Profil
Abmelden
Weblog abonnieren
cotopaxi

 
Ein Mädchen zeigt auf die letzte Ausgabe der Schülerzeitung:
"Haben's schon die vorletzte Seite ang'schaut?"
"Damit hab' ich natürlich begonnen! Es interessiert mich halt, wie ihr über mich redet ... und schreibt."
"Ist ja nur witzig gemeint."
"Ich hab' mich auch nicht aufgeregt. Aber ich frage mich natürlich, wie viel davon stimmt ... Komme ich wirklich so oft vom Thema ab?"
"Wenn wir wollen, dann schon."
"Ehrlich gesagt, ich glaube, was wir so zwischendurch besprechen, das geht oft tiefer und hält länger als der ganze Lernstoff."
"Da haben Sie recht. Aber richtig ernst nehmen wir das auch nicht."
"Das kann ich nicht als Kompliment sehen."
"Damit muss ein Lehrer leben. Schule, na ja, alles andere ist geiler!"
"Musst du immer so direkt werden? Wenigstens zwei, drei Schüler kann ich doch motivieren, oder?"
"Wenn sie eine gute Note brauchen. Oder bei Ihnen maturieren wollen ..."

So viel direkte Ehrlichkeit brauch ich gar nicht.

David ist 4 Jahre alt, einigermaßen aufgeweckt zupft er an unserem Zitronenbäumchen. Die gelblichen Früchte haben seine Augen angelockt, dann seine Hände ... und *pflück*, schon hat er eine von neun in der Hand. Dann zwei, drei, vier ... Davids Eltern schauen begeistert zu, wie ihr Wonneproppen unseren Grünschmuck zerzaust. Sie greifen nicht ein, ICH muss ihm Einhalt gebieten: "Lass das, bitte, jetzt!"
Da schießt er mit den Zitronen im Wohnzimmer herum. Seine Eltern freuen sich, wir verschieben die nächste Einladung auf 2021 ...

Die gute alte Familie existiert noch: Vater, Mutter, Kind. Aber sie funktioniert ganz anders - das Kind regiert. Erziehung kommt später, wenn überhaupt. Irgendwann wird es herrschen, bestimmen, Angst verbreiten. Das erlebe ich in meiner Praxis täglich!

Max macht mit seinen Eltern Urlaub am Bauernhof und entdeckt eine Katze. Schlau lockt er sie mit einem Stück Schinken an, packt sie und wirft sie im hohen Bogen auf die Wiese. Katze "Pinky" lernt dazu und meidet den kleinen Max wo es nur geht. Er überredet seine kleine Schwester, die Katze anzulocken ... und Pinky landet wieder unsanft in den Feldern hinter dem Hof. Seine Eltern, wohl selbst nie erzogen, finden das super-kreativ.

Max und David werden erst in der Schule auf Grenzen stoßen, die ihnen zuhause nicht gezeigt werden, ihre Eltern werden über uneinsichtige, böswillige Lehrer schimpfen.

Zuerst stachen mir die Perlenketten ins Auge. Perlen am Hals von dreizehnjährigen Mädchen, das war mir neu. Schlug sich ein wenig mit den Hautunreinheiten. Wird das neue Mode?

Ich ging auf die Pirsch. Drei fand ich unter 1000. Drei Promille, das beeindruckt nur die Polizei bei Alkoholkontrollen. Drei Schulmädchen tragen manchmal Perlen, das ist zu vernachlässigen.
Eine davon sitzt in meiner vierten Klasse. Ich frage sie nicht, warum sie diese außergewöhnliche Wahl getroffen hat. Bei Sonja liegt die Antwort auf der Hand. Sie ist sehr klein, sehr zierlich, sehr kindlich. Sie greift zu den Insignien der erwachsenen Frauenwelt, um dazuzugehören. Wie Lippenstift, Wimperntusche oder Stöckelschuhe. Sie damit zu konfrontieren, würde unhöflich indiskret wirken.

Heute traf ich den Krawattenmann wieder. Ein Vierzehnjähriger in Jeans, Pulli und mit Windsorknoten. Gefällt mir, wirkt aber ausserirdisch. Er steht alleine vor der geöffneten Klassentüre und trippelt hin und her.
"Komischer Aussenseiter", würde man zunächst interpretieren.
Käme da nicht ein Mädel angetrippelt, das er verliebt in seine Arme nimmt. Drückt, anhimmelt, küsst.
"Schaut her, wie erwachsen wir sind!"

Immer, wenn ich mit Lehramts-Studierenden über deren pädagogische Ausbildung zu sprechen komme, erlebe ich die gleichen Reaktionen: "Diese Wissenschaftler reden an uns vorbei!"

