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cotopaxi

 
Ich bin dafür: Noten für Lehrer! Weil es so schön zu unserem Schulsystem passt.

Wenn Schüler den Unterricht bewerten, dann reflektieren sie vorwiegend die alltäglichen Handlungssituationen ihrer LehrerInnen: Lächelt er? Wie grüßt sie? (Wie) kontrolliert er Hausübungen? Gibt sie Hilfestellungen beim Prüfen? Sagt er die Noten? Ruft sie mit Vor- oder Familiennamen auf?
Kurz gesagt, es fällt nicht schwer, sich beliebt zu machen. Und es hilft den Kleinen, sich in unserer Lernwelt wohl zu fühlen. Gut so.

Was Schüler kaum beachten, ist die Qualität des Unterrichts, das Niveau dessen Resultate und die hohe Kunst der Methodenauswahl.
Da stehen sie einfach nicht drüber, wie sollten sie auch?
Die Ergebnisse der Unterrichtsarbeit hängen wenig von den alltäglichen Handlungen, sondern vielmehr von den angewandten Methoden ab: Es macht einen Riesenunterschied, ob Inhalte per Schülerreferat, im Frontalunterricht oder im Experiment erworben werden. Leider werden hier effiziente Handlungsmuster als anstrengend und unbefriedigend erlebt, was zwar zu guten Erfolgen, aber zu schlechten Lehrerbeurteilungen führen würde. Schlecht so, weil die beliebten Lehrer nicht immer die guten sind!

Das passt nun herrlich in unser Schulsystem: Nicht die wirkliche Qualität zählt, sondern der oberflächliche Schein. Sehr gut!

Es gibt ihn seit dem Umbau, den so genannten Sozialraum.
Vor der räumlichen Umgestaltung kam er architektonisch einem Wurmfortsatz zum Lehrerzimmer gleich, wurde von Rauchern, Schachspielern und Tratschern genützt.

Dann brach die neue Zeit über uns herein, zwei Computer dominierten den Sozialraum.

Wofür sind schulische "Sozialräume" eigentlich gedacht?

Zunächst, wofür nicht:
1. Nicht für Schüler, das erschreckt mich - sie haben nur nüchtern überfüllte Klassenzimmer. Für Eltern auch nicht, klar, die spielen nur im Schulorganisationsgesetz (SchOg)eine tragende Rolle. Schüler und Eltern können sich in ihrer Schule nicht treffen, nicht verabreden, sie sind nur selektiv erwünscht.
2. Nicht zum Arbeiten, dafür gibt es Klassen.

Sozialräume sollen den Lehrern zum Entspannen und Kommunizieren dienen.
Schließlich haben wir alle in unseren Dienstplänen zahllose Löcher ("Fenster" genannt), die wir sinnvoll füllen wollen. Zum Arbeiten kommt man in diesen Stunden zwischen den Unterrichtseinheiten nicht. Dafür herrscht zu viel Lärm, dafür lenkt zu viel ab, dafür ist die Schreibtischfläche zu klein und der Büroraum zu eng. Wer arbeiten muss, der zieht sich in eine Sammlung zurück: Mediensammlung, Sprachsammlung, Biologie, Physik etc. Damit mutiert er zum Eremiten, zum Aussenseiter, zum uninformierten Einzelgänger.

Also rein in den Sozialraum.
Da steht eine Kaffeemaschine, von ungewaschenen Tassen und Gläsern umzingelt. Diese breiten sich wie Schimmel systematisch über angrenzende Tische und Sessel aus, bis es einer pingeligen Kollegin zu blöd wird und den Abwasch macht. Das schulische Reinigungspersonal (Schulwarte) weigert sich: "Wir sind doch nicht das Bedienungspersonal der Lehrer!"

Dann liegt hier einfach viel Material herum, Material vom letzten Projekt, Material für den Tag der Offenen Tür, Material für das nächste Sportturnier: "Wo soll ich es sonst hingeben?"
"Warum gerade in den Sozialraum?"

Am Fenster breitet sich ein arrivierter Kollege mit seinen Schularbeitsheften und Lernunterlagen aus, mitten drinnen sitzen zwei, drei junge Kolleginnen, die keinen eigenen Platz im Lehrerzimmer ergattert haben. Praktikantinnen, die nur ein Jahr überbrücken, Kolleginnen, die im Lehrkörper noch nicht Fuß fassen konnten, deren Namen ich mir nicht merken werde: "Für ein Jahr, das zahlt sich nicht aus."
Der Sozialraum verkommt zur asozialen Rumpelkammer.

Jetzt ist dem Direktor der Kragen geplatzt: Er lässt die Computer in eine ehemalige Garderobe auslagern, den angesammelten Müll entfernen, er will den Sozialraum sozialisieren - seinem ursprünglichen Zweck zuführen.
Vielleicht lerne ich eine neue Kollegin kennen? Oder eine alte richtig.
Ich werde berichten.

