lbd (Gast) meinte am 15. Feb, 13:37:
ausgetrieben
Kinder wollen lernen - Kinder "müssen" lernen - das liegt doch in ihrer Natur! Aber: schon im Kindergarten können sie Pech haben und an eine "Tante" (ja, die gibts noch) geraten, die so wie sie es dereinst gelernt hat, nicht bestärkend sondern nur defizitorientiert arbeitet. Und wenn sie wieder Pech haben, treffen sie auch in der Volksschule auf ausreichend Lehrer, die defizitorientiert arbeiten und den Kindern die Begeisterung auf Neues, auf Entdecken, auf Lernen (als Abenteuer) austreiben. Sie werden nicht selten für Fehler bloßgestellt, abgekanzelt, abgewertet und abgeurteilt. Und weil Kinder von uns Erwachsenen lernen, bekommt die Sache - leide - eine Eigendynamik: die anderen Kinder machen das Gleiche wie die (meist) Frau Lehrer - also auslachen, abwerten ... . Noch Fragen, warum sie im Gym nicht mehr die Nerven haben, 15x eine Purzelbaum zu schlagen bis er endlich klappt?? Viel zu wenig sind sie gelobt worden, viel zu selten haben sie Begeisterung über ihre Leistungen erlebt. UND: weil ich gerade mit einer verzagten Mutter darüber gesprochen habe: unsere Gesellschaft ist nicht "kinderfreundlich" - nicht, dass man etwas gegen Kinder hätte, aber Kinder können heute nicht (mehr?) entdecken, rumlaufen, irgendwo Ballspielen, etc - die Welt hat sich geändert. Wir müssen unsere Kinder heute beschützen, anstatt sie nach Hause zu rufen, wenn das Abendessen fertig ist ... Also was ich sagen will: wenn wir den Eindruck haben, die Kinder wollen nicht üben, erkennen wir vielleicht nicht, dass die Kinder gar nicht wissen, wie toll es ist, wenn nach viel Üben etwas klappt, wenn es ein schönes Ergebnis gibt. Sie sind frustriert, ihr Selbstbewußtsein ist untergraben (oft gar nicht bös gemeint), sie trauen sich nix zu.
BIA (Gast) antwortete am 15. Feb, 13:47:
D'accord, bis auf einen Punkt: viele Eltern loben zu viel und zu undifferenziert - das Gefühl, sich anstrengen zu müssen, das Gefühl für eine wirklich gute Leistung können deren Kinder gar nicht entwickeln!
tina (Gast) antwortete am 15. Feb, 14:00:
Ich denke es liegt an mehreren Dingen - 1. will man (gerade in dem Alter) nicht für Fehler bloßgestellt werden. Gerade wenn man früher schon viel zu oft bloßgestellt wurde. 2. ist das was gelehrt wird wirklich meist nicht mehr zeitgemäß. Ja, es sollte jeder einen Knopf annähen und vllt. ein Hosenbein umnähen können - aber einen Schal stricken oder einen Rock nähen ist heutzutage ein Hobby und keine Grundfertigkeit mehr. Sogar ein teures, denn das Material kostet locker 2-3mal so viel wie ein fertiges Kleidungsstück im Laden. Kein Wunder, wenn die Kinder da streiken. Ebenso verhält es sich mit dem Turnunterricht - Skaten, Snowboarden, Surfen, Kickboxen, Aerobic, Hip-Hop-Dance - sowas ist angesagt. Bei den Mädels noch "Laufsteg-Laufen" und "Bauch-Bein-Po". Nicht Purzelbaum, Seilklettern oder peinlich am Schwebebalken, Reck oder den Ringen herumzuhampeln. Va. mit meist schlechter Erklärung - kein einziger meiner Turnlehrer konnte mir erklären WIE man etwas macht (bin mehr der Kopf-Typ), es wurde immer nur gefordert X zu machen und gemeckert wenn man es nach 1x zusehen nicht gleich konnte.
Und 3. stimmt das mit "können nicht Üben" ja garnicht - man sehe sich mal an wie intensiv Computerspiele geübt werden oder das korrekte Schminken oder Skaten, Trickradeln, usw... oder einfach nur das Tippen auf der Tastatur. Früher nahm 2 Semester Schreibmaschinenunterricht als Freifach um Tippen zu lernen - ich denk nicht, daß irgendein Jugendlicher das heute noch braucht.
