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cotopaxi

 
Alle erinnern sich an ihre Skikurse: Spaß im Schnee, Schmusen im Keller, Alkohol im Zimmer. Die Lehrer spielen Kabarett, die bunten Abende sinken in tiefste Schubladen, du entdeckst neue Seiten an deinen Mitschülerinnen.

"Von 33 Schülern haben sich 11 angemeldet!"
Der junge Sportlehrer versteht die Welt nicht mehr und kontaktiert einen erfahrenen Kollegen im Trainingsanzug.
"Du musst Ihnen die Sache klar machen!"
Alfred Dorfer mag sich über den bescheidenen IQ von Sportstudenten lustig machen, aber die Absolventen wissen, wie's läuft: Der große Sport-Macchiavelli beherrscht so manche Schule!

"Mindestens 70 % einer Klasse müssen sich anmelden, sonst geht nix. Rechtlich gesehen."
"Ja! Aber wenn die meisten gar nicht wollen!"
"Das wird schon. Du musst ihnen nur klar machen, dass sicher keine alternativen Veranstaltungen stattfinden. Entweder Skikurs - oder gar nix!"
"Und wenn sie lieber woanders hinfahren wollen? Nach Frankreich, nach London oder nach Barcelona."
"NEIN! Wir haben den Sprachlehrern klar gemacht, dass in der 6. Klasse der Skikurs Vorrang hat ... also eine bewegungsorientierte Schulveranstaltung. Das Gesetz ist so. Aus."
"Aber in anderen Schulen ..."
"Bei uns nicht, Herr Kollege."

Irgendwie haben Sportlehrer ein großes Bedürfnis, Skikurse zu organisieren. Um dann zu jammern, wie anstrengend diese Wochen sind.
Die sportlichen, die sozialen, die pädagogischen Argumente werden es nicht alleine sein, die ins Gasteinertal, nach Saalbach oder nach Ischgl ziehen. Irre ich mich da?

Warum pfeifen die Schüler auf acht Stunden im Schnee? Auf die versteckte Wodkaflasche im Handgepäck? Auf die gewagten Küsse im Hinterzimmer? Gibt es heute bequemere Gelegenheiten für Spaß und Spiel? Oder irre ich mich da auch?

Eine Fahrt im Schulbus kann quälend werden. Zwei Mädchen hinter mir machen die Socken ihres Physiklehres zum Hauptthema.

"Gestern hat er wieder die weißen Sportsocken angehabt."
"Ja! Zum beigen Anzug."
Mein Blick wandert kontrolliernd über Poloshirt und Hose zu den Schuhen. Die könnten ein reinigendes Service vertragen.
"Dann setzt er sich provokant auf die erste Bankreihe, schlägt die Beine übereinander und die bunten Streifen auf den Socken kommen heraus!"
"Wäuh!"
Ich sitze nicht selten im ähnlichen Stil herum. Wenn auch mit dunklen Socken.
"Richtig schlimm wird's aber, wenn er die schwarzen Socken anzieht."
"Gell, dann ist er schlecht aufgelegt."
"Stimmt! Wie die Socken, so die Noten!"

Die Gören lachen unverschämt laut in meinen Nacken. Kennen mich die (nicht)? Lesen meine Schülerinnen aus meinen Kleidern meine Laune ab? Schreiben sie meinen Hemden ihre mediokren Leistungen zu?
Haben Sie gar Recht? Entscheidet meine Tagesverfassung über den Griff in den Kasten? Oder umgekehrt: Prägt die Krawattenwahl meine Stimmung? Sollte ich mehr auf meine Kleidung achten?
Oder geht es im Unterricht um wichtigere Dinge?

Damir sitzt in der letzten Reihe und hört ruhig zu. Damir hat pechschwarzes Haar, dunkle Augen und einen auffällig südlichen Teint. Seine ausländische Herkunft springt ins Auge. Seine herausragende Intelligenz, seine tadellosen Sprachkenntnisse und sein Wiener Witz erschließen sich erst viel später.

Damir hält Nigerianer für faule Drogenhändler, Chinesen für ehrgeizige Schwerarbeiter - also dumm - und Türken für bildungsunwilliges Pack. Wenn er wählen dürfte, hätten HC Strache oder P.Westentaler eine Stimme mehr gegen Ausländer in Österreich.
Ich erzähle von einem afrikanischen Freund, der mit mir studiert hat, von einem ehemaligen türkischen Schüler, der gerade die TU abgeschlossen hat und von anderen Karrieren, die Zuwanderer in Österreich bewältigen.

