steppenhund meinte am 18. Feb, 23:23:
Für und wider
Also diesen Beitrag mag ich ganz besonders. Das ist Räsonieren auf hohem Niveau, wobei ich auf den ersten Blick gar nichts entgegenhalten kann. Die Aufzählung der Punkte 1-6 finde ich sehr systematisch und auf den ersten Blick durchaus überzeugend. Leider gibt es dabei ein paar Punkte, die ich nur bestätigen kann,trotzdem sehe ich einiges ein bisschen optimistischer und möchte aus diesem Grund dazu Stellung beziehen.ad 1) Vision. Dies ist leider nur zu leicht bestätigbar. Ich spreche öfters mit einem ehemaligen Lehrer, der heute an der Uni liest. Bei all seiner Begeisterung stellt er fest, dass im Unterrichtssystem nichts zu machen sei, wenn noch nicht einmal die Begriffe Bildung und Ausbildung eindeutig und übereinstimmend belegt werden können. Meine eigene Vision ist da eher utopisch und nicht übergreifend durchführbar, auch wenn meine Kinder sie in der Waldorfschule einigermaßen vorgelebt bekommen haben. Nach meiner Meinung hat die Schule nur zwei Ziele zu haben: 1) Das Lernen beibringen, 2) die Neugier schüren - möglichst in allen Fächern. Das ist möglich, wie ich nicht nur bei mir beobachten konnte. Es ist alles interessant, es hängt nur davon ab, wie beseelt der Lehrer von seinem Fach ist und wie weit er einen bestimmten pädagogischen Grundlevel erreicht hat. (Leicht ist es nicht, das gebe ich zu.)
ad 2) Die Kommunikation sollte eigentlich nicht das Problem sein, sobald ein Mangel derselben erkannt ist. Ich kann mir vorstellen, dass bei den Lehrern der Generationenkonflikt allerdings eine große Rolle spielt. Wie soll jemand, der abgeklärt und/oder frustriert ist, mit jemanden der noch originären Missionsgeist mitbringt, kommunizieren wollen. Vermutlich sind die meisten Lehrer Abstinenzler, sonst könnte man solche Differenzen ja bei einem Glas Wein oder Bier klären.
ad 3) Skills: Meine Lehrveranstaltung läuft heuer aus. Ein paar Diplomanden müssen noch die Vorlesung besuchen, weil sie Pflichtfach ist. Das heißt, ich werde die Vorlesung nicht mehr überarbeiten, was ich ursprünglich vorhatte. Nächstes Jahr wird die gleiche Vorlesung im Masterstudium angesiedelt sein und ich habe die Freiheit, ein paar Inhalte mehr nach meinen Ideen auszurichten. Eigentlich komme ich mir schon ein bisschen überwuzelt vor, wenn ich die gleiche Vorlesung über 5 Jahre halte. (Obwohl der Stoff durchaus noch hält.) Ich drücke das jetzt einmal ein bisschen polemisch aus: wenn jemand ein Fach unterrichtet, sollte er dieses Fach lieben. LEBENSLÄNGLICH. Das heißt, dass er oder sie nie aufhören sollte, sich hinsichtlich der Skills in dem Fach als auch der pädagogischen Skills weiterzubilden. Skills liegen im Verantwortungsbereich des Lehrenden. Auch wenn es unfair klingt. Aber die Belohnung besteht darin, dass man "seine eigenen" (das Fach, dass man liebt) Inhalte weitervermitteln kann. Ich kann daher Mangel an Skills nicht als Gegenargument gelten lassen.
ad 4) Tools: da widerspreche ich vehement, wenn ein Mangel bei Tools beklagt wird. Das größte und beste Tool sitzt zwischen den Ohren und dieses heißt es zu schulen. (Diese Meinung vertrete ich auch in meinem Beruf (EDV), wenn ich gefragt werde, welches das beste Tool für eine bestimmte Aufgabe ist. Ich pflege zu sagen: Papier und Bleistift.) Lange bevor Tools verwendet werden, ist es notwendig, das Problem zu behirnen. Für eine Kurvendiskussion benötige ich keinen Taschenrechner. Für den Sport reicht ein Ball und eine Wiese. Für ein Sprachstudium reicht ein "native Speaker", den man sich meistens leichter beschaffen kann, als irgendein teures Tool. Tools sind nett, aber die Anzahl der Stunden, in denen wir einen Film gezeigt bekamen, kann ich an einer Hand abzählen. Entsprechende Baukästen für den Physik- oder Chemie-Unterricht könnte man zur Not über den Elternverein organisieren. Es gibt soviel fantastische Lehrbaukästen, die weitaus mehr Gutes tun könnten, als irgendeine teure Demonstrationsinstallation.
