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cotopaxi

 
Nach einem Symposium brauche ich zwei Tage, um wieder zu Sinnen zu kommen.
Am besten gefiel mir die Einleitung:
"Wir haben bewusst ein Symposium einberufen, weil wir einen akademischen Austausch initieren wollen, keine frontale Belehrung."
Dann startete die frontale Belehrung, gewählte Worte aus habilitiertem Mund. Geballte Vorlesungskraft.
Um das "didaktische Design" zu verbessern, folgten "workshops": Meinungsaustausch der Praktiker.

Drei Tage sind vergangen und meine Ganglien haben das Akademische auf Verständliches heruntergebrochen - voilà die Trends:

1. Von der Prozess- zur Produktorientierung:
D.h. die Lehrer sollten weniger auf den Unterrichtsverlauf, denn auf die Ergebnisse schauen. Was nützt eine gelungene Stunde, wenn nichts davon bleibt.
2. Sustainability = Nachhaltigkeit
Wir sollten nicht für die nächste Prüfung, sondern für ein langes Leben lernen. Wie wahr.
3. Strenge und Konsequenz:
Davon habe ich im "Heute", in "Österreich" oder in sonst einem billigen Druckwerk gelesen (Schnellbahnlektüre, Tschuldigung!)
Aber auch beim didaktischen Symposium sieht man jüngste Literatur, die Lernen als harte Arbeit, Erziehung als seriöse Herausforderung und Unterricht als Profession erkennt.
Die laissez-faire-Kuschelpädagogik ringt um Luft.
4. Bildungsstandards:
Als unerwünschtes Nebenprodukt der zunehmenden schulischen Autonomie haben sich unvergleichbare Abschlüsse ergeben. Ein "Befriedigend" im Maturazeugnis berichtet nur von einem zufriedengestellten Prüfenden in einer Schule. Vergleichbare Bildungsstandards (PISA, OECD, TIMMS ...) drängen sich direkt auf.
"Wer hat etwas zu fürchten?"
"Schlechte Lehrer!"
"Passt!"
tischNr2 meinte am 28. Apr, 21:56:
Ui, ui, ganz was "Neues" kommt da auf uns zu!!! 
teacher antwortete am 28. Apr, 22:09:
Wir "reden" nur mal davon!:-) 
Jochen (Gast) meinte am 29. Apr, 11:51:
Nicht zu fassen
> D.h. die Lehrer sollten weniger auf den Unterrichtsverlauf, denn auf die Ergebnisse schauen. [...]

Und sowas aus dem Munde von "Bildungsforschern", die (falls überhaupt) vor zwanzig Jahren das letzte Mal vor real existierenden Schü... , pardon, natürlich "Lernenden" gestanden sind. Nicht zu fassen. Endlich liege ich mal im Trend ;-) 
teacher antwortete am 29. Apr, 15:34:
Nicht ganz neu, aber gut, die Idee, finde ich. 
Wolfgang (Gast) meinte am 30. Apr, 00:34:
Trends? Oder olle Kamellen?
(Wie sagt man 'olle Kamellen' für Nicht-Piefkes?)
Diese Trends habe ich hier in Baden-Württemberg bereits im dritten Jahr verpflichtend. Manches halte ich für sehr sinnvoll (z.B. Nachhaltigkeit), anderes für warme Luft (Produktorientierung, hieß bei uns auch "nicht vom Input, sondern vom Output her denken").
Die Bildungsstandards sind im Prinzip sinnvoll, aber die Praxis sieht dann doch eher abschreckend aus. Nicht alles lässt sich schön standardisieren und evaluieren, kategorisieren und Pisa-sieren.
Zu fürchten haben sich weniger die Lehrer, schon eher die Schüler. Die (positive) pädagogische Absicht wird in der Praxis häufig durch schulische und finanzielle, durch zeitliche und notentechnische Rahmenbedingungen konterkariert. Einen völligen Bruch mit dem alten System wollte niemand (wäre auch nicht realisierbar gewesen), die angeordneten Änderungen waren (und sind) aber nicht gründlich durchdacht und weit vom Alltag 'normaler' Schulen geplant worden.
Dass das Schulsystem verbessert werde kann und muss, ist nicht die Frage. Ob es zum Nulltarif geht, schon eher.
Ich bin gerne Lehrer, aber ich bin es wegen meiner Schüler, nicht aufgrund der tollen Ideen der Kultusbehörden :-) 
Stef (Gast) antwortete am 30. Apr, 09:40:
z.B. Bildungsstandards
Ich vermute mal, dass in Österrreich etwas ähnliches unter Bildungsstandards zu verstehen ist wie hier in Deutschland.

Nun heißt es nicht mehr, dass ein Schüler "das und das" lernen soll, sondern am Ende der 4.Klasse "das und das" können soll. Prima !

