Lisa Rosa meinte am 18. Mär, 15:37:
Studierfähigkeit
Es geht ja nicht bloß um diszipliniertes Arbeiten und um das Lernenwollen. Es geht auch um etwas anderes: Um das Wissen und Können, wie man selbständig lernt, wie man selbständig denkt und wie man systematisch arbeitet! Das aber lernt man doch nur, wenn man es - zunächst angleitet - tut! In der Schule mit ihrem "verschulten" Stoffreinstopfen, kann man das meist nicht gut lernen. Jedenfalls habe ich selbst es trotz einem ordentlichen Abitur an einem amibitionierten Gymnasium mit gutem Ruf, erst mühsam und ohne gute Anleitung für mich alleine im Studium lernen müssen, nachdem ich beinahe durch die Zwischenprüfung gefallen wäre, denn auch da hat sich niemand bemüßigt gesehen, den Studenten das wissenschaftliche Arbeiten beizubringen. Es wurde einfach vorausgesetzt. Eine "verschulte" Schule, die im Wesentlichen den Schülern alles vorkaut - und vorschreibt! - sie also ständig bevormundet, und weit entfernt davon ist, zum selbständigen Denken zu führen. Wie soll denn jemand mit Messer und Gabel essen lernen, wenn ihm immer das Schnitzel vorgeschnitten und er dann gefüttert wird? Und dann kommt die Uni, die jetzt ein Studium für diejenigen eingerichtet hat, die es nach dem Abi immer noch nicht können - das ist das Bachelor-Studium. Und dann gibt es noch die richtigen Akademikerstudien für solche, die es weiß Kuckuck wo - vielleicht bei ihren Eltern? - trotzdem gelernt haben, das selbständige Denken und systematische Lernen und Forschen. Und die werden dann Elite. NIrgendwoanders als in D und Ö ist der Erwerb der echten Studierfähigkeit so abhängig von der Herkunft ...
teacher antwortete am 19. Mär, 09:06:
"Studierfähigkeit" klingt so anspruchsvoll, aber etliche Studien sind pures Auswendiglernen (z.B. Rechtswissenschaften) - da ist kritische Reflexion oder wissenschaftliche Recherche nicht nötig. Wohl aber Biss, Durchhaltevermögen, Ehrgeiz, Fleiß etc. Das sind keine Qualitäten, die wir in den Schulen hart trainieren.
girl scout (Gast) antwortete am 20. Mär, 22:09:
Mythen
Das halte ich für einen Mythos. Juristen, die vor allem gut auswendig lernen können, aber nicht selbstständig denken, systematisch arbeiten und kritisch reflektieren, werden keine guten Juristen sein. (Möglichweise verdienen sie trotzdem gut in unserem System.) Echtes, also nicht oberflächliches Durchhaltevermögen kann ich nur an Dingen schulen, die wirklich interessieren. In der Schule habe ich Kraft und Zeit vergeudet mit dem, was immer so war und ewig so sein muss - unter liberalen Pädagogen ebenso wie unter denen aus der alten Schule. (Mit letzteren häufiger.) Was ich sagen will: Dieses ewige Geraune von "hart" und "weich", "teuer" und "billig" bringt nicht weiter. Nach 13 Jahren Schule und zwei Studien (und dazwischen viel Zeit zum Leben und Nachdenken) akzeptiere ich nur noch: Es muss die Freiheit geben, individuell bedeutsame Arbeiten zu finden und zu wählen - dann lerne und arbeite ich gut und erfolgreich und ertrage auch die Durststrecken zwischendurch.
Wer sich anpasst, "Biss" zeigt, wird unter allen Bedingungen äußerlich erfolgreich sein. Zufrieden allerdings nicht.
Ach noch was: Wenn in etlichen Studiengängen "pures Auswendiglernen" gefragt ist, dann liegt der Reformbedarf nicht (nur) in den Schulen, oder?
Lisa Rosa antwortete am 27. Mär, 11:27:
persönlicher Sinn
@ girl scout: Gut gegeben! Alle Gegenstände, die gelernt werden, werden nur gelernt, weil sie zu lernen irgendeinen persönlichen Sinn macht. Den verfehlt die Schule häufig. Wenn die Schüler fragen: "Wozu muß ich das lernen?", dann steht da eigentlich die Frage dahinter: "Was hat das mit mir zu tun?", und die Hoffnung, einen Hinweis auf diesen persönlichen Sinn zu bekommen. Zu dumm nur, daß der persönliche Sinn für jedes Individuum ein anderer, eben sein spezieller ist, und darum der "Zugang" zu einem Lerngegenstand nicht vom Lehrer pauschal für die ganze Klasse bestimmt werden kann.
teacher antwortete am 27. Mär, 15:58:
Ich kann eure Argumentation gut nachvollziehen, mir ist Zufriedenheit oder Persönlichkeit auch wichtiger als Erfolg.Leider häufen sich in meiner Umgebung die Fälle: Intelligente, "verwöhnte" Jugendliche (vor allem Burschen) scheitern katastrophal an ihren gewählten Studien (besonders: Jus, Wirtschaft, Medizin ...). Diese Realitäten müssen uns aufrütteln, wir haben auch Verantwortung für diese Talente.
BIA (Gast) antwortete am 27. Mär, 16:07:
Das alte Problem halt.
