Profil
Abmelden
Weblog abonnieren
cotopaxi

 
Unsere Mädels emanzipieren sich: Sie saufen wie die Burschen.

Fallen aber früher um.
Unterschätzen besoffene Freunde.
Wachen wieder auf.

Ein seltsamer Fall kommt mir zu Ohren:
Katharina kommt aus einem katholischen Elternhaus und kämpft um Akzeptanz in ihrer Klasse. Nicht gewohnt, vier Tequila über den Durst zu trinken, kippt sie beim samstäglichen Kampftrinken als erste um. Drei Burschen, die schon fest "vorgeglüht" haben (Die Flasche Wodka war um Euro 4,99 im Sonderangebot!), vergreifen sich an Katharina und filmen ihre Entjungferung.

Vergewaltigung? Nein, sie hat sich nicht gewehrt! Gelacht hat sie!
Anzeige? Nein, sie schämt sich zu Tode. Sie fürchtet die Öffentlichkeit.
Reue? Nein, die Videos werden in Foren zum Downloaden beworben.
Die Eltern? Gebrochen.
Das Mädchen? Zerstört.
Die Burschen? Eine besoffene Geschichte.
Die Lehrerinnen? Geifern nach Rache.
Die Lehrer? Warnen.
Der Direktor? Gott sei Dank ist das nicht in der Schule passiert!
Die Medien? Nur die nicht!
Das Gesetz? Was ausserhalb der Schule passiert, geht euch nichts an!

Ich? Schreibe seit Jahren für ein generelles Alkoholverbot bis zum 21. Lebensjahr.
Tut was! Das Richtige. Sofort.

In der Schnellbahn singt ein Handy. Ein Mann in bester Morgenlaune, stramm, fit, um die dreißig, zückt ein glänzend schwarzes Telefon und meldet sich mit einem selbstbewussten: "Yoo!"

Ich hasse die handyfonierende Öffentlichkeit. Ich will in Ruhe die grauen Häuser und die grünen Wiesen vorbeiflitzen sehen, vor allem will ich Ruhe. Mir reicht der suboptimale Geruchsvorhang um mich herum, mir reicht das penetrante Quietschen der Eisenräder unter mir, die marode Atmosphäre öffentlicher Verkehrsmittel spendet wenig Lebensfreude. Ich brauche keine Einkaufstipps via Telefon, keine medizinischen Ratschläge entfernter Schwiegermütter und auch keine Flirtnachhilfe über pubertierende Miniröcke.

Ende der Erregung (Bitte um Nachsicht).

Der Mann hebt also ab und beginnt zu jammern. Bald weiß der ganze Waggon, der ungewöhnlich interessiert zuhört, was den Herrn Kollegen bedrückt.
Er kommt vom flachen Land, der Dialekt hat ihn bald verraten, und fährt ins nächst gelegene Schulzentrum zur Arbeit. Im Nu liegt sein erzählter Frust wie eine Nebeldecke über der frühen Fahrgemeinschaft.

Er kann nicht mehr, die Hauptschüler sind unerträglich geworden.
"Das druck I nimma durch."
Nein, zurück ins Dorf, das geht auch nicht, wie soll er das seiner Familie erklären. Die meint ihn ja in einer guten, unkündbaren Anstellung in der barocken Landeshauptstadt.

Mit mir steigen zwei Damen aus, die ihr Mitgefühl mit dem "feschen Mann" nicht zurückhalten können. Sie verstehen seine Verzweiflung mit der "heutigen Jugend".
"Man liest es ja täglich in den Zeitungen, Drogen, Gewalt ... siehst eh."
"Armer Mensch."

Mir kommen die Tränen. Wenn ich an die Gesamtschule denke, wird mich das selbe Schicksal ereilen.
Am liebsten würd' ich ihn engagieren, den smarten "Landlehrer". Zum permanenten Telefonieren in allen öffentlichen Verkehrsmitteln der näheren Umgebung. Über kurz oder lang hätten wir die halbe Welt auf unserer Seite.
Mitleid mit den Lehrern. Das täte schon gut.