"Wir wollen wissen, was wir tun können, wenn es zu laut wird in der Klasse oder wie wir Kinder zum Lernen motivieren können."
"Und die Antworten?", will ich wissen.
"Kriegen wir nicht. Da gäbe es keine generellen Lösungen, da müsse man individuell und situationsabhängig reagieren."
"Da muss ich als Praktiker zustimmen."
"Dann sollen sie uns in Klassen ausprobieren lassen und Rückmeldungen geben."
"Das machen wir ja", solidarisiere ich mich mit den kritisierten Lektoren und Dozenten, "Sie haben Unterrichtspraktika, Vorführstunden ..."
"Das brauchen wir viel früher, viel häufiger ... aber da wollen uns die Professoren gleich an die Pädagogischen Akademien abwimmeln, da sind sie sich zu gut, die Damen und Herren Wissenschafter."
"Um Karriere an der Uni zu machen, darf man sich nicht mit den banalen Grundfragen des Lehrens und Unterrichtens beschäftigen", setzt eine mitdiskutierende Kollegin nach.

Solche Vorwürfe sitzen. Und stimmen.

Dann höre ich eine Erklärung, die mir nicht aus dem Schädel gehen will: "Die Erziehungswissenschaften gehen von einem falschen Menschenbild aus. Kinder seien von Natur aus gut, arbeiten gerne und wollen immer alles wissen und dazulernen."
"Und wie sehen Sie das?", hake ich nach.
"Ich habe ein christliches Menschenbild. Dort gibt es die Idee der Erbschuld."
Die Studierenden hören gespannt zu.
"Kinder sind gewöhnliche Menschen mit Fehlern und Problemen. Sie haben einmal keine Lust, sie trotzen und können auch stören."

Stellen wir dieses Menschenbild in die Mitte der Pädagogik und Erziehung: "Kinder sind Menschen." Das wäre schon ein revolutionärer Ansatz für die universitäre Lehrerausbildung.

Das Lehrerzimmer ist tabu. Das steht zwar nirgends geschrieben, das wissen aber alle, die vor dessen Schwelle erzittern.

Im Lehrerzimmer werden Lehrer zu normalen Menschen, die Frust abladen, herumschimpfen, streiten und ... manchmal sogar ... lieben. Im Lehrerzimmer wird über den Direktor hergezogen (falls er nicht anwesend ist), über depperte Schüler und auch so manches Elternteil wird nicht verschont. Kollegen werden auch verwurstet. Im Lehrerzimmer liegen Dokumente herum, die nicht für die Öffentlichkeit gedacht sind, Prüfungsfragen und Zeugnisformulare etwa.
Für Aussenstehende, besonders für Schüler, strahlt das Lehrerzimmer den Charme eines unzugänglichen Hochsicherheitsbüros aus, das hat seine Gründe.

Manche Journalisten riechen fette Beute und versuchen sie zu ergattern. Zwei davon haben in der Direktion angerufen, ob sie wohl "ein bisserl hinter die Kulissen schnuppern dürfen."
Klar doch.
Der Direktor ist auch nicht auf der Nudelsuppe dahergeschwommen und alarmiert die Kollegenschaft. Die neugierigen Pressemenschen werden höflich empfangen und an zwei überlegte Kollegen weitergereicht.
"Gibt es auch interne Machtkämpfe, Streitereien unter den Lehrern?"
"Wie in jedem anderen Beruf ..."
"Fallen dann und wann auch unbedachte Äußerungen über Schüler oder Eltern?"
"Sie können sich ja vorstellen, dass es auch im Lehrkörper menschelt."

Nona-Fragen werden diplomatisch mit Nona-Antworten erledigt.

Die schreibende Zunft schreibt erst gar nicht mit. Sie ist an Sensationen interessiert, nicht am menschlichen Alltag. Da kommt ihnen der Zufall entgegen, es läutet zur Pause und eine Hundertschaft an Lehrern drängt in den engen Saal. Getratsche und Gequatsche und die Zeitungsleute spitzen ihre Ohren. Nach wenigen Sekunden haben sie ihr Opfer ausgemacht, eine vorlaute Kollegin, die hoch geladen aus der Klasse kommt und ihren Frust abladen will. Sie wird zum Interview gebeten, Balsam auf ihre gequälte Seele.

Die Fragen wiederholen sich, die Antworten ganz und gar nicht.

