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cotopaxi

 
Zwei Männer mit Krawatte, einer sehr jung und nervös, der andere très chic wie aus einem Paris-Reiseführer, sitzen nebeneinander und finden keine Zuhörer: Französischprüfung bei der mündlichen Matura!
Und die Kommission besteht aus reinrassigen Naturwissenschaftern: "No french" steht auf ihren Stirnen graviert.

Der Kandidat beginnt mit der Textarbeit.
"Il s'agit de ..."
Es geht im vorgelegten Artikel um einen Vietnamesen, der im Tempel Opfer bringt, damit er die Aufnahmeprüfung ("le concours")an die Uni schafft.
"Et toi?", fragt der Lehrer, "wie hast du dich auf die heutige Prüfung vorbereitet?"
"Moi, je ..." Er hat sich nach dem Aufstehen niedergekniet und hat gebetet.

Schade, dass hier niemand zuhört. Und niemand was versteht.

Also genau genommen, erklärt der Kandidat in flüssigem, aber nicht akzentfreiem Französisch, habe er mit seiner Ururgroßmutter ("la grand-mère de ma grand-mère") gesprochen. Er habe sie gebeten, ihm bei der mündlichen Matura beizustehen.
"Tu es bouddhiste?"
Da verzieht der Prüfling sein Gesicht und erklärt die vietnamesische Verehrung der Vorfahren, den Ahnenkult.

Er kam vor wenigen Jahren aus Saigon zu uns, lernte schnell Deutsch, schrieb eine Fachbereichsarbeit über mathematische Sonderfunktionen, spricht bei der Deutschmatura über österreichische Literaten und in Französisch über Sitten und Gebräuche seiner Heimat. Studieren will er Medizin, "um den Kranken zu helfen."
"Très bien, Monsieur."

Ausländer rein!
Matthias (Gast) meinte am 7. Jun, 23:28:
Solche gerne.
Wir brauchen qualifizierte, strebsame junge Menschen, egal von woher. Eigentlich bräuchten sie auch ihre Heimatländer, aber Konkurrenz belebt das Geschäft :-)
Die Frage ist: Brauchen wir auch Millionen anatolischer Dumpfbacken, die es bevorzugen, über die Jungfräulichkeit ihrer Schwester zu wachen, anstatt zu lernen?

Nicht: "Ausländer rein!", sondern: "qualifizierte Ausländer rein!"
Solche Leute wie der junge Mann sind die wahre Kulturbereicherung. 
teacher antwortete am 8. Jun, 09:10:
Das Problem: Diese "anatolischen Dumpfbacken" sind großteils hausgemacht, sie sind schon bei uns aufgewachsen und unsere Gesellschaft hat es nicht geschafft, deren Fähigkeiten zu wecken.
Zugegeben, in den höheren Schulen habe ich damit wenig zu tun. Aber "untätige Dumpfbacken" gibt es unter den Einheimischen auch genug - und wieder hat unsere Gesellschaft sie zu dem gemacht, was sie sind. Sie haben nicht beschlossen, Dumpfbacken zu werden, weil ihnen nichts Besseres eingefallen ist. 
Matthias (Gast) antwortete am 8. Jun, 10:43:
Das ist genau das, was ich immer höre. Die Gesellschaft ist schuld. Wenn es diese seltsame Gesellschaft nicht gäbe, wären wir alle Hochschulabsolventen und Millionäre.
Ist es aber nicht erstaunlich, dass es fast immer nur die eine Bevölkerungsgruppe ist? Glauben Sie, die Anatolier u.ä. wären in ihren Heimatländern anders, oder zwingen wir sie da auch unter unsere Gesellschaft?

Ich bin selbst Ausländer. Als ich drei Jahre alt war, flohen meine Eltern mit mir aus dem sozialistischen Polen nach West-Berlin. Sie haben nicht einen Moment daran gedacht, sich jetzt auf die faule Haut zu legen. Wir haben Deutsch gelernt, mein Vater hat sich Arbeit gesucht, meine Mutter als ich älter wurde auch. Wir haben als Zeichen der Integration unsere Vornamen geändert. Früher hieß ich Arkadiusz. Meine Eltern haben sich durch harte Arbeit ein kleines Einfamilienhaus am Stadtrand verdient, ich selbst habe keine Vorstrafen und studiere gerade erfolgreich. Hatten wir es leicht? Haben wir nicht in der selben Gesellschaft gelebt?
Hatten es meine Freunde am Gymnasium anders, leichter? Der Vietnamese, dessen Mutter als Köchin wenig Geld verdient, aber es dennoch tut - und deren Sohn jetzt ebenfalls studiert? Oder der Franzosen-Tschechen-Mischling? Der Halbinder? Wir sind alle Ausländer, und wir sind alle Einserabiturienten, alle vorstrafenfrei. Lebten und leben wir nicht in ebendieser Gesellschaft? Unsere Eltern stammen alle aus der Arbeiterklasse. U-Bahn-Fahrer, Angestellte, Schlosser, Köchin... machen wir irgendetwas falsch?