Soweit mein Vorschlag zur Guerillawerbung in eigener Sache.

"Wozu brauch'ma den?"

Welchen Tätigkeiten ein Landesschulinspektor für gewöhnlich nachgeht, das entzieht sich unserer Kenntnis. Wir sehen ihn im Durchschnitt zwei Mal pro Jahr, das reicht.

Letzte Woche taucht er - für uns Lehrer unangemeldet - auf. Keine Sensation, aber ungewöhnlich. Ich schaue auf meinen Stundenplan und weiß nicht, ob ich mich fürchten oder freuen soll.

Zu den zwei Regulärstunden habe ich noch eine dritte als Supplierung in der 8.Klasse ausgefasst. Die Vermutung liegt nahe, der Herr Inspektor wollte die letzte Gelegenheit nützen, die Abschlussklassen zu visitieren.

Rein in die Bude. Ja, es stapelt sich der Mist in den höheren Klassen. Sie kommen und gehen wie sie wollen und die geregelten Ordnerdienste sind Vergangenheit. Von 18 Leuten haben 8 in meine Stunde gefunden, meine Maturanten und solche, die von der letzten Stunde (Latein) übrig geblieben sind oder auf die nächste Stunde (Philosophie) warten.

"Können wir weiter spielen?", fragen mich jene, die bei mir nicht antreten.
"Ganz schlecht!"
Ich erkläre die Anwesenheit der Kontrollinstanz.
"Wurscht", sind sie mäßig beeindruckt.

Wir einigen uns darauf, dass sie individuell Vorbereitungen auf den Computern machen können. In Wirklichkeit surfen sie entspannt im Netz herum.
Meine unbegründete Nervosität verliert sich in pragmatischem Phlegma: "Soll er doch sehen, wie es bei uns zugeht!"

Schlimmer wird die übernächste Stunde. Ich soll für den Mathematikkollegen, der auf einer naturwissenschaftlichen Olympiade verweilt, einspringen. Diesen Schülern kann ich in Mathe nichts mehr beibringen: Wahrscheinlichkeitsrechnungen, CAD und andere Fremdworte werden wiederholt. Fünf Schüler rechnen irgendwelche Funktionen durch, die anderen sind nach Hause (oder ins nächste Kaffeehaus) gegangen. Was, wenn jetzt der Herr Landesschulinspektor auftaucht?

Für diesen Fall lege ich mir zünftige Antworten bereit.
- "Sorry, ich kann sie nicht mit dem Lasso einfangen!" Klingt zu aggressiv.
- "Ich habe alle ins Klassenbuch eingetragen." Bürokratisch!
- "Was würden Sie mir in so einem Fall empfehlen, Herr ...?" Hilflos.

Klar, die Noten stehen fest. Nicht nur das Schuljahr, die ganze Schule hat ein Ende gefunden. Nur die naive Obrigkeit hält an der Devise fest: "Unterricht bis zum letzten Tag."

Er kommt nicht, er hat andere Arbeit in der Direktion gefunden ... oder er erspart sich die Niederlage. Ist mir auch recht.

Heute werden mich die Geschäfte wieder hassen.

Wir bleiben an einem simplen Wort hängen: "Frau Huber ist umsatzbeteiligt."
"Was versteht man unter Umsatz?", hake ich ein.
Da raten die Dreizehnjährigen, haben aber keinen Schimmer einer Ahnung - ich gebe mir die Antwort selbst:
"Wenn am Abend die Filialleiterin beim H&M das Geld in den Kassen zusammenzählt, das ist der Tagesumsatz ... die Summe aller Einnahmen."
"Und wen beteiligt sie dann?", bringt jemand schlau den zweiten Teil des Wortes ein.
"Dich nicht ... :-)... aber die Verkäuferinnen ... vielleicht. Ich weiß nicht, ob das beim H&M der Fall ist. Möglich wär's schon."
"Warum sollte sie?"
"Gute Frage. Was glaubt ihr, warum sie das Geld praktisch herschenkt? Die beziehen ja alle einen Grundgehalt!"