"Ach, was glauben Sie, was bei uns gestritten wird. Wegen jeder Kleinigkeit! Die Kollegin S. hat den Schlüssel für den Videorekorder verloren, der M. hat sie dann zur Rede gestellt ..."
Jetzt schreiben sie ganz wild mit!
"Sie können sich ja gar nicht vorstellen, wie bei uns über die Eltern hergezogen wird. Da fallen die schlimmsten Ausdrücke. Oder wie die Kinder als letzte Trottel abgekanzelt werden ..."

Der umsichtige Direktor, die dezenten Kollegen, die halbe Mannschaft geniert sich für die Gift speiende Lehrerin. Die Journalisten schreiben wie von Sinnen gepackt: "Die ganze Wahrheit. Bericht aus dem Lehrerzimmer."

Ich geniere mich.
"Lest doch einfach meinen Blog!", kann ich nicht sagen. Aber denken darf ich.

"Wieviel hätte ich heute verdient?", will ein abgekämpfter Schüler spät am Abend wissen.
"Das müssten wir beinhart durchrechnen... " Mich interessiert das nämlich auch.
"Na ungefähr ...?"
"Gut: Wir sind um 8 Uhr in der Früh zusammengekommen ... jetzt ist es kurz vor 10, d. h. wir sind seit 14 Stunden im Einsatz ..."
" ... ist das überhaupt erlaubt? Kinderarbeit, unbezahlt, Nachtarbeit!"
"Du bist Schüler, an einem Projekt beteiligt - das ist keine Arbeit. Im eigentlichen Sinn."
Ich rechne weiter:
"Unsere Putzfrau kriegt 8 Euro die Stunde, 8x14, das macht ... 80 plus 32 ist ... 112 Euro. Ohne Überstundenzuschlag."
"Ausserdem machen wir hier professionelle Event-Technik. Tonanlage aufbauen, Show austüfteln, proben, Lichttechnik ... da sollte man mindestens das Drei- bis Fünffache veranschlagen."
Stimmt. Ich habe die besten Techniker aus den Klassen gefischt, um die Arbeit professionell wirken zu lassen.
"Und das Video, das wir gedreht haben, geschnitten, präsentiert? Alles in wenigen Stunden, voll Stress."
"Journalisten, besonders beim ORF, verdienen ziemlich gut. Ein Uni-Professor verdient weniger als ein guter KURIER-Reporter!"
"Das heisst, ich hätte heute mehr als 500 Euro kassieren können?"
"Hätte ... können! Du musst das anders sehen: Du lernst dabei, wie man solche Events durchzieht, du sammelst Erfahrungen - das schaut in deinem Lebenslauf gut aus, das steigert deinen Marktwert."
"Ich könnt' aber das Geld JETZT gut brauchen, nicht in 10 Jahren."
"ICH AUCH."

Ich nehme mir 2 Wochen blogfrei. Bin schon auf die Entzugserscheinungen gespannt.
Grüße aus dem RL.

Ich komme nicht mehr herum, ums StudiVZ.

"Die Sarah hab' ich im StudiVZ kennen gelernt - die hat so tolle Bilder gepostet", erzählt mir ein Maturant. Er hat ihr ein Mail geschrieben, sie am nächsten Tag auch gedatet. Also getroffen, hab ich verstanden.
Ich schau mir die Web-Bilder an und wundere mich. Die Sarah hat nicht nur Fotos von sich, sondern von ihren Freunden bei der letzten Party ins Netz gestellt. Saufen, rauchen, chillen. Ungeniert das pralle Leben posten. Schließlich gibt es auch eine Gruppe, die sich "Der Körper gehört mir, aber ich bin bereit ihn zu teilen" nennt.
"Da schau dir die Wohnung an. Urgeil."
Ja, auch die Adresse war leicht rauszufinden.
"Zur nächsten Party werden wir uns mal einladen", grinst der Jüngling viel erwartend.

Bettina regt sich nicht leicht auf, aber:
"Die Eltern vom Joe haben einen vollen Schuss!"
"Was haben sie angestellt?"
"Die haben sich - sogar beide - im StudiVZ registriert."
Ein Verbrechen, schließlich sind sie 40 plus.

Das StudiVZ gehört uns: "Raus mit den Alten!"

Die Nervosität geht um. Werden wir bei den nächsten PISA-Tests noch dümmer dastehen als zuletzt?

Zeit für einen kleiner Rückblick:
"Nick! Ich hab' gehört, dass du heuer am PISA-Test teilnimmst?"
"Ja, das geht mir echt am Nerv!"
"Warum? Ist doch interessant."
"Wirklich nicht. Ich hab zwei volle Stunden Arbeit. Die anderen gehen turnen oder so."

Monate später zittert Österreich vor den Ergebnissen des PISA-Tests. Sie werden schlecht ausfallen, weil sie schlecht ausfallen müssen.