Wir sind uns einig:
In der Schule funktioniert Integration ziemlich gut. Gar kein Thema.
"Wenn ich hinausgehe, stelle ich mich blöd", hängt Damir an.
"Wozu?"
"Das kommt nicht gut, wenn ich auf oberg'scheit oder kritisch mache!"
"Bei wem?"
"In meiner Umgebung."
Damir taucht nach der Schule in eine fremde Welt ab, in eine Welt voll fremder Riten, Bräuche und Gedankengänge.
"Ich habe einen Freund, der hat nach der HTL-Matura ein Superangebot bei T-Mobile abgelehnt. Der will lieber bei seinen Freunden bleiben als irgendwo mit blonden Krawatten-Heinis Geld machen."
"Wovon lebt er?"
"Jobt in so einem Beisl am Gürtel."
"Dort, wo der Türsteher nur weiße Gesichter mit Markenschuhen reinlässt."
"Nein, wo sich nur wir treffen." (sic)
Die Integration der Jugend hört an der Schultüre auf. Klassenkameraden trennen sich und akzeptieren diese Zweiteilung widerspruchslos.
"Sonst würde es noch mehr Raufereien und Probleme in den Diskos geben."
"Versteh' ich nicht! Ihr lebt hier friedlich und freundlich zusammen und am Abend ...!"
" ... gibt es Alkohol und Revierkämpfe."

Ich habe eine dritte Klasse neu übernommen, muss die Kinder allmählich kennen lernen. Ja, da setze ich mich mit dem Klassenplan und einer Namensliste zum Schreibtisch und memoriere. Richtiges Lernen!

Gülcan sitzt in dieser Dritten, ihr Name haftet bereits in meinen Ganglien. Gülcan schaut für dreizehn Jahre erstaunlich erwachsen aus, sitzt aber gebeugt und still am Klassenrand. Ein scheues Reh ohne Selbstbewusstsein.

Während die Kinder individuelle Lösungen auf ihre Arbeitsblätter schreiben, gehe ich korrigierend durch die Reihen. Ich beuge mich über Gülcan und stütze mich mit der linken Hand auf die Bank, während meine Rechte rote Fragezeichen über fehlerhafte Stellen ringelt. Da beginnt Gülcan auf meiner Linken Klavier zu spielen.
"Lustige Adern!", sagt sie kommentierend.
"Das da? Das sind Sehnen!"
Durch das Abstützen treten sie wirklich auffallend heraus.
"Nein. Das da!"
Gülcan drückt auf die weichen Linien dazwischen.
Das überrascht mich. Wenige Kinder wagen es, den Lehrer anzugreifen. Einem schüchternen Mädchen mit Migrationshintergrund hätte ich diesen Mut am wenigsten zugetraut.

Schon rennen die Interpretationswellen durch meinen Kopf. Viel zu früh fällt mir der Titel zu dieser Geschichte ein: "Vater für/von Gülcan gesucht." Ich kenne das Mädchen kaum, kann gerade ihren Vornamen buchstabieren und greife schon zum Psycho-Stempel.

Was immer Gülcan braucht, ich werde ihr wenig davon geben können. Ich werde vorsichtig zuschauen und vorerst auf Humor setzen: "Vorsicht, die beissen!"
Sie lächelt und wir widmen uns der eigentlichen Aufgabe: diakritische Zeichen.

Wiederholung, 2.Durchgang.
Jeder bekommt eine zweite Chance: Die Kinder mit "+" können ein zweites abholen (freiwillig), die Kinder mit schwächeren Zensuren können sich ausbessern (unfreiwillig?!).

Und alle kommen sie zum Lehrertisch.

Das Ergebnis: Fast alle wissen fast alles. Es gibt auf die zweite Wiederholung nur gute und sehr gute Noten.
"Kinder, darauf könnt ihr stolz sein. Und ich bin es auch."

Diese Noten sind etwas wert. Wer gute Noten verschenkt, wertet sie ab - die Noten und die Kinder!
Wenn Leistung belohnt wird, wird sie erbracht.
"Ich bin gestern mit meiner Oma zum Zahnarzt gefahren, wir haben im Auto Geo geübt."

Ja, nach der ersten Stunde war ein Drittel der Kinder frustriert, heute sind sie umso motivierter. Meine früheren Worte ("rechtzeitig mitlernen", "regelmäßig üben" ...) waren schnell vergessen, die klare Handlung (Prüfung -> Nichwissen -> Minus) wurde sofort akzeptiert.
Ab heute habe ich sie gefesselt, zumindest im Griff.
"Perfekt! Du kannst es."
"Kann ich noch einmal dran kommen?"
"Nächste Stunde!"

Ich bin kein Gutmensch, ich bin Pädagoge - mit Konzept.

