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cotopaxi

 
"Wozu brauch'ma den?"

Welchen Tätigkeiten ein Landesschulinspektor für gewöhnlich nachgeht, das entzieht sich unserer Kenntnis. Wir sehen ihn im Durchschnitt zwei Mal pro Jahr, das reicht.

Letzte Woche taucht er - für uns Lehrer unangemeldet - auf. Keine Sensation, aber ungewöhnlich. Ich schaue auf meinen Stundenplan und weiß nicht, ob ich mich fürchten oder freuen soll.

Zu den zwei Regulärstunden habe ich noch eine dritte als Supplierung in der 8.Klasse ausgefasst. Die Vermutung liegt nahe, der Herr Inspektor wollte die letzte Gelegenheit nützen, die Abschlussklassen zu visitieren.

Rein in die Bude. Ja, es stapelt sich der Mist in den höheren Klassen. Sie kommen und gehen wie sie wollen und die geregelten Ordnerdienste sind Vergangenheit. Von 18 Leuten haben 8 in meine Stunde gefunden, meine Maturanten und solche, die von der letzten Stunde (Latein) übrig geblieben sind oder auf die nächste Stunde (Philosophie) warten.

"Können wir weiter spielen?", fragen mich jene, die bei mir nicht antreten.
"Ganz schlecht!"
Ich erkläre die Anwesenheit der Kontrollinstanz.
"Wurscht", sind sie mäßig beeindruckt.

Wir einigen uns darauf, dass sie individuell Vorbereitungen auf den Computern machen können. In Wirklichkeit surfen sie entspannt im Netz herum.
Meine unbegründete Nervosität verliert sich in pragmatischem Phlegma: "Soll er doch sehen, wie es bei uns zugeht!"

Schlimmer wird die übernächste Stunde. Ich soll für den Mathematikkollegen, der auf einer naturwissenschaftlichen Olympiade verweilt, einspringen. Diesen Schülern kann ich in Mathe nichts mehr beibringen: Wahrscheinlichkeitsrechnungen, CAD und andere Fremdworte werden wiederholt. Fünf Schüler rechnen irgendwelche Funktionen durch, die anderen sind nach Hause (oder ins nächste Kaffeehaus) gegangen. Was, wenn jetzt der Herr Landesschulinspektor auftaucht?

Für diesen Fall lege ich mir zünftige Antworten bereit.
- "Sorry, ich kann sie nicht mit dem Lasso einfangen!" Klingt zu aggressiv.
- "Ich habe alle ins Klassenbuch eingetragen." Bürokratisch!
- "Was würden Sie mir in so einem Fall empfehlen, Herr ...?" Hilflos.

Klar, die Noten stehen fest. Nicht nur das Schuljahr, die ganze Schule hat ein Ende gefunden. Nur die naive Obrigkeit hält an der Devise fest: "Unterricht bis zum letzten Tag."

Er kommt nicht, er hat andere Arbeit in der Direktion gefunden ... oder er erspart sich die Niederlage. Ist mir auch recht.
tischNr2 meinte am 4. Mai, 01:53:
Das Wort "Landeschulinspektor" versetzt mich schlagartig in eine nach Schmierseife und verschimmelten Butterbroten riechende Zeit. Die Professoren wieselten mit Schweißringen unter den Achseln überpünktlich in die Klasse und hatten dieses Flehen in den Augen. Sie flehten nach ruhigen, braven Schülern, fragten einmal nicht nach den vergessenen Hausaufgaben und trugen niegehörte Stoffgebiete vor.

Ich war damals ein Cliquenmitglied von einem Häufchen pubertierender Mädln, die diese Situation nur zu gerne ausnützten und gemeine Fragen stellten - aus Rache an dem aufgesetzt freundlichen Gesicht der Leher, der nur zu gerne die dran nahm, die schon 28 Mitarbeitsplus eingetragen hatten. Gemein. Ich weiß, und ich würde das heute nicht mehr tun.
Aber ich hab nie verstanden, warum es so schlimm ist, wenn der oder die Landesschulinspektor(in) in der hintersten Reihe sitzt. 
teacher antwortete am 4. Mai, 17:03:
Ja, die Zeit in der Schule ist irgendwie stehen geblieben: "Schmierseife" etc. :-) Ich rieche es förmlich.
Aber die Solidarität der Schüler hat sich geändert. Kommt der LSI, dann halten wir zusammen. Da will mich keiner "aufmachen".

Warum wir ihn nicht gerne hinten sitzen haben?
1. Weil es immer um etwas geht. Um eine fixe Anstellung, eine Pragmatisierung, eine Beschwerde etc. Er kommt ja nicht aus purem Interesse.
2. Weil es vorwiegend junge, unsichere Kollegen trifft.
3. Weil es keine Unterrichtsstunde gibt, die man nicht kritisch zerlegen kann. 
Jochen (Gast) meinte am 4. Mai, 08:43:
Untertitel
> Zu den zwei Regulärstunden habe ich noch eine dritte als Supplierung in der 8.Klasse ausgefasst.

Bei so einem Satz brauche ich als Nicht-Muttersprachler schon fast Untertitel. Eine Klasse "ausfassen"? Ich weiß, dass ich Schüler nicht ANfassen darf ... ;-)

PS. Obwohl ich geduldig immer wieder das Kästchen neben "Meine Eingaben merken?" anklicke, weigert sich dein Blog beharrlich, sich irgendwas zu merken. Eine schöne Analogie zu meinen Schülern. 
teacher antwortete am 4. Mai, 16:58:
Ja, was uns so trennt, das ist die gemeinsame Sprache (D - A): "Ausfassen" heißt "unfreiwillig bekommen".
Was ist eine Supplierstunde in D.? (eine Vertretungsstunde?)

Mit dem P.S. bin ich technisch überfordert. Hängt das mit twoday.net. zusammen? 
gulogulo meinte am 4. Mai, 13:23:
wie hieß es bei kottan immer: "inschpekta gibts kan".
diese besuche sind doch sowas von sinnlos. 
teacher antwortete am 4. Mai, 17:04:
Schulinschpekta gibts.
A bissi sinnlos, aber nicht immer. 
Stef (Gast) meinte am 4. Mai, 14:27:
Köstlich ...
... zu lesen. Im Überschwang der sommerlichen Temperaturen habe ich heute ine daherirrende Mutter zu mir ins Klassenzimmer eingeladen - soll sie doch mal eine Stunde zuschauen, dachte ich. Die ersten 10min liefen auch sehr professionell - aber dann ging's los! Beim Singen wollt mir meine Gitarre am Halteband reißen. Beim darauffolgenden Acapellagesang trat ein Schüler die Kiste mit Muggelsteinen (unbeabsichtigt!) dermaßen, dass sich diese im halben Klassenzimmer verteilten. Nunja, rasch noch die Seiten für unsere Wochenlektüre austeilen. Aber wo ist das Titelblatt ? Verdammt, muss noch im Kopierraum liegen. Also, alles zurück ... naja, 15min noch. Die Kids werden allmählich unruhiger (warm, 4.Stunde und meine innere Unruhe überträgt sich allmählich) und ich überlege, wie man noch 15min füllen kann. Ich rette mich in den Abschlusskreis. Normalerweise ein sehr schönes Ritual, alle still und andächtig, wir reflektieren die Woche. Heut ein fürchterliches Durcheinander, ich muss ständig disziplinieren. Die Mutter scheint aber noch zu lächeln...

Endlich, der Schulgong! Erlösung. Noch kurz ein paar erklärende Gesten gegnüber der Mutter (die das alles aber wohl gar nicht so schlimm fand) und dann die Rettung ins Lehrerzimmer. Wenn da heute die Inspektion dagewesen wäre ... ohje! So ist das eben manchmal ... Kommendes Jahr ist unsere Schule dran. Ich hoffe, meine Vorführstunde läuft mal wieder Drehbuchreif - echten Unterricht will doch keiner sehen ;-) 
teacher antwortete am 4. Mai, 17:16:
Ich hatte in den ersten Jahren auch so eine Art "Vorführstunde" ständig in petto. Die hätte ich im Schlaf halten können, alles Material war fertig in der Schublade.
Eltern habe ich nicht so gerne in der Klasse - sie können am wenigsten beurteilen, was die Stunde wert ist. Sie beurteilen eher die sichtbare Obefläche, jedenfalls weniger professionell als KollegInnen, StudentInnen, DirektorInnen ... von denen ich schon viele mit hatte. 
.peter meinte am 4. Mai, 16:14:
Inspektoren-Wahn
Diese Angst vorm Inspektor, die kann ich nicht nachvollziehen. Ich würde in meinem Unterricht nicht, aber auch garnichts, anders machen als wenn der Herr oder die Frau nicht da wäre.

Sollte einem der Inspektor tatsächlich wegen der Betrachtung einer einzigen Stunde dumm kommen ... ist mir wurst.

Es gibt schlimmeres: Schreiende, schlüssel werfende Kollegen. Alkoholismus, Unzuverlässigkeit, Gleichgültigkeit, Pädophilie ... you name it, und sie alle können selig weitermachen und später mal Rente einstecken. Oder was ist mit schlechten Lehrbüchern, nicht vorhandener Methodenkoffer, schlechten Deutschkenntnissen, ADS, usw.

Allerdings bin ich ohnehin eher die strengere Sorte von Lehramts-Anwärter ;-) Unruhe in der Klasse ... bei mir nur, wenn es hilfreich ist und methodisch dem Thema auf die Beine hilft.

Und wenn die Schüler nicht zum Unterricht kommen ... wieso sollte das meine Schuld sein. Hell, ich würde ich nicht kommen an ihrer Stelle, wenn es keine Konsequenzen hätte. Ist doch eh nur noch Beschäftigungstherapie. 
teacher antwortete am 4. Mai, 17:23:
Der Inspektor kommt 2-3 Mal im Leben zu uns. Daran hängen vertragsrechtliche Folgen - da ist die Nervosität schon verständlich.
Bei mir ja nicht mehr, das ist nur mehr ein Pawlowscher Effekt.

Zur Schülerabsenz:
Stimmt genau - nicht meine Schuld: Bloß ist es normal, die Lehrer für die Dinge verantwortlich zu machen, die sie nicht verursacht haben. Gewalt, Unordnung, Disziplinlosigkeit, Leistungsverweigerung ... gleicht wirft man der Schule Versagen vor.
Die Schüler verstehe ich bestens. Sollen sie stundenlang sinnlos Zeit absitzen? Schule ist kein Gefängnis! 
.peter antwortete am 5. Mai, 02:33:
Achja, auch für uns Lehrer gibt es Konsequenzen. Warum lernt man sowas nicht im Studium, zumindest bei uns? 
teacher antwortete am 5. Mai, 16:21:
Die akademische Lehrerausbildung (in Ö, an der Uni) ist noch sehr weltfremd, sodass unsere Junglehrer einige Jahre Ersterfahrung brauchen, um den schulischen Arbeitsalltag zu durchschauen. Manche Direktoren nutzen diese Unbelecktheit aus und versorgen die Junglehrer mit Jobs und Arbeit, gegen die sie sich anfangs nicht wehren trauen.
Ein Beispiel: Das Schulunterrichtsgesetz (Schug) und das Schulorganisationsgesetz (Schog), die beiden wichtigsten gesetzlichen Grundlagen des Unterrichtens in Öst., werden an den Universitäten nicht behandelt, erst im 1.Dienstjahr (Praktikum) - auch nicht vollständig oder gar krtitisch. 
 

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