Ob sie die Inhalte interessant finden oder nicht, das bleibt letztlich ja eine individuelle Entscheidung. Aber nachdem die Gesellschaft sich inoffiziell (und auch offiziell, nach dem Feedback von den Unis zu schließen) auf ein Set von Kompetenzen geeinigt hat, das die Leute brauchen, müssen wir ihnen diese Kompetenzen (von Durchhaltevermögen und Selbstorganisation bis Textverständnis, whatever) vermitteln. Und wenn sie's nicht vermittelt haben wollen, müssen wir sie zu ihrem Glück zwingen. Erfahrungsgemäß sind sie dann Jahre später doch ganz dankbar dafür. Aber es geht um die Kompetenzen, wohlgemerkt. Zum Enthusiasmus für Inhalte kann keiner gezwungen werden.
teacher antwortete am 27. Mär, 16:11:
Also müssen wir uns (manchmal) über die (momentanen) Interessen und Wünsche der SchülerInnen hinwegsetzen. Später werden sie dankbar sein. Hartes Los - für beide Seiten!
BIA (Gast) antwortete am 27. Mär, 17:37:
Ich bin davon mittlerweile überzeugt.
Mein Sohn ist 13. Wenn ich jeweils warte, bis er Leidenschaft für irgendein Alltagsthema entwickelt, duscht er sich drei Wochen nicht und beschäftigt sich auch solange nicht mit dem Tulpenanbau in Holland, was zwar ein hundslangweiliges Thema ist, aber trotzdem in Geographie geprüft wird. Pech für uns beide - aber nur mit lieb und Verständnis kriegt man nicht bei allen Kindern hervorragende (oder auch nur akzeptable) Resultate.
Und als Erwachsener (ob Lehrer oder Elternteil) hast du halt mehr Weitblick als mit 13 und weißt, dass gewisse Grundfertigkeiten (duschen! :-) ) im Leben nützlich sein können, auch wenn es keinen Spaß macht, sie zu erlernen und zu üben.
Findest Du das zu hart?
teacher antwortete am 27. Mär, 18:20:
Meine Söhne sind ja schon älter, aber mit "lieb und Verständnis" allein geht auch bei den Erwachsenen nicht viel. Ich finde das nicht zu hart, ich sehe darin sogar eine Aufgabe der Eltern und Lehrer: Zeigt Konturen, setzt Grenzen, verlangt etwas (und seien es die Tulpen aus Holland).
An der Uni hab ich mehrere Lektoren, die deutlich sagen, dass sie 120% verlangen (eindeutig überfordern), damit die Studis ordentlich arbeiten. Herausforderungen motivieren.
Ich bin eher ein weicher, viele meiner KollegInnen aber noch sanfter. Ich fürchte immer mehr: zu sanft fürs richtige Leben. Das bekanntlich hart genug ist.
BIA (Gast) antwortete am 27. Mär, 21:30:
Puh, ich nehm mir die 120% jedes Jahr wieder vor und glaube auch, dass das der richtige Weg wäre, aber irgender tut mir sicher irgendwann leid und dann schwächle ich wieder und gehe mit meinen Anforderungen runter. *duh(Aber jedes Jahr halt ich etwas länger durch. :-) )
Hart sein ist echt nicht leicht.
teacher antwortete am 28. Mär, 20:20:
Ich merke, dass ich mit dem Alter immer milder geworden bin. Meine ersten Absolventen waren eindeutig die besten, zuletzt wurde ich aber beliebter ... somit gehts mir jetzt besser (und meinen SchülerInnen auch).Hart sein ist zu hart.
stichi antwortete am 28. Mär, 21:28:
So geht es mir auch. Mit zunehmendem Alter hat man nicht mehr die Nerven und die Kraft und auch keine Lust mehr, immer den Zerberus zu spielen und die luschigen Kollegen sind die guten Menschen!
girl scout antwortete am 30. Mär, 21:31:
weich hart sein...
Mmmh, ich kenn das ja auch, gerade zu Hause. Meine Kinder würden sich wohl die Augen reiben, wenn Sie hier herausläsen, dass ich sie selbstverständlich und ausnahmslos ihre eigenen Erfahrungen und Wege machen lasse. Aber... erst mal sind Schule und Familie zwei verschiedene Kontexte, unterschiedliche Beziehungsebenen sowieso. Und zweitens: Muss denn die Freiheit, sich mit persönlich bedeutsamen Inhalten zu beschäftigen (oder halbwegs bedeutsamen - ich rede ja von der Regelschule) zwangläufig mit "Weichheit" einher gehen? Wenn Sven sich bewusst entschieden hat, in Erdkunde über seinen Lieblings-Ferienort zu arbeiten (statt über die Tulpenblüte in Holland oder was auch immer), dann kann ich doch mit viel härteren Kriterien über das Ergebnis diskutieren, oder?
Lisa Rosa antwortete am 31. Mär, 11:54:
Dichotomien
weich, hart ...überfordern, unterfordern ... meine Güte! Können wir da nicht mal von weg, von dieser Medaille mit ihren beiderseits falschen Aussagen? Wie wäre es mal mit:angemessen herausfordern, damit die ganze Person sich beweisen kann, und andererseits nicht überfordern, damit das Scheitern nicht zur ständigen Erfahrung wird? Empfehle Gerald Hüther.
girl scout antwortete am 31. Mär, 21:27:
Ja, viel richtiger formuliert. Danke für den Hinweis.
teacher antwortete am 31. Mär, 22:04:
Klar, das klingt überlegen vernünftig - der richtige Weg zwischen den Extremen: Er ist nur sooo schwer zu finden.