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cotopaxi

 
Die Presse zitiert eine aktuelle Weltbankstudie, die zu einem ernüchternden Resumee zwingt: Wir leben in einer extrem unfairen Welt - und weder Entwicklungshilfe noch Liberalisierung des Welthandels ändern daran etwas.

Den künftigen Maturanten versuche ich den im Zeitungsartikel erwähnten "Gini-Koeffizienten" mittels der so genannten "Lorenzkurve" zu verdeutlichen. Irgendwie gerät dieses hehre Ansinnen in eine Schieflage und ich stehe verwirrt an der Tafel: Wird die Y-Achse aufsteigend von 0 auf 100 % oder doch absteigend konstruiert und liegt auf der X-Achse Einkommen oder Vermögen? Vielleicht ist doch alles umgekehrt? Ich habe mein Erinnerungsvermögen überschätzt, meine Kreidenskizze zerrinnt im Stress.

In meiner intellektuellen Not wende ich mich an die Klasse, an Steffi S., einer schlauen Schülerin, die mitdenkt, und an Walter K., einem Notebook-Freak. Während erstere mit mathematischer Logik eine alternative Skizze entwirft, surft zweiterer zur wikipedia und lädt die Kurven runter.
Eigentlich stehe ich blöd da, aber meine Ziele habe ich vollständig erreicht: Die Skizzen stimmen und die Schüler haben sich selbst geholfen. Sie verstehen letztlich, was die Presse mit dem Gini-Koeffizienten meint.

Besser gehts nicht: Ich habe den Fisch nicht gefangen, aber meine Schüler angeleitet, die Netze richtig einzusetzen.

Schade, dass ich diese Stunde so nicht geplant hatte. Und dass der schale Geschmack meines Versagens die Klassenluft mein Selbstbewusstsein belastet.
amadea (Gast) meinte am 1. Okt, 22:59:
Je genauer du planst desto härter trifft dich der Zufall
Die besten Dinge passieren, wenn man nicht plant.
Irgendwie kann ich nicht glauben, dass Sie das ernst meinen, Herr Lehrer.
Dass Ihr Selbstbewusstsein belastet ist, nur weil sich Dinge anders entwickelt haben.
Ich bin auch Lehrerin - und meine Stunden verlaufen oft nicht so wie ich sie plane. Ich finde das gut so ! :-) 
teacher antwortete am 2. Okt, 07:59:
Trifft mich schon. Es hätte mehr Spaß gemacht, eine tolle Erklärung aus dem Hut zu zaubern statt unsicher an der Tafel zu stehen. Inkompetenz darf man nicht zu oft zeigen (Frage der Autorität) ... oder muss sie gezielt einsetzen.
Jedenfalls: Das Ergebnis ist so besser! 
p-alozzi (Gast) meinte am 16. Okt, 12:57:
Gini und mein Versagen
Lieber Kollege,
take it easy. So was passiert doch uns allen immer wieder.
Viel wichtiger ist doch, dass du etwas rübergebracht hast, was nicht unbedingt im Lehrplan steht, aber den Horizont deiner SS erweitert.
Machmal reisst uns eben der Stress "ein Loch in den Kopf" und wir können uns an etwas momentan nicht erinnern, was uns außerhalb des Klassenzimmers dann wieder einfällt. Klar, dass dann uns Ego angekratzt ist, auch wenn es eigentlich keinen Grund dafür gibt.

Herzliche Grüße
P-alozzi 
teacher antwortete am 16. Okt, 16:55:
Ich überleb' es schon. Klar wird halt, dass man als Lehrer seine Fehler immer vor kritischem, gnadenlosem Publikum macht. Und klar wird auch, dass Fehler ihre positiven Seiten haben: Zulassen, damit arbeiten, daraus lernen. 
 

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