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cotopaxi

 
Manchmal verdrücke ich mich im Kaffeehaus ins dunkelste Eck - wenn eine Lehrperson den seligen Raum österreichischer Gemütlichkeit betritt.
"Einen Kakao, bitte."
Nein, ich kenne ihn nicht, ich wittere ihn. Meist genügt ein kurzer Blick und schon suche ich das Weite. Wenn er dann umständlich in der Menükarte herumstochert oder in seiner vorgestrigen Ledertasche herumstiert, dann muss ich gehen.
"Zahlen, bitte."

Zugegeben, ich meide sie, diese typischen Lehrer. Ich geniere mich für etliche von ihnen:

Sie waschen ihre Haare nicht, sie wurschteln sich in verschwitzte Trainingsanzüge, sie bewundern ihre eigenen Sprachfertigkeiten, sie erkennen ihre Scheuklappen nicht, sie leben im vorigen Jahrhundert, sie drehen ihre Handys nicht ab, sie vermuten Zauberkräfte in ihren heilenden Händen, sie kleben sinnlose Zettel auf Türrahmen, sie verwischen Kreidenstaub mit ihren Ärmeln, sie grüßen nicht und beschweren sich über unhöfliche Mitmenschen, sie lesen Kronenzeitung und Bücher aus den Hitlisten, sie verkitschen Schulhefte und verkennen Kreativität, sie schwelgen in unverständlichen Metaphern, sie bemitleiden ihre Kollegenschaft, sie lachen über eigene Witzchen, sie kriechen in die Direktion, sie spucken im Unterricht, sie tragen Pantoffel im Dienst, sie unterbrechen jeden Gesprächspartner, sie glauben ihren eigenen Lügen, sie schreiben mit fremden Bleistiften, sie verwenden Rot zur Strafe und erheben Grün zur Barmherzigkeit, sie lassen überall den Bildungsbürger heraushängen, sie schneiden die Haare ihrer Ehemänner, sie genießen Macht in herzlosen Momenten, sie zeigen Dias, sie essen Butterbrote in den Pausen, sie tragen warme Unterwäsche, sie verbreiten den Hausverstand der kleinen Mittelschicht, sie fordern Tugenden, sie verstellen meinen Parkplatz, sie singen bei Feiern und halten launige Reden, sie buchen Gruppenreisen, sie preisen Feminismus als Gleichberechtigung, sie fordern Engagement ohne es vorzuleben, sie kommen mit roten Pausbacken aus dem Wochenende, sie trinken Salbeitee aus Plastikflaschen, sie schleppen übervolle Ledertaschen, sie mögen Jutesäcke und Tofuschnitzel ... sie missachten ihren Berufsstand.

Der Tragödie letzter Schluss: Ich verachte mich, meinen Kollegen ihre menschlichen Schwächen vorwerfend.
Simon Columbus (Gast) meinte am 30. Mai, 22:03:
"Der Tragödie letzter Schluss: Ich verachte mich, meinen Kollegen ihre menschlichen Schwächen vorwerfend."

