Profil
Abmelden
Weblog abonnieren
cotopaxi

 
In den letzten Stunden von Weihnachten, Ostern und sonstigen Ferien scheiden sich die Geister.
Entweder:
"Am besten du ziehst eine stinknormale Stunde durch."
Mit Stoff kann man jede Klasse erschlagen, jeden Aufstand verhindern. Keine weitere Debatte.
Oder:
"Wenn wir alle keine Lust zur Arbeit spüren, dann spielen wir eben." Auf geht's.

Gemeinerweise lasse ich zunächst das Lehrbuch auf Seite 95 aufschlagen, das riecht nach Stofflawine. Ergo greifen die Schüler mürrisch in ihre Rucksäcke und blättern zäh nach hinten.
"So, auf Seite 95 findet ihr einen Spielplan, auf Seite 96 die dazu gehörige Anleitung. Jeder sucht sich eine Spielfigur, einen Radiergummi, ein Kuscheltier oder sonst was."
Leicht entspannt kramen sie ein zweites Mal in ihren Taschen herum.
"Jetzt brauchen wir einen Würfel pro Gruppe!"
27 Gesichter schauen mich erwartungsvoll an: "Woher?"
Ich greife in die Jackentasche und schüttle pokermäßig meine rechte Hand. Ich liebe das Klacken der Würfel auf Holz, es erinnert mich an studentische Escalero-Nächte. Ein Mädchen klatscht in in ihre Hände:
"Heee, ein richtiger Zauberer." Naja.

Wir lesen gemeinsam die Spielanleitung, ich wiederhole in eigenen Worten das umständlich Formulierte, dann helfe ich bei der Gruppenbildung:
"Mindestens drei, höchstens fünf pro Gruppe." Das zwingt zwei isolierte Burschen zu einem Mädchentisch, Katastrophe, aber es geht sich anders nicht aus.

Diejenigen, die alles kapiert haben, greifen zu Stift, Papier und Wörterbuch. Viele andere beginnen sofort mit dem Würfeln und ziehen ihre Figuren über das Brett. Eine mutige Gruppe gesteht offen: "Wir haben die Regeln nicht verstanden."
Ich bleibe hart: "Dann lest euch die Seite 96 noch einmal durch, schließlich ist das Spiel, das ganze Buch für eure Alterstufe gemacht worden ... und ich habe alles schon erklärt." Bequemer wäre es freilich, wenn ich jeden höchstpersönlich bei der Hand bis ins Ziel weisen würde.
Dann ziehe ich mich zur Beobachtung zurück: Mein Lieblingsspiel.

Echte Freude kommt nirgends auf (höchstens gespielte :-). Ein richtiges Spiel sollte zumindest blinken und tuten, es fehlt der Joystick und der Bildschirm!
Zwei von sieben Gruppen spielen nach allen Regeln der Kunst, könnten sogar "was lernen" beim Spielen. Drei Gruppen verwenden das didaktisch durchstrukturierte Spielbrett wie "Mensch-ärgere-dich nicht": Was zählt, ist der schnelle Einlauf im Ziel! Zwei Gruppen geben vor zu spielen, wenn ich durch die Reihen gehe, aber unterhalten sich besser hinter meinem Rücken.

Ein pädagogisches Spiel ist kein Spiel, im Gegenteil, das spüren die Kinder sofort. Die Lernabsicht vermiest den Spaß und macht aus dem Spiel Ernst (!) Damit ruiniert man den spielerischen Charakter, ohne aber Lernerfolg zu erzielen. Exitus ludus.

Immerhin: Das Brettspiel schlägt die letzten Stunden tot. Exitus finalis.
"Schöne Ferien!"
Nielsson meinte am 5. Apr, 20:40:
Bekommen die Eleven eigentlich normalerweise was von den Ergebnissen Ihrer Beobachtungen mit? So wie wir das hier tun? 
teacher antwortete am 5. Apr, 20:46:
Das ist ein methodischer Schwachpunkt meiner Beobachtungen: Sie entsprechen nicht den "Regeln der Aktionsforschung", weil ich die Kinder möglichst unbeeinflusst betrachten will. Sie wissen nichts davon. Deshalb auch meine Anonymität hier. 
Christian (Gast) meinte am 5. Apr, 22:37:
Danke...
...für die inspirierenden Berichte. Besonders gefällt mir, dass trotz Bürokratie und anderer Widrigkeiten immer wieder die Leidenschaft für die Schüler durchscheint! 
teacher antwortete am 6. Apr, 21:58:
Danke. Ich fühle mich wohl in den Klassen, ich mag meine Kinder. 
illona meinte am 6. Apr, 11:23:
So ein letzter Tag vor den Ferien ist sicher schwierig, aber ich find es schade, dass die Zeit in der keiner mehr wirklich Lust auf Schule hat totgeschlagen werden muß. Kann so eine Stunde nicht genutzt werden, um darüber zu reden wie es bisher gelaufen ist, was die nächsten Monate bringen oder einfach nur zum Ratschen? 
teacher antwortete am 6. Apr, 22:00:
Ein, zwei Stunden gehen - aber 5 oder 6 Stunden? Da braucht man irgendeine Beschäftigung. 
illona antwortete am 6. Apr, 22:20:
5-6 Stunden in einer Klasse? Dann dreh den Spieß um und lass die Schüler den Tag vorbereiten und gestalten, kannst ja knackige Bedingungen stellen. 
teacher antwortete am 6. Apr, 23:09:
5-6 Stunden in verschiedenen Klassen, die alle "Ferien" auf der Stirn stehen haben! 
Simon Columbus (Gast) meinte am 6. Apr, 16:18:
Hey, man kann auch interessante Spiele spielen - sogar MIT den Schülern ;)

Bevorzugt: Stadt, Land, Fluss gegen den Erdkundelehrer :D

Ein Spiel kann aber durchaus auch für Spaß entwickelt sein und trotzdem pädagogisch sinnvoll sein - jedenfalls eher als andersherum. 
teacher antwortete am 6. Apr, 22:01:
Ja, es gibt schon nette Spiele. Aber das aus dem Buch, das kann nicht einmal der Lehrer leiden. ;-) 
C. Araxe antwortete am 7. Apr, 14:04:
Warum haben Sie dann kein anderes genommen? 
Nachtblau antwortete am 7. Apr, 14:05:
Sadismus? ;) 
teacher antwortete am 7. Apr, 19:57:
Killerfrage?!
Es hat als Abschluss gut zum Lehrinhalt der letzten Wochen gepasst.
@ Sehrdunkelblau:
Wenn, dann Sado-Masochismus! 
Nachtblau antwortete am 7. Apr, 22:51:
Dann musst du noch an dir arbeiten, weil es dir anscheinend selber nicht gefallen hat! Quälen ohne Qualen zu erleiden!
Frau Fastschwarzblaue Seele ;) 
teacher antwortete am 8. Apr, 20:05:
Verstehe.
Sagt der Masochist zum Sadisten: "Schlag mich!"
Der Sadist in einem Element: "Nein!" 
 

twoday.net AGB

xml version of this page

powered by Antville powered by Helma