"Das schaut ja schon krank aus!"
Sagt die vollschlanke Freundin zur voll erschlankten Freundin.
"Kennt ihr das Hauptproblem des Wellnesstrends?" frage ich rhetorisch in die Klasse.
Und gebe gleich die Antwort: "Rund die Hälfte der Frauen vermeidet öffentliche Bäder!"
Gedankenpause.
"Und warum?", schiebe ich hinten nach.
"Wegen ihrer Figur!", wissen sie alle.
"Mädels! Die Männer sehen das lang nicht so tragisch. Ihr seid zu kritisch, ich mein', zu selbstkritisch.
So was hilft gar nicht, niemanden. Nicht sofort.
Das voll erschlankte Mädchen erholt sich nicht von der giftigen Ansage ihrer besten Freundin und kommt in die Sprechstunde. "Warum sagt sie so was?", schüttet sie ihr Herz aus. Den Tränen nahe: "Und dann fragt mich noch der V. [Professor V.], ob ich Bulimie habe!"
Ernst, tragisch, selbstkritisch schaut sie auf ihren postpubertären Körper.
"Zuhause kontrollieren sie mein Essen. Damit ich ja genug Kalorien schlucke!"
Natürlich könnte ich sie zur Schulpsychologin schicken, also ihre Krankheitsangst verstärken. Irgendeine Kummernummer aushändigen und sie zum anonymen Fall degradieren. Sorgenvoll die Stirn runzlen, die Stimme dämpfen und auf aktives Zuhören schalten, könnte ich auch.
Aber ich setze auf Dedramatisierung und persönliche Unterstützung.
"Ich will mal' ganz ehrlich sein. OK? ... Du hast in den letzten zwei Jahren deinen Babyspeck abgeworfen, du hast jetzt - und ich sage das nicht so leichtfertig - eine Superfigur."
Sie blickt mir aufgeschreckt in die Augen.
"Und ich kann dir auch sagen, warum deine Freundin von krankem Aussehen faselt ... hast du nicht selbst einen Verdacht?"
Sie schüttelt den Kopf.
"Vielleicht ist es Neid, Eifersucht ... schau sie an, ihre Figur, sie beneidet dich!"
"Ich versteh' nicht, warum sie so viel hineinstopft! Ich könnte das nicht", pflichtet sie mir bei.
Mit solchen Aussagen lehnt sich der Lehrer weit aus dem Fenster. Ich könnte auf Nummer sicher gehen, sie zum Krankheitsfall erklären und abservieren. Aber sie vertraut mir als akademisch geschulten Pädagogen und als erwachsenen Mann mit Erfahrung und Augen im Kopf. Vielleicht sogar als guten Bekannten, als kompetenten Menschen.
Wir reden fast eine Stunde - ein auskunftssuchender Vater verzweifelt vor der Sprechzimmertür - und am Ende reicht sie mir erleichtert und lächelnd die Hand.
Ich hoffe, das Richtige getan zu haben. Ich werde das Mädchen im Auge behalten, versteckt ihr Lächeln kontrollieren. Aber die Unsicherheit begleitet mich nach Hause.
Voilà, da sitze ich und schreibe und denke und überlege ...
Sagt die vollschlanke Freundin zur voll erschlankten Freundin.
"Kennt ihr das Hauptproblem des Wellnesstrends?" frage ich rhetorisch in die Klasse.
Und gebe gleich die Antwort: "Rund die Hälfte der Frauen vermeidet öffentliche Bäder!"
Gedankenpause.
"Und warum?", schiebe ich hinten nach.
"Wegen ihrer Figur!", wissen sie alle.
"Mädels! Die Männer sehen das lang nicht so tragisch. Ihr seid zu kritisch, ich mein', zu selbstkritisch.
So was hilft gar nicht, niemanden. Nicht sofort.
Das voll erschlankte Mädchen erholt sich nicht von der giftigen Ansage ihrer besten Freundin und kommt in die Sprechstunde. "Warum sagt sie so was?", schüttet sie ihr Herz aus. Den Tränen nahe: "Und dann fragt mich noch der V. [Professor V.], ob ich Bulimie habe!"
Ernst, tragisch, selbstkritisch schaut sie auf ihren postpubertären Körper.
"Zuhause kontrollieren sie mein Essen. Damit ich ja genug Kalorien schlucke!"