ad 5) Die Lehrer haben ein zu schlechtes Image und verdienen zu wenig. Da gibt es wenig dazu zu sagen. Mehr Geld wäre angebracht, aber auch Eignungsprüfungen, ob ein Lehrer überhaupt das pädagogische Zeugs fürs Lehren hat.
Wenn ich zuwenig verdiente, wäre das allerdings kein Grund, meine Skills nicht weiter auszubilden. Schließlich habe ich mir meine Fächer gewählt.
ad 6) Vermutlich hängt die Unfähigkeit, einen Aktionsplan zu erstellen, am ehestens an der mangelnden Kommunikationsgbereitschaft und dem Fehlen von Visionen. Da nehme ich die Lehrer vollkommen aus der Pflicht. Ohne eine abgestimmte Vision und daraus ableitbaren Strategien lässt sich auch kein Aktionsplan erstellen. Da steht jeder auf verlorenen Posten.
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Fazit: wirklich entgegenhalten kann ich der Grundaussage nichts, auch wenn ich beim Punkt 3 und 4 der Meinung bin, dass da die Lehrer mehr machen könnten. (Und das noch nicht einmal für die Schüler und eine bessere Welt - sondern für sich selbst!)
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Anregung: was möglicherweise machbar ist: Projektunterricht, bei dem die Schüler selbst den Lehrstoff vortragen und dieser dann in der Diskussion erarbeitet wird. Mir fällt momentan nicht einmal der Namen der Methode ein, ich glaube, sie wurde von Niederländern propagiert. Ich habe sie einmal bei einem Vortrag hinsichtlich Fernunterricht vorgestellt bekommen und da hat sie mir ausgezeichnet gefallen. Wäre etwas Neues.
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Anmerkung: von e-Learning halte ich im Jugendlichenbereich nichts. (Bei Erwachsenen sieht das anders aus.) Der Mensch - sprich der Lehrer als Mensch - spielt eine der wesentlichsten Rollen im Unterricht. Und ich sage dass in Erinnerung daran, dass ich einmal eine E-Learning Plattform einsetzen sollte und damals voll begeistert war.
rip (Gast) antwortete am 19. Feb, 01:14:
Unterricht durch Schüler
Bei dem Unterricht, den Schüler selbst durchführen, meinst du vielleicht "Lernen durch Lehren" (LdL), eine von Jean-Pol Martin entwickelte Methode (die sowohl eine Methode als auch eine Grundhaltung ist). Hierfür gibt es seit kurzem ein neues, sehr aktives Forum, in dem sowohl LdL-Profis als auch -Anfänger diskutieren, u. a. auch Martin selbst. Sehr zu empfehlen: http://ldl.mixxt.de/Zu teachers Text: Hab ich gern gelesen, und das Wort "Akzeptanzmanagement" gefällt mir auch. Ich muss nur widersprechen, was die Motivation zur Änderung eingefahrener Gewohnheiten angeht: Wenn man selber merkt, dass die Schüler mit dem 08/15-Programm nichts anfangen können, dann muss es dem Lehrer doch ein Anliegen sein, etwas zu verändern. - Voraussetzung ist natürlich, dass die Lehrkraft es merkt ... und dass ihr genügend an den Schülern und deren Lernerfolg gelegen ist, um sich einen Ruck zu geben und aktiv(er) zu werden.
teacher antwortete am 19. Feb, 08:41:
LdL gefällt mir auch, ich praktiziere es streckenweise. Aber es ermüdet schnell, ich bin selten mit den Ergebnissen zufrieden (Motto: "Ich hätte das besser gekonnt, ich habe es einen uniformierten Laien machen lassen.")@steppenhund: Danke für die umfassende Rückmeldung. Gerade bei den Tools bin ich ganz anderer Meinung, weil ich meinen Schwerpunkt im Bereich Neuer Medien setze. Ohne Tools gibt es keine E-Learning - und das hat im Web2.0-Zeitalter sehr viel Charme und Potenzial: podcasting, blogs, Video machen, Wikis ... yummi-yummi!