Drei Wochen hatten sie Zeit, sich einzuleben. Jetzt beginnen die ersten benoteten Wiederholungen für die "Frischlinge".
In Geographie lernen die Erstklassler Meere und Flüsse, Gebirge und Städte, Staaten und andere unmögliche Namen auf der Erdkugel.
"Der kleinste ist der Indische Ozean."
"Was ist ein Ozean?"
"Ein großes Meer."
"Warum heißt der Indischer?"
"Von Indien."
"Was heißt Indien?"
30 neue Namen in einer Stunde. Pyrenäen, Appenin, Balkan, Rhein und dann auf französisch: Loire, Rhone, Seine. Nie gehört, nie gelesen, schwer zu merken.

Typisches Wiederholungsergebnis:

Ein Drittel der Kinder hat sich perfekt vorbereitet, findet alles auf Anhieb auf der stummen Karte und geht zufrieden in die Bankreihe zurück.
"Wie habt ihr gelernt?"
"Wiederholen, abdecken, schreiben, zeichnen ... die Mama hat mich abgeprüft!"
Das zweite Drittel drückt herum: "Mir fällts gleich ein ... das ist ... das ist ... mir liegts auf der Zunge ... ahhhh ... das ist die Olga, oder?"
"Wolga!"
Und das letzte Drittel?
"Ich hab' den Zettel verloren."
"Ich hab' vergessen zu lernen."
"Weiß nicht."
Stumme Überraschung, ungläubiges Staunen.

"Aus welcher Volksschule kommt ihr?"

Es gibt Volksschulen, da haben die Kinder in vier Jahren nicht gelernt, wie man lernt. Sie haben überhaupt nie selbständig gelernt, trotzdem beste Noten. Geschenkt?
Diese Kinder fallen in wenigen Tagen aus allen Wolken.
"Ihr seid in eine höhere Schule gekommen. Hier habt ihr jeden Tag neue Aufgaben und hier macht ihr jede Stunde neue Entdeckungen. Und Prüfungen!"

"Was bedeutet der Strich neben meinem Namen?"
"Das ist ein Minus, eine schlechte Note. Bei uns gibt es alle Noten von 1 bis 5."
"Das Allerschlechteste war ein Dreier ... früher."

Wir geben den Kindern Zeit, sich an die neuen Herausforderungen zu gewöhnen. Bis Weihnachten sehen wir, wer die Umstellung problemlos schafft. Manche Volkssschulen, besonders am Land, haben ihre Abgänger gut vorbereitet, manche das erste Versagen programmiert.

P.S.: Nehmen Sie für Ihre Kinder nicht die beste Volksschule in ihrer Nähe. Suchen Sie die allerbeste!

Seit Schulbeginn bin ich am permanenten Raten, irgend etwas an Steffi passt nicht mehr ins Bild.
Heute früh fielen mir die Schuppen von den Augen: Steffis Look war kein Look.
Ich kenne Steffi von der ersten Klasse weg, sehe sie noch als drolligen "Fruchtzwerg" in der Bank sitzen. Alles an ihr hat gelächelt, sogar ihre Kleider: ein Bär hier, eine Herzchen da. Selbst als ihre Freundinnen "Fuck the system!" auf zerrissene Jeans zu kritzeln begannen. Falsche Tatoos erblühten auf den Schultern und grimmige Liedtexte zierten die Heftumschläge, aber im Herzen blieben sie herzig. Nur Steffis Äußeres blieb stimmig: Lieb, durch und durch. Das passte zu ihr, zu ihrem Charakter, aber nicht in unsere Zeit. Steffi lebte als Anachronismus gegen den Strom, wuchs aus ihrem Mädchenkörper heraus zu einer jungen Frau, aber weigerte sich mit rosa T-Shirts und Rüschenkleidern, ihre Kindheit zu verlassen.
Ihre Feundinnen gierten nach Jugendsünden, rauchten ihre Malboros und konnten nicht schnell genug Alter zeigen: Lippenstift, Minirock, Nabelpiercing. Freundliche Kinder verkleiden sich, um mitzumischen.
Nur Steffi nicht. Sie verweigerte lange und sichtlich das Reifen, versteckte ihre Rundungen in weiten Tarnanzügen und kugelte sich mit kleinen Geschwistern im Staub.
Keine Ahnung, was in den Ferien abgelaufen ist. Steffi trägt schwarz. Eng. Den Look.

Die Blonde.
" ... und sie hat sogar ihren Pulli ausgezogen!"

