Profil
Abmelden
Weblog abonnieren
cotopaxi

 
Um neun Uhr morgens gehen die Tore auf, vorher herrscht Friede.

Es kommt ein Schulwart und bringt den Beamer in meinen Klassenraum. Ich rufe ihn noch einmal an, weil ich Kopien brauche. Macht er. Dann bereite ich einen Versuch auf dem hintersten Tisch vor: Ein Aquarium, eine Kerze, Sauerstoff - alles steht im Nachbarraum bereit.

Kein einziger Schüler kommt zu spät, sie dürfen nach dem Gong nicht mehr in die Klasse - ich kann völlig ungestört mit meiner Arbeit beginnen. Disziplin ist nicht mein Problem, dafür gibt es einen pädagogischen Leiter in der Schule. Er nimmt Kontakt mit den Eltern auf und verpasst jene Strafen, die er für angemessen hält. Ich bin hier Lehrer, Experte, Fachmann.

Zu Mittag treffe ich meine Kollegen in der Kantine. Alle essen hier, Suppe, Haupt- und Nachspeise. Ein Getränk dazu. Alles in guter Qualität. Die Zigarette danach rauchen wir auf dem Schulhof. Ein paar jüngere Nikotingenossen gesellen sich zu uns, es geht mir wie in Manhattan vor den Büros, wo sich alle Hierarchien um den Aschenbecher treffen.

Am Nachmittag teilen sich die Schüler auf. Ein paar treffe ich im Theaterforum, sie studieren eine Ionesco-Szene ein. Andere ziehen im Hallenbad ihre Runden, ich gehe mit meinem Videoteam zum Basketball. Eine Europaklasse aus Italien hat sie herausgefordert. Alles ist direkt am Campus möglich.

Meine Freistunde verbringe ich heute in der Mediathek. Ich lese die letzten Fachzeitschriften, surfe im Netz oder bereite meine Stunden vor. Mindestens 30 Schüler sind im gleichen Raum, er ist riesig und hell, gut gegliedert, es herrscht die Ruhe, die ich von der Nationalbibliothek kenne. Jemand stellt Pinnwände auf, das wird schon als Störung empfunden: Pscht!

Ich bin gerne den ganzen Tag an meiner Schule. Obwohl ich manchmal zu Mittag lieber in eines der Cafés in der Umgebung gehe: Kleiner Espresso zum Nachtisch, kleiner Plausch mit der Besitzerin. Meine Schüler kommen um 5.00 aus der Stadt zurück und geben ihre Arbeiten ab, sie wissen, wo ich mich befinde.

Wo?
In einer Partnerschule in Toulouse. Ganztagsschule. Lycée. Europaklasse. Mit allen Einrichtungen, die dazu gehören. Selbständige Menschen, die meinen Rat suchen und mein Wissen nutzen.

Zu Hause, in Österreich ist das alles unmöglich: Die Neue Nachmittagsbetreuung findet am Gang und in kahlen Klassenräumen statt. Das ist keine Betreuung, sondern ein Witz. Dafür machen sich plötzlich die Großparteien stark. Wissen sie es nicht besser? Oder muss Politik so verlogen sein.
ich (Gast) meinte am 18. Nov, 22:35:
Wie, der Lehrer den ganzen Tag am Arbeisplatz? Ohne Mittagsschlaf, ohne Tennis am Nachmittag?


Undenkbar! 
teacher antwortete am 20. Nov, 13:28:
Schon Tennis am Nachmittag - mit den Schülern halt :-) 
Sprachspielerin (Gast) meinte am 19. Nov, 00:18:
Wie jetzt, das ist aber alles nur Spaß, oder? Eine schöne Utopie, oder? Oder gibt es solche Schulen wirklich? Kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen...

Schönste Stelle: "Ich bin hier Lehrer, Experte, Fachmann." Das wäre ja sooo schön! 
teacher antwortete am 20. Nov, 13:27:
Keine Utopie - es geht. 
Wieland (Gast) meinte am 19. Nov, 09:18:
Ein Traum
Hört sich wunderbar an für Lehrer sowie für Schüler.
Und wenn ich teacher richtig verstanden habe wird dieser Traum an anderen Orten gelebt.