Viele finden das auch ganz komisch, aber schließlich wird es klar:
"Das motiviert die Verkäufer. Die wollen mehr verkaufen, damit sie mehr verdienen."
"Deswegen fragt die beim MCDonalds immer, ob ich einen Shake dazu haben will?"

Es läutet und Eva schreit quer über die Bänke:
"Komm, Verena, ich muss noch zum DM."

Da mische ich mich noch einmal ein:
"Fragt die Verkäuferin, ob sie umsatzbeteiligt ist!"
"Gut, wenn wir ein Plus dafür bekommen!"
"Nur, wenn ihr herausfindet, wieviel Prozent sie bekommt!"
So läuft unser Business!

Die Lawine rollt - jetzt geht die halbe Klasse auf die Jagd. Und die Geschäfte rund um die Schule werden mich wieder hassen.
Keine Sorge: Das passiert nur ein Mal im Jahr. Aber in jeder dritten Klasse.

Also wenn euch jemand fragt ... bitte höflich bleiben. Meine Schuld.

Teresa sitzt mitten in einer naturwissenschaftlichen Klasse und schlägt sie alle - überall, aber besonders in Mathematik und Physik.
Nur ein zweites Mädchen hat sich in diese Schwerpunktklasse "verirrt", ihre Geschlechtsgenossinnen lernen lieber eine weitere Fremdsprache, Pädagogik oder Psychologie. Um dort die Minderheit der Burschen zu schlagen.

Es liegt nahe, in dieser Klasse die Unterschiede der Geschlechter zu thematisieren.
"Die Mädchen liefern besonders schwache Ergebnisse, wenn sie sich im Vergleich zu Burschen beweisen müssen," zitiert einer der Herrren eine vorgelegte Studie.
Teresa darf erheitert lächeln.

Abschließend frage ich Teresa, was sie gerne studieren möchte.
"Das weiß ich noch nicht ... Umweltmanagement würde mich interessieren."
"Nein!", bricht es aus mir heraus, "Warum nicht gleich Soziologie?"
Ich lege mich richtig ins Zeug: "Du gehst mir in kein Modestudium!"

So bestimmt kennen mich die Schüler überhaupt nicht. Aber ich muss sie aufwecken, diese Mädchen ohne beruflichen Ehrgeiz.

Teresa erinnert mich nämlich an eine der feministischsten (Superlativ!) Maturakandidatinnen, die ich jemals durch die Reifeprüfung gebracht habe. Blitzgescheit, hochkritisch, mega-engagiert. Und antwortet auf die abschließende Frage, was sie nach der Schule angehen werde, naiv mit: "Kindergärtnerin."

"Teresa!", setze ich nach, "Schau Dich auf der TU um. Deren Absolventen sind gefragt, verdienen gut, tolles Image ... und bringen wirklich was weiter."

Immerhin. Sie hat es getan, sie hat den Studienführer durchforstet. Aber sie wird es nicht tun, sie wird nicht Technik studieren.
"Da ist für mich nichts dabei."
"Kannst ja Soziologie oder Theaterwissenschaften machen", feixen die männlichen Nullen ihrer Nachbarschaft.

Nach einem Symposium brauche ich zwei Tage, um wieder zu Sinnen zu kommen.
Am besten gefiel mir die Einleitung:
"Wir haben bewusst ein Symposium einberufen, weil wir einen akademischen Austausch initieren wollen, keine frontale Belehrung."
Dann startete die frontale Belehrung, gewählte Worte aus habilitiertem Mund. Geballte Vorlesungskraft.
Um das "didaktische Design" zu verbessern, folgten "workshops": Meinungsaustausch der Praktiker.