steppenhund antwortete am 19. Feb, 11:52:
@teacher
Das LdL sehr ermüdend für den Verantwortlichen ist, leuchtet ein. Man kontrolliert nicht nur die Lernenden sondern auch den Lehrenden. Sich selber kontrolliert man, während man selbst unterrichtet, vermutlich nicht so kritisch, weil man das "Alibi" des Beschäftigtseins vorweisen kann. (Ich kontrolliere mich nur selbst indirekt, in dem ich aufpasse, ob ich noch die Aufmerksamkeit der Zuhörenden habe.)Was die Tools angeht, kann ich die Begeisterung zwar gut verstehen, aber doch nicht ganz teilen.
Nehmen wir einmal an, die Kinder hätten alle Laptops. (In meinen Vorlesungen ist das so und ich pflege regelmäßig zu fragen, was gerade so erheiternd ist, um zu beweisen, dass ich es mitkriege, wenn die Studenten surfen. Anzahl ca. 20. In der Regel passen sie aber auf und kommen sogar am Samstag pünktlich.) Defakto muss man bei einer Klasse mit PCs (z.B. Übungsklassen) nicht frontal sondern rektal:), nein von hinten unterrichten, damit man die Bildschirme im Auge behalten kann.
Was würde ich bevorzugen? Einen Rechner und einen Beamer. Abwechselnd dürfen dann auch die Schüler ans Gerät. Ich fürchte, dass all die fetzigen Programme heute schon zu viel können, zu viel darstellen. Wenn ich eine wirklich tolle Präsentation machen will, dann verzichte ich schon manchmal ganz auf den Computer und den Beamer und greife zum Flipchart (vulgo Tafel). Ich gebe zu, dass dies nur dann den gewünschten Effekt hat, wenn "auch das andere" möglich ist. Aber dann passen alle auf, was denn so wichtig ist, dass es nicht "präsentiert" ist. Quasi wie in früheren Woody-Allen-Filmen, wo irgendwann "author's message" aufgeblinkt ist.
Ich würde Sie ja gerne einmal kennen lernen. So wie sie schreiben und beobachten und auch die Frustration durchaus kreativ beleuchten können, müssten Sie doch wirklich ein guter Lehrer sein, einer, der viel erzählen kann und die Kinder durch Authentizität fesseln kann. Sie sind doch vermutlich gar nicht auf tools angewiesen.
Möglicherweise ist ein Freifach am Nachmittags mit Tools auszustatten. Ein Ergebnis aus meiner Schulzeit lief so: ein sehr engagierter Lehrer (den wir in Geografie hatten) machte eine Theatergruppe. Dort waren auch die ersten Auftritte des Michael Schottenberg. Weil er so sympathisch war, war auch die Geografie-Stunde selbst ruhig und produktiv. Wir mochten ihn einfach.
Natürlich klingt das alles sehr überdrüber, aus der Ferne kann man leicht klug sein. In meinem Verwandtenkreis sind einige Lehrkräfte (an Haupt- und Waldorfschulen in Deutschland). Ich habe das oft in Hamburg miterlebt, wenn sich meine Schwägerin am Abend noch auf den nächsten Tag vorbereitet hat, selbst wenn sie das Fach schon 20 Jahre unterrichtet hat. Es ist ein schwerer Job und vermutlich stark unterbewertet und unterbezahlt. Aber ich glaube dennoch nicht, dass es an den Tools liegt.
Gibt es nicht den Spruch: "A fool with a tool is still a fool."
teacher antwortete am 19. Feb, 18:25:
OK, der letzte Spruch ist gültig. Aber ein Riese mit zusätzlichem Werkzeug ist einfach noch stärker ... :-)Tools haben einen ganz wesentlichen Charakter: Sie verändern die Rolle der Lehrenden und Lernenden. SchülerInnen werden aktiver - LehrerInnen beraten statt lehren.