Fühlte ich mich für die Fehler aller Schüler verantwortlich, würde ich liebend gerne mit ihnen tauschen. 
teacher antwortete am 31. Mai, 08:25:
Druckreife Replik! Chapeau. 
tyndra (Gast) meinte am 31. Mai, 07:46:
soso...
du singst bei feiern und hältst launige reden? hätt ich nicht gedacht! :-) auch die warme unterwäsche und das spucken im unterricht würde ich dir nicht wirklich zutrauen. und die gruppenreisen ...hmm... ich hoffe, du hast deine herde in der temple bar nicht verloren? :-} 
teacher antwortete am 31. Mai, 08:24:
Nicht alles Verachtenswerte muss unbedingt auch auf mich zutreffen! 
alexius meinte am 31. Mai, 08:40:
Ja, das hab' ich mir immer schon gedacht,...
dass Kinder von Lehrern die bemitleidenswertesten Menschen sind.... 
teacher antwortete am 31. Mai, 08:51:
Man kann sich seine Vorfahren nicht aussuchen - nicht einmal seine Nachkommen - wohl aber seinen Beruf. Und am Charakter kann man arbeiten ... 
alexius antwortete am 31. Mai, 10:39:
Neue Krankheit
Hatt letztens die Idee für eine neue Krebsart: *Charakterkrebs*, daran leiden einige. 
teacher antwortete am 31. Mai, 16:16:
Und kein Heilmittel in Sicht? 
walküre meinte am 31. Mai, 09:23:
Wer
Salbeitee aus Plastikflaschen trinkt, ist latent masochistisch veranlagt. Aber ernsthaft: Manchmal muss man seinen Widerwillen einfach verbal artikulieren, sonst erstickt man am Unausgesprochenen. 
teacher antwortete am 31. Mai, 16:18:
Ich hab noch nicht gefragt, was der Salbeitee nutzen soll, aber ich weiß, dass das Nörgeln reinigend wirkt. Also nörgle ich statt zu fragen :-) 
tyndra (Gast) antwortete am 31. Mai, 18:07:
salbeitee
trinkt mann/frau gemeinhin bei halsschmerzen. schmeckt widerlich, hilft sehr gut. würde ich nicht als schlechte eigenschaft sehen ;-) 
teacher antwortete am 31. Mai, 19:24:
Ein klares Lehrergetränk! 
gulogulo meinte am 31. Mai, 10:37:
... sie sind eben auch nur menschen. 
teacher antwortete am 31. Mai, 19:23:
... aber recht komische, in Summe. 
Kinkerlitzch3n antwortete am 31. Mai, 23:18:
Sind doch alle Menschen, irgendwie komisch. 
teacher antwortete am 1. Jun, 22:27:
Aber nicht alle nehmen sich dabei so ernst! 
Sternenstaub meinte am 31. Mai, 20:07:
zum letzten Satz:

naja kannst ja auch nix dafür - bist halt auch "nur" ein Lehrer ;))

aber immerhin, die werfen ja sonst immer nur den Schülern ihre Schwächen vor 
teacher antwortete am 31. Mai, 20:12:
Schüler und Eltern gehen auch nicht immer zimperlich mit uns um. Aber als Lehrer sehe ich halt unsere Schwächen am deutlichsten. 
Squaw meinte am 1. Jun, 14:59:
Was für eine schöne Deutschaufgabe!
Deine sauer-süße Kritik nachmachen lassen. Die Schüler dürfen dabei einen anderen Beruf oder einen Menschentypus ihrer Wahl anprangern.
Anschließend wird in der Klasse debattiert.
Packt Dich nie die Lust den Beruf zu wechseln oder zu emigrieren? 
teacher antwortete am 1. Jun, 17:26:
Gute Idee: "Ich verachte ..."-Serie für die BILD-Zeitung. Ich verachte Polizisten, Ich verachte Politiker, Ich verachte Kellner ...

Und ja: Ich hätte gute Lust, den Beruf zu wechseln. Zumindest für ein Jahr oder zwei. Vielleicht würde ich dann reumütig in die geschützte Werkstätte "Schule" zurückkehren. 
cc antwortete am 1. Jun, 18:47:
und los!
"ich hätte gute Lust, den Beruf zu wechseln. Zumindest für ein Jahr oder zwei."
Was spricht dagegen es zu tun?
Hielte es für so wichtig, dass Lehrer/innen auch andere Lebenswirklichkeiten kennen lernen (das ist keinerlei Kritik an ihrer schwierigen Aufgabe).
Batterien aufladen, nicht immer lehren müssen, anderes kennenlernen, sich selbst neu entdecken...
genauso wäre es eine Bereicherung für Jugendliche, vermehrt mit Menschen zu lernen, die in einem anderen beruflichen Umfeld tätig sind.
Gerade weils für Lehrer ja auch Karenzierungen gibt.
Folg doch Deiner Lust!
Was mich noch interessieren tät:
Welche Berufe hätte denn teacher im Auge? 
teacher antwortete am 1. Jun, 22:25:
Da stimme ich voll zu: Lehrer und Schüler würden davon heftig profitieren. Aber der wichtigste Partner, die Wirtschaft, kann mit meinem Schul-know-how (Sprachen, Allgemeinbildung ...) herzlich wenig anfangen, fürchte ich. Bedaure ich.

Aber Interessen gäbe es genug, vor allem im Medien- und Kommunikationsbereich. Z.B. würde ich gerne aus Brüssel die EU-Bürokratie durchleuchten und für den Normalbürger verständlich darstellen. Oder Auslandskorrespondent im Orient? Softwaretester? Vielleicht Fremdenführer (mit Eventcharakter)? Am liebsten wäre ich natürlich 1 Jahr Unterrichtsminister :-) 
 

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