Drei Tage sind vergangen und meine Ganglien haben das Akademische auf Verständliches heruntergebrochen - voilà die Trends:

1. Von der Prozess- zur Produktorientierung:
D.h. die Lehrer sollten weniger auf den Unterrichtsverlauf, denn auf die Ergebnisse schauen. Was nützt eine gelungene Stunde, wenn nichts davon bleibt.
2. Sustainability = Nachhaltigkeit
Wir sollten nicht für die nächste Prüfung, sondern für ein langes Leben lernen. Wie wahr.
3. Strenge und Konsequenz:
Davon habe ich im "Heute", in "Österreich" oder in sonst einem billigen Druckwerk gelesen (Schnellbahnlektüre, Tschuldigung!)
Aber auch beim didaktischen Symposium sieht man jüngste Literatur, die Lernen als harte Arbeit, Erziehung als seriöse Herausforderung und Unterricht als Profession erkennt.
Die laissez-faire-Kuschelpädagogik ringt um Luft.
4. Bildungsstandards:
Als unerwünschtes Nebenprodukt der zunehmenden schulischen Autonomie haben sich unvergleichbare Abschlüsse ergeben. Ein "Befriedigend" im Maturazeugnis berichtet nur von einem zufriedengestellten Prüfenden in einer Schule. Vergleichbare Bildungsstandards (PISA, OECD, TIMMS ...) drängen sich direkt auf.
"Wer hat etwas zu fürchten?"
"Schlechte Lehrer!"
"Passt!"

Die Zeit ist reif für Streiche, die Reife(prüfungs)zeit bricht über uns herein.

"Herr Professor, sind sie am Samstag da?"
"Samstags nie."
"Das sollten Sie sich aber nicht entgehen lassen!"
"Ich will's gar nicht wissen."

Ich erfahre es trotzdem.
"Pfauu, das war a Hakn! Tausend Luftballons haben wir mit Wasser gefüllt. Das wird ein Gemetzel!"
"Super." Meine Stimme fällt ins Bodenlose.
"Und das Lehrerzimmer verstellen wir mit so vielen Wasserbechern, dass sicher niemand raus oder rein kommt. 2800 haben wir gefüllt."
"Genial."
"Gell! Und das Beste. Wir haben Flyer gedruckt."
"Ja?"
"Die schauen total echt aus."
"Echt?"
"Echt! Das Buffet feiert seinen 15. Geburtstag. Deshalb bekommt man alles im Doppelpack. Zahl 1 - kauf 2 ... oder so."
"Echt?"
"Echt. Also eigentlich weiß der Buffetbetreiber nichts davon ... der wird morgen blöd schauen, wenn alle das Sonderangebot verlangen."
"Super."

Ich gehe, aber natürlich verspreche ich, nichts zu verraten. Was ich hiermit tue.
Ich gehe meinen Gang beaufsichtigen. 2.Stock links. Schon von weitem sticht mir ein unnatürliches Grün ins Auge, ein künstlicher Rasenstreifen, der sich bis zur Tür der 8D zieht.
Reifezeit = Streichezeit.
Das Grün ist Teil einer Golfinszenierung. Die (Über-)Reifen schlagen zu. Bauen Hürden ein, damit nicht jeder jedes Mal "Hole in One" schreien kann. Und laden deswegen auch mich zum Abschlag ein.
"Sorry, ich bin hier für die Sicherheit zuständig."
"Können Sie aufpassen, dass keine Kinder vorbeilaufen?"
Na sicher.

Ja, und Klotüren sind ausgehängt, Müllsäcke über den Autos, Spiegel sind beschmiert ... Gott sei Dank nicht alles in unserer Schule. Ich sammle nur die kreativen Ideen und gebe sie gerne ab.

Reife Leistungen!

"Nur der depperten 8 A ist nix eingefallen. Streber!"
"Und bei uns macht die Geli nirgends mit - typische Außenseiterin."

Nachtrag: Die 8 A blieb nicht untätig. Sie schrieb - mit hunderten Bonbons, die sie buchstabenförmig auf die Tafel klebte - schöne Grüße an die ersten Klassen: "Viel Spaß noch - 8 A". Chapeau.