Natürlich könnte ich sie zur Schulpsychologin schicken, also ihre Krankheitsangst verstärken. Irgendeine Kummernummer aushändigen und sie zum anonymen Fall degradieren. Sorgenvoll die Stirn runzlen, die Stimme dämpfen und auf aktives Zuhören schalten, könnte ich auch.
Aber ich setze auf Dedramatisierung und persönliche Unterstützung.
"Ich will mal' ganz ehrlich sein. OK? ... Du hast in den letzten zwei Jahren deinen Babyspeck abgeworfen, du hast jetzt - und ich sage das nicht so leichtfertig - eine Superfigur."
Sie blickt mir aufgeschreckt in die Augen.
"Und ich kann dir auch sagen, warum deine Freundin von krankem Aussehen faselt ... hast du nicht selbst einen Verdacht?"
Sie schüttelt den Kopf.
"Vielleicht ist es Neid, Eifersucht ... schau sie an, ihre Figur, sie beneidet dich!"
"Ich versteh' nicht, warum sie so viel hineinstopft! Ich könnte das nicht", pflichtet sie mir bei.
Mit solchen Aussagen lehnt sich der Lehrer weit aus dem Fenster. Ich könnte auf Nummer sicher gehen, sie zum Krankheitsfall erklären und abservieren. Aber sie vertraut mir als akademisch geschulten Pädagogen und als erwachsenen Mann mit Erfahrung und Augen im Kopf. Vielleicht sogar als guten Bekannten, als kompetenten Menschen.
Wir reden fast eine Stunde - ein auskunftssuchender Vater verzweifelt vor der Sprechzimmertür - und am Ende reicht sie mir erleichtert und lächelnd die Hand.
Ich hoffe, das Richtige getan zu haben. Ich werde das Mädchen im Auge behalten, versteckt ihr Lächeln kontrollieren. Aber die Unsicherheit begleitet mich nach Hause.
Voilà, da sitze ich und schreibe und denke und überlege ...
teacher - am Donnerstag, 30. März 2006, 18:45
lillybet meinte am 30. Mär, 22:49:
und sie tun das richtige, mr. teacher.
ich weiß aus eigener erfahrung....mit mittlerweile 31 jahren stehe ich seit ca. 20 jahren immer mit einem bein in der magersucht oder bulimie oder whatever, dass es einen nur irre macht, wenn man merkt, dass man kontrolliert wird. sie tun es trotzdem, sie kontrollieren, aber mit augenmaß und versuchen zu vermeiden, dass das mädchen - so es jetzt gesund ist - in eine essstörung abrutscht. gut, dass es solche lehrer gibt.ich selbst musste vor einigen monaten sogar eine woche lange einen ernährungsplan führen, damit ich beweisen konnte, dass ich nicht essgestört bin.
das problem ist, ich bin mir selber gar nicht so sicher, dass ich es nicht DOCH bin.
zweifelnde grüße einer längst nicht mehr postpubertären aber nichts destotrotz manchmal vom selben kummer geplagten.
teacher antwortete am 31. Mär, 12:48:
Ich bin aufrichtig froh über diese Zustimmung.Ich hatte nämlich auch das Gefühl, dass das betroffene Mädchen verunsichert ist, ob sie nicht doch krank ist. Ich möchte ihr die Bestätigung geben, dass sie mit ihrer Figur gut aussieht und keinen Grund hat, daran etwas zu ändern.
Ich selbst bin aber genau so unsicher und möchte nicht das Falsche tun (Spruch: wie man es macht, ist es verkehrt).
P.S. Sie ist ein sehr nettes, schlaues Mädchen, die einige familiäre Probleme zu bewältigen hat und jetzt mit diesem gut sichtbaren Nebenschauplatz Aufmerksamkeit anzieht. Somit bin ich weitgehend machtlos, ich möchte zumindest ein ansprechbarer Ruhepol für sie bleiben - sie ist es mir wert.
