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cotopaxi

 
Wir backen kleine Brötchen, in der Schule. Nicht wortwörtlich, das wäre ja sinnvoll.

"Warum seid ihr Lehrer so demotiviert, so frustriert?", fragt mich ein Interessierter.
"Wir backen Brötchen", antworte ich, "Brötchen, die keiner will."
Er versteht den Vergleich nicht sofort, also beginne ich meine Brötchen zu erklären.
"Ich backe täglich 30 Brötchen, bringe sie in die Klasse, aber 28 Brötchen bleiben übrig, sie sind altbacken, fad, schmecken nicht. Kommen nicht an."
"Dann solltest du was anderes backen!"
"Ich muss Brötchen backen, das ist mein Auftrag. Und ich bekomme dafür nur Wasser, Mehl ... und ein bisschen Salz."
"Wie meinst Du das?"
"Die Schule bringt die Grundnahrungsmittel, das Wichtigste, das Nötigste ... aber die Kinder wollen lieber Cremeschnitten, Hamburger und Cola haben."
"Und die kriegen sie auch!"
"Natürlich. Überall, nur nicht in der Schule. Wir wollen ja gesunde Nahrung ... und billige ..."
"Tja."
Da kommen keine Tipps mehr.

Jetzt sind alle unzufrieden und wir suchen die Schuldigen.
"Die Bäcker sind schuld, sie sind faul, dumm und sie backen öde Brötchen."


Gott sei Dank haben die Bäckereibesitzer tolle Lösungen gefunden:
1. Die Bäcker sollen länger backen, mehr Brötchen.
2. Die Bäcker sollen statt Brötchen A und Brötchen B Einheitsbrötchen AB backen.
3. Ganztagsbrötchen: Damit die Kinder nicht an die leckeren Sachen herankommen.

Das wird den SchülerInnen gut schmecken. Und die Bäcker motivieren. Oder?
PeZwo meinte am 28. Sep, 16:23:
Das ist ein ganz guter Vergleich. 
Herr Rau (Gast) antwortete am 28. Sep, 16:50:
Ein ganz ausgesprochen guter, finde ich. 
teacher antwortete am 29. Sep, 19:36:
Zumindest ein plakativer. 
testsiegerin meinte am 28. Sep, 20:40:
In Wien Brötchen zu backen halte ich für wenig sinnvoll. Die Leute hier mögen lieber Semmeln, oder von mir aus auch Weckerl oder Salzstangerl.
Vielleicht sollten die Lehrer keine Brötchen backen, sondern die Zutaten mitbringen und den Kindern Lust aufs Backen machen.

"Ein Kind ist kein Gefäß, das gefüllt, sondern ein Feuer, das entzündet werden will." Francois Rabelais 
steppenhund antwortete am 28. Sep, 20:47:
Rabelais' Satz ist recht griffig. Allerdings bietet er auch die Möglichkeit, Kinder zu Soldaten heranzuziehen oder entsprechend zu indoktrinieren. Das wäre Füllung und Entzündung zugleich.
Zu allererst sind Kinder aber Menschen. Wenn sich Lehrer das vor Augen halten, haben sie schon viel bei den Kindern gewonnen. 
Jochen (Gast) meinte am 28. Sep, 22:11:
Ganztagsbrötchen
... sind ganz toll, denn dadurch kommen die Kinder auch nicht mehr an die gesunden Semmeln wie Instrumentalunterricht, Sport im Verein und andere Hobbies heran. Stattdessen vertrödeln wir unsere Zeit in schlecht ausgestatteten, unfreundlichen und dreckigen Schulen. 
dete (Gast) antwortete am 28. Sep, 22:32:
RT Ganztagsbrötchen
... Treffender als der Jochen kann ichs auch nicht formulieren!!
GENAU so ist es. Den "anregungsoffenen" Kindern versagen wir durch den ganzen Ganztagsschulenquatsch das Recht auf Vielfalt, das Recht, neben Schule Bildung zu erhalten, die meist prägender als jeder Unterricht ist. 
testsiegerin antwortete am 28. Sep, 22:35:
Ja, dann statten wir einfach die Schulen vorher gut aus und sind freundlich und sauber.

