbeit dahinter aufzuzeigen.

"Ich sag' Ihnen, ich wäre auch gerne in so eine Kommunikationsklasse gegangen."
Ehrlich, ich könnte den Lobtiraden der Mutter stundenlang zuhören!

"Ich freue mich über diesen Erfolg ... und auch über diese Anerkennung von aussen."
"Das spricht sich ja herum!"
"Ach wissen Sie, innerhalb der Schule habe ich mir damit keine Freunde gemacht."
"Warum? Das färbt doch positiv auf die ganze Schule ab!"
"Schon, aber das kostet auch Werteinheiten, Geld, Zeit ... das nehme ich anderen Kollegen weg. Wir mussten z.B. ein Freifach Fussball streichen, das verzeihen mir die Turner nie."
"Verstehe ich auch."
"Und vergessens net, I bin a schuld am schlechten PISA!"

Ja, ja, bei mir lernen die Kinder nicht lesen, nicht rechnen und keine Physikformeln. Ich bin ein kleiner PISA-Fiesling. :-) ... und stolz drauf!

 

twoday.net AGB

xml version of this page

powered by Antville powered by Helma