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cotopaxi

 
"Danke, Frau Minister!" höre ich gehäuft in letzter Zeit.

Die erste Stunde wäre (früher) ausgefallen, der Lehrer ist mit einer anderen Klasse im Englischen Theater. Ersatzweise steht (jetzt) ein Geographiekollege im Raum und zählt 13 Fehlende. 12 davon kommen erst in die zweite Stunde, einer dürfte richtig krank sein.
Der Lehrer kennt die Klasse nicht, die Klasse den Lehrer auch nicht, Englisch können sie beide nicht ... und die halbe Mannschaft schläft sich aus. Ein Anwesender spricht seine Fadesse aus: "Danke, Frau Minister."

Theorie: In Österreich darf keine Unterrichtsstunde ungenützt verloren gehen.
Praxis: Sie oben.

Mich erwischt es auch. Der Mathematiklehrer hat irgendwo eine dreistündige Schularbeit, ich darf statt ihm in die Klasse marschieren. Sie haben natürlich keine Schulsachen mit, sie wollen mit mir nicht erzwungenen, unzusammenhängenden Zufallsunterricht gestalten. Mein Ausweg: "Ich habe den 2. Computersaal reserviert, ihr arbeitet an euren Spezialgebieten weiter."
"O.K."
Die Maschinen fahren hoch, einloggen, lossurfen.
Nach zehn Minuten mache ich eine Kontrollrunde durch die flimmernden Monitorreihen. Drei von 18 arbeiten.
Was sehe ich auf den übrigen Bildschirmen?

1. Videos gucken: Youtube, Metacafé & Co.
2. Singelbörsen abchecken: "Schau, die Blonde da wohnt ganz in meiner Nähe!"
3. Onlinespiele: Rechts vorne tritt gegen linkshinten. Bumm, krach.

Soll ich bei Siebzehnjährigen einschreiten? Mahnen? Drohen? Zureden?
Unser Schulsystem gibt mir keinen Anlass dazu. Die Schüler wissen, dass nichts geprüft wird, was in den "Freistunden" unterrichtet wird. Die Lehrer bekommen nichts dafür bezahlt. So viel ist es auch wert: Nichts für nichts, so funktioniert Marktwirtschaft, Frau Minister.
Nachtblau meinte am 14. Dez, 19:25:
Schade dass es zu meiner Schulzeit das Internet noch nicht so richtig gab :) 
teacher antwortete am 15. Dez, 11:57:
Man ist nie zu alt für eine unbeschwerte Jugend! 
Nachtblau antwortete am 15. Dez, 13:33:
Ja schon, aber die sog. "Freistunden" (Stunden in denen man von einem Lehrer beaufsichtigt wird, aber nix macht) hätten lustiger sein können 
teacher antwortete am 15. Dez, 15:15:
Also ich hatte "Bravo", Andrea (Sitznachbarin) und Würfelpoker. Das reichte für viele Stunden. 
Budenzauberin meinte am 14. Dez, 20:30:
Man merkt den Unterschied zwischen Ihrem und unseren Schulsystem kaum. 
teacher antwortete am 15. Dez, 12:01:
Deutschland und Österreich unterscheidet bekanntlich nur die Sprache :-) 
Alex (Gast) meinte am 15. Dez, 09:55:
herrlich, herrlich
Sie schreiben das so lustig..., ich könnte mich zerkugeln...

Manchmal weiß ich nicht, ob ich Sie beneiden oder bemitleiden soll.

Habe gestern Besuch von meinem 15jährigem Neffen und seinem besten Kumpel gehabt, und bin jedesmal wieder baff, mit welcher Freude und Begeisterung der größte Blödsinn angestrebt wird.
Dann fühle ich mich immer dazu verpflichtet den Zeigefinger zu erheben, und meine gesamte, in 38 Lebensjahren erworbene Expertise in die Waagschale zu werfen, um "der Jugend" mitzuteilen wo die wirklichen Werte zu finden sind, aber gottseidank erinnere ich mich dann, kurz bevor ich mich völlig lächerlich mache, daran, dass ich eigentlich genauso drauf war, und statt der großen Rede, sage ich dann sowas, wie "Tja, ich weiß es auch nicht Jungs, ich sehe ihr seid gut drauf, und das ist gut so."

Worte sind so oder so nur Schall und Rauch, und Vorbild kann nur sein, wer authentisch ist. Besser ich bin ein authentischer Versager, als ein verkrampfter Verantwortungsträger. *lol*

Bis bald, und weiter so! 
teacher antwortete am 15. Dez, 15:25:
Diese Entscheidungen muss ich auch immer treffen. Beruflich tendiere ich dann zum Verkrampfen, privat zum Versagen.
*auchlol* 
cheridwen meinte am 15. Dez, 12:32:
Meine Kinder berichten auch immer wieder von derartigen mehr oder weniger sinnlosen Supplierstunden. Lehrer, die irgendwelchen Stoff durchzunehmen versuchen, stehen dabei ganz oben auf der Unbeliebtheitsskala der Kids. Meistens läuft es darauf hinaus, dass sich die Kinder irgendwie selber beschäftigen sollen - so nach dem Motto: "Ihr könnt machen, was ihr wollt, solange ihr dabei ruhig seid und keinen Ärger macht." Oder es werden irgendwelche Filme geschaut, die meistens eh keinen interessieren. So viel zum Nutzen der "Frei"stunden. 
teacher antwortete am 16. Dez, 14:23:
Bitte die Kids viel loben - sie berichten die Wahrheit aus der Schule.
Laut unserem Innenjargon verwenden wir diese Stunden bestenfalls für "Soziales Lernen" - unterhaltet euch sinnvoll, spielt, esst, trinkt, entspannt ... 
 

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