energy_7 (Gast) meinte am 31. Mär, 09:09:
ich hab' auch die Erfahrung
gemacht, dass das Ansprechen in vielen Fällen direkt eher negativ wirkt und genau das Gegenteil davon als sehr entlastend empfunden wird. Allerdings kenne ich mich mit der Thematik noch zu wenig aus (auch wenn ich schon 3 Fachbücher dazu eingebunkert habe, aber ich derzeit an etwas komplett anderem dran, inhaltlich). Ich hab' aber gehört, dass es sehr oft dabei auch um sehr belastende Beziehungen innerhalb der Familie geht (nicht immer, aber oft), insbesondere Beziehung zur Mutter bei Frauen. Aber ich kenne persönlich auch einen ganz anderen Fall, doch darüber darf ich nichts schreiben. Man darf nicht vergessen, dass bei der Essbrechsucht die schlechten Gefühle ja mehr oder weniger gegen sich selbst gerichtet sind, denn man verletzt sich ja selbst damit und trägt es nicht so sehr nach aussen. Daher leiden auch so viele Frauen oder Mädchen darunter, da sie Rollenklischeebedingt so erzogen wurden - ob von Familie oder Gesellschaft, ist in dem Fall egal...
teacher antwortete am 31. Mär, 13:00:
Exakt, die Mutter-Tochter-Beziehung dürfte hier im Vordergrund stehen, aber das Modelimage und die Schönheitszwänge spielen mit. Sie kennt die Gründe ihrer Probleme und spricht sie auch an, aber sie ist überfordert, die schulischen Ansprüche mit den familiären und ihren eigenen persönlichen zu bewältigen. Abnehmen als Hilfeschrei. Sie hat aber ein intaktes Gesprächsverhältnis zu Eltern, Freunden, Lehrern etc. und braucht primär Bestätigung, deswegen möchte ich sie nicht zur Therapie "abschieben".
Nachtblau antwortete am 31. Mär, 14:06:
Wenn das was du jetzt schreibst der Wahrheit entspricht, wäre das Mädchen aber ein typisches Beispiel für Magersucht. Mit der Bewältigung von schulischen, familiären etc Problemen hat sie Schwierigkeiten, also sucht man sich ein Betätigungsfeld, wo sie wirklich alles selbstständig unter Kontrolle haben kann, und das ist das Gewicht, wenn sie nix isst nimmt sie ab, wenn sie was isst nimmt sie zu.
teacher antwortete am 31. Mär, 14:44:
Widerspricht sich das nicht? "Sucht"-Gefahr würde ich hier nicht vermuten, weil sie es ja unter Kontrolle hat. Ausserdem überlagert sich hier die allmähliche Gewichtsreduktion, um ihr Idealgewicht zu finden (sie war vor 2 Jahren noch mollig).
lillibet (Gast) antwortete am 31. Mär, 19:23:
aufpassen muss man schon.
da geb ich frau lichtblau recht. vorsicht ist angebracht. wenn sie familiäre, schulische oder was auch immer für probleme über die ernährung und das essen austrägt, sollte man dranbleiben. aber wie gesagt - mit maß und ziel - denn sonst bewirkt man schnell das gegenteil und das mädel verschließt sich wie eine auster. es ist schön, dass sie in ihnen eine vertrauensperson hat. ich hatte das während meiner schulzeit nicht, ja nicht einmal heute. das ist, denk ich mal, sehr wichtig. und solange sie offen bleibt und bereit ist zu reden, ist das sicher nicht das schlechteste zeichen.krass, womit sich lehrer heute auseinander setzen müssen. ob da die uni gut drauf vorbereitet?
teacher (Gast) antwortete am 1. Apr, 21:13:
Ich kritisiere die Lehrerausbildung gerne und heftig - aber hier wäre auch die allerbeste pädagogische Uni überfordert. Falls es sich nämlich um ein Krankheitsbild handelt (ich will es nicht annehmen), dann sind dafür medizinisch-psychologische Spezialisten zuständig. @ Vertrauensperson: Ich unterrichte das Mädchen seit vielen Jahren in unterschiedlichen Fächern. Ich war mit der Klasse auf Sprachintensivwoche, wir haben viele gemeinsame Veranstaltungen mitgemacht - da lernt man einander (gezwungenermaßen) ziemlich gut kennen. Kartenspielen, Shoppen, Fotos austauschen, Texte lesen und verbessern ... oft unternimmt (spricht) so ein Lehrer mehr mit den Kindern als die Eltern. Das sollte man nicht unterschätzen!
