steppenhund meinte am 25. Okt, 17:39:
Prüfungen
Sorry, ich schätze die Kommentare auf twoday. Im Prinzip gibt es keine dummen Kommentare, genauso wie es angeblich keine dummen Fragen gibt. Bei den hier vorgefundenen Hinterfragungen der Sinnhaftigkeit von Prüfungen frage ich mich jetzt aber, ob ich tatsächlich so verrückt bin, dass ich mich allein gegen alle stellen will.Ich gebe zu, dass die Formen mancher Prüfungen nicht besonders geeignet sind, den eigentlichen Zweck zu erreichen.
Worin besteht der Zweck von Prüfungen? Es soll sichergestellt sein, dass eine bestimmte Stoffmenge inhaltlich angewendet werden kann. Lexikalisches Wissen ist in der heutigen Zeit kein Prüfungsthema, welches ich unterstützen würde. Doch selbst wenn ich einem Studenten oder Schüler die Möglichkeit geben würde, nach einer Antwort zu googlen, müsste er zumindest den Kontext kennen und aus der Vielzahl der angebotenen Informationen die richtige herausfinden können.
Wenn die Prüfung (zu der nur sehr charakterstarke Personen in Form der Selbstkontrolle finden können) entfällt, so bleibt nur mehr der Glauben, dass man etwas kann. Besonders in Fächern wie Mathematik und den Sprachen nützt es gar nichts, wenn man nur glaubt, dass man etwas kann. Da bauen die Inhalte aufeinander auf. Wenn der Grundstock fehlt, so zerbröckelt auch alles darüber liegende.
Ich halte es für sehr wichtig, dass auch die Lehrer geprüft werden. Bei jedem Workshop werden Evaluierungsbogen ausgegeben. Auch auf der Uni, wo ich unterrichte, werden meine Vorlesungen in einem online-Verfahren (anonymisiert) von den Studenten bewertet.
Da gibt es schon wesentliche Hinweise darauf, was man besser machen kann.
Prinzipiell wehren sich viele ja gar nicht gegen Prüfungen. Jede Person, die regelmäßig auf die Waage steigt, um ihr Gewicht zu überprüfen, oder sich den Puls misst, um die Kondition zu überwachen, unterzieht sich einer Selbstprüfung.
Beim Körper spielt das in den diversen Fitnessstudios keine Rolle. Nur wenn der Geist geprüft werden soll, wird revoltiert. Da möchten wir uns nicht hineinschauen lassen.
Das Denken, das disziplinierte Denken, ist einfach zu anstrengend. Geben wir es halt einfach auf!
Selbst eine Prüfung mit schlechtem Ergebnis kann sehr entscheidend das Verständnis eines Schülers vorwärts bringen. Dass jemand behauptet, er wäre erfolgreich, obwohl er in der Schule ganz schlecht war, kommt vor. Dagegen kenne ich aber genausoviele Erfolgsstories, bei denen sich Lehrlinge mit stetiger Ausbildung bis zum Doktor und letztlich Generaldirektor ihres Unternehmens emporgearbeitet haben.
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Ich habe mich vor wenigen Wochen einer Prüfung zwecks Zertifizierung unterziehen müssen. Kalt, Vorwarnzeit drei Stunden. Es hätte kein Problem sein sollen, denn die Prüfung erfolgte in meinem eigenen Fachgebiet. Also bin ich auf gut Glück angetreten und auch durchgekommen. Mit 70%. (60% waren ausreichend) über 24% von den Negativ-Beurteilungen habe ich mit dem Prüfer ein bisschen argumentiert. Es macht keinen Sinn, als Einzelperson eine bestimmte Konvention zu hinterfragen. Ich habe allerdings genügend Berufserfahrung um zu wissen, dass meine Vorstellungen bessere Ergebnisse liefern, als die handelsübliche Vorgehensweise. Aber 6% hatte ich wirklich nicht gewusst. Und das hätten auch mehr sein können, wenn es mehr Fragen aus diesem Bereich gegeben hätte.
Nach der Prüfung habe ich mir sehr wohl angesehen, wie ich auf die Antworten hätte kommen können und wo mein Wissensdefizit liegt.