Ein HERR kommt aus dem Musiksaal, dunkler Anzug, zweireihig, helles Hemd, ohne bunte Krawatte, exakte Frisur, musterhafte Haltung: Ein Offizier der alten Schule.
Vorbei läuft ein Turnschuhkollege, in Jeans und vor Lachen brüllend. Er wird von einer Schülerin verfolgt, einen Lippenstift drohend in der rechten Hand.
Der HERR zieht eine Augenbraue hoch, versperrt das Klassenzimmer und geht.
In Frühpension.

Zwei Kollegen, die fast zusammengestoßen wären, obwohl sie in völlig verschiedenen Welten leben.
Kein Scherz!

999 Tage bin ich bloggend online ... und werde langsam müde.
Daher: Ohne weitere Worte.

Die Jugend denkt erfrischend anders. Und das Thema Gleichberechtigung hängt ihr sonstwo heraus.

Ungeschminkte Schülerdialoge zur Benachteiligung der Frau:

"Sie müssen dauernd den Busen herumschleppen, mit BH und so."
"Den nutzen sie doch beim Flirten!"

OK

"Sie müssen sich überall rasieren, die Männer nur im Gesicht."
"Sie müssen ja nicht."
"Doch!"

OK

"Sie werden beim Heer benachteiligt."
"Warum? Sie können - aber die Burschen müssen zum Heer. Das ist doch ein Riesenvorteil."
"Dafür werden sie dort nur belästigt."

Aha.

"Sie müssen braver sein und seriöser."
"Wo?"
"Da - in der Schule. Die Burschen machen viel mehr Blödsinn und haben Spaß."
" ... und die schlechteren Noten."

Aha.

"Sie kommen in alle Clubs und Diskos rein!"
"Ist das ein Nachteil?"
"Für die Mädchen nicht, sie kommen ja gratis rein. Für die Burschen auch nicht. Die gehen ja deswegen hin."
"Ja schon, aber deswegen kommt es immer zu Streitereien."

Aha.

"Sie werden immer angebaggert."
"Nur die Hübschen! Die Schiachen nicht."

Das Resümee der Geschichte:
Die hübschen Frauen haben nur Vorteile, die hässlichen nur Nachteile. Männer dürfen hässlich sein, wenn sie stark, reich oder berühmt sind.
In den Augen meiner Schüler hat sich die Ungleichheit der Geschlechter längst in eine Diskriminierung der Hässlichen gedreht.

Ich werde seltsam nachdenklich.

Daher weht der Wind! Das Thema "Schönheit" interessiert sie mehr als das Thema "Emanzipation", weil es ihr Leben stärker bestimmt. Täglich, überall, grenzenlos. Wir aber halten es für oberflächlichen, unseriösen Kinderkram und überlassen es den bunten Medien.

Ein Patient wird eingeliefert, die Mediziner machen sich ans Werk.
Dr.Pisa untersucht den Unfallkranken und diagnostiziert Schürfwunden im Gesicht, Hämatome am Brustkorb und eine Blutung am rechten Knie.
Mit überlegenen Gesten dirigiert er seine Helfer und tippt den Bericht. Business as usual.
Da kommt ein Unfallzeuge und berichtet von einem Absturz aus dem vierten Stockwerk: "Der Mann ist auf den Beton gekracht, der muss schwere innere Verletzungen haben, Brüche ..."
"Schon möglich", meint Dr.Pisa, "aber wir haben kein Röntgen ..."

Der Patient heißt Schulsytem und die Pisa-Diagnose erkennt nichts als oberflächliche Nebensächlichkeiten. Die Medien freuen sich über den Bericht - einen anderen gibt es ja nicht - und schreien Feuer. Die Politiker schrecken auf und verschreiben eine Therapie: Gesamtschule!

Die wahren Probleme des Patienten bleiben unentdeckt und ungeheilt. Business as usual.

P.S.: Ich bin der Zeuge und schüttle den Kopf.

Überschüttet uns!

Überschüttet uns mit Materialien zum modernen Unterricht. Schließlich kommt bald Weihnachten und die neue Regierung verspricht Millionen für die Bildung.

Jetzt stehe ich mit Kreide an der schwarzen Wand. Vor einem Schlauch an Klasse mit 30 Schülern, die frontal auf die Tafel starren (müssen).
Was wir jetzt bekommen: Kreide, Bücher. Punkt.

Überschüttet die Lehrer, die Schüler, die Klassen mit modernem Material. In jede Klasse gehört ein Kasten voll Material. Er muss überquellen an arschnormalem Moderationsmaterial - Farbstifte, Karteiblätter, Klebebänder, Scheren, Folien etc.- und ausgefeilten Unterlagen zu jedem Fach: Spiele, Experimente, DVDs, Audios und Videos, Computerprogramme.
Es gibt sie, die guten Ideen und die guten Unterlagen. In Prospekten und Geschäften, aber nicht in den Klassen. Manchmal basteln wir sie, manchmal kopieren wir sie, manchmal laden wir sie illegal herunter. Aber wir sollten legal darin ertrinken, damit auch die konservativsten Kollegen zugreifen. Sie werden aus Bequemlichkeit gut. Sie werden operativ, offen, kommunikativ, multimedial, schülerzentriert unterrichten. Weil es vorhanden ist, bequem und sinnvoll. Win-win, nennt man das, alle werden gewinnen. Wollt ihr das (nicht)?