BIA (Gast) antwortete am 15. Feb, 16:01:
Es gibt so eine Diskrepanz zwischen "Dingen, die ich als Jugendlicher üben WILL" und "Dingen, die ich laut gesellschaftlicher Übereinkunft üben SOLL".Ein Problem liegt doch darin, dass diese Ansprüche auseinandergedriftet sind: ein Mädchen, das vor 150 Jahren keinen Haushalt führen konnte hatte in der Regel schlechtere Heiratschancen. Das war dem Mädchen klar, und gesellschaftliche Erwartung und persönliche Erfahrung stimmten überein. Ditto der Junge, von dem ebenfalls bestimmte Grundfertigkeiten erwartet wurden, und dem die negativen Konsequenzen andernfalls vor Augen standen.
Aber heute erwartet die "Gesellschaft" (über die Lehrpläne und uns Lehrer), dass einer Wahrscheinlichkeitsrechnung lernt. Die negative persönliche Konsequenz, die sich aus dem Nicht-Beherrschen der Wahrscheinlichkeitsrechnung ergibt (außer einer "schlechten Note", big deal) = Null, zumindest für das jugendliche Hirn.
Und die Akzeptanz von Autoritäten, die raunen, man möge doch Wahrscheinlichkeitsrechnung/Sockenstricken/Fremdsprachen lernen, hat stark nachgelassen - bzw. diese Autoritäten GIBT es nicht, Stars diverser Sorten erklären selten, ihr Schulwissen hätte sie recht bereichert. Schade.
tina (Gast) antwortete am 15. Feb, 17:58:
BIA: > Es gibt so eine Diskrepanz zwischen "Dingen, die ich als Jugendlicher üben WILL" und "Dingen, die ich laut gesellschaftlicher Übereinkunft üben SOLL".Stimme Dir zu - nur ist die Frage ob "Socken stricken" (oder das lächerliche "Basteln" das im sog. "technischen Werken" gelehrt wird) wirklich das ist was die Gesellschaft braucht. Natürlich will man als Jugendlicher viele Sachen aus Faulheit einfach nicht machen. Aber man will sie besonders dann nicht machen, wenn selbst ein Blinder mit dem Krückstock sieht, daß es total sinnlos ist.
blubber (Gast) antwortete am 15. Feb, 18:24:
Wollen und sollen....
Nein, es ist - in meiner kleinen Welt - nicht so, dass sich Kinder Dinge, die sie wollen, mit Mühe aneignen. Wir haben einen Elektronikkurs an der Schule - hohe Motivation bei den Schülern, die wildesten Ideen was man für tolle Schaltungen bauen könnte. Leider ist Elektronik unerbittlich - wenn die Diode falschrum eingelötet ist, dann funktioniert die Schaltung eben nicht. Punkt. Viele Schüler entscheiden sich dann ziemlich schnell, dass löten ja doch irgendwie nicht so dolle ist. Und Computerspiele sind kein Argument. Die sind mit ziemlich viel Geldeinsatz so konstruiert, dass man möglichst lange dabei bleibt, d.h. die Erfolgserlebnisse stellen sich recht leicht und schnell ein.
Übrigens waren früher(TM) auch die Computerspiele besser und schwieriger :-)
BIA (Gast) antwortete am 15. Feb, 18:47:
@blubber: Klar, die, denen es nicht ein echtes Anliegen ist, stimmen mit den Füßen ab und lassen's bleiben. Diesen Schwund gibt's doch in allen Wahlfächern, und in den regulären Fächern gäb's den auch. Die Schnelligkeit des Aufgebens ließe sich aber durch entsprechende Kultur im Elternhaus & der peer group hinauszögern (Man lese die Biographie von Fanny Lewald, deren Vater die Amy Chua des frühen 19. Jh. gewesen sein muss. Da war Aufgeben einfach nichts, was man macht. Punkt.)@tina -> genau das meine ich! Es ist unklar, warum sich die Gesellschaft auf bestimmte Lerninhalte geeinigt hat. Der Zusammenhang zum alltäglichen Leben fehlt. Wenn man im Vergleich Autobiographien wie "Nisa erzählt" liest, wird klar: die kleinen Kinder in der Jäger- und Sammlerkultur haben einen klaren Lehrplan: von den Erwachsenen lernen. Wenn sie das nicht tun, gibt's nicht genug zu essen. De Zusammenhang lernen und leben ist absolut klar.
lbd (Gast) antwortete am 15. Feb, 20:58:
@BIA: stimmt - aber undifferenziertes Lob, das mit der Gießkanne wahllos ausgeschüttet wird ist ja ebenso frustrierend wie kein Lob für gute Leistungen.