Hier in Deutschland ist so etwas nicht möglich, solange nichtmal 4 Millionen € vorhanden sind für eine Bundesweite Versorgung der Kinder mit frischen Obst (wie sinnvoll die Maßnahme ist kann jeder selbst entscheiden), aber selbst die winzigsten Projekte an Schulen scheitern weil keine 50€ genehmigt werden.

(Un)Bildungsland Deutschland bzw. wohl auch Österreich 
B. Kullig (Gast) antwortete am 19. Nov, 10:10:
Echt?
Wenn dieser Traum in Deutschland wahr wäre, wäre ich vielleicht doch Lehrer geblieben.
Ist die beschriebene Schule eine Privatschule? 
Marie (chief) (Gast) antwortete am 19. Nov, 10:46:
Ich habe das in Deutschland bisher noch nicht so mitbekommen, in den USA jedoch sehr wohl...Es bleibt ein Traum. 
teacher antwortete am 20. Nov, 13:27:
kein Traum
Alles, was ich beschrieben haben, habe ich auch erlebt - in einer normalen, öffentlichen Schule, gebaut wie ein US-Campus. 
Strammer Max (Gast) meinte am 19. Nov, 11:36:
soetwas gabs "früher" auch schon.....
Als ich vor 20 Jahren eine Berufsausbildung an einer privaten Schule gemacht habe, war das da eine ähnliche Atmosphäre, vom Prinzip das gleiche, aber Lernen hat da wirklich Spass gemacht, das kann ich hier ganz fest und sicher sagen.

Auf der Realschule auf der ich 1987/88 im Leistungskurs Naturwissenschaften war, war der Unterricht in diesen Fächern auch eher unkonventionell.
Nach der offiziellen Schule so gegen 13 Uhr gings zum Mittag nach Hause, erstmal was essen, ein paar Hausaufgaben erledigt, danach wieder zur Schule so gegen 15.30h, der Lehrer (Chemie/Bio) war dann noch/wieder da und wir haben noch zusätzlichen Unterricht gemacht um den Standdardunterricht zu erweitern, was mir und meinen Noten gut getan hat. Und auch das hat Spass gemacht. Das war an 2 Tagen in der Woche, und hat einen nie überfordert.

Wenn alle Leute zusammen im Team spielen würden, wäre das sicher auch an vielen Schulen möglich und nicht nur in Einzelfällen. 
D (Gast) antwortete am 19. Nov, 18:08:
Ja sowas gibts. Als ich einen Aushilfsvertrag an einem Internat hatte, waren es fast diese Zustände (Kopien musste ich dann doch selbst machen). Ich war dann auch 24h in der Schule, weil ich im Haus gewohnt hab, aber ich konnte auch nachts um 10 in die riesige Schulbibliothek gehen. Übrigens, es war eine öffentliche Schule in Bayreuth, kein Privatgymnasium.
An dieser Schule wäre ich gerne geblieben; dort hat mir meine Arbeit wirklich Spaß gemacht. 
teacher antwortete am 20. Nov, 13:29:
... und der Schulwart hat auch die Kopien gemacht. Echt. 
fedor (Gast) meinte am 23. Nov, 09:36:
Man könnte die Negativliste noch weiter fortsetzen:
.)Schulen,bei denen es vor der Eröffnung hineinregnet und die nach mehr als 20 Jahren nicht dicht sind,
.)Heizungen,die im September nicht aufgedreht werden dürfen(16 Grad in der Klasse) oder im April noch nicht abgedreht werden dürfen(28 Grad)
.)Wollte ich es durchsetzen,daß nach Unterrichtsbeginn kein Schüler mehr die Klasse betritt,gibt es ein eingetretenes Türblatt.
.)Für fragwürdige Seminare profilierungssüchtiger Psychologen ist immer genug Geld da! 
teacher antwortete am 24. Nov, 13:39:
Aber in den Sonntagsreden heben unsere verlogenen Politikter die Bedeutung der Bildung hervor. Sie ist ihnen sch...egal, solange die Kohle stimmt - und die Bevölkerung ist um nichts besser. 
 

twoday.net AGB

xml version of this page

powered by Antville powered by Helma