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cotopaxi

 
"Du schaust wirklich erholt aus", spricht die sympathische Gerda H. ihren zu Besuch weilenden Fachkollegen an.
Gerda H. zählt nicht zu den dampfplaudernden Wichtigmachern, sie steht im Lehrkörper als Ikone für ehrliche Empathie. Man glaubt ihr jede Aussage, weil sie sparsam und gezielt eingesetzt werden.
Der Kollege verbringt ein unbezahltes Freijahr und meidet die Schule wie der Teufel das Weihwasser. Er hat nach zahlreichen ungeklärter Krankheitssymptomen die diagnostische Mischung Stress, Burnout und Depression zum Anlass genommen, dem Lehrberuf vorübergehend den Rücken zu kehren: "Sonst erleben Sie Ihre Pension nicht", war ihm zur Warnung mitgegeben worden.

Er hatte ehrgeizig an zu vielen Fronten gekämpft: Engagierter Lehrer, gewählter Personalvertreter, kompetenter Fachexperte, eifriger Fortbildner, kreativer Erneuerer, fleißiger Arbeiter, EDV-Autodidakt, Vereinsvorstand, liebenswerter Vater, "Neuer Mann", empfindsamer Partner, Familienversorger ...
In den Medien las er von "faulen, überbezahlten, herzlosen Lehrern" und ärgerte sich über das ruinierte Image seines Berufes, den er für den "wichtigsten auf der Welt" hielt. In seiner Bekanntschaft wurden Ärzte zu Primarii, EDV-Spezialisten zu Abteilungsleiter und Finanzbeamte Unternehmensberater - er blieb ein ungeachteter Mittelschul-Beamter, dem nach und nach "die Privilegien" gekürzt wurden.
Dann wurden seine Schwindelanfälle zum Sicherheitsrisiko und seine Rückenschmerzen zu Krankenständen. Ärzte waren überfordert, bis die psychosomatische Erklärung zur Empfehlung "Abstand gewinnen" führte.

Jetzt schaut er in der Direktion vorbei, weil die Stundenpläne fürs nächste Jahr ausgeheckt werden und Gerda H. sagt ihm im Vorbeigehen, dass er "gut ausschaut" und dass "die Männer arm" sind.
"Was?" fragt er verständnislos zurück.
Gerda H. spricht von ihrem Karenzurlaub. Sie sieht ihre Jahre mit der heranwachsenden Tochter als große Chance ihres Lebens, als willkommene Unterbrechung des eintönigen Berufslebens.

So hatte ich das noch nie gesehen.
Somit muss ich überlegen: Weitere Kinder oder unbezahltes Freijahr?
mirka meinte am 15. Mär, 16:14:
Ähem ... was bitte ist Karenzurlaub?? Den Begriff kenne ich nicht - gibt's das nur in Österreich? 
morast antwortete am 15. Mär, 17:27:
Wikipedia schreibt:"
In Österreich bezeichnet die Karenz (als sprachliche Verkürzung von Karenzzeit) vor allem im umgangssprachlichen wie im gesetzlichen Gebrauch das ruhende Arbeitsverhältnis von Elternteilen für die Betreuung von Kindern nach der Geburt (im Anschluss an den Mutterschutz). Der in Karenz befindliche Elternteil ist mit zahlreichen arbeitsrechtlichen Schutzregelungen ausgestattet (Kündigungsschutz und dergleichen). Auch die Teilzeitkarenz in Verbindung mit Teilzeitarbeit ist möglich. Bis zur Regierungsperiode Wolfgang Schüssel gab es auch Karenzgeld, welches nach einer Gesetzesänderung durch das Kinderbetreuungsgeld ersetzt wurde."

Ist das Lehrerdasein wirklich so schlimm? 
teacher antwortete am 15. Mär, 18:05:
Danke für die prompte Erklärung:

Zur Frage:Ist das Lehrerdasein wirklich so schlimm?
Drei Antworten:
1. Wer die Aufgabe wirklich ernst nimmt, der ist echt gefordert. Viel mehr als Nichtlehrer vermuten und viel härter als etliche Bürojobs. Leider unbedankt und ungeschätzt. Diese Idealisten leiden am meisten und brennen häufig aus (s. Beispiel)
2. Wer es als 08/15-Job sieht, erreicht ein faires Aufwand-Ertragsverhältnis. Er sucht sich oft eine ausserschulische Verwirklichung.
3. Wer ein persönlich optimiertes Input/Output-Verhältnis anpeilt, findet Nischen, wo man ohne viel Aufwand, Vorbereitung, Arbeit, Korrektur etc. seine Stunden herunterbiegt. Man kann die Schüler arbeiten lassen (Tipp: Referate), Videos oder Internet einsetzen, Bücher lesen und unterstreichen lassen, Diskutieren und Diktieren ... und mit einigem Bluffen kann man das sogar blendend verkaufen: ein moderner, schülerzentrierter, kreativer Unterricht. 
Lisa Rosa antwortete am 16. Mär, 11:15:
Bluffen
Ich habe nach der Lektüre Deines Typus 3 - Lehrers ehrlich gesagt keinen konkret bekannten Lehrer vor mir. Denn die Lehrer, die es tatsächlich schaffen, die Schüler zu selbstbestimmtem oder selbstverantwortetem Lernen zu kriegen - mit Internet, Büchern, Referaten ausarbeiten, Diskutieren usw. - die haben echt viel zu tun! Nur auf eine etwas andere Art und Weise als die, die jede einzelne Stunde durchdidaktisieren bis ins Detail und dann in der Regel auch nicht davon abweichen können. Allerdings ist eines bemerkbar: Wer glaubt, er könnte mit den Schülern gutes Projektlernen betreiben, wenn er einfach sagt: Hier ist das Internet, nun macht mal schön ..., der erreicht gar nichts und lügt sich in die Tasche. Vielleicht hast Du ja einen solchen gemeint? 
teacher antwortete am 16. Mär, 13:03:
Deshalb ist die Sache so schwer zu beurteilen (besonders für Aussenstehende).
Ich kenne einen Lehrer, der eine Unterrichts-CD-ROM von vorne bis hinten durcharbeiten lässt: Selbstbestimmtes, individualisiertes, selbstverantwortliches, multimediales, modernes Lernen? Oder fauler Bluffer?
Ein anderer verbringt Wochen (!) ausserhalb des Klassenraumes. Ein Projekt jagt das andere, die Schüler sind eine Woche an den Unis, eine Woche mit Partnerkindern aus Italien in der Stadt ("bilinguale Wienwoche") unterwegs, eine Woche bei Unternehmen ("Praktika"), eine Woche am Neusiedlersee ("Sportwoche") ... keine Zeit mehr zum ruhigen Arbeiten oder sinnvolle Praktika?
Ich kenne die Lehrer, ich blicke hinter deren Motivation, ich kann auch die Lernerfolge vergleichen (weil ich andere Klassen als Maßstab anlegen kann) - die Bewertung wird aber von außen vorgenommen, von Medien oder Eltern, die viel zu oft völlig ungerechtfertigte Urteile fällen.
Blogs können auch hier eine Gegenmeinung bieten, daran arbeite ich. 
morast antwortete am 16. Mär, 20:58:
Danke für die ausführliche Antwort.
Bereits an anderer Stelle erwähnte Freundin würde ich in kategorie 1 einordnen. Sie macht gerade ihr Refendariat und findet kaum Zeit für andere Dinge außer Schule. Aber immer wenn ich anrufe, erzählt sie mir, was sie sich wieder ausgedacht hat.
EIne der krassesten Sachen war die Aussage, daß ihr die Schulferien mißfielen - weil sie dadurch Zeit bekam, über sich selbst nachzudenekn [was ihr nicht behagte].
Ich hege trotzdem die Hoffnung, daß es später als "richtiger" Lehrer die Möglichkeit geben wird, sich in eine gesunde Mischung aus Aktivismus und Selbstbewahrung zu finden... 
teacher antwortete am 17. Mär, 11:15:
Typischer Anfang: Motivierte Idealistin will es besser machen, hat junge Energieüberschüsse und hehre Ziele.
Sie wird erfahren, dass mit diesem Über-Engagement niemand glücklicher wird (weder die Schüler, die Pausen und Freiraum suchen, noch die Kollegen, die eifersüchtig eine Konkurrentin fürchten, noch ihre Freunde oder Familie, die sie vernachlässigt. Deshalb wird sie selbst auch nicht glücklich werden und auf die zweite Ebene (Aufwand und Ertrag müssen sich die Waage halten) hinabgleiten.
Tut sie's nicht, wird sie später frustriert ausbrennen (burnout) oder ganz ins Gegenteil umschlagen ("Alles wurscht, alles scheiße").
Solche Karrieren kenne ich zu Dutzenden! 
 

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