Wenn ich mich in meiner Fakultät umgucke, sehe ich Deutsche, Russen, Polen, Koreaner, Vietnamesen Kazachen und andere Verstreute. Aber nicht einen Türken, nicht einen Araber. Liegt das an unserer Gesellschaft? Oder ihrer?

Wir brauchen keine Ausländer. Wir brauchen Menschen, die was draufhaben. Egal, woher sie kommen. 
teacher antwortete am 8. Jun, 10:57:
Der Schlusssatz gefällt mir gut. Er impliziert einfach, dass wir nicht zwischen In- und Ausländern unterscheiden, sondern zwischen Menschen, die etwas bewegen und weiterbringen und Menschen, die weniger leisten.
P.S.: Ich höre (ohne es aus eigener Erfahrungn beurteilen zu können), dass die türkischen Zuwanderer am schwierigsten in unsere (Leistungs-)Gesellschaft zu intergrieren sind. Anstrengungen müssen aber von beiden Seiten gemacht werden. 
planeten.blogg.de (Gast) antwortete am 8. Jun, 14:10:
Integration von Ausländern
Ok, ich bin auch Ausländerin. Und unsere Eltern haben sich in keinster Weise bemüht uns irgendwie in die bestehende Gesellschaft zu integrieren. Das haben wir Kinder ganz allein erledigt durch Spielen mit anderen Kindern, deutsches Fernsehen, deutsche Schule, Literatur. Dabei sprach ich noch mit 3 Jahren nur italienisch und lernte erst im Kindergarten deutsch.

Und jetzt erinnere ich mich an eine Episode in der Grundschule, als mir - der Italienerin - eine deutsche Freundin zuraunte, dass sie nicht mit den türkischen Kindern spielen würde, weil die alle nach Knoblauch stinken würden. Immerhin hat sie es zugegeben. Viele andere werden es einfach gedacht haben.

Ist es da ein Wunder, dass sich die türkischen Kinder nicht akzpetiert fanden? Gleichzeitig sind türkische Familien traditionell noch sehr groß und stark verbunden, was dazu führt, dasss Onkel, Bruder, Neffe, Cousins und deren Kinder zusammenziehen, was natürlich erst mal das Leben in der Fremde einfacher macht. Auf der anderen Seite entsteht dadurch ganz schnell ein Ghetto, weil die Nachbarn in prophezeien, dass mit dem Einzug der ersten türkischen Großfamilie, noch mehr "Kanacken" kommen und erst mal ausziehen!

Der Vermieter bekommt auf einmal keine deutschen Mieter mehr und es ziehen weitere Ausländer ein->Ghetto! Und es nun mal unheimlich bequem sich eine kleine Welt zu schaffen, die der alten Heimat ähnlich sieht. Wer das verwerflich findet, sollte sich mal die deutschen Enklaven in anderen Ländern wie z.B. Mallorca anschauen. Können die alle spanisch?

Fazit: Fehlende Akzeptanz bzw. Stigmatisierung, weil zum anderen Aussehen auch noch andere Bräuche hinzukommen, die jene wagen auch noch offen auszuleben. Dazu kommt die Großfamilienpolitik, die durch den Auszug der deutschen Nachbarn zu einer Ghettoisierung führt.->Integrationsproblem.

Ich als Italienerin hatte eben den Vorteil zumindest die "richtige" Religion zu haben und die "richtigen Bräuche" zu haben. Meine Mutter trug eben kein Kopftuch.