Aber was hat sich dadurch in der Praxis geändert ?!? Nichts. Auch jetzt - mit Bildungsstandards - gibt es Schüler, die das ungefähre Überschlagen im normalen Zeitfenster nicht kapieren ... Was sollen wir Lehrer nun tun ??? "Differenzieren" wird dann gerne gerufen, parallel dazu wird die gemeinsame Grundschulzeit verkürzt, Schülerzahlen angehoben, Vergleichsarbeiten angesetzt, Lehrerstunden erhöht und Förderstunden gestrichen. Praktische Konsequenz: das Hänschen kann's dann doch nicht, bekommt eine Hauptschulempfehlung und gut is! Also - was soll dieser ganze Schmarrn ?!? 
teacher antwortete am 30. Apr, 17:05:
Darf ich in Österreich noch ein bisschen naiv optimistisch sein?
1. Bei uns denken viele Lehrer nur ans Unterrichten. Wenn z.B. Offenes Lernen mit vielen Sinnen etc. passiert, dann sind sie glücklich. Das Ergebnis zählt nicht (oder zu wenig). Das muss man ändern. (Produktorientierung)
2. Unsere Schüler lernen primär für die nächste Prüfung (auch unsere Studenten). Wir müssen Lernen so umgestalten, dass langfristige Ergebnisse erreicht und überprüft werden. (Nachhaltigkeit)
3. Wir müssen in der Öffentlichkeit und in den Klassen wieder klar machen, das Lernen nicht lustvolles Spielen allein ist, sondern dass Lernen stundenlange Arbeit bedeutet (die Spiel und Spaß nicht ausschließt).
4. In Österreich macht jeder LehrerIn und jede Schule praktisch das, was ihr gefällt. Und das prüft sie. Wir brauchen wieder verbindliche Ziele, die objektiv vergleichbar sind.

Soweit die Theorie. Die Umsetzung lässt noch auf sich warten und es wird sicherlich Probleme geben. Aber wir werden Visionen haben, die wir anstreben - jetzt haben wir ein Riesendurcheinander. Und schlechte Ergebnisse. 
Simon Columbus (Gast) antwortete am 1. Mai, 01:01:
Ich kann mal die Erfahrungen hier aus NRW einbringen (wobei ich als Waldorfschüler noch eine extraordinäre Sicht habe). Hier hat sich durch das neueingeführte Zentralabitur und die Lernstandserhebungen die Lage ergeben, dass sich sowohl Lehrer als auch Schüler verunsichert fühlen - es wurde mal wieder schneller gehandelt als gedacht.
An unserer Schule sind die Auswirkungen derart, dass solche Projekte, in denen "für das Leben" gelernt wird, beschnitten wurden. Insbesondere betroffen natürlich individuelle Arbeiten wie die sog. Jahresarbeit, eine Art erweiterte Facharbeit. Diese Auswirkungen wird es auch anderswo geben, denn die landesweite Vergleichbarkeit der Ergebnisse führt dazu, dass umso mehr nur für die Prüfungen gelehrt und gelernt wird.
Ich glaube, den Schülern, der Öffentlichkeit und besonders auch den Eltern klar zu machen, dass Lernen Arbeit bedeutet, reicht nicht. Vielmehr müssen bestimmte Lern- und Arbeitstechniken selbstständiges Unterrichtsthema sein! 
Stef (Gast) antwortete am 1. Mai, 18:11:
Im Übrigen ...
... zweifel ich daran, dass "Lernen kein Spass" wäre. Lernen ist lustbetont und erfordert meine aktive Bereitschaft. Ich _lerne_, wenn _ich_ es will. Sozial völlig verwarloste Kinder _lernen_ die Namen und Fähgikeiten von 300 japanischen Zeichentrickmonstern mit unglaublicher Sicherheit, können sich aber kein Bundesland merken. Das, was keinen Spass macht, ist m.E. stures "büffeln" von "Lernstoff" (Auswendiglernen für den nächsten Test).

Das, was mir Spass macht, was für mich einen Sinn macht, das _lerne_ ich - nicht weil es der Lehrer will ... weil _ich_ es will!

Natürlich klappt (oberflächlich gesehen) auch das "büffeln" (Lernen ohne Spass und Sinn), bei Mädchen besser als bei Jungen, bei Kindern mit gutem Elternhaus besser als bei sozial schwachen, bei ausgeglichenen Schüler besser als bei hyperaktiven etc. - aber echtes Lernen macht immer Lust (nicht _Spass_). Nur leider wollen Kinder, Jugendliche nicht immer das lernen, was in den Stoffverteilungsplänen steht... 
amadea (Gast) meinte am 30. Apr, 22:24:
abschalten
Nichts Neues !
Und wenn ich bei solchen Veranstaltungen sitze, dann schalte ich ab. Genau wie die Schüler wenn der Lehrer labert. 
teacher antwortete am 30. Apr, 22:54:
Lasst mir ein Stück Hoffnung. 
 

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