Und diese 6% haben mich geärgert, bei den 24% habe ich letztlich nur gelacht.
teacher antwortete am 25. Okt, 17:50:
Ich bin nicht grundsätzlich gegen Prüfungen, ich halte sie als Rückmeldung für Schüler, Lehrer, Eltern und Gesellschaft für notwendig. Aber die häufigste Form, nämlich irgendein Wissen für eine Stunde auswendig zu lernen, ist völlig überholt. Sie betrügt uns doch alle.Wir brauchen völlig neue Prüfungen, die Auskunft über langfristiges Wissen, praktische Fähigkeiten, Kompetenzen etc. geben. Da sehe ich sehr wenig!
steppenhund antwortete am 26. Okt, 00:58:
Ob Wissen langfristig sein kann, erfährt man erst in meinem Alter. An einiges kann ich mich blendend erinnern, anderes ist in Vergessenheit geraten und ich habe keinen blassen Schimmer.Das läßt sich schwer prüfen. Richtiges Lernen von Wissensinhalten mit einer Lernkartei zB funktioniert an sich ziemlich gut. Aber in Wirklichkeit sollen ja die Zusammenhänge erkannt und angewendet werden können.
Ich würde daher für Projektarbeit plädieren, die zuhause erbracht wird - in Gruppen - und dann die Projektmitglieder partiell und stichprobenhaft prüfen. Damit wird auch gleichzeitig die Artikulationsfähigkeit trainiert und ein lebensnaher Ablauf geübt.
Weil es mir gerade einfällt: vor kurzem ist doch in München die BMW-Auslieferungsstätte groß herausgekommen. Der Architekt sprach von der Dynamik des Doppelkegels im Interview.
Projektthema: Mathematik - Kegelschnitte. Auftreten in unserer Umgebung, in welchen Architekturen kommen Kegelschnitte vor? Wo können wir täglich Kegelschnitte beobachten? Wie können wir sicher sein, dass eine beobachtete Kurve ein Kegelschnitt und nicht eine unregelmäßige Kurve ist. Wieviel Beton benötigt man, um die Blumenbehälter zu erzeugen, die wie Doppelkegel aussehen? gewährter Zeitraum 2 Wochen, Gruppen zu 4 Schülern. Danach Referat 2h, jeder Teilnehmer eine halbe Stunde Redezeit. Niveau: 6.te Klasse Mittelschule.
Nach der im Projekt gebotenen Leistung, nach den gestellten Fragen, nach der Sorgfalt in der Präsentation würde ich beurteilen.
Ich gebe zu, dass bei der Art der Prüfungen, wie sie gang und gäbe sind, praktische Fähigkeiten und Kompetenzen gar nicht erst angesprochen werden können.
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Ich kann mich aber noch gut an meine Physikmatura erinnern. Ich bekam einen Elektronikbaukasten und sollte in der Vorbereitungszeit eine Wheatstone-Brücke (Widerstandsmessung) aufbauen. Sicherheitshalber stellte ich die einmal zusammen und hatte dann noch 18 Minuten Zeit. Die Bauteile des Baukastens erlaubten den Bau eines Radios. Also versuchte ich das Radio zusammen zu stellen. Auf einmal ertönte das Regionalprogramm. (Es war nur ein Mittelwelleempfänger mit Ferritkern-Antenne.) Sofort kam der Physikprofessur herangeschossen: "Blöder Bua, was machst denn da? Räum das sofort weg!"
Als ich dann vor der Kommission stand, fragte der Vorsitzende: "Waren Sie das mit dem Radio?" - ich kleinlaut: "Ja, ich wollte nur ausprobieren, ob ich das hinbekomme." - "Na, wir werden Sie wohl nicht weiter prüfen müssen. Sehr gut. Wer ist der Nächste."
Das war aber die einzige praxisbezogene Prüfung in meiner Schule anno 1969.
teacher antwortete am 26. Okt, 09:42:
"Zusammmenhänge erkennen und anwenden" ist ein gutes Lernziel (andere wichtige kämen hinzu). Es wird aber selten abgeprüft und wenn, dann sind diese Prüfungen bei den SchülerInnen (die einfach lernen) nicht gerade beliebt. Ausserdem wird dabei eher die Intelligenz als der Wissenszuerwerb oder der Arbeitserfolg getestet.Projektarbeiten sind sehr schwer zu bewerten, aber es ist sinnvoller, das zu versuchen, als Daten und Fakten abzufragen.
Die Reaktion des Vorsitzenden finde ich großartig!