BIA (Gast) antwortete am 15. Feb, 21:18:
An der Schule drücken wir eher zu wenig Anerkennung aus. Ich hab gerade Eltern angerufen, um eine besondere Leistung ihres Kindes zu würdigen (das hab ich den Eltern am Elternabend auch so angekündigt), sie aber nicht erreicht. Kurz vor neun am Abend (!) ruft mich ein völlig entnervter Vater an, was denn ihr Junge getan hätte, sie würden ihn jetzt schon eine halbe Stunde lang verhören und er schwört, er hätte sich nichts zu Schulden kommen lassen.Anruf von Lehrer = Schimpf, Schande, Ärger
Mpf.
Das kanns doch nicht sein.
lbd (Gast) antwortete am 15. Feb, 21:29:
ich glaube, da stolpern wir Lehrer auch über schlechte Erfahrungen der Elterngeneration.Und darüber, dass Elternarbeit im Argen liegt -ich erlebe durchwegs Lehrer, die sich vor Eltern fürchten und umgekehrt - und das ist so schade, denn das Ziel aller Beteiligten ist doch (hoffentlich) das gleiche!
lbd (Gast) antwortete am 15. Feb, 21:33:
@bia: Ausnahmen bestätigen die Regel! ;-)
teacher antwortete am 15. Feb, 21:42:
Auch für die Arbeit mit den Eltern gilt: Wir kennen sie gar nicht, sie sind so extrem unterschiedlich ... und wir haben keine Zeit füreinander. Wie soll da eine vernünftige Kommunikation entstehen?
lbd (Gast) antwortete am 15. Feb, 21:55:
wie wahr!
BIA (Gast) antwortete am 16. Feb, 11:25:
@teacher
Da beißt sich die Katze in den Schwanz - meist treffen wir auf die Eltern erst, wenn was schief läuft. Dann sind wir von vornherein gestresst und die Eltern in der Defensive, und das ergibt halt kein so günstiges Gesprächsklima. Im Vorfeld schon mal auf neutralem Boden einander beschnuppern, das würde dann im Ernstfall die Lage eventuell entspannen.
lbd (Gast) antwortete am 16. Feb, 14:24:
Dem stimme ich voll und ganz zu. Außerdem scheinen hier ja eher Lehrer mit Schülern ab der 5. Schulstufe zu schreiben. Die sind dann auch "Erbe" von vielen Vorerfahrungen die Eltern schon gemacht haben und den Schlüssen, die sie daraus gezogen haben. Im Pflichtschulbereich habe ich leider oft genug ein herablassendes o.ä. ungünstiges "Sprech" über Eltern erlebt - und zu glauben, dass Eltern das nicht merken oder generell an allem schuld sind, was ihr Kind macht oder nicht macht ist einfach keine gute Basis. Aber natürlich fehlt uns Pädagogen auch die Ausbildung - Elterngespräche werden weder bezahlt noch anderswie honoriert noch gibt es gegenseitiges Verständnis und Wohlwollen. Und Eltern, denen schon im KiGa anklagend gesagt wird, was für eine unmögliche Krot ihr Kind ist, tun sich einfach im Gymnasium dann schwer, auf Lehrer noch unbefangen zuzugehen. Wenn die dann noch auf Lehrer treffen, die sich eben wiederum vor Eltern fürchten (es gibt ja immer auch die die wen kennen und wenn das Kind diese oder jene Note gibt, na dann wird der Lehrer aber schauen blablabla...) dann sind die Anfangsbedingungen schon denkbar schlecht .... gegenseitiges Verständnis - Fehlanzeige. Was red ich mir bei der Nachhilfe und Lernbetreuung den Mund fusselig, weil NN den 5er nur hat, weil die Lehrerin ihn nicht mag und die nur nach Sympathie Noten vergibt ..... So lange Eltern unwissend und das Beste für ihr Kind wollend nicht in der Lage sind, aus ihrer selbst gekränkten Position rauszugehen und Lehrer ja auch viele Erfahrungen mit Eltern machen, die nicht immer positiv sind, ist ein gutes Verhältnis geradezu zum Scheitern verurteilt ...Und ich bin der meinung, da feheln sie - die Sozialarbeiter oder mediatoren oder sonstigen, die die Menschen unterstützen und zu guten Gesprächen helfen ...
teacher antwortete am 16. Feb, 15:20:
In den meisten Fällen habe ich (im Gymnasium) überhaupt keinen Kontakt mit den Eltern, meist nur bei Problemen. Eltern und Lehrer wissen (oder lernen) daher, dass sie nur Zoff miteinander haben. Die 90% problemfreier Kontakte finden gar nicht statt.
lbd (Gast) antwortete am 16. Feb, 21:27:
Eben - das ist ja "das" Problem. Denn das erleben die Eltern schon im Kindergarten so. Und jedes Gekrähe nach Schulpartnerschaft führt sich sogleich ad absurdum ...