Jetzt muss ich mir jedes Plakat selbst kaufen, jeden Stift, jede Farbe. Aus der Privattasche, Stück für Stück. Also greife ich zum Buch, schreibe an die Tafel, rede mich wund. Bequemer Frontalunterricht halt. Buch auf und durch!

Ihr fordert modernen Unterricht? Offenes Lernen? Simulationen? Freiarbeit? Computergestütztes Arbeiten? Spannung? Abwechslung? Experimente? Entdeckends Lernen?

Ja, warum gebt ihr uns dann Bücher, Tafel und Kreide? Seid ihr nicht ganz dicht?

P.S.: Halbiert die Bücher. Am nächsten Tag der Bibliothek! Und überschüttet uns mit arschnormalem Zeug. Aber weckt mich nicht auf - ich träume gerne.

Julie kapiert einfach alles.

Während ihre Klassenkameraden über einem gesalzenen Text brüten, lehnt sie sich entspannt zurück und beobachtet mich. Ich wandere im Klassenraum herum und bleibe an einem grünen Blatt Papier an der Wand hängen: Eine Rechnung wurde über diese Zeitungswerbung drüber gepinnt. Eine bunte Collage, die mich künstlerisch an späten Dadaismus erinnert.

"Was soll denn das sein?", bricht es aus mir heraus und die Schüler freuen sich über meine authentische Frage. Sie spüren, dass ich einmal etwas wissen will, was ich nocht nicht weiß.
"Das ist eine Sporthose!" antwortet ein Jüngling ungeniert.
"Ahhh ... ich sehe einen Zettel mit einer Rechnung."

Jetzt habe ich es geschafft, alle Schüler schauen gespannt auf die Pinwand und vergessen ihre Aufgabe. Erklären kann mir dieses provokante Kunstwerk niemand, aber die Rückkehr zur eigentlichen Aufgabe wird ebenso schwierig wie der Ausgangstext.

"Sie stören ihren eigenen Unterricht. Nicht genügend in Betragen", fasst Julie zusammen. Sie kapiert einfach alles.

Die Reise auf dem Balkan hing an einem seidenen Faden, der von der Nase herunterlief. Eine Verkühlung kündigte sich an und der Flieger wartete ungeduldig. Also lief ich zur Apothekerin.
"Können Sie mir prophylaktisch ein Antibiotikum mitgeben?"
"Unmöglich. Da müssen Sie zum Arzt - ohne Rezept geht da nichts."

Ein bisserl was geht immer
, heißt es in der Mundart.

Anruf bei einem guten Freund:
"Du kennst doch eine Apothekerin ..."
Er bezirzt sie, in wenigen Sekunden gehen die Medikamente über den Ladentisch und der Flieger kann starten. Ich brauche sie tatsächlich, jeden Tag eine Pille, sonst steigt das Fieber und fällt die Freude am Herbsturlaub.

Bleibt die Frage: Wer war die gute Apothekerin?

Aber unendlich viel schwieriger: Wer ist ein guter Lehrer? Die Frage stellt sich wieder, weil der Vorschlag von der Industriellenvereinigung auf dem Tisch liegt, den guten Lehrern bessere Gehälter zu zahlen als den schlechten. Damit eines klar ist: Notfalls verschenken wir die guten Noten!

Gestern ... war Nationalfeiertag und nicht einmal UHBP (Unser Herr Bundespräsident) hat in seiner Fernsehansprache darauf Bezug genommen. Hauptsache frei, egal warum. So, wie wir es auch bei den kirchlichen Festen halten.

Heute ... ist der "Tag der Hunde." Wie an jedem Fenstertag. Wenn ich frühmorgens das Heim verlasse und es kommen mir nur Hunde an der Leine entgegen, dann weiß ich, dass ganz Österreich noch im Fast-Urlaubs-Schlaf liegt.

"Mit vier freien Tagen haben wir einen 11-tägigen Urlaub gebucht. Zypern - obwohl es teuer war."
Ich fahre in die Schule. Freitag, Samstag. Danach empfangen auch mich die umstrittenen Herbstferien.
"Keine Sorge, die nehmen sie uns nicht weg!" beruhige ich einen besorgten Kollegen.
"Da wäre ich mir nicht so sicher! Der Neid, verstehst."
"Da geht's doch nicht ums uns. Die Eltern werden nicht darauf verzichten wollen! Mit vier Urlaubstagen 11 Tage frei, das wollen nicht nur Schüler und Lehrer! Da greifen alle gerne zu."
Die Hunde am Morgen beweisen es. Sie müssen raus, die anderen bleiben liegen.
Meine Schüler waren alle da - wir hatten eine Schularbeit zu schreiben.
"Gemeiner Termin, Herr Professor!"

 

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