Man gewöhnt sich aneinander wie ein altes Ehepaar.
Die Trennung steht vor der Tür, ich mache sie vorsichtig auf und zähle, wie viele Schüler sich zum Abschied eingefunden haben: Die allerletzte Unterrichtsstunde in der 8A ist angebrochen.

"Was möchtet Ihr Eurem Lehrer in der letzten Stunde noch sagen?", störe ich die in Mathematikvorbereitungen versenkten Köpfe.

Das braucht Nachdenkzeit, die ich gerne gebe.

"Warum sind Sie nicht zum Maturafoto gekommen?"
"Hmmm ... das habe ich nicht so gerne."
(Ausserdem: Ich habe vergessen, mich korrekt anzuziehen.)
"Im vorigen Jahr waren Sie dabei!", wird der Vorwurf deutlicher.
"Gut, als Klassenvorstand konnte ich mich wirklich nicht drücken."
"Wir waren doch Ihre Lieblingsklasse?!"
Ich möchte gerne sagen: "Jede Klasse ist meine Lieblingsklasse! Zumindest soll das jede glauben, wie alle Freundinnen Casanovas hofften."
Aber Ehrlichkeit hat hier keinen Platz, ich rette mich in körperliches Scherzen, den Kopf verliebt zur Schulter neigend:
"Auhhhh ..."

"Und warum ist der Herr Professor R. auch nicht gekommen?"
Ich wundere mich, wie genau diese zur Oberflächlichkeit neigende Klasse den Fototermin beobachtet hat, welche Bedeutung sie diesen banalen Zeremonien zukommen lässt.
"War er auch nicht da?", wiederhole ich naiv.
"Bei uns nicht! Bei der 8C schon! Hat der was gegen uns?"
"Glaub' ich nicht. Ihr kennt ihn doch als extrem fairen und offenen Menschen."
"Schon, aber in den letzten Jahren haben wir seinen Frust total zu spüren bekommen."
Weiterhin naiv: "Wirklich?"
"Bei einem Lehrausgang hat er alle achten Klassen eingeladen - bloß uns nicht ... nur als Beispiel."
"Das kann ein Zufall sein."
"Einmal haben wir eine Pappmaché-Arbeit gemacht. Wir haben einen ... so einen großen Phallus geformt ... also da war er ganz komisch."
"Wie meinst Du?"
"Den hat er immer gleich versteckt ..."
"Das versteh' ich. Wenn das in eine Zeitung kommt, dann lacht ganz Österreich drüber. Ich hätte das erst gar nicht zugelassen."

So geht es eine ganze, die allerletzte Stunde zu. Alles dreht sich ums Persönliche. Um Beziehungen zwischen Schülern und Lehrern, das prägt und bewegt die Klassen bis zur letzten Sekunde.

Alles was zählt sind wir. Sollten wir bedenken.

Es gibt keine homosexuellen Schüler!
Zumindest sieht man sie nicht, sie entdecken ihre Orientierung erst allmählich bzw. warten mit ihrem Come-out.
Der moralische Druck der Umgebung greift gnadenlos.

"Gestern ist mir wieder so eine Schwuchtel im Bad nachgestiegen - ich hasse das", berichtet ein blond gelockter Jüngling total verärgert von seiner missglückten Abendgestaltung.
Alle Sympathien der Klasse fliegen ihm zu, weder Burschen noch Mädchen bringen geringste Spuren an Akzeptanz gegenüber homosexuellen MitbürgerInnen auf.

"Ich habe zwei schwule Freunde", halte ich provokant dagegen.

Sexualerziehung wurde in Österreich zum Unterrichtsprinzip erklärt - sie ist in alle Fächer einzubringen. Ich stelle mich dem Thema ganz persönlich, obwohl mir die Gefahren völlig bewusst sind: Ein paar aufklärende Worte zu viel, ein missglückter Ausdruck oder ein ungeschicktes Verhalten und der Lehrer steht im belächelten Image-Eck.
Meine Klasse weiß, dass ich zwei Söhne und den Ruf eines recht männlich argumentierenden Lehrers habe: Quasi ein Macho mit schwulen Freunden, das zwingt sie zum Nachdenken.