energy_7 (Gast) antwortete am 1. Apr, 23:46:
das kann' ich nur unterschreiben:
"oft unternimmt (spricht) so ein Lehrer mehr mit den Kindern als die Eltern. Das sollte man nicht unterschätzen! ". Das kommt nicht nur im Club der toten Dichter 'rüber (wenn auch poetisch und in 99 % der Fällen nicht wahrheitsgemäss), aber es gibt sie noch, die netten Lehrer, bzw. die Funktion einer erwachsenen Bezugsperson, von der man lernen kann, als eine Art "Elternersatz". Auf der einen Seite traurig, dass es so weit kommen muss, auf der anderen Seite bin ich dankbar für Menschen, die das (sich) noch (an)tun, ein bisschen "persönlich" zu nehmen (trotz des gegebenen und notwendigen Abstands). Abgesehen davon bin ich aber ohnehin der Meinung, dass man von so gut wie jedem Menschen etwas lernen kann (sogar von Kindern, manchmal) und die Erfahrung zeigt ohnedies dass natürlich Jugendliche ohnehin eher wenig zu ihren Eltern gehen als zu Freunden oder anderen, vertrauensvollen Menschen. Umso besser, wenn das halbwegs gute Vorbilder sind (perfekte Menschen gibt es ohnedies nicht). Und natürlich sind da die erwachsenen oder etwas erfahreneren Vorbilder erwünschter (kann auch ein älterer Freund oder eine ältere Freundin sein oder ältere, jugendliche Verwandte wie Geschwister oder Cousins, etc...). Lernen am Modell, ganz einfach. Was das Unterrichten selbst betrifft, so kenne ich mich natürlich so gut wie überhaupt nicht damit aus, weil nicht mein Fachgebiet, ausser die paar Male in denen ich selbst unterrichtete, oder Gruppen leitete. Ich denke, mit dem Unterrichten, wie mit dem Helfen, oder Kochen oder Sprachen Lernen ist es ähnlich: Die meiste Erfahrung + die grössten Lernfortschritte macht man in der Praxis. So lernt man, was man anwenden kann und was nicht und dass nicht jede Situation gleich ist. Möglicherweise sollte ich auch in die Politik gehen - nun habe ich viel geschrieben und doch nicht viel gesagt *gg*. Aber im Hintergrund läuft ein spannender Film - gn8 ^^ !
teacher antwortete am 2. Apr, 17:56:
Musste beim Lesen lachen - das Ende war so selbstkritisch realistisch, wie ich es bei ehrlichen Schülern so mag.War der Film OK?
energy_7 (Gast) antwortete am 2. Apr, 18:14:
*g*
ja, der Film war o.k. ;-). Altbekannt und dämlich (star wars, episode 4 auf DVD "Nein...., ich BIN dein Vater !" ^^ ;-) ), aber seeeeehr unterhaltsam (as usual).
energy_7 (Gast) meinte am 31. Mär, 21:35:
Das Internet ist wie immer ein sehr hilfreicher Fundus,
um sich teilweise weiterzubilden und teure Bücher zu sparen, falls du was lesen magst/musst zum Thema Essstörung, teacher:http://www.bleibfit.at/magersucht.phtml
http://www.studentenberatung.at/themen/persprobleme/esstoerungen.html
liebe Grüsse, viel Erfolg und keine Angst, energy_7
.
p.s.: Ich schliesse mich den Vorgängerinnen an, dass man da schon dranbleiben muss (gerade die Verleugnungsrate ist bei Essstörungen sehr hoch, das weiss ich, was die Problematiken betrifft, aber wenn das Figurproblem noch nicht so gravierend ist, dann ist das schon gut... nur Vitaminmangel durch sofortiges Ausscheiden etwa und dergleichen kann auch (natürlich auch auf schulische) Leistungen aller Art erhebliche Folgen haben)). Und ja, es ist toll, wenn es eine Bezugsperson gibt. Und nein, Lehrer werden leider psychologisch nicht so sonderlich gut gebildet, ist beinahe eher so eine Art Begabungsfrage. Unser teacher ist da GSD gut unterwegs. Weiter so.
teacher antwortete am 1. Apr, 20:31:
Danke für die links. Besonders wichtig war die Erinnerung, die verschiedenen Formen von Magersucht/Essstörungen zu unterscheiden.P.S.: Ich hoffe immer noch, mit keiner davon konfrontiert zu sein!
energy_7 (Gast) antwortete am 1. Apr, 23:49:
you're welcome!
Ich hoffe auch, dass es das nicht ist für das Kind, doch ein bisschen heimlich beobachten kann nicht schaden ;-). gn8!