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cotopaxi

 
"In Ungarn gibt's jetzt eine Natascha, die 13 Jahre gefangen war!"
"Aha."
"Ja, wirklich."
Die Kinder bilden sich mit Gratis-"Heute" und Gratis-"Österreich" weiter.

Die große Natascha-Kampusch-Medienhysterie ist vorüber gegangen. Bis jetzt hat kein einziger meiner Schüler die Geschichte im Unterricht aufgewärmt. Aber der mediale Rekord-Wettlauf "Welches Mädchen war am längsten gefangen" nimmt uns in Beschlag.

"Hoffentlich entführt mich bald ein hübsches Mädchen", greift ein Bursche ein. "Da kann ich nach ein paar Jahren so toll reden wie die Natascha!"
"Und einen Haufen Geld verdienst du auch", pflichten ihm die Nachbarn bei und gehen auf den Zeitungsrummel ein.
"Die hat ihn doch geliebt!" wird unwidersprochen vermutet. Und das Gerücht von der Sado-Maso-Beziehung kennen sie auch.
"Wir wissen doch alle nicht, was wirklich passiert ist. Wir haben nur ein paar Geschichten im Fernsehen und in den Zeitungen gesehen. Und ständig sind Berater, Psychologen, Anwälte und so um sie herumgeschwirrt." Ich versuche zu verdeutlichen, dass Medien keine Wirklichkeit, sondern Storys verkaufen.

Aber ich scheitere. Zu viele, auch gescheite Leute, haben zu oft und zu öffentlich bewiesen, dass sie das Mädchen, deren Sprache und Wissen, ihr Verhalten, ihren Mut, ihre ganze Persönlichkeit verstehen und schätzen. Die unbekannte Frau des Jahrhunderts.
Ein kleiner Lehrer meint halt, nichts als Show rund um ein gequältes Mädchen erlebt zu haben. Sein Problem.

Beim Hinausgehen sehe ich ein unscheinbares Schwarz-Weiß-Plakat am Schultor kleben: www.findetjulia.org.
Jemand fragt mich: "Ist die von hier verschwunden?"
"Nein, die verzweifelten Eltern suchen das Mächen einfach überall."
Die Wirklichkeit holt uns schmerzhaft ein. Hunderte andere Kinder warten auf ihre Befreiung.
Schickt endlich Journalisten hin!
 

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