"Geschätzte 10 Prozent der Bevölkerung haben homosexuelle Neigungen, das heißt 2 - 3 in der Klasse werden sich mit dieser Seite auseinander setzen müssen."
Die 17-18-Jährigen hören mir skeptisch zu und praktizieren gemütliche Toleranz: "Lassen wir ihn reden!"

"Ein ehemaliger Schüler hat sich bei mir einmal bedankt, dass ich als einziger Lehrer jemals das Thema Homosexualität erwähnt habe. Er hatte damals eine unglaublich hübsche Freundin ... jetzt lebt er mit einem Mann zusammen", setze ich unbekümmert fort.
"Selber Schuld", geht ein leichtes Raunen durch die Reihen.
"Ich war völlig überrascht. Aber er auch, hat er mir gestanden. Er hat keinen anderen Weg mehr gefunden. Schließlich haben es auch seine erzkonservativen Eltern halbwegs akzeptiert."

"Können wir von was anderem reden?"

Kein leichtes Thema.

Wir suchen Sparziele und finden sie:

1. Heimelektronik (Computer, Stereoanlage ...)
2. Moped
3. Reisen
4. Wohnungseinrichtung
5. Auto
6. Haus

Wir haben sie schon gereiht - nach Preisen. Da gehen die Vorstellungen zunehmend auseinander. Die Zwölfjährigen kennen viele Preise einfach nicht.

"Mein Handy? Ich weiß nicht, was das kostet. Das zahlt meine Mami."
"Also meine Söhne müssen das selbst bezahlen", entgegne ich mit privaten Fakten, ein Trick, der immer gut ankommt.
"Pfau, unfair", hallt es aus dem Lehrsaal.
"Was glaubt ihr, wie wenig die telefonieren!"
"Uuuurgemein!"

Kurz zusammengefasst - das wird keine Überraschung sein - die Schüler wissen gut, was die Sachen kosten, die sie selbst erwerben wollen: Mp3, Jeans, Fahrrad.
Autopreise nennen einige auf den Euro genau ("24.900!"), andere schweigen lieber. Reisekosten ordnen sie noch halbwegs richtig ein.
Dann steigen sie aus: Wohnzimmereinrichtung um 1000 Euro ("Das kauf' ich sofort!"), Häuser um 30.000 Euro ("Vielleicht im Mekongdelta!")

"Bei einem Durchschnittseinkommen von 1.500 Euro, wie lange muss ich auf ein Haus sparen?", kommt jetzt meine Aufgabenstellung.
Das wollen sie nicht rechnen müssen: "Das geht ja nie!"
"Wie schaffen das huntertausende Leute?"
Ich möchte "Arbeiten, Sparen, Kredite ..." hören und bekomme:
"Lotto spielen."

"Gut", sage ich, "wir fahren von Salzburg nach Wien ... oder umgekehrt. Drei Stunden."
"Vier", widerspricht ein Mädchen, "Wir fahren das oft!"
"Ok, wir haben einen alten Kübel von Auto ..."
"Pfauuuu ...."
"... und sind vier Stunden unterwegs. Irgendwo bremsen wir uns ein, steigen aus, machen mit Kreide einen Strich auf die Straße."
Die Kinder wundern sich, wovon ich rede.
"Dann fährt ein zweites Auto, die gleiche Strecke, bleibt auch irgendwo stehen. Nimmt auch eine Kreide ... und wenn dieser Fahrer zufällig auf der gleichen Stelle den Strich macht wie der erste, dann, aber nur dann, gibt es einen Lotto-Sechser."
Enttäuschte Ruhe, der Traum vom Haus verflüchtigt sich.
"Aber ihr könnt gerne weiterspielen ... Deppensteuer zahlen."

Heute bin ich beleidigend. Das wirkt.

 

twoday.net AGB

xml version of this page

powered by Antville powered by Helma