"Da musst du wenigstens nicht nachschreiben ..."
"Trotzdem nervt mich das."
"Musst ja nicht Vollgas geben. Es geht ja um nix... keine Noten, keine persönliche Auswertung."
"Das ärgert mich noch mehr. Mich können's mal."
"Hast eh Recht. Je besser wir abschneiden, desto schlechter für die Schule."
"Warum das?"
"Weil sie dann noch mehr sparen. Die Bildung total vergessen. Es braucht zuerst "bad news" in den Zeitungen."
"Versteh' ich das richtig? Wenn ich Scheiß bau', dann wird reformiert? Investiert?"
"Die Chancen steigen jedenfalls!"
"Super: Torpedieren wir PISA."
"Nein, ist ja ne schöne Stadt."

P.S.: In anderen Ländern werden die Schüler auf PISA hintrainiert: "teaching for the test" - der dümmste Grund zu lernen. Korea oder Finnland werden wieder siegen. Ich weiß, warum das so sein muss.

Liebe Frauen!

Spüren Sie den Drang, sich mit einem Auserwählten zu vermehren?
Fragen Sie nicht, tun Sie einfach.
Falls Sie aber beginnen, vernünftig abzuwägen, verzichten Sie darauf: Vernunft verhütet.

Vermeiden Sie jedenfalls die Betreuungsfalle. Ja schon, der Staat Österreich will das völlige Aussterben vermeiden und deswegen Sie, ja, auch Sie, meine Dame, zum Fortpflanzen überreden: "Wir verfügen über ausgezeichnete Betreuungseinrichtungen für Ihr Kind!"

Dass ich nicht lache.

Ich gab meine Kinder in die Obhut zweier städtischer Kindertagesheime und ich habe diese Einrichtungen sorgfältig ausgewählt. Sagen wir zusammenfassend, die Kinder hätten auch das überlebt. Eine Tante, die jung und auf der Suche nach männlicher Ergänzung ständig mit Enttäuschungen konfrontiert war, konnte kaum Mitgefühl für kleine Erdenbürger aufbringen. Sie dürstete selbst danach - aber ich musste leider arbeiten gehen: Andere Kinder erziehen!
Eine andere Tante war dem harten Twen-Alter entronnen, aber nicht mehr willens, sich auf die Ebene der Dreikäsehochs zu ducken, einmal Ischias, dann Hexenschuss - ich hätte Medizin studieren sollen, um alle ihre Krankheiten zu verstehen, hatte aber mit Kindern zu tun.
Wie gesagt - wir überlebten (anstandslos).

Jung habe ich beschlossen, selbst in der erzieherischen Nachmittagsbetreuung zu wirken. Aber Schulen verlangen als Bildungseinrichtungen auch nach vierzehn Uhr ein vernünftiges Maß an Ruhe:
"Bitte keine Spiele zwischen 14.00 und 15.30 Uhr" - Nachmittagsunterricht!
"Hofsperre!" Bei Schlechtwetter, in Prüfungszeiten, immer wieder.
"Turnsaalbenützung nur mit Turnlehrer gestattet." Kein Problem, wir bekamen niemals Schlüssel für die Säle.
Also: Sitzen in den Klassen.
Stecken Sie Ihre Kinder in die Nachmittagsbetreuung - sie werden das volle Mitleid der gesamten Lehrerschaft erregen, aber professionelle Betreuung scheitert dort täglich an tausend Dingen.

Wissen Sie, was meine Söhne als Kinder am häufigsten von mir wollten: "Raufen!"
Das Wohnzimmer mit dem flauschigen Teppich wurde leer geräumt und schon flogen die kleinen Räuber durch die Luft. Sie zerrten an meinen Gliedmaßen, sie sprangen auf meinen Rücken, sie zogen mich zu Boden. Im Sommer kämpfte die Horde bis zum letzten Grashalm im Garten. Die Kinder tobten sich aus, ich ergab mich.

Was mir als Vater Spaß bereitete, ist mir als Erzieher verboten: Körperkontakt. Viele meiner Zöglinge (!) konnten niemals ihre Kräfte spielerisch an einem behutsamen Erwachsenen messen - sie suchen andere Herausforderungen. Ahnen Sie, wo?

So, das sind die Geschichten, die ich erzähle, wenn von Kinderwunsch und professioneller Betreuung gesprochen wird.
Übrigens, ich kenne keine LehrerInnen, die ihre Kinder in Krippen, Horte und Tagesheime stecken. Warum bloß?

Vernunft verhütet. Die Geburtenstatistik beweist es.

 

twoday.net AGB

xml version of this page

powered by Antville powered by Helma