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cotopaxi

 
Spät nachts ziehe in durch die Bars. Es beginnt zu nieseln und ich klappe zunächst die Kapuze hoch, dann suche ich Unterschlupf in einem Hauseingang.
"Grüß' Sie, Herr T."
"Ahhh ... grüß' Dich."

Zwei Flugstunden von zuhause entfernt holt mich mein Beruf aus den Ferien. Ein ehemaliger Schüler, den ich gut fünf Jahre nicht mehr gesehen habe, erkennt mich mitten im Dubliner Szenviertel Temple Bar und beginnt frisch von der Leber zu erzählen. Wir stehen im irischen Sprühregen und schließen nahtlos an die gemeinsame Vergangenheit an.

Natürlich fällt mir nicht gleich sein Name ein, leider. Aber ich erinnere mich an seine Spleens, an seine außergewöhnliche Vorliebe für teure Parfums, seine betrübt leidende Mutter. Er hat sich kaum verändert, der alte Mädchenschwarm, er schildert mir seinen beruflichen Werdegang, seine Reisen und seine Beziehung zur grünen Insel.

"Schön, dich getroffen zu haben".
Ich freue mich, wenn mich meine Ehemaligen auf der Straße zwanglos ansprechen.

Eine Woche später haste ich in Wien von einer Buchhandlung zur anderen.
"Hallo, Herr T.", fängt mich eine bekannte Stimme mitten auf der Straße, die ich bei rot überquere, ab.
"Neinnnn, Johnny, Du schon wieder? Wie war's in Irland."
"Kalt und hochprozentig. Und bei Ihnen?"
"Regnerisch ..."
Wir tratschen über unsere jüngsten Auslandserfahrungen und hinter uns sperren die Geschäfte zu.

"Also, Johnny, bis dann ... wir treffen uns ja bald wieder."
Breites Grinsen.

Das Gute an diesen Zufällen?
Von meinen tausenden SchülerInnen sprechen mich ausschließlich jene an, die mich schon als Lehrer gemocht haben. Sympathie beruht auf Gegenseitigkeit - und überdauert. So erkläre ich mir den Mythos von der "guten alten Zeit": Es melden sich nur die Guten - und das ist gut so.

Beim Durchlesen professionell reflektierend hinzugefügt: Ist das gut so?
image meinte am 8. Jan, 10:48:
also magst du ehemalige schüler oder nicht und magst du sie in der freizeit oder nicht? 
teacher antwortete am 8. Jan, 12:34:
Weil mich nur die sympathischen anreden, mag ich das.
Wenn sich jemand "unauffällig" verdrückt, denke ich mir, dass es dafür Gründe gibt.

Ich bin ein kommunikativer Mensch (das sollten Lehrer auf jeden Fall sein) und denke, dass wir in der westlichen Gesellschaft viel zu wenig aufeinander zugehen.
Aber: Nicht bei allen Gelegenheiten möchte man gestört oder beobachtet werden. Taktgefühl einbringen, bitte. Wie bei den anderen Stars (hihi). 
tyndra (Gast) meinte am 8. Jan, 12:55:
sowieso ist das gut so! es ist eine bestätigung, eine auszeichnung, fast ein adelstitel :-)

wenn ich mal von mir selber ausgehe: ich spreche direkt nur die lehrerInnen an, die ich gut fand. das sind ohnehin nur ganz, ganz wenige. alle anderen versuche ich so gut wie möglich zu übersehen.

apropos dublin: ich werde im mai dort ein paar tage verbringen und ergreife deswegen diese gelegenheit beim schopf: was hat dir dort besonders gefallen? 
teacher antwortete am 8. Jan, 14:07:
So ähnlich empfinde ich das ... und freue mich. Und ich halte es auch so: Nur die Sympathischen verdienen meine private Zeit.

@Dublin: Viel Geld für die (teuren) Pubs mitnehmen. Wer die Lokale der Temple Bar meidet, spart Geld aber versäumt das intensive Nachtleben. Vorsicht, ab einer gewissen Alkoholgrenze (ab ca. 23.00 Uhr wird die Stimmung gereizter, gewaltbereiter). Die kleinen Hotels (B§B) um den Bahnhof sind günstig, sonst ist das Wohnen eng, zugig und teuer.
Lustig: Besuch bei der Brauerei Guinness: Eintritt ca. 15 Euro (kann man sich sparen, wenn man einfach an der Schlange vorbei marschiert), schöne Aussicht von oben über die Stadt. Genaue Info für Bierfreunde, aber keine Führung durch die Brauerei.
Skurril: Kaffeehaus oder Supermarkt in ehemaligen Kirchen
Höhepunkt: Trinity College, Uni.
Empfehlenswert: Bus nach Belfast, Tagesausflug (Bus jede Stunde vom Busbahnhof 18 Euro hin und retour)
Lieblingsgegend: St.Stevens Green

Detailfragen? 
tyndra (Gast) antwortete am 9. Jan, 09:39:
detailfragen? klar :-)

vom tagesausflug nach belfast bin ich überrascht - ursprünglich stand bei mir nämlich belfast am programm, wurde aber wegen absurdem flugplan wieder verworfen. wie lange dauert die busfahrt nach belfast? was hast du dir dort angesehen / gemacht? oder andersrum: was ist möglich, in ein paar stunden?

st. stevens green ist sowas wie die london parks? bestimmt im mai schon recht einladend zum picknicken. or whatsoever. :-)

deine beschreibung bestätigt meine vorfreude auf dublin. besonders das trinity und die schrägen locations stehen fix am plan. danke fürs aufschreiben! 
teacher antwortete am 9. Jan, 14:58:
Dublin - Details:
Busfahrt nach Belfast ca. 2,5 Stunden je Strecke (manche Busse verlassen die Autobahn und fahren in die Dörfer, dann dauert es ca. 3 Stunden).
Die Busse kommen im Zentrum von Belfast an, in 5 min. ist man beim Rathaus (Zentrum), in einem halben Tag sieht man das Wichtigste. Ich wollte in die Docks (da entsteht rund um die Titanic-Docks ein neues Zentrum, gerade im Umbau), die alte Innenstadt ist recht belebt und übersichtlich, kleiner und menschlicher als Dublin, dann wollte ich wieder den s. schönen Uni-Campus mit dem Botan. Garten sehen.
Mich hat auch der Konflikt zw. irisch-kathol. und britisch-protestan. Viertel interessiert, deshalb bin ich auch in den Vororten (+Graffiti etc.) herumgestreift.
Zahlt sich aus, wenn man 1 Tag frei hat.

St.Stevens ist ein klass. Park mit schöner Ensemble-Bebauung herum, nahe dem Regierungsviertel. 
tyndra (Gast) antwortete am 10. Jan, 07:08:
genau dieses irisch-protestantische spannungsfeld möchte ich auch erkunden und nachspüren. es entzieht sich meiner vorstellungskraft, wie tief gräben wegen der religion sein können.

ich danke dir sehr dafür, dass du dir die zeit genommen hast, reiseführer zu sein (-: 
teacher antwortete am 10. Jan, 09:10:
No problem.
Wenn Du beim Busbahnhof nicht durch die Einkaufspassage in die Stadt gehst, sondern den Hinterausgang nimmst, stößt Du gleich auf riesengroß gesprühte Hinweisschilder, dass diese Gegend protestantisch beherrscht wird! 
 

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