Und ja, ich glaube anatolische Jugendliche, die hier keine Zukunft haben, wären in der Türkei ganz anders. Zumindest würden sie sich nicht wie die letzten Loser vorkommen, weil sie noch nicht einmal die Landessprache beherrschen. 
planeten.blogg.de (Gast) antwortete am 8. Jun, 14:36:
Sorry,
BTW, Entschuldigung für den etwas verhunzten Text oben! Ich sollte nichts mehr so nebenbei im Streß posten... 
teacher antwortete am 8. Jun, 14:54:
Da gibt es nichts zu entschuldigen - alles ist klar angekommen. 
Squaw antwortete am 8. Jun, 18:26:
Alles gut auf den Punkt gebracht. Es gibt sehr viel Arbeit auf beiden Seiten zu leisten, angefangen von Bekämpfung der "Rassenklischees". Ich sehe wie eine Türkin, Spanierin, Griechin, Israelin usw. aus. Manche Leute in Deutschland denken erstmals "Türkin", und sind zurückhaltend. Wenn sie mein französisches Akzent vernehmen, werden sie schlagartig freundlicher und interessierter. Obwohl dieses Verhalen mir zeigt, wem ich meine Freundschaft schenken kann, wem nicht, und obwohl ich mich mehrmals über diese Engstirnigkeit köstlich amüsiert habe, macht mir das zu schaffen: Klischees sind hartnäckig. 
teacher antwortete am 8. Jun, 20:14:
Ich merke das auch bei meinen ausländisch aussehenden Schülern: Es macht ihnen zu schaffen! Und wie reagieren die meisten? Sie ziehen sich in ihre eigenen, sicheren Umgebungen zurück. Das verstärkt die Ghettoisierung.
P.S.: In den Klassen funktioniert das Zusammenleben, nach der Schule gehen die Ethien getrennte Wege. 
Seher (Gast) antwortete am 13. Jun, 01:35:
Ausländer rein, Inländer rum und überhaupt
Mir läuft die Ganslhaut auf! Liebe Leute, habt ihr eigentlich ab und zu Eure Gedanken auch schon fertig gedacht? Wer bitteschön hat zu entscheiden was für Menschenmaterial geraucht wird und welches nicht? Wer entscheidet da was? Und was macht ihr konsequenterweise mit den "unbrauchbaren" Menschen? Raushauen? Entfernen? Vernichten? Verseifen?

Ja, ja, da kommt unsere Gesellschaftsdiskussion und das Argument "Nein, jetzt komm mal nicht mit der Faschismuskeule" usw usf. Vergesst es: ich frage nur ganz konsequent nach: wer entscheidet hier was? Und wenn schon entschieden wird: warum haben dann auch die "guten" Ausländer bei uns keine Chancen? Warum die Negativselektion, die erst Dumpfbacken möglich macht? 
Sternenstaub meinte am 8. Jun, 19:41:
nur ein paar Blogs weiter entdeckt:

http://holyfruitsalad.blogspot.com/2007/06/aufrsten-aus-ratlosigkeit.html

natürlich hab ich auch eine eigene Meinung zu dem Thema und die schließt sich sehr an den Bericht an - auch wenn ich zum Glück keinerlei Übergriffe erleben musste.

Die Ausländerproblematik ist sehr groß und eine Integration hätte viel früher erfolgen müssen und keine Panikmache. Und gerade eine fremde Sprache ist dann schwer zu lernen, wenn die eigene Grammatik nicht gelernt wurde.

Ich wurde in der Schule von einem Lehrer damals sehr darauf geschult, Ausländern nicht mit Vorurteilen zu begegnen und bei dem Wort "Tschusch" ziehts mir jedes Mal noch den Magen zusammen. 
teacher antwortete am 8. Jun, 20:24:
Ich vermute eine totale Ratlosigkeit, wie man das Problem in den Griff kriegen soll. Ich weiß auch nicht weiter, ich sehe bloß in allen einen Menschen.
Aber: Zu viele ausländische Menschen auf einen Fleck muss ich auch nicht haben. 
Sternenstaub antwortete am 8. Jun, 20:48:
tja ich weiß, was du meinst, ich sitz gerade am Balkon und im Innen-Nachbar-hof sind seit ein paar Tagen laute, mir nicht verständliche Gespräche, die bis spät in die Nacht dauern, zu hören. Da merke ich schon, wie ich an meine Toleranzgrenze stoße, wenn ich nur bei geschlossenem Fenster schlafen kann um nicht gestört zu werden - aber Lösungsvorschläge hab ich leider auch keine passablen.

Cool find ich aber, dass du immer wieder solche "hießen" Themen anschneidest ..... - vor allem die Kommentare dazu sind spannend 
teacher antwortete am 8. Jun, 21:01:
Die Themen schreibt mir das Leben in der Schule.
Und ich schreibe sie auch deswegen nieder, weil mich die Kommentare interessieren. Web2.0 - eine gute Erfindung. 
walküre meinte am 9. Jun, 09:45:
Ich bin nach wie vor
der unbequemen Ansicht, dass Eltern die Verantwortung für ihre Kinder innehaben. Wenn ich einem Kind vorlebe, dass ich mich trotz widriger Umstände nicht unterkriegen lasse, wird es diese Schema übernehmen. Wenn ich mich damit begnüge, aggressiv herumzujammern und mich von meiner Umwelt in einem wie auch immer gearteten Ghetto abschotte, wird ein Kind auch dieses Verhalten verinnerlichen. In diesem Fall ist das Problem nicht "die Gesellschaft", sondern es sind konkret die Eltern, und zwar sowohl bei den einheimischen "Dumpfbacken" als auch bei solchen, die aus einem anderen Kulturkreis stammen. 
teacher antwortete am 9. Jun, 16:01:
Ja, natürlich haben die Eltern Verantwortung zu tragen.
Wir können die Eltern weder zwingen noch erziehen. Also wo ansetzen? 
 

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