Die Leute der achten Klasse sind von ihrer Pausenbeschäftigung nicht weg zu locken. Sie blättern eifrig in den bunten Urlaubsprospekten und vergleichen verschiedene Angebote für ihre Maturafeier.
Offenbar hat die "geile Blonde" ihre letzten Atouts ausgespielt.
Nicht nur ihren Pulli abgelegt!
Sie hat auch in ihre stylishe Trickkiste gegriffen und die "Kronen-Zeitung" sprechen lassen. (Slogan: "Glauben Sie es erst, wenn es in der Kronen-Zeitung steht")
Dort steht schwarz auf weiß, dass DocLX - die böse Konkurrenz - eine ganze Reisegruppe versetzt hat. Die Maturanten wurden in Familienpensionen (mit schreienden Kindern!) untergebracht.
Eine der müden Zeitungskopien ist auf meinem Platz gelandet, ich weiß über das abgrundtiefe Böse Bescheid.
Aber die Klassensprecherin hat sich schon festgelegt: "Da wird ein Detail aufgebauscht!"
Jetzt zieht ihr Nachbar - ich glaube es kaum - das buntes Großformat vom Wochenende aus dem Köcher:
"Der Goldi - der Andy Goldberger (nicht irgendwer!) - schreibt, dass er richtig positiv überrascht war. Nicht bloß Sauferei und so!"
"Hey! Was soll der schreiben? Der war eingeladen! Wahrscheinlich hat das sogar irgendwer für ihn geschrieben!"
"Schau. Der Kurier gehört sogar zu den Sponsoren! Die ruinieren sich doch nicht ihr eigenes Geschäft."
Kurze Nachdenkpause. Neue Argumente werden gesammelt.
"Um den Preis kann ich nach Vietnam fahren!", sagt der Vietnamese der Klasse.
"Was tu ich in Vietnam? Ich möchte ein Mal live dabei sein. Tausende Jugendliche am Strand, essen, trinken, feiern, was geht ..."

Irgendwann musste ich zum Unterrichten beginnen!

Hilfe, die Heuschrecken kommen wieder.
"Grüß Gott, ich bin die Clara. Kann ich mit den Klassensprechern reden?"
"Worum geht's?"
"Um die Maturafeier!"
"Haben Sie das mit der Direktion geklärt?"
"Ich hab' einmal angerufen."

Diese Ausrede klingt zu schwach - Clara hat Pech, es findet keine Werbeveranstaltung für Trinkgelage in der Türkei statt, sondern normaler Unterricht. Also hinterlässt sie eine DVD und einen Stoß bunter Werbefolder von einem Club in Antalya.
Wie ihre Vertreterkollegen will sie bald wieder kommen. Schließlich bringt jeder Reisevertrag 10 Euro und die Konkurrenz wir immer härter und schneller.

Der Klassensprecher verkündet am Ender der Stunde:
"Um eins kommt die von der Maturafeier wieder ... wer was wissen will: ein Uhr, hier in der Klasse!"
Er hat zu leise, zu undeutlich ins laute Volk gesprochen, die Nachfrage folgt prompt:
"Wer kommt um eins?"
"Die geile Blonde!"
Jetzt kennen sich alle aus, und viele wollen dabei sein.

Ich komme aus der Klasse zurück und es ist ungewöhnlich laut im Lehrerzimmer.
Die Kollegen scharen sich um einen Drucker und warten auf die Urteilsverkündigung namens Stundenplan.
Wir überfliegen den kryptischen Text und marschieren zum Verfassser. Der kriegt dann sein Fett ab!

"Das gibt's doch nicht. Ich muss doch vor dem Unterricht meine Tochter zum Kindergarten bringen! Ich kann nicht um Punkt acht beginnen."

"Ich hatte einen einzigen Wunsch, keinen Freitag Nachmittag. Und jetzt soll ich bis 18.40 Uhr im Turnsaal stehen."

"Geh bitte, 7 Löcher ... da muss ich doch das ganze Jahr ständig supplieren. Könnt ihr den Plan nicht ein bisserl kompakter machen?"

"Ich habe an vier Tagen sechs Stunden durchgehend Unterricht. Das halte ich nicht mehr aus, ich brauche eine Pause zwischendurch ... das hab' ich euch doch gesagt!"

"Das ist wirklich unfair. Der Brigitte hast Du einen einzigen Nachmittag eingeteilt, mir gleich drei. Pure Freunderlwirtschaft, das lass ich mir nicht gefallen."

"Denkt hier jemand noch pädagogisch? Mathematikstunden am Nachmittag, da brauch ich gar nicht anfangen."

Die Unzufriedenen, die Egoisten, die Ellbogentechniker verlangen Änderungen, beschweren sich bei der Personalvertretung oder weinen sich beim Direktor aus. Die Ruhigen und Zufriedenen, die sieht und hört man nicht - sie ziehen sich dezent zurück und freuen sich über einen praktikablen Stundenplan.

 

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