Vielleicht haben dann auch Kinder aus benachteiligten Familien Chance auf Instrumental-, Tanz- und Sportunterricht. Und vielleicht haben dann auch Kinder aus Familien, bei denen die Eltern es sich nicht leisten können (oder wollen) zu Hause zu bleiben, eine gute Betreuung, anstatt auf der Straße oder vor dem Computer zu lungern. 
dete (Gast) antwortete am 28. Sep, 22:44:
Grundsatz
Es gibt aber einen Grundsatz: Es darf nichts kosten. Daher werden immer schön (ideologische) Konzepte gefordert und halbherzig umgesetzt, aber bitte eben "kostenneutral". Und unter diesen Bedingungen sind es eben Lippenbekenntnisse, die an den Ursachen der Probleme imj Schulsystem nichts ändern. Es gibt in Berlin nun weißgott schon lange Gesamtschulen. Diese sind aber weißgott kein Erfolgsmodell ... Und die Bedingungen, unter denen Gesamtschule stattfindet haben sich kontinuierlich verschlechtert.

In Berlin wird ja teilweisen noch nicht einmal der normale Unterricht durch Fachlehrer abgedeckt - was reden wir da von außerunterrichtlichen Angeboten??? 
Stefan (Gast) meinte am 28. Sep, 22:39:
Bleiben wir im Bild
Kinder mögen angeblich so manches Gemüse nicht, lässt man sie aber vorbereiten, schnippeln und mitkochen schmeckt plötzlich so manche "gesunde" Speise.

Deshalb haben wir uns an unserer Schule auf den Weg gemacht, die Brötchen mit unseren Schülern immer häufiger gemeinsam zu backen, anstatt sie nur möglichst geschickt zu verkaufen (da gibt es zwar so manch raffinierte Verkaufsmethode, aber Schüler sind ja nicht blöd). Und siehe da, plötzlich werden fade Brötchen interessant. Das Brötchen hat plötzlich etwas mit mir zu tun, es ist mein Produkt, meine Leistung.

Okay, es gibt andere Bäckereien, die sagen, unsere selbstgebackenen Brötchen taugen weniger und sind so fürchterlich "ungenormt" - außerdem könnte man professionell doch viel mehr Brötchen an einem Tag backen. Manche haben sogar die Befürchtung, unsere Schüler würden verhungern, weil sie nicht genug Brötchen kriegen. Ich sehe das anders, ich erlebe die "Backlust" der Schüler und sehe, wie plötzliches fades Mehl und Wasser lecker duftend im eigen Ofen die Schulluft verzaubert.

Also, mein Tip an alle verzweifelten Bäcker: Schaut, wo ihr mit euren Schülern gemeinsam backen könnt. Holt sie in Eure Bäckereien. Lasst Sie die Freude am Backen spüren und erleben. Es muss ja nicht gleich die ganze Wochenlieferung sein - aber ein paar Semmel können der erste Schritt dahin sein :-) 
testsiegerin antwortete am 29. Sep, 08:52:
Sie sprechen mir aus der Seele.
Danke. 
Lisa Rosa antwortete am 29. Sep, 11:00:
wunderbar! Das ist die richtige Richtung zur Lösung des Bildungsdesasters.
Und ich bin immer wieder erstaunt, wie teacher hier mit seinen Geschichten (Provokationen oder Analogien) verteiltes Wissen einsammelt. Hut ab! 
BIA (Gast) antwortete am 29. Sep, 11:51:
Vielen Dank!
Gestern nach teachers Eintrag war ich eher etwas deprimiert und dachte mir "Ja, genauso läufts, schlimm, schlimm etc. etc." - und dann las ich diesen Beitrag, erinnerte mich an die vielen kleinen, ungenormten Brötchen, die wir mit den Schülern gemeinsam backen, und plötzlich hatte ich wieder Lust, in die Schule zu gehen und weiterzubacken. DANKE!

Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass ich gerne eine Bäckerei hätte, bei der es nicht durchs Dach regnet. 
teacher antwortete am 29. Sep, 19:40:
@stefan und @testsiegerin: Das ist auch ein aktueller Trend in der Pädagogik - leider ganz schlecht in Klassen zu machen, die außer Tafel, Kreide und Buch nichts anbieten.

@Lisa Rosa: Gefällt mir auch gut. Danke.

@BIA: Backens wirs an :-) 
rebhuhn (Gast) meinte am 28. Sep, 23:02:
OT
kennen Sie eigentlich frau freitag? http://fraufreitag.wordpress.com/ die ist ziemlich cool und hat gerade heute [oder eigentlich immer, wie man's sieht ^^] ähnliche probleme. ich werde Sie ihr auch empfehlen :).

toller eintrag übrigens; das problem mit der gesunden ernährung ist ja, daß sie anstrengend ist. kann man hier vielleicht zunächst engagement [wofür auch immer?] und erst dann echte, sinnvolle anstrengung 'erzeugen'? wenn die klasse/gruppe/[notfalls auch] der schüler schon brummt?

[soviel zu den klugscheißer-tips einer nicht-lehrerin, also mir. sorry dafür, es würde mich aber interessieren, was Sie davon halten und/oder darüber denken.] 
teacher antwortete am 29. Sep, 19:35:
Danke für den link zu Frau Freitag - lustige Kollegin. Sie kämpft besonders gegen Schwänzer, die scheinbar auch keinen Bock auf Bäckers Brötchen haben. Das ist die Realität. 
amadea (Gast) meinte am 29. Sep, 18:13:
Manchmal gehen die Brötchen trotz aller Anstrengungen nicht auf. Dann backen wir wieder Semmerl. 
teacher antwortete am 29. Sep, 19:41:
Hauptsache es wird knusprig. 
Grashek meinte am 29. Sep, 23:19:
Folgerung
Wenn die Brötchen für den Unterricht stehen..
Was steht dann für die Leistung der Kinder ;)

Gute Nacht :) 
apfelhexe (Gast) antwortete am 1. Okt, 21:07:
Tisch decken, Brötchen aufschneiden, belegen, kauen, schlucken, verdauen, Dünger für neues Getreide produzieren, selbst backen lernen. Passt doch. 
teacher antwortete am 1. Okt, 21:52:
Grundnahrungsmittel aufnehmen und verdauen. 
Philosoff (Gast) antwortete am 4. Okt, 20:49:
*kopfschüttel*
..scheisse... 
M.i.M. (Gast) meinte am 5. Okt, 13:38:
Schöner Vergleich... Wenn man am Produkt nichts ändern kann, dann sollte man vielleicht mal irgendwann ein Customer Relationship Management aufbauen und ein bisschen was ins Marketing stecken.

Wobei... bei Bäckereien mit einer Anpassungsgeschwindigkeit einer Wanderdüne könnte das wirklich schwierig werden.

Normalerweise verschwinden solche Unternehmen vom Markt, früher oder später. 
gregor (Gast) antwortete am 5. Okt, 17:36:
Wanderdüne?
...um dann wodurch ersetzt zu werden?
Ronald McDoofs lustige Fleischklopsbraterei, mit tripple Cola und immer reichlich Soße und Eis?
Schöne neue Welt!
du macht man sich doch Sorgen um die Klempner und Mechaniker der Zukunft! es wird kalt und gefährlich..... 
teacher antwortete am 6. Okt, 11:30:
Ich würde das Produkt Wasser nicht ändern, nur weil das Produkt Cola besser schmeckt und sich besser verkaufen lässt.

Aber ich möchte Wasser besser vermarkten: Schule wird gar nicht vermarktet, deshalb hat sie ein so verdammt schlechtes Image. 
gast (Gast) meinte am 8. Okt, 09:30:
warum immer gleich
warum müssen eigentlich die brötchen immer gleich gebacken werden das wird langweilig nach der 4 backrunde vlt sollte man abwechslung reinbringen und